Während sich ein guter Teil der führenden Riege des Bordelais und auch der Rhône dem Wandel der Zeit und der Trinkgewohnheiten hin zu früherer Zugänglichkeit und größerer Weichheit zunehmend ergeben haben, geht man im Burgund indes teilweise den umgekehrten Weg, wie es scheint. Die Lese hat sich bei vielen Betrieben seit mehr als zwei Jahrzehnten stetig nach vorne verschoben, auch, aber nicht nur wegen des wärmeren Klimas.
Wir finden heute in manchen Jahren enorme Säurestrukturen mit massivem Druckaufbau. Und das obwohl ein überwiegender Teil der Chardonnays hier eine malolaktische Fermentation unterläuft. Fast alle Winzer praktizieren die Malo, ob spontan oder induziert. Entweder aus Gründen des prinzipiellen nicht eingreifen Wollens, aber meist auch bewusst als stilistisches Mittel. Während dieses biologischen Säureabbaus wird, vereinfacht gesagt, Äpfelsäure zu Milchsäure mikrobiologisch umgebaut. Dies resultiert in einem fülligeren, teilweise harmonischeren Mundgefühl, es macht den Wein auch weicher. Die Handhabung der Malo ist allerdings diffizil, vor allem ein spontaner Säureabbau kann unter Umständen stark ins Aroma eingreifen.
Ein Musterbeispiel für einen sehr cleanen Säureabbau ist beispielsweise die wohl beste Weißwein-Domaine der Welt, Leflaive. Und auch das feine Händchen von Pierre Morey, der respektive über 20 Jahre Leiter ebenjener Domaine war, sorgt dafür, dass die Malo und andere Sekundäraromen nur wenig merklich werden. Um sich mehr in einen mineralisch-betonten Stil zu begeben haben wir hier also keine Butter, kaum laktische Noten, alles sehr clean. Auch Laurent Ponsot ist ein Kandidat für solch puren Chardonnay. Die Chablis von Patrick Piuze hingegen sind in der Jugend manchmal von laktischen Noten gezeichnet. Ich persönlich mag das ab und an ganz gerne, manche stören sich daran – da hilft nur durchprobieren. In aller Regel binden sich die Noten über die Flaschenreife ohnehin ein, auch Karaffieren kann helfen.
Für weißen Bordeaux ist der biologische Säureabbau kaum verbreitet und selbst Champagne-Grundweine werden häufiger auch mal ohne Malo ausgebaut. Auch das Elsass rückte zunehmend davon ab. Aber die Uhren ticken langsam in der Bourgogne. Stilistische Änderungen werden meist nur mit Widerwillen vollzogen oder wenn höchste Not drohen sollte. Andernfalls lässt man die Dinge hier gerne wie sie sind.
Für den Chardonnay hat die Zeit der Premature Oxidation allerdings viele Winzer zum Überdenken ihrer Praktiken gebracht. Die Bâtonnage, also das Aufrühren der Hefen im Fass, wird vielerorts zurückhaltender, seltener oder gar nicht mehr vollzogen. Es wird insgesamt wesentlich mehr auf die Vermeidung von Sauerstoffeinträgen beim fertigen Wein geachtet und auch mehr gebrauchte Fässer eingesetzt, also ein reduktiverer Ausbau. Für die Bâtonnage werden die Fässer mancherorts nicht mehr geöffnet, um sie mit einem Stab aufzurühren, sondern sie werden gerollt, um die Hefen innerlich aufzuwirbeln.
Die élevage erfolgt mit Ausnahme von klassischem Chablis (INOX) noch immer überwiegend im Holz von 228 Litern, hier Pièce genannt (ein Bordeaux-Barrique hat 225 Liter). Zunehmend wird auch in größeren Fässern von 300 bis 600 Litern ausgebaut, um den Holz- und Sauerstoffeinfluss weiter zu verringern. Wir finden heute mehr weiße, leicht florale und teilweise sogar etwas ins Grünliche changierende Fruchtprofile. Ausnahme hiervon sind natürlich Hitzejahre wie 2009 oder 2015. Die Dominanten für modernen weißen Top-Burgunder sind stringente Kreidigkeit, zupackende Phenolik und salziger Gripp, Kühle und Frische. Chardonnay mit Ecken und Kanten – rassig eher denn anschmiegsam. Das sind die allgemeinen Tendenzen an der Spitze. Natürlich gibt es auch noch späte Lesen und oxidative Stilistiken, doch sie werden immer seltener.
