Lobenberg: Alles Handlese, als Ganztraube langsam gepresst und spontan vergoren. Ausbau komplett im großen Holz. Der Idig steht auf massivem Kalkstein. Er hat die Ruhe und die über allem thronende Herrschaftlichkeit. Keine Botrytis, nichts Exotisches, nur kristalline, getragene, ultrafiligrane weiße Frucht. Keiner beherrscht den glockenklaren Ausdruck des Idig so wie Familie Christmann, und selbst, wenn der Vogelsang immer besser wird und alle anderen GGs total schick sind, ist der Idig auch in diesem Jahr wieder eine eigene Dimension, legt nochmal eine ganze Schippe drauf. Die Ruhe ist bestechend, der Wein steht im Glas wie ein Fels. Es ist ein bisschen wie an einem Stück Kreide zu riechen. Kräuter, Flechten und eben feuchtes Gestein. Vom Mund wird man dieses Jahr fast überwältigt, nach der sehr feinen, eleganten Nase erwartet man diese innere Dichte und Schubkraft ja erstmal gar nicht. Nichtsahnend wird man dann von dieser immensen strukturellen Kraft und Substanz aus der Kurve getragen. Auch hier läuft der Wein nur auf kreidigem Tanningrip, Salzigkeit und einem minimalen Hauch von Zitrusfrucht und hellgelbem Steinobst, dann kühlen, ätherischen Kräutern, Minze, wilder Fenchel. Lang und immer länger werdend hinten raus, man glaubt es kaum. Mit einer gewissen Cremigkeit in der Textur, die kein anderes Christmann GG hat, samtig, in sich ruhend und dahingleitend wie ein Bentley mit Luftfahrwerk. So fein und zart – und doch so verblüffend druckvoll und voller Intensität, gerade für den schlankeren Jahrgang 2021. Eine schwerelose, kristalline Intensität wie es sonst vielleicht nur das Kirchenstück in Forst kann. Ein atemberaubender Riesling, der nur noch anders, aber kaum mehr besser geht. 97-100/100
Mit den letzten Jahrgängen im Hinterkopf antizipierten die Winzer wie gewohnt einen eher trocken-warmen Witterungsverlauf. Doch 2021 machte recht schnell klar: nicht mit mir! Austrieb und Blüte waren bereits von ungewöhnlich nordisch-rauem Wetter begleitet und im Vergleich zu den Vorjahren »relativ spät« – im langjährigen Mittel also quasi normal. Die meisten deutschen Weinberge blieben von Frost verschont. Die recht harsche Witterung sorgte jedoch nahezu überall für Ertragseinbußen durch die windige, verregnete und dadurch unregelmäßige Blütephase. Der darauffolgende Sommer brachte zunächst keineswegs die Wende. Dramatisch konzentrierte Sommerniederschläge setzten der vorherigen Trilogie der heiß-trockenen Jahre ein jähes Ende und machten den Pflanzenschutz 2021 zu einer Sisyphusarbeit. Die Topwinzer haben 2021 Marathondistanzen in den Weinbergen abgeleistet, um der Situation Herr zu werden. Durch den zusätzlich hohen Personaleinsatz ist es in der Produktion für viele eines der teuersten Jahre aller Zeiten. Ein Glück, dass der Riesling als adaptierte Nord-Rebe stoisch in Wind und Wetter steht wie ein Islandpferd. Denn im Grunde wurde im Herbst immer klarer: Wenn man im Sommer richtig Gas gegeben hat, konnte das noch ein unglaublich starker Jahrgang werden – und so kam es dann auch. Nach diesem echten Cool-Climate-Sommer, der bis Ende August anhielt, retteten der September und ein Goldener Oktober den Weinjahrgang dann fast im Alleingang. Ein stabiles Hoch über Mittel- und Osteuropa sorgt für dieses seit Jahrhunderten bekannte Phänomen. Die Sonnenscheindauer ist gegen Oktober mit noch immer über 10 Stunden sehr hoch, dafür ist die Tag-Nacht-Amplitude schon viel ausgeprägter als noch im August. Da die Nächte länger werden, kann die Luft in Bodennähe stärker auskühlen. Das sorgt für eine langsame Ausreifung bei langer Hangzeit am Stock und trotzdem stabil bleibenden Säuren. Gerade der Riesling liebt das besonders, aber auch die Burgundersorten brillieren mit kühler Frische. Denn 2021 ist ein so spannendes, krachendes und zugleich kristallines Weißwein-Jahr, wie wir es lange nicht mehr hatten. Wer keine Angst vor berauschender Frische hat und sich gerne von hoher Spannung aus der Kurve tragen lässt, der wird mit 2021 seine größte Freude haben. Alle anderen sollten sich besser an die gar nicht so unähnlich gebauten, aber etwas freundlicheren 2020er halten.