Traditionelle Bereitungsmethoden, autochthone Rebsorten und zeitlose Weinstile vermischen sich hier mit moderner Forschung und dem Mut zur Veränderung.
Hätte man vor 20 Jahren eine Gruppe passionierter Weintrinker nach der Zukunft des spanischen Weines gefragt – keiner wäre wohl auf die Idee gekommen, dass das Land auf der Iberischen Halbinsel mittlerweile zu den spannendsten Weinbau-Hotspots der Welt zählt. Wahrscheinlich gibt es kein anderes Weinland auf der Welt, in dem soviel Aufbruch zu spüren ist. Eine fast grenzenlose Vielfalt an Rebsorten, junge Weinmacher, die nach einem Höchstmaß an Qualität streben, sowie ein über Jahrzehnte hinweg verfeinertes, oft sogar gerade wiederentdecktes Knowhow – spanischer Wein hat all das, was ihm viele in der Vergangenheit nicht zugetraut haben. Und dann gibt es da noch Regionen, die mit Blick auf ihre Jahrhunderte alte Tradition, selbst in solch aufregenden Zeiten, mit Ruhe und Selbstsicherheit in die Zukunft blicken, gleichzeitig jedoch den Sprung nach vorne nicht verpassen. Gebiete wie gerade auch die spanische qualitative Nummer 1, die Rioja, in der sich heute antike, zum Teil überholte Stilistiken mit der Revolution und Innovation abwechseln, Not und Elend billiger Massenweine und der höchste, strahlende Glanz wechseln sich in dichter Folge ab, oft gibt es beides in räumlicher Nähe, zum Teil im gleichen Dorf.
Die Rioja ist nicht nur DIE bekannteste Weinregion Spaniens, sondern zugleich auch immer noch eine der schönste Weinregionen der Welt.
Ihr großer Aufstieg begann Ende des 19. Jahrhunderts, als die Reblaus zunächst die französischen Weinregionen zerstörte. Französisches und angelsächsisches Kapital und Knowhow suchte sich rasch einen neuen Platz, fündig wurde man in der Region am Ebro. In kurzer Zeit schossen viele große, heute legendäre, Bodegas in der Rioja Alta aus dem Boden, mit atemberaubender Architektur und modernster Technik. Der internationale Markt, allen voran England, gierte nach dem Ersatz für die von der Reblaus zerstörten Bordeauxweine. Dort in Haro entwickelte sich der unvergleichliche Rioja-Stil: Finessenreich und elegant, superb-fruchtig, kraftvoll und dennoch seidig, alles gebändigt im Barrique aus amerikanischem Holz. Ein eher oxidativer Stil, der sich zum Teil in hoher Qualität über die Jahrhunderte bewahrt hat. Namen wie Tondonia, La Rioja Alta und Murrieta stehen für diesen strahlenden Glanz der Tradition, aber es gibt daneben auch die immer schon enttäuschenden Massenweine dieser Stilistik. Aber in der baskischen Rioja Alavesa hat sich der Stil, wie zum Beispiel bei Remelluri, stetig weiterentwickelt, ohne dabei die Traditionen und die Identität der Region aus den Augen zu verlieren.
Zwischen dem Westende der Region, der oft flachen, Flussnahen Rioja Alta, über die bergisch baskische Rioja Alavesa reicht die Weinregion Rioja zu ihren Ausläufern bei Alfaro in der Rioja Orientali. Dazwischen liegen rund 300 Meter Höhenunterschied, die das Anbaugebiet mit seinen rund 65.000 Hektar auch klimatisch in drei Regionen unterteilen.
Der Boden der im Durchschnitt hoch gelegene Rioja Alta, die westlichste und historischste Teilregion, besteht vor allem aus Ton, mit Kalk- und Eisenanteilen. Der Weinbau um Haro herum erfolgt jedoch eher auf ebenerdig flachen Weinbergen am Fluss. Das milde Klima mit relativ hohen Niederschlägen lässt die wohl klassischsten, traditionellsten Weine der gesamten Rioja entstehen, vor allem aus Tempranillo, die hier perfekte Wachstumsbedingungen mit warmen Tagen und kühlen Nächten findet. Im besten Fall sind die Weine von eleganten roten Fruchtaromen, einer dezenten Würze vom Holz und feinen Tanninen geprägt, kraftvoll und gleichzeitig herrlich subtil und komplex. Eine ganz eigene, unverwechselbare Stilistik. Ganz hervorragend passen die Roten zu etwas kräftigeren Fleischgerichten wie Wildschwein oder »Calderata Pastoril«, einem traditionellen Lamm-Eintopf der regionalen Küche. Die großartigsten Bewahrer dieser traditionellen Stilistik haben sich unter anderem rund um die Stadt Haro im Westen der Region, direkt am rechten Ufer des Ebros, angesiedelt. Noch vor der bekannten Bodega La Rioja Alta ist Lopez de Heredia (Tondonia) wohl das eindrucksvollste Beispiel dafür, wie zeitlos große Rioja sein können …
Am linken Ufer des Ebros findet man die Region Rioja Alavesa, den baskischen Teil der Rioja und Shooting Star des spanischen Weinbaus. Dort, um Laguardia, Labastida, San Vicente und andere Gemeinden in Hochlagen, geht seit Jahren auf massivem Kalkstein, Sedimentböden und Sandböden ordentlich die Post ab, die besten Erzeuger liefern Weine, die bei den besten internationalen Verkostern einstimmig in die Riege der größten Rotweine der Welt gepackt werden. Remelluri, Artadi, Eguren, Contador, Telmo Rodriguez, Artuke, Oxer, um nur einige der besten zu nennen … Die Weingärten schmiegen sich hier direkt an die Bergkette der Sierra Cantabria, hier bestimmt kühles Klima die Stilistik der mineralischen und finessenreichen Weine. Fast alle Revoluzzer des Bioweinbaus, der Ertragsreduktion, des Buschweins, der Spontanfermentation, der alternativer Ausbaumethoden in Beton, Amphoren und großem Holz sind in der Alavesa zu Hause, fast alle modernen Superstars der Rioja sind hier angesiedelt. Ton durchzieht relativ einheitlich die von Kalkstein dominierten Böden, es entstehen saftige, hocharomatische und wunderbar seidige Weine.
