VON ANJA Breit

Toskana Grand Tour 2022 

Teil 2: Montalcino, Montepulciano und der Südosten der Toskana

Im Sommer sind Elias Schlichting und ich gemeinsam in die Toskana gereist, um 34 unserer Winzerpartner zu besuchen und ihre neuen Jahrgänge zu probieren. Wie im Rest Europas ist 2022 auch hier soweit ein sehr warmes und trockenes Jahr. Die Weinlese wird dieses Jahr bei einigen Weingütern schon Mitte August beginnen – vier Wochen früher als 2021. Das wird die früheste Lese, die es jemals gab. Dies ist der zweite Teil meiner Reise.

Unterwegs im Weinberg von Valdicava
Unterwegs im Weinberg von Valdicava

Die Region Montalcino

Das pittoreske Städtchen Montalcino, südlich von Chianti, ist ein klassischer Anlaufpunkt  für die schönsten Aussichten der Toskana. Von der mittelalterlichen Stadtmauer kann man die ein oder andere Weinguts-Zypressen-Auffahrt bewundern. Von hier kommen die finessenreichsten und zugleich körperreichsten Sangiovese der Toskana.

Auf unserer Reise haben wir einige 2018er verkostet. Diese sind oft reichhaltig, aber ohne dabei volle, überwältigende Blockbuster zu sein. Die extrem runden, balancierten und seidigen Tannine in diesen Weinen sind ihre Kennzeichen, und dadurch werden die Charmeure auch früher zugänglich sein. Eine dunkle, wohlige und attraktive Würze schmecke und rieche ich immer wieder. Ich war auch bei den 2018ern von der Balance beeindruckt. Obwohl die Weine intensiv sind, liefern sie zugleich eine solch erstaunliche Frische im Mund. In Montalcino, wo Brunello laut DOCG mindestens vier Jahre reifen muss, bevor er im Januar des fünften Jahres auf den Markt kommt, wurde der 2018er-Jahrgang bei vielen Weingütern inzwischen auf die Flasche gefüllt. 2018 ist ein Jahrgang, in dem die Lage der Weinberge entscheidend ist. So werden in kühleren Höhenlagen, zum Beispiel bei Castello di Romitorio, Weine mit fantastischer Finesse und Duftigkeit präsentiert. In wärmeren Tallagen kommt es zu sehr fruchtintensiven, manchmal auch reifen Weinen, mit geschmeidigen, oft gar cremig reichhaltigen Tanninen.

Weine mit fantastischer Finesse

Poggio di Sotto

Unser erster Termin beim Boutique-Weingut Poggio di Sotto ist südlich von Montalcino. Von der auf 300 Höhenmetern gelegenen Terrasse schauen wir auf den gewaltigen Monte Amiata. Der erloschene Vulkan sorgt durch die kalte Luft, die aus den Höhenlagen an den Hängen hinunter gleitet, für ein kühleres Mikroklima in den Weinbergen. Die Erträge sind winzig, kein Wunder also, dass die Weine jedes Jahr streng zugeteilt sind. Vom Brunello werden ungefähr 20.000 Flaschen gemacht, vom Rosso sogar nur 18.000. Poggio di Sotto ist übrigens eines der wenigen Weingüter, das ihren Rosso aus Fässern macht, die eigentlich auch Brunello sein könnten. Der Rosso ist preislich gesehen für einen Rosso nicht gerade ein Schnäppchen, aber wenn man bedenkt, dass er eigentlich ein Brunello ist, sieht das schon wieder anders aus. 

Anja Breit zu besuch bei Alessandro Margioni vom Weingut Lisini
Anja Breit zu besuch bei Alessandro Margioni vom Weingut Lisini