Bezüglich des Pinot Noirs hat man in den vergangenen 20 Jahren vom Klimawandel profitiert. Eine Chaptalisierung, also Aufzuckerung des Mostes, ist kaum mehr nötig, wird höchstens noch als Stilmittel zur frühen Lese angewandt. Wollüstige Reifegrade, Frucht mit ausgesprochener Gourmandise und betörend-weiche Tanninstrukturen sind heute an der Tagesordnung. Kurzum, roter Burgunder ist so verlockend wie niemals zuvor. Obwohl natürlich jeder Winzer und jede Domaine einen eigenen Stil und unterschiedliche Philosophien verfolgt, ist die Gretchenfrage heute meist die Entrappung. Also der Anteil der Ganztraubenvergärung mitsamt den Stängeln beim Pinot Noir. Eben mit dem wärmeren Klima kann eine etwas weichere, in heißen Jahren auch mal eingekocht wirkende Frucht einhergehen. Um dem entgegenzuwirken beschäftigen sich heute auch wieder Domaines mit den Rappen als strukturgebendes Element, die diese bisher nicht eingesetzt hatten. Auch damit geht die Bourgogne in gewisser Weise einen Weg entgegen des Mainstreams.
Während unter anderem in Châteauneuf-du-Pape derweil zunehmend entrappt wird, um zugänglichere Weine und pure Frucht zu fördern. In der Neuen Welt ist das ohnehin der weitgehende Standard bis auf wenige Ausnahmen. Neben dem Lesezeitpunkt und dem Neuholzanteil ist die Entrappung wohl der dritte Baustein, der sich am stärksten sensorisch auf die Weine auswirkt. Die Rappen geben dem zarten Pinot einen vegetativen Touch, der im besten Fall durch die vegetalen Elemente und eine etwas erhöhte Säure aus den Rappen eine gewisse Frische suggeriert. Man kennt das auch von Cabernet Francs an der Loire. Zudem geben die Rappen selbstverständlich in hohem Maße zusätzliche Tannine an den Wein ab und sorgen so für mehr Struktur und Gripp am Gaumen. Diese Tatsache macht das Tannin-Management zum Balanceakt, um keinen zu rustikalen oder abweisenden Wein zu erhalten.
Der Lesezeitpunkt, der Zustand der Rappen, Alter und Toasting der Pièces für den Ausbau, sowie die allgemeine phenolische Reife der Trauben sind penibel zu überdenken. Stängel und Stile zielführend einzusetzen verlangt also einiges an Erfahrungswerten und Fingerspitzengefühl. Diese Tugenden sind aber nirgendwo mehr zu Hause als an der Côte-de-Nuits. Bei Weinen die für jahrzehntelange Lagerung ausgelegt sind, erweist sich der gekonnte Einsatz der Rappen als Schlüssel zu ewiger Jugend. So kann es einem jedenfalls vorkommen, wenn man mal die Möglichkeit hatte einen gereiften Wein der Domaine de la Romanée Conti zu probieren. Der legendäre Kultwinzer Henri Jayer war hingegen einer der glühendsten Verfechter des Entrappens. Und der war auch nicht gerade für kurzlebige Weine bekannt. Verallgemeinerungen sind in der Bourgogne nie der Wahrheit letzter Schluss.
Am Ende ist es eine Frage des persönlichen Geschmacks und der individuellen Stilistik des Winzers. Wer das manchmal Vegetative, leicht Adstringierende im Jungwein nicht mag, sollte besser zum überwiegend oder vollständig entrappten Pinot Noir greifen. Oder jene mit hohem Rappenanteil mindestens ein paar Jahre heranreifen lassen, dann kann sich das Blatt wenden.
(Kaum Entrappt: De Bellene, seit 2017 Pataille)(Teil-Entrappt: Faiveley, Arlot, d’Eugenie) (Ganz Entrappt: Jean Grivot, Pierre Morey)