INTERVIEW MIT HEINER LOBENBERG IN DER SZ

Ich habe 6000 Weine im Gedächtnis

Was guten Wein ausmacht, was er kostet – und ob man ihn auch bei Aldi oder Lidl findet

Heiner Lobenberg, 63, empfängt in kurzer Hose und weißem Oxford-Hemd. Er führt den nach ihm benannten Online-Weinversand „Lobenbergs Gute Weine“. Das ist der größte inhabergeführte Weinhändler Deutschlands, der eher Kenner mit erhöhter Zahlungsbereitschaft anspricht: Der Umsatz pro Flasche liegt seit Jahren zwischen 25 und 30 Euro. Lobenberg ist bekannt dafür, mit dem Wein auch Geschichten zu verkaufen.

SZ Interview

SZ: Herr Lobenberg, wie früh kannten Sie Ihre Vorbestimmung, Weinhändler zu werden?

Heiner Lobenberg: Ich komme aus Lingen im Emsland, das ist eine Bier- und Schnapsgegend. Studiert habe ich in Münster und wohnte dort in einer Fünfer-WG. Einmal die Woche wurde von Aldi ein Tetra Pak Wein geholt. So kam ich zum Wein, ein schreckliches Zeug damals, ich glaube neunzig Pfennig der Liter. Erst mit 23, also heute vor etwa 40 Jahren, haben mir meine WG-Kollegen zum Geburtstag einen Beaujolais Cru geschenkt, einen Fleurie. Der kostete etwa zehn Mark, das war teuer. Ich habe den getrunken und gedacht: Wow, eine neue Welt tut sich auf! Das war die Initialzündung. Die nächsten zehn Jahre habe ich alles über Wein gelesen, was es gab. Und ich stand bei jedem deutschen Händler in der Kundenliste. Aber erst 1991 habe ich damit begonnen, mein Hobby zum Beruf zu machen.

Wie besonders ist Ihr Weingeschmack?

Ich glaube schon, dass ich zu den hundert Top-Verkostern in Deutschland gehöre. Doch wichtig ist auch das Umsetzen: Wie kann ich toll probieren, aber auch einen tollen Text machen, um den Wein zu beschreiben – und darüber hinaus noch hervorragend einkaufen?

Ich versuche in dem Sprachgebrauch zu bleiben, den unsere Kunden verstehen.

Sie behaupten, jeden einzelnen der Weine aus Ihrem Angebot gerne zu trinken. Haben Sie wirklich 6000 Weine im Gedächtnis?

Ich habe 6000 Weine im Gedächtnis, und ich erkenne sie auch irgendwie wieder. Aber Sie können mir jetzt nicht irgendeinen meiner Weine blind hinstellen und fragen, welcher ist das? Das schaffe ich nicht, das schafft keiner.

Wie viele Geschmacksrichtungen gibt es beim Wein – Hunderte, Tausende?

Tausende, man kann das mit einem Spektrometer analysieren. Ich benutzte zur Weinbeschreibung aber nur Worte und Wörter, die aus meinem Leben kommen. Und ich versuche in dem Sprachgebrauch zu bleiben, den unsere Kunden verstehen.

Bitte ein Beispiel.

Ich weiß, wie Erdbeere, Himbeere oder Johannisbeere schmecken, ich krieg sogar auch eine Vogelbeere hin, aber es müssen Aromen oder Assoziationen sein wie Teer, altes Holz, Unterholz oder nasse Erde, die mit meinem bisherigen Leben zu tun haben.

Heiner Probe

Haben Sie einen absoluten Lieblingswein?

Sie meinen, ich muss einen mit auf die Insel nehmen und bekomme dann mein ganzes Leben keinen anderen wieder?

Genau so einen meinen wir.

Dann wäre es wohl ein Burgunder, ein Musigny aus der Gemeinde Chambolle-Musigny. Das ist vielleicht die beste Burgunder-Lage überhaupt. Allerdings bekommt man eine Flasche nicht unter 700 bis 800 Euro. Da könnte ich mir mein Insel-Leben nicht lange leisten.

Es gibt noch viel teurere Weine, ein Château Pétrus zum Beispiel kostet aus einem guten Jahr um die 5000 Euro. Steigt mit dem Preis die Qualität?

Meiner Meinung nach spielt sich in der Top-Qualität alles bis 100 Euro pro Flasche ab. Zwischen null und 100 Euro gibt es immer noch Steigerungen. Bei Autos würde ich sagen: Bis zur Mercedes E-Klasse geht es immer noch merklich besser.

Für 15 bis 20 Euro gibt es schon wirklich guten Wein.

Was wäre die E-Klasse beim Wein?