Lisini

Die Fahrt geht weiter über eine kilometerlange, kurvige und staubige Straße durch einen mediterranen Wald hinauf zum Weingut Lisini. Wir treffen Alessandro Margioni, der seit 2020 der  Önologe des Familienweinguts ist. Der talentierte junge Mann hat sein Handwerk unter anderem von Brian Sieve auf der Burgunder Domaine de Montille gelernt. Es kann also spannend werden, wohin die Reise hier gehen wird. Bisher setzen die Weine von Lisini sich für mich durch ihre traditionelle Art, mit etwas rustikaleren Tanninen, von den vielen, burgunder-ähnlichen Finesseweinen in Montalcino ab. Gemeinsam inspizieren wir die sublime Einzellage »Ugolaia«, die direkt neben dem Weingut liegt. Überraschenderweise ist es nicht die höchstgelegene Lage von Lisini, sondern auf 380 Höhenmetern sogar eine der niedrigeren. Dafür stehen hier aber mit 40 bis 45 Jahren die ältesten Reben. Alessandro hat bereits begonnen die Weinberge auf Guyot-Erziehung umzubauen, denn diese Form, bei der jedes Jahr eine neue Rute erzogen wird, ist resistenter gegen Hitze, und die Qualität und Menge der Trauben pro Rebstock lässt sich besser kontrollieren. Dieses Jahr wird hier Mitte September mit der Lese begonnen, einen Monat früher als sonst. Die großen Betontanks des Weinguts, die bis zur Lese frei sein müssen, sind im Moment noch mit dem 2018er Brunello gefüllt, denn Glaslieferanten konnten bis jetzt noch nicht liefern. Viel Druck lastet auf dem jungen Winzer, aber unter Druck entstehen ja bekanntlich Diamanten.

Viele Jahre Zeit, alle Tricks von ihm zu lernen.

Case Basse

Den nächsten Morgen beginnen Elias und ich mit einem Highlight mit unserem Besuch beim Weingut Case Basse. Die zehn Hektar Weinberge liegen umzäunt und zum Teil von Wald umgeben auf circa 330 Höhenmetern. Der exklusive, zwei Hektar große, botanische Rosengarten liegt direkt neben den Reben. Hier blühen ungefähr 1.000 einzigartige, zum Teil auch seltene Rosenarten. Eine Passion, die von Gianfranco Solderas Frau Graziella aufrechterhalten wird. Gianfranco selbst verstarb im Februar 2019 im Alter von 82 Jahren unerwartet bei einem Autounfall. Dennoch wird sich nichts an den Case Basse Weinen ändern, denn Gianfrancos Tochter Monica und ihr Mann Paulo sind bereits 2003 ins Weingut eingestiegen und hatten somit viele Jahre Zeit, alle Tricks von ihm zu lernen. Der Focus ist hier auf den Weinbergen. Dabei gibt es jedoch keinen Rebschnitt im Sommer, so dass die Rebzweige ungebändigt vor sich hinwachsen können. »Leaves are like a tap, and grapes are their sink« ist die Message, also je mehr Blätter, desto mehr Traubensaft. Jede Rebe wird, auch wenn sie im Sommer wild wachsen darf, bis ins verrückteste Detail penibelst gepflegt. Im Keller gibt es nur große, slawonische Garbellotto-Fässer. Im Durchschnitt liegt der Ertrag gerade mal bei 11.000 bis 15.000 Flaschen pro Jahr. Kein Wunder also, dass dies einer der seltensten und nachgefragtesten Icon Wines Italiens ist.

Probe bei San Polino mit Katia Nussbaum
Probe bei San Polino mit Katia Nussbaum

San Polino

Beim Weingut San Polino empfängt uns die britische Winzerin Katia Nussbaum. Ich bin ein großer Fan dieser intensiven, ausdrucksstarken und zugleich auch komplex-duftigen Weine. Im Gegensatz zu den Finesseweinen von Poggio di Sotto, Case Basse und Salvioni, sind sie wesentlich dichter und dennoch so vielschichtig. Hier sind wir im südlichsten Teil von Montalcino. Katia hat ihre eigenen Vorstellungen von der Biodynamik und ist fest davon überzeugt, dass Pilzsporen (Glomeromycota) im Boden eine wichtige Symbiose mit Reben eingehen. San Polino ist seit 1994 bio-zertifiziert und seit 2001 biologisch-dynamisch zertifiziert. Ihre Reben sind zu zwei Seiten von Wald umgeben, und damit ist »Viti-Forestry« ein Thema für sie. Das kleine Familienunternehmen macht 30.000 Flaschen im Jahr. Für mich sind San Polino-Weine der Inbegriff von dunkler Kirschfrucht, mit großer Struktur und zugleich Finesse und Saftigkeit. Das Potenzial ist groß!

Das gesamte Sortiment ist beeindruckend.

