Lobenberg: Wie immer alles aus biodynamischer Bewirtschaftung. Die unterschiedlichen Moste werden alle zu 100 Prozent rein spontanvergoren, größtenteils in deutschen Stückfässern und Halbstückfässern. Das ist kein Orangewein im eigentlichen Sinne, auch wenn die Maischen unterschiedlich lange Standzeiten gemacht haben und teilweise Ganztrauben in Traubensäcken in die gärenden Moste gegeben wurden. Beizeiten mit den Füßen untergestoßen, damit die gesamte Gärung quasi unter einer natürlichen CO2-Schutzschicht unter Sauerstoffabschluss stattfindet und der Most vor Oxidation geschützt ist. Also kein reiner Orangewein, keine Oxidation, dennoch alles so naturbelassen wie möglich, das war die Idee hinter diesem spannenden Wein. Kai Schätzel und seine Kellermeisterin Madeline Stößel haben hier ihrer Experimentierfreude freien Lauf gelassen, aber alles tip-top clean, stabil und reintönig. Das sorgt dann für eine erfrischende, klare Nase von einem optisch eher trüben Wein und das ist genau die Idee hinter dem Naturweiss. Den Wein zwar so naturbelassen wie möglich zu erzeugen, aber dennoch eine Präzision, Frische und die puristische Linie auszudrücken für die Schätzel steht. Hier sind Maische-Anteile drin, zudem leicht geschwefelte Anteile, sowie ungeschwefelte und auch ein paar Partien, die unter Florhefe gereift sind, wie im Jura oder Sherry üblich. Alle Experimente, die Kai in den letzten Jahren in kleinen Teilen gemacht hat, finden jetzt hier ein schlüssiges Ziel. Die zurückgenommene Frucht drückt sich durch zart aprikosige Anklänge aus, Orangenschale, ein Touch Grapefruit, frische Quitte, Zitronengras, alles eingehüllt in einen prägenden Hefeschleier, der die Nase mit feiner Würze unterlegt. Wir haben keine laute Frucht, aber eine trinkanimierende, tonische Frische mit knackiger Präsenz in der Nase. Den Gaumen kleidet der Naturweiss mit einnehmendem Schmelz aus, Grapefruit- und Orangenfrische wechseln sich mit zarter Aprikose und gelbem Pfirsich ab. Die deutlich vorhandene und sehr präsente Frische baut sich auch aus der optimalen Reife der Frucht und der Hefewürze auf. Ein kleiner Bitterorangentouch sorgt im Finish für mundwässernde Saftigkeit bis in den feinsalzigen Nachhall. So kann Naturwein auch sein, nein so sollte Naturwein eigentlich sein, mit frischer Frucht, knackigem Trinkfluss und salziger Würze, ganz ohne Volatilität, sondern mit Präzision, Frische und der unverkennbaren Schätzel Handschrift. Natural ist im Gutswein angekommen. Und was manch Leser jetzt nicht glaubt: Der Wein ist dazu nicht nur spannend, sondern auch noch saftig und unglaublich lecker. 93/100
Mit den letzten Jahrgängen im Hinterkopf antizipierten die Winzer wie gewohnt einen eher trocken-warmen Witterungsverlauf. Doch 2021 machte recht schnell klar: nicht mit mir! Austrieb und Blüte waren bereits von ungewöhnlich nordisch-rauem Wetter begleitet und im Vergleich zu den Vorjahren »relativ spät« – im langjährigen Mittel also quasi normal. Die meisten deutschen Weinberge blieben von Frost verschont. Die recht harsche Witterung sorgte jedoch nahezu überall für Ertragseinbußen durch die windige, verregnete und dadurch unregelmäßige Blütephase. Der darauffolgende Sommer brachte zunächst keineswegs die Wende. Dramatisch konzentrierte Sommerniederschläge setzten der vorherigen Trilogie der heiß-trockenen Jahre ein jähes Ende und machten den Pflanzenschutz 2021 zu einer Sisyphusarbeit. Die Topwinzer haben 2021 Marathondistanzen in den Weinbergen abgeleistet, um der Situation Herr zu werden. Durch den zusätzlich hohen Personaleinsatz ist es in der Produktion für viele eines der teuersten Jahre aller Zeiten. Ein Glück, dass der Riesling als adaptierte Nord-Rebe stoisch in Wind und Wetter steht wie ein Islandpferd. Denn im Grunde wurde im Herbst immer klarer: Wenn man im Sommer richtig Gas gegeben hat, konnte das noch ein unglaublich starker Jahrgang werden – und so kam es dann auch. Nach diesem echten Cool-Climate-Sommer, der bis Ende August anhielt, retteten der September und ein Goldener Oktober den Weinjahrgang dann fast im Alleingang. Ein stabiles Hoch über Mittel- und Osteuropa sorgt für dieses seit Jahrhunderten bekannte Phänomen. Die Sonnenscheindauer ist gegen Oktober mit noch immer über 10 Stunden sehr hoch, dafür ist die Tag-Nacht-Amplitude schon viel ausgeprägter als noch im August. Da die Nächte länger werden, kann die Luft in Bodennähe stärker auskühlen. Das sorgt für eine langsame Ausreifung bei langer Hangzeit am Stock und trotzdem stabil bleibenden Säuren. Gerade der Riesling liebt das besonders, aber auch die Burgundersorten brillieren mit kühler Frische. Denn 2021 ist ein so spannendes, krachendes und zugleich kristallines Weißwein-Jahr, wie wir es lange nicht mehr hatten. Wer keine Angst vor berauschender Frische hat und sich gerne von hoher Spannung aus der Kurve tragen lässt, der wird mit 2021 seine größte Freude haben. Alle anderen sollten sich besser an die gar nicht so unähnlich gebauten, aber etwas freundlicheren 2020er halten.