Zum Beispiel ein großer Barolo. Die kosten im Schnitt, wenn sie gut sind, 50 bis 70 Euro. Oder ein Château im mittleren Preissegment in Bordeaux, dafür müssen Sie nicht Pétrus oder Mouton Rothschild trinken. Oder ein Château Pontet-Canet, der kostet in der Regel einen Hunderter.

Wie viel kostet ein ordentlicher Wein?

Bei sieben, acht Euro geht es los, dass man von vernünftigem Wein reden kann. Für 15 bis 20 Euro gibt es schon wirklich guten Wein.

Aber die regionalen Unterschiede sind groß: Nehmen wir das Burgund, wo die guten Weine besonders teuer sind.

Es gibt dort zwischen zehn und 20 Euro viele sehr gute Weine, aber keine herausragenden. Die Preise sind deswegen so hoch, weil es dort einige Besonderheiten gibt: Die Böden sind unglaublich teuer geworden. Wenn Sie in Burgund einen Hektar Weinberg kaufen, zahlen Sie dafür zehnmal so viel, als wenn Sie das in Rheinhessen kaufen. Burgund ist von den natürlichen Gegebenheiten in den letzten zehn Jahren brutal gebeutelt: Hagel, Starkregen, Frost, Mehltau. Das macht es immer teurer. Man könnte denken, die Burgunder Winzer seien reich. Das sind sie gar nicht. Die kämpfen alle und jedes Jahr wieder ums Überleben. Die brauchen die hohen Preise.

95
/100

Louis Jadot

Burgund, Cote d'Or

f

Pinot Noir, trocken

z

frische Säure
fruchtbetont
tanninreich

a

Lobenberg: 95/100

Parker: 92–94/100

95
/100

Vietti

Piemont

f

Nebbiolo, trocken

z

voluminös & kräftig
tanninreich
frische Säure

a

Lobenberg: 95/100

Suckling: 94/100

96+
/100

Holzkiste

Chateau Faugeres Grand Cru Classe

Faugeres

Bordeaux, Saint Emilion

f

Cuvée, trocken

z

strukturiert
pikant & würzig

a

Lobenberg: 96+/100

Suckling: 97/100

Es fällt auf, dass in Ihrem Sortiment auch die teuersten und berühmtesten Weine überhaupt enthalten sind. Ist das wichtig, um eine bestimmte Kundschaft anzusprechen?

André Heller hat einmal gesagt: Ich will, dass es das alles gibt, was es gibt. Das war der Leitspruch in den ersten zehn Jahren meines Weinhändler-Daseins. Eigentlich kann ich das immer noch sagen. Ich finde es toll, dass es einen Mouton Rothschild und einen Pétrus gibt, und ich möchte ihn auch anbieten. Aber ich finde auch gut, dass ich auf den Umsatz mit diesen Weinen nicht angewiesen bin.

Sind Leute, die viel Geld haben, weniger preissensibel?

Nein, unter den reichen Leute gibt es die geizigsten. Die reichen Bremer Kaufleute sagen: Reich kommt von sparen.

Welchen Umsatz erzielen Sie?

Vor drei Jahren waren es netto 15 Millionen Euro, dieses Jahr 40 Millionen Euro, unser höchster Umsatz aller Zeiten. Aber wir haben im letzten und vorletzten Jahr fünf Millionen Euro Umsatz nicht gemacht, weil wir nicht liefern konnten. Unser Lager war der Engpass, deswegen ziehen wir jetzt in ein neues um.

Heiner und Luca

Ihr Sohn, vorher Unternehmensberater, kam 2019 zurück in die Firma. Ist der Online-Auftritt seine Sache?

Ja, Luca verantwortet die Webseite, die Finanzen und das Marketing samt Analysen. Wir müssen wissen: Wie sprechen wir welchen Kunden wann an? Das ist gerade in Zeiten des boomenden Internethandels immens wichtig für den Erfolg. Covid hat das noch einmal beschleunigt.

Ist Ihr Sohn ein besserer Kaufmann als Sie?

Anders: Ich bin Bauchkaufmann, er ist Kopfkaufmann, deswegen ergänzen wir uns so gut.

Sie stehen ja manchmal in Bordeaux und probieren 300 Weine auf einen Schlag, wie hält man das durch?

Dafür muss man gemacht sein. Mein Sohn war schon ein paar Mal dabei, er verkostet gut und gern, aber mein Pensum schafft er nicht. 300 Weine am Tag, das kommt selten vor, aber dass man mal 100 Weine in einem Rutsch durchprobiert, passiert öfter. Sie müssen dann auch in der Lage sein, den 78. Wein herauszufischen, um zu sagen: Den finde ich ja spannend.

Fangen Sie nicht mit einer Sammlung an, trinken Sie erst einmal fünf Jahre Wildwest

Was empfehlen Sie Anfängern, die sich eine kleine Sammlung im Keller anlegen wollen?

