Lobenberg: Tim Fröhlich will einfach keine weichen Trauben während der Ernte. Reif, aber sie müssen knackig bleiben. Und das Lesegut war perfekt reif dieses Jahr, die Trauben stramm und knackig, gefühlt sehr kühl. Tim war ausgesprochen zufrieden mit den Trauben, obwohl der Pflanzenschutz intensiv war. Wegen der guten Wasserversorgung sind die Spontis gut durchgegoren dieses Jahr. Der Jahrgang braucht weniger Restzucker als zunächst anzunehmen war. Trotz sehr prägnanter Säure und hammerharter Mineralität, die puristisch und satt daherkommt, haben die Weine eine gute innere Balance durch ihre Dichte und Substanz. Die Hanglage des Felsenecks beträgt bis zu 70 Prozent. Komplett blauer Schiefer, ein sehr kühler Untergrund. Trotzdem eine sehr warme, Süd-exponierte Lage. Der älteste Weinberg des Gutes. Nicht terrassiert. Die langen Reihen werden manchmal durch Steinmauern unterbrochen. In 2021 relativ späte Ernte, perfekt goldgelb, kerngesunde Trauben. Hier sind wir in der Spitze der Weine von Tim Fröhlich angekommen. Felseneck ist zwar mit der größte Weinberg, den Tim Fröhlich hat, aber gleichzeitig auch mit sein spektakulärster. Diese Gesteinskombination im Untergrund gibt eine unglaubliche Würze. Sein Vorteil gegenüber dem Stromberg ist, dass er ein bisschen flintiger und wilder ist, manchmal noch mehr Facetten zeigt. Der Stromberg ist sicherlich der monolithischste von Tims Weinen, der nur geradeausläuft. Hier im Felsenecken haben wir eben nicht nur feuchten, blauen Schiefer und feine reduktive Spannung, sondern hier haben wir eben auch ein bisschen schwarze Frucht. Wow, das 2021er Felseneck ist eine Explosion in Feuerstein. Stein, Stein, Stein, dann lange nichts, weißer Pfeffer, weißer Pfirsich, Cassis, Weintraube. Ganz pur, trotz seiner enormen Wildheit. Muss man im Mund haben, um es zu verstehen. Die Textur ist samtig und dennoch vibrierend, berstend vor Spannung. Die Intensität ist wirklich fast dramatisch, so ist die Finesse. Ich kann mich dieses Jahr kaum entscheiden, ob der absolut grandiose Stromberg oder der Felseneck mich mehr mitreißt. Beide sind atemberaubend in ihrer Puristik. Der Felseneck ist am Ende vielleicht der komplettere und noch extremere Wein, aber der Stromberg ist so feingliedrig. Nur eins ist klar: beide sind ganz großer Freakstoff. 100/100
Mit den letzten Jahrgängen im Hinterkopf antizipierten die Winzer wie gewohnt einen eher trocken-warmen Witterungsverlauf. Doch 2021 machte recht schnell klar: nicht mit mir! Austrieb und Blüte waren bereits von ungewöhnlich nordisch-rauem Wetter begleitet und im Vergleich zu den Vorjahren »relativ spät« – im langjährigen Mittel also quasi normal. Die meisten deutschen Weinberge blieben von Frost verschont. Die recht harsche Witterung sorgte jedoch nahezu überall für Ertragseinbußen durch die windige, verregnete und dadurch unregelmäßige Blütephase. Der darauffolgende Sommer brachte zunächst keineswegs die Wende. Dramatisch konzentrierte Sommerniederschläge setzten der vorherigen Trilogie der heiß-trockenen Jahre ein jähes Ende und machten den Pflanzenschutz 2021 zu einer Sisyphusarbeit. Die Topwinzer haben 2021 Marathondistanzen in den Weinbergen abgeleistet, um der Situation Herr zu werden. Durch den zusätzlich hohen Personaleinsatz ist es in der Produktion für viele eines der teuersten Jahre aller Zeiten. Ein Glück, dass der Riesling als adaptierte Nord-Rebe stoisch in Wind und Wetter steht wie ein Islandpferd. Denn im Grunde wurde im Herbst immer klarer: Wenn man im Sommer richtig Gas gegeben hat, konnte das noch ein unglaublich starker Jahrgang werden – und so kam es dann auch. Nach diesem echten Cool-Climate-Sommer, der bis Ende August anhielt, retteten der September und ein Goldener Oktober den Weinjahrgang dann fast im Alleingang. Ein stabiles Hoch über Mittel- und Osteuropa sorgt für dieses seit Jahrhunderten bekannte Phänomen. Die Sonnenscheindauer ist gegen Oktober mit noch immer über 10 Stunden sehr hoch, dafür ist die Tag-Nacht-Amplitude schon viel ausgeprägter als noch im August. Da die Nächte länger werden, kann die Luft in Bodennähe stärker auskühlen. Das sorgt für eine langsame Ausreifung bei langer Hangzeit am Stock und trotzdem stabil bleibenden Säuren. Gerade der Riesling liebt das besonders, aber auch die Burgundersorten brillieren mit kühler Frische. Denn 2021 ist ein so spannendes, krachendes und zugleich kristallines Weißwein-Jahr, wie wir es lange nicht mehr hatten. Wer keine Angst vor berauschender Frische hat und sich gerne von hoher Spannung aus der Kurve tragen lässt, der wird mit 2021 seine größte Freude haben. Alle anderen sollten sich besser an die gar nicht so unähnlich gebauten, aber etwas freundlicheren 2020er halten.