Die Bourgogne polarisiert wie kaum eine andere Region und schreckt auch viele ab. Wir haben da zum Beispiel diejenigen, die auf Distanz zum Burgunderwein gegangen sind, weil sie einige, zumeist teure Fehlgriffe auf Grund von renommierten Appellationen gemacht haben. Und wir haben jene, die zwar prinzipiell mit den Weinen d’accord gehen, aber von der Vielzahl der Erzeuger, den komplizierten Lagenbezeichnungen und der Preisstruktur abgehalten werden, sich tiefgreifender mit der Region zu beschäftigen.
Man sollte nicht der Fehleinschätzung unterliegen, dass das Qualitätsniveau von Burgunderweinen stets mit den für sie aufgerufenen Preisen korreliert – vor allem nicht im Vergleich mit anderen Regionen. Schaut man sich die Wertungen vieler Kritiker, die sich schon lange mit der Bourgogne beschäftigen (Neal Martin, Allen Meadows usw.), im Verhältnis zu den Preisen an, kann man ins Stutzen kommen. Preise an der Grenze zur Dreistelligkeit mit roundabout 90 Punkten sind hier keine Seltenheit. Zur selben Zeit finden wir heute Beaujolais Crus für knappe 15 Euro mit 95 und mehr Punkten. Darüber kann man sich wundern, aber man sollte es der Region nicht kritisch ankreiden. Die Preisentwicklung bildet den Markt, vor allem aber die Nachfrage ab und nicht in erster Linie die Weinqualität.
Die Region hat bis einschließlich 2016 eine Serie von rekordverdächtig niedrigen Ernten eingefahren, während im selben Zeitraum die internationale Nachfrage nach den Weinen weiter rasant gewachsen ist. Der Burgundy Fine Wine Index steht heute über dem von Bordeaux. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass wir im Preisbereich unter 20 Euro und vielleicht auch unter 30 Euro in vielen anderen Regionen der Welt in der Breite bessere Weine finden können als im Burgund. Manche Pinot Noirs aus Deutschland, Österreich und Neuseeland sind im unteren Preissegment mittlerweile gleichgezogen oder schon vorbei. Zudem finden wir wohl nirgendwo sonst auf der Welt dermaßen viele potenzielle 95–100 Punkte Weißweine unter 50 Euro wie in Deutschland. Wer auf der Suche nach dem hierzulande so beliebten »Preis-Leistungs-Verhältnis« ist, der sollte sich von der Bourgogne fernhalten – bessere Deals findet man fast überall.
Die Bourgogne ist die Spielwiese für Liebhaberei, Leidenschaft und Faszination, mit Realismus wird man hier nicht glücklich. Auch im höheren Preisbereich in dem die Bourgogne nach wie vor die unangefochtene (!) Speerspitze bildet, ist eben oft mit einem herben Preisaufschlag alleine durch die Herkunft zu rechnen, weil der Markt diesen heute impliziert. Die Qualität reflektiert diesen erhöhten Preis nicht immer in entsprechender Weise, denn die Qualität kann sich nicht so sprunghaft entwickeln wie die Preise – dafür können die Erzeuger in vielen Fällen aber nichts. Dies sollte man im Hinterkopf behalten, um seine intrinsischen Erwartungen gegenüber Burgunderweinen auf Grund der Marktpreise nicht zu überhöhen.
Wenn man auf diese Weise umdenkt und sich dessen bewusst ist, dann wird man sehr viel seltener Enttäuschungen auf Grund von renommierten Appellationen erleben. Meinem Gefühl nach, ist der Grund für die Ernüchterung nämlich häufig nicht ein unter-performender Wein, sondern eine von vornherein überhöhte Erwartungshaltung – meist auf Grund von Namen und Preisen. Wenn man sich davon frei macht, trinkt es sich hier entspannter. Gerne werfen Kritiker diesen Umstand der Region vor. Ich sehe dazu keinen Anlass, denn in erster Linie macht der Markt die Preise. Man schaue sich die Ab-Hof-Preise von Domaines wie Roulot, Coche-Dury oder DRC an und vergleiche sie mit den Preisen, die direkt ab Auslieferung am Markt aufgerufen werden.