Podere le Ripi

Auch bei Podere le Ripi werden die Trauben biologisch-dynamisch angebaut. Das Weingut liegt auf 300 Höhenmetern, und obwohl die Sonne bei der Besichtigung der Weinberge erbarmungslos feuert, kommen wir nicht ins Schwitzen. Ähnlich wie bei den Nachbarn weht hier stets ein erfrischender Wind, entweder vom erloschenen Vulkan Monte Amiata hinunter oder vom Meer her. Die Geschichte von Podere le Ripi begann 1994, als Francesco Illy ein verlassenes Bauernhaus mit 54 Hektar Land kaufte. 1999 wurden die ersten Reben gepflanzt, 2003 der erste Wein gemacht und 2016 der brandneue Keller fertiggestellt. Der zylinderförmige Keller windet sich in einer Spirale in die Erde – wie ein gigantischer Korkenzieher. Hier wird sanft mit Hilfe von Schwerkraft gearbeitet und der Wein wandert auf seinem Reifeprozess immer weiter nach unten. Alle Weine werden nach Parzellen getrennt ausgebaut und alle reifen in großen Mittelberger Holzfässern aus Bozen in Südtirol. Podere le Ripi-Weine sind körperreich und voll. Durch die Bank finde ich auch viel Würze in ihnen, von Leder zu duftig getrockneten Rosen und frischem Fleisch – das gesamte Sortiment ist beeindruckend.

Weinberge von Podere le Ripi
Weinberge von Podere le Ripi

Altesino

Eine picturesque Zypressenallee führt hinauf zum Weingut Altesino, das auf einem sanften Hügel nördlich von Montalcino nur unweit von Podere le Ripi gelegen ist. Das Weingut war von jeher einer der Visionäre der Region. So wurde hier zum Beispiel zeitgleich mit den Nachbarn des Weinguts Valdicava bereits in den 1980er Jahren die erste Einzellagen Abfüllung der Lage Montosoli gemacht. Bei unserem Besuch war der 2017er Brunello ganz klar eines der Highlights. Er wurde für drei Jahre im großen slawonischen Holzfass ausgebaut und anschließend weitere zwei Jahre in der Flasche gereift – der Gevrey-Chambertin aus Montalcino.

Casanova di Neri

Der nächste Termin bei Casanova di Neri veranschaulicht wieder ganz klar, dass die Lage in der Toskana einer der Schlüssel zum guten Wein ist. Wir stehen im Weinberg Fiosole, direkt neben dem Weingut. Am warmen Julitag ist die flache Tallage doch relativ kühl, da ein erfrischender Wind vom Meer her weht. Bis auf die Einzellage Cerretalto, die im großen Holzfass vergoren wird, vergären alle anderen Weine im Stahltank. Im Verkostungsraum sind die zahllosen Auszeichnungen ausgestellt, das Weingut Casanova di Neri ist wohl das von Kritikern meist dekorierte Weingut Montalcinos. Die salzige, steinige Mineralität ist eines der Kennzeichen der Weine, vor allem in der Einzellage Cerretalto. 2017 wird die exklusive Lage aber nicht separat abgefüllt, und die Trauben kommen stattdessen in das weiße Etikett. Das ist in Jahren, in welchen der Topwein nicht gemacht wird, immer der Fall. Dadurch ist das weiße Etikett im Jahr 2017 natürlich ein ganz besonderes Schnäppchen. Ein absoluter Geheimtipp!

Bei der anschließenden Verkostung bleibt mir die Luft weg. 

Salvioni

Der Besuch im Keller des Weinguts Salvioni ist wie eine Zeitreise in die Vergangenheit. Wie ist es möglich, dass im kleinsten Keller von Montalcino, einer der grandiosesten Weine der Region gemacht wird?! Hier wird noch alles von Hand gemacht, es gibt keine Abfüllanlage, Etikettiermaschine oder Ähnliches. Hier stehen gerade mal fünf Botti, drei links, zwei rechts. Acht weitere sind in einem externen Keller untergebracht. Der Besuch des Kellers ist in fünf Minuten geschehen. Bei der anschließenden Verkostung aus den Fässern bleibt mir die Luft weg. Falls die anderen Fässer ebenso gut sind und der 2019er Brunello so auf die Flasche kommt, wird er ganz, ganz groß. Ein 100+ Punkte Wein, das ist absolut unbestreitbar! Bei Salvioni wird tatsächlich das zugänglichste Brunello-Fass als Rosso di Montalcino abgefüllt. Best Deal in ganz Montalcino!