Deutlich heißer und stilistisch kraftvoller wird es in der Rioja Oriental, der östliche Ausläufer der Region, gelegen am rechten Ufer des Ebros. Hauptrebe ist die Garnacha, die hier besonders kernige und aromatische Weine hervorbringt. Weltklasse gibt es hier aber nur vom vielleicht in Summe besten Winzers Spaniens, Alvaro Palcios und seinem historischen Familienbetrieb Palacios Remondo. Alvaro ist in der Rioja Orientali und in seiner zweiten Heimat Priorat der Großmeister der Grenche. Die Klassiker Tempranillo und Garnacha sind in der ganzen Rioja zwar kaum wegzudenken, doch alte einheimische, fast schon vergessene Rebsorten wie Graciano, Maturana und Mazuelo erleben eine kleine Renaissance und beweisen sich als kongeniale Mitspieler in vielen Cuvées.
Undenkbar wäre in der Rioja der Ausbau der Weine ohne den Einsatz von Eichenholz, auch wenn sich die Herkunft der Eiche in der heutigen Spitze klar von amerikanischer zu französischer Eiche gewandelt hat und auch die Fassgröße und der Neuholzanteil nicht mehr der Tradition entspricht. Der Gebrauch spielt auch aufgrund der Richtlinien innerhalb der Denominación de Origen Calificada, kurz DOCa, eine Rolle. Neben dem Priorat ist die Rioja die einzige Region Spaniens mit dem Rang einer DOCa, der höchsten Qualitätsstufe des spanischen Weinrechts. Innerhalb dieser Klassifizierung bestehen Auflagen, welche unter anderem die Dauer der Gesamtlagerung der Weine sowie deren Lagerung im Holzfass oder Barrique festlegen. Generell unterteilt wird in die Stufen »Crianza«, »Reserva« und »Gran Reserva«, welche sich nicht nur in der Länge des Fassausbaus, sondern auch in der generellen Reifezeit der Weine unterscheiden. Ein »Gran Reserva« darf erst nach 24 Monaten Eichenfassausbau und insgesamt fünf Jahren Reife auf dem Markt platziert werden, ein »Crianza« hingegen schon nach zwei Jahren, mit 12-monatiger Fassreife. Durch den Ausbau erhalten die Weine ihre herrlich typischen vanilleartigen Aromen und einen unverkennbaren Schliff. Generell unterteilt wird in die Stufen »Crianza«, »Reserva« und »Gran Reserva«, welche sich nicht nur in der Länge des Fassausbaus, sondern auch in der generellen Reifezeit der Weine unterscheiden. Ein »Gran Reserva« darf erst nach 24 Monaten Eichenfassausbau und insgesamt fünf Jahren Reife auf dem Markt platziert werden, ein »Crianza« hingegen schon nach zwei Jahren, mit 12-monatiger Fassreife. Durch den Ausbau erhalten die Weine ihre herrlich typischen vanilleartigen Aromen und einen unverkennbaren Schliff.
Viele Newcomer kehren den traditionellen Methoden jedoch vermehrt den Rücken, verkürzen den Kontakt von Wein und Eichenholz, verwenden französische statt amerikanischer Eiche, nehmen größere Fässer oder verbleiben in Amphoren und Betoneiern und verpassen den Weinen so ein frischeres und modernes Geschmacksbild. Auch die klassischen Bezeichnungen von Crianza bis Gran Reserva sind heute bei den aktuell besten der neueren Erzeuger nicht mehr in Gebrauch. Die großen Klassiker der Region stehen mit ihrer zeitlosen Eleganz und der enormen Lagerfähigkeit aber noch immer als fester Teil zumindest mit an der erweiterten Spitze der Rioja, gleichzeitig sorgen aber hauptsächlich die Young Guns dafür, dass es in der Region am Ebro niemals langweilig wird und die Rioja weiter mit an der Spitze des spanischen Weinbaus steht.