Zudem möchte ich zu bedenken geben, dass in der Bourgogne überdurchschnittlich viele Weingüter aus kleinen, handwerklichen Betrieben bestehen. Für diese ist der Winzer oft Außenbetriebsleiter, Kellermeister und Verkaufsleiter in Personalunion – das ist gleichzeitig vielleicht DER Schlüssel zum Erfolg der Weine. Wir haben es hier mit Edelmanufakturen zu tun, die hohe Preise auch erzielen müssen, um wirtschaftlich stabil zu sein. Wenn man die Spitzenweine der Bourgogne wirklich genießen möchte, tut man gut daran, dies gewissermaßen abgekoppelt von Preis- und Renommée-getriebenen Illusionen zu tun.
Bleiben noch die hoffnungslosen Fälle, zu denen ich mich wohl auch zählen kann, die an der Bourgogne hängen wie ein Bär am Bienennest. Auch wenn es manchmal weh tut – die in Aussicht stehende Belohnung ist die Versuchung immer wieder wert. Sicher kann man auch als Burgunder-Aficionado manche Alternative finden. Man kann feststellen, dass in Neuseeland eine vergleichsweise kühlere, frischere und oft klarere Frucht zu finden ist. (Felton Road) Man kann sich echauffieren, dass die hiesigen Crus doch eigentlich zu prätentiös sind in ihrer Art und dass es im Beaujolais nicht nur mehr Trinkfluss, sondern auch ehrlichere, bodenständigere Speisenbegleiter zur alltäglichen Küche gibt.
Man kann erleben, dass es im Bordelais Crus gibt, die noch mehr Komplexität erreichen und oft noch besser altern können. Man kann zugeben, dass es im modernen Kalifornien des 21. Jahrhunderts Winemaker gibt, die das önologische Handwerk in größerer Perfektion und noch akribischerem Wahn zelebrieren. Man kann diese stoische Art der hiesigen Vignerons mit ihren Geschichten über Mönche, Kieselsteine und alte Weinbergsmauern für lächerlich romantisierend halten. Man kann diesen Paysans ein seltsames, bäuerliches Verhalten attestieren, wo man sich mancherorts über Jahrzehnte auf der Straße nicht grüßte, wenn man nicht demselben Dorf entstammte. Von den wahnwitzigen Bodenpreisen ganz zu schweigen, die seit Jahrzehnten ins scheinbar Bodenlose steigen.
Doch in unserem Leben als gewissenhafte Burgundertrinker kommt er früher oder später immer wieder – dieser Moment – in dem uns eine Flasche auf unvergleichliche Weise berührt, uns in innerer Zufriedenheit zerfließen lässt, uns in Zwietracht quält zwischen tiefgreifender Andacht und aufwühlender Gedankenflut. Und dabei das Wohlgefühl jedes anderen genossenen Weines relativiert. Die Flasche, die die Welt für einen Augenblick anhält. Und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist der Inhalt dieser Flasche wieder im Umkreis von Gevrey-Chambertin, Chambolle-Musigny, Meursault oder Vosne-Romanée gewachsen. Dann ist sie wieder da – die Sucht. Packend, fesselnd, einnehmend wie eh und je. Es ist ein endloser Kreislauf.
Unerklärlichen Gefühlen mit erklärenden Worten beikommen zu wollen macht ebenso wenig Sinn, wie sich zu wünschen die kryptischen Climats der Bourgogne in ihrer Gesamtheit zu verstehen. Ein perfekter Burgunder trifft einen Nerv, den kein anderer Wein zu treffen vermag. Man kann sich dem Verlangen hingeben oder sinnlos kämpfen.