Zugast bei Filippo Chias Weingut Castello di Romitorio
Zugast bei Filippo Chias Weingut Castello di Romitorio

Castello di Romitorio

Dieses Jahr haben wir die phänomenalen Weine des Castello di Romitorio in unser ohnehin schon sehr umfassendes Toskana-Programm aufgenommen. Das Weingut ist vom Vater Filippo Chias, des jetzigen Direktors, sowohl zur Kunstausstellung als auch zum faszinierenden Ort der Weinherstellung gemacht worden. Auch Filippo hat die Kunst im Blut. Er hat eigentlich Cinematographie studiert und setzt nun seine ganz eigenen, bedingungslosen Qualitätsvorstellungen in die Realität um. Sein Motto ist »Making wine is like producing a movie«! Auf Castello di Romitorio läuft aber keine Rom-Com, sondern die Skulpturen im Keller, die tatsächlich was seltsam Lebendiges an sich haben, erinnern eher an Sci-Fi im Stil von »Avatar – Aufbruch nach Pandora«. Die 2018er des Weinguts sind absolut beeindruckend, und mit wohlig erdiger Kirschfrucht sind sie körperreicher als die 2017er. Ein weiteres Charme-Jahr für Romitorio. Die Weinberge sind von Wald umgeben, und zudem befinden sie sich in den höheren Lagen von Montalcino. Das sind perfekte Voraussetzungen für frische und präzise Frucht. Und wenn sich das nun anhört, als seien sie leicht, ist das nicht ganz richtig, denn sie sind zugleich sehr körperreich, komplex und mit großartigem Terroirabdruck.

Mit dem Brunello ist der Himmel der Toskana zum Greifen nah!

Vasco Sassetti

Der Besuch bei Vasco Sassetti findet in der kleinen Trattoria in einem Weiler südlich von Montalcino statt, nicht am Weingut selbst. Die Sassettis haben eine eigene Metzgerei und die Wursttheke duftet verlockend. Vasco Sassetis Cousine Donatella begrüßt uns herzlich. Wir verkosten die neuen Jahrgänge und schaffen es mit Händen und Füßen - auf Grund dürftiger italienisch Kenntnisse – einen Teller der geschmacksexplosiven Schinkenvariation zu bestellen. Und natürlich muss es auch Donatellas hausgemachte Pasta sein, für die tägliche gute Tat mit Wildschweinragout. Zusammen mit dem perfekt rustikalen Brunello ist der Himmel der Toskana zum Greifen nah! Die Weine sind genauso bodenständig und echt wie die Trattoria selbst, ein gastronomisches Vergnügen.

Der Besuch bei Vasco Sassetti findet in der kleinen Trattoria statt
Der Besuch bei Vasco Sassetti findet in der kleinen Trattoria statt

Siro Pacenti

Siro Pacenti ist das einzige Montalcino-Weingut in unserem Programm, das 100 Prozent auf den Ausbau in französischen Barriques setzt. Als Giancarlo die Verantwortung des Weinguts von seinem Vater übernahm, führte er diese Fässer ebenso wie die grüne Lese ein. Er hat in Bordeaux studiert, daher kommt sicher die Begeisterung und auch Offenheit für die dort genutzten 225-Liter Fässer. Bei unserem Besuch wird mir auch wieder bewusst, dass Neuerungen im traditionellen Italien nicht einfach sind, vor allem dann nicht, wenn sie von einer Generation auf die nächste geschieht. Aber hohe Bewertungen gaben dem überzeugten Winzer Recht. Bei Siro Pacenti wird jede Traube vollständig entrappt und nach zweifachem Sortieren von Hand stellt ein Laserscanner sicher, dass nur die perfektesten Trauben verwendet werden. Purer Qualitätsfetischismus. Durch dieses kompromisslose Qualitätsdenken produziert das Weingut gerade mal 60.000 Flaschen Wein pro Jahr. Giancarlos Weine sind monumental und linear stark gebaut.

