Lobenberg: Château Seguin liegt in Pessac Leognan inmitten starker ozeanischer Klimaeinflüsse. Die typische Komposition der Böden hier ist ein Sand-Kies-Gemisch. Die Böden sind identisch mit denen der Nachbarn Haut-Brion und La Mission Haut-Brion, das ist auch in historischen Büchern so nachzulesen, Terroirs und Qualitäten waren immer auf dem gleichen Qualitätslevel. Man findet hier auch minimale Einsprengsel von Lehm und Sand im vorherrschenden Kies. Das Weingut umfasst 30 Hektar, die Reben stehen in Dichtpflanzung mit 7000 Stöcken pro Hektar. Das ist sicherlich eines der Erfolgsgeheimnisse. Unter 1 Kilo pro Stock aus wenigen, stammnahen, winzigen Trauben. Minimale Erträge eben. Die Vergärung geschieht spontan, der Ausbau erfolgt zu 60 Prozent in neuen Barriques, zu 40 Prozent in gebrauchten. Der Besitzer, Denis Darriet, erzeugt den Erstwein nur aus den älteren Reben, die über 30 Jahre alt sind und auf Kies stehen. Die Trauben von sandigeren Böden gehen in den Zweitwein. Seit 2018 besitzt Château Seguin die höchste staatliche Zertifizierungsstufe im Bereich der Umweltverträglichkeit. Die Assemblage im Seguin 2019 ist 55 Prozent Merlot und 45 Prozent Cabernet Sauvignon. 14 Volumenprozent und ein pH-Wert von 3,7. Beim ersten riechen schon deutlich unterscheidbar von 2018er. Die Nase des 19ers beginnt mit Blutorange. Frische Hagebutte, Sanddorn, Zitrus, Würze und Salz. Darunter feine, helle Lakritze. Minze und fast schon aggressive Eukalyptus. Dann kommt Sauerkirsche, mehr noch Schlehe und viel Würze. Rosenblätter, Veilchen, Sanddorn und deutliches Sandelholz. Der Sanddorn wird immer stärker. Ich kann mich nicht daran erinnern, Château Seguin in den letzten Jahren so würzig erlebt zu haben. Klar, darunter ist auch eine Spur von neuem Holz, speziell diese Sandelholz-Röstaromatik. Aber die schwarzrote Frucht kommt eben auch mit so viel Grip. Im Mund Karamell, Löffelbiskuit und Brotkruste. Wieder dieses Gelblich-Rötliche: Sanddorn, Blutorange und Schlehe. Auch hier wieder die Röstaromatik aus der Nase. Eine unglaublich intensive Aromatik und Würze. Der Wein liegt in der so typischen Würze viel näher an La Mission Haut-Brion als zum Beispiel am anderen Nachbarn Pape Clément. In seiner Feinheit ähnelt er allerdings auch einem Smith Haut Lafitte, ohne diesen 2019er Überwein stilistisch zu kopieren. Seguin ist schon ein 2019er Wunderwerk, weil der Wein so multikomplex ist, so vielschichtig ist. Alles tänzelt von Rot nach Schwarz, von Salz zu Stein. Der Wein ist unglaublich lang, bleibt minutenlang haften. Ich glaube, dass der 2019er Seguin in Summe nicht ganz so extraterrestrisch fein ist wie der 2018er, dafür spannungsgeladener. Er ähnelt in seinem Grip einer Mischung aus 2015 und 2016. Dabei ist er fast explosiv in seiner mineralischen Ausdrucksstärke. Final kommt rote Frucht bis zum Abwinken. Das ist schon ziemlich irrer Stoff. Ich bleibe aber dabei: In der Perfektion ist er vielleicht minimal hinter 2018. Er ähnelt mehr 2016. Auf jeden Fall aber ein großer Wein und so archetypisch für die Appellation Pessac Leognan, genau wie La Mission Haut-Brion, Haut-Brion und Smith Haut Lafitte. Diesen Wein darf man ruhig dazwischen stellen. Er wird lange brauchen, bis er perfekt ist und dabei ewig halten. 98-99/100