Meine Empfehlung: Fangen Sie nicht mit einer Sammlung an, trinken Sie erst einmal fünf Jahre Wildwest. Bitte vorher nicht festlegen und weiter probieren!

Welches sind die fünf besten Weinbauregionen der Welt?

Auf jeden Fall gehört dazu Bordeaux, unbedingt Kalifornien, das Piemont, Burgund, und bei der fünften Region würde ich die Pfalz als Spitzenregion nehmen.

Warum die Pfalz?

Weil die Pfalz die höhere Vielfalt hat. Man kann auch die Mosel nehmen, wenn man sehr stark auf Riesling mit hoher Säure und hohem Zitrusanteil setzt. Aber meines Erachtens kann man das nicht jeden Tag trinken. Pfälzer Rieslinge sind etwas moderater, sie tendieren mehr Richtung Burgund. Ich glaube, das ist die Zukunft für trockene Rieslinge; süße müssen Sie von der Mosel nehmen. Die Pfalz als Gesamtregion macht auch die besten deutschen Rotweine.

Katalog

Wie unbestechlich sind die Urteile von Weinbewertungsdiensten wie Parker, Suckling oder Falstaff?

Ich halte zum Beispiel Stephan Reinhardt von Parker für unbestechlich. Natürlich schwingt immer Sympathie für einen Winzer mit, und dann ist auch mal ein Punkt mehr drin.

Aber es gibt keine versteckten wirtschaftlichen Interessen?

Jedenfalls nicht bei denen, die ich kenne. Es gibt aber einige, die den Winzern sagen: Du musst eine Grundgebühr zahlen, damit ich deine Weine überhaupt verkoste. Aber Verkoster bei Falstaff wie Ulrich Sautter oder Peter Moser probieren toll und sind nie bestechlich, das gilt auch für Stuart Pigott bei Suckling.

Sie sind für Ihre vergleichsweise hohen Weinbewertungen bekannt. Wie kommen Sie auf die seltsam hohe Punktzahl „100+“?

Ich habe meine ersten Weine 1982 probiert. In den Zeiten gab es viel mehr Fehler in den Weinen, trotzdem hat damals etwa ein Mouton Rothschild von Parker 100 Punkte bekommen. Und wenn das mein Maßstab ist, und ich probiere heute einen 2020er Mouton, dann muss der „100+“ haben. Wenn ich aber sage, jedes Jahr vergebe ich meine Punkte nur innerhalb eines Jahrgangs, dann haben Sie recht, dann sind meine Punkte absurd. Ein anderes Beispiel: 2005 war für Bordeaux das erste Weltklassejahr, danach kamen 2009 und 2010, die waren beide klar besser, und dann 2016, vielleicht sogar das bisher absolut beste Jahr, und dann 2019 und 2020, die sind auch viel besser als 2005. Was soll ich da tun?

Deswegen habe ich für eine nach oben offene Hunderter-Skala plädiert, ähnlich wie die Richterskala, auf der man Erdbeben misst.

Beim Geld würde man irgendwann eine Währungsreform machen.

Deswegen habe ich für eine nach oben offene Hunderter-Skala plädiert, ähnlich wie die Richterskala, auf der man Erdbeben misst. Aber da will uns keiner folgen, und deswegen helfen wir uns mit dem „100+“. Auch meine Kunden lachen darüber, können das aber einsortieren, solange wir verlässlich bleiben.

Wieso werden die Weine immer besser?

Heute ist das Wissen ums Terroir und um Reben und Rebsorten viel besser geworden. Heute kann man mit einem Weingut aus dem Stand etwas Tolles machen, sofern man alte Reben findet. Das ist große Kunst.

Gibt es mittlerweile gute Weine auch bei Aldi und Lidl?

Das sind Molitor bei Lidl und Leitz bei Aldi. Beide stammen aus Zukauf, beide sind nicht schlecht. Die Winzer stehen mit ihrem Namen dafür und können keinen Mist abliefern. Aber die sind nicht so gut, dass ich sie ins Programm nehmen würde. Molitor-Weine, die er auf seinen eigenen Weinbergen herstellt, gibt es aber auch bei uns.

Heiner, Luca

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Erschienen in der Süddeusche Zeitung am 30. August 2021.
Das Interview führten Jan Diesteldorf und Hendrik Munsberg.

Heiner Lobenberg, 63, bezeichnet sich als „Wein-Autodidakten“, 1992 verschickte er zum ersten Mal fotokopierte Weinangebote. Heute gibt er alle zwei Jahre seine mittlerweile rund 1000 Seiten umfassende „Weinbibel“ heraus, die etwa 700 Weingüter und rund 4000 Weine vorstellt.

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