Unglaublich vielschichtig und komplex

Valdicava

Das Weingut Valdicava ist fünf Fahrminuten von Siro Pacenti entfernt. Pier Filippo, die vierte Winzergeneration des Familienunternehmens, empfängt uns. Zunächst besuchen wir die Rebanlagen, die alle nah beieinander in den Tallagen südlich von Montalcino liegen. Die Reben sind zur Perfektion gepflegt und gehegt, sie erinnern mich an einen mit der Nagelschere getrimmten englischen Garten! Erträge sind minimal, jeder Rebstock trägt maximal 1 kg kleiner, dickschaliger Trauben. Zurück im Keller probieren wir die Jahrgänge 2019, 2020 und 2021 aus dem Fass. 2017 erfror bei dem schlimmen Frost im April ein Großteil der Triebe fürs kommende Jahr. Daher waren die Erträge so gering, dass es vom Jahrgang 2018 keinen Brunello gibt, sondern nur einen Rosso – der ist dafür aber on Steroids. Die Konzentration der Valdicava Weine ist schon immer mind-blowing gewesen. Der Valdicava-Stil ist sehr strukturiert, dabei aber trotzdem unglaublich vielschichtig und komplex. Das sind große, gastronomische Tannine, zum Kauen. Ich finde, dass Valdicava immer länger im Keller braucht, bis die Weine in ihr ideales Trinkfenster kommen. Aber die Geduld lohnt sich, denn nach acht bis zehn Jahren gehören sie zum Größten aus Montalcino, eben nicht burgundisch fein, sondern muskulös elegant. Keine Bodybuilder, sondern ein Geräteturner

Pier Filippo vom Weingut Valdicava
Pier Filippo vom Weingut Valdicava

Vino Nobile de Montepulciano

Poliziano

Vino Nobile de Montepulciano liegt irgendwo zwischen Chianti und Montalcino, weiter im Landesinneren. Die schöne Fahrt dahin führt uns über kurvige Straßen an pittoresken  Sonnenblumen und bereits gemähten riesigen Weizenfeldern vorbei. Die Appellation ist zwar die kleinste der drei Großen (nach Chianti und Brunello) in Bezug auf Anbaufläche, aber ihre Geschichte ist mindestens so wichtig wie die der Chianti DOCG. In den 1960er Jahren wurde Vino Nobile in rauen Mengen gemacht, allerdings leider oft in mittelmäßiger Qualität. Federico Carletti war einer der Vordenker und Qualitätsverfechter der Appellation seitdem er das Weingut Poliziano in den 1980er Jahren von seinem Vater übernahm. Damals war er fast alleine mit dieser Denkweise, was letztendlich dazu führte, dass die gesamte Appellation Vino Nobile de Montepulciano für lange Zeit im Ansehen zurückblieb. Der »Le Stanze«, ein Blend aus Cabernet Sauvignon und Merlot, ist Polizianos Antwort auf den Aufstieg der Supertuscans und er hat sich fest unter den besten Bordeaux-Blends der Toskana etabliert. Durch stetige Investitionen hat das Weingut Poliziano heute einen topmodernen Keller, in dem mit Schwerkraft gearbeitet wird, um den Wein so schonend wie nur möglich zu behandeln und so wenig wie nur möglich zu pumpen. Der Trend des Weinguts geht hin zu größeren Holzfässern und weniger neuem Holz zugunsten von gebrauchten Fässern, die weniger Einfluss auf den Geschmack haben, dafür aber ihren Einfluss auf die Textur der Tannine behalten. Dadurch entstehen elegante und trinkige Weine mit attraktiv rund polierten Tanninen. Obwohl das Weingut inzwischen ungefähr 150 Hektar Reben bewirtschaftet, 27 davon in der Maremma, ist es ein waschechtes Familienunternehmen. Federicos Kinder arbeiten bereits an seiner Seite, Francesco im Marketing und die quirlige, fröhliche Maria Stella in den Weinbergen. Für mich ist das Weingut der Inbegriff des stetigen Fortschritts. Und das heißt nicht, dass Tradition nicht geschätzt wird, sondern eher, dass die Familie eine offene Herangehensweise hat und nie aufhört, nach Verbesserung zu streben.

Der Inbegriff des stetigen Fortschritts.

Off the beaten Track

Tenuta di Trinoro

Die Tenuta di Trinoro liegt im südöstlichen Teil der Toskana, nahe der Grenze zu Umbrien, und ist weit weg von den anderen berühmten Weingegenden. Hier werden Mini-Mengen ganz individueller Weinberge aus Höhenlagen in ihre Essenz umgewandelt. Ihr Kennzeichen ist unglaublich viel von allem im Glas: viel Frucht, viel Tannin, viel Würze, viel Intensität. Dabei können die Weine mit der Weltspitze, sei es Cabernet Franc oder Merlot, locker mithalten und tragen dabei stets einen individuellen Toskana-Fingerabdruck. 2020 war hier ein trockenerer, aber ebenso warmer Jahrgang wie 2019. Erst im September und Oktober regnete es. Das führte zu fruchtintensiven Weinen mit runderen, sanfteren Tanninen. Das sind Muskelprotz-Charmebolzen! Es wurden wesentlich weniger Flaschen gemacht als in den Vorjahren und daher wird der 2020er sehr limitiert werden. Nach Andrea Franchettis Tod, Ende 2021, übernahm sein ruhiger und charmanter Sohn Benjamin Franchetti, der bereits einige Jahre an Andreas Seite gearbeitet hatte, das Weingut. Er sitzt fest im Sattel und hält die Zügel des Weinguts sicher in beiden Händen.

Probe bei Tenuta di Trinoro
Probe bei Tenuta di Trinoro

Sancaba

Im Anschluss an den Besuch bei der Tenuta di Trinoro fahren wir 30 Minuten zu Sancaba. Hier hat der zielstrebige Carlo Franchetti, Andrea Franchettis Cousin, nur eins im Sinn, nämlich einen der besten Pinot Noirs der Welt zu machen. Damit reiht er sich ein in die lange Reihe von Winzern mit genau der gleichen Idee. Dabei denkt beim Thema großartiger Cool-Climate Pinot kaum jemand an die Toskana. ABER, da bin ich mir hundertprozentig sicher, das wird sich dank Carlo sehr bald ändern. Sein 5 Ha-großer Weinberg liegt auf felsigem Untergrund, hauptsächlich aus Muschelkalk und Ton. 3,5 Ha davon sind mit Pinot Noir bepflanzt und der Rest mit den weißen Rebsorten Trebbiano und Grechetto. Mit den weißen Trauben experimentiert Carlo jedoch bisher nur – wir können also gespannt sein! Die Reben sind über 20 Jahre alt. Die Fahrt hinauf zum Weingut, das auf 650 Höhenmetern in San Casciano dei Bagni liegt, führt mich über ein mit solch massiven Gesteinsbrocken gespicktes, bescheidenes Strässchen, dass ich befürchte, meinen Mietwagen ohne Unterboden abgeben zu müssen! Oben angekommen, bin ich überrascht. Trotz des heißen Julinachmittags weht hier tatsächlich ein angenehm kühlender Wind. Weinberge und Weingut sind bio-zertifiziert und Carlo verwendet zudem biologisch dynamische Präparate zur Stärkung der Abwehrkräfte der Reben. Um die Sonnenreflektion des Bodens zu verringern, legt er Stroh zwischen den Reihen aus. Als Carlo 2012 seinen ersten Jahrgang machte, war das ein privates Experiment. Das Ergebnis war jedoch so verblüffend vielversprechend, dass sein inzwischen leider viel zu früh verstorbener Cousin Andrea Franchetti anbot, die Trauben in Zukunft in dessen Keller auf der Tenuta di Trinoro zu vergären und auszubauen. Die ersten Jahrgänge, ab 2013, waren an den reichhaltigeren Franchetti-Stil angelehnt, aber die Stilwende hin zu beeindruckender Feinheit ist nun in vollem Gange. Es folgt eine Entwicklung vom Chambertin Grand Cru (2019) hin zum Echézeaux (2020). 2021 war der erste Jahrgang in Carlos eigenem Weingut, direkt neben dem Weinberg. Das ist tatsächlich ein Weingut, das man nicht aus den Augen verlieren sollte.

Wir können also gespannt sein!

Anja Breit

Anja Breit

Anja Breit hat ihre Weinbegeisterung in der Gastronomie gelernt und gelebt. 15 Jahre war sie in London für Spitzenkoch Gordon Ramsay, Zuma und als Chef-Sommelier im mit zwei Michelin-Sternen dekorierten Ledbury tätig. Seit 2021 ist sie bei uns als Wine Scout tätig.

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