Die kleine Atlantikinsel Madeira ist die vielleicht größte Schatzkiste der Weinwelt. Keine andere Weinregion blickt auf eine so aufregende Geschichte zurück, nirgendwo entstehen so langlebige Weine wie hier.
Die Anfänge
Rund 950 Kilometer südwestlich des portugiesischen Festlands liegt die kleine Inselgruppe Madeira mit der gleichnamigen Hauptinsel. Die wilde Geschichte der einzigartigen Weinregion begann im 15. Jahrhundert, als portugiesische Kolonialisten auf der Insel landeten. Die damals dicht bewaldeten Hänge steckten die ersten Besucher nach der Ankunft kurzerhand in Brand – mehrere Jahre loderte das Feuer auf Madeira. In die ohnehin schon fruchtbaren Vulkanböden mischte sich die Asche der Bäume. Ideale Flächen für den Anbau von Weinreben entstanden. Mit der Pflanzung von Malvasia-Rebstöcken begann der Weinbau auf Madeira. Steinterrassen wurden an den Hängen der Insel angelegt, die Reben in Pergolen (»Latadas«) wie auf dem nördlichen portugiesischen Festland erzogen. Unter den Rebendächern konnten so noch andere Nutzpflanzen angebaut werden. Zur Bewässerung der Weinstöcke wurde ein weitverzweigtes System aus Steinaquädukten angelegt – die »Lavadas«. Heute ist es 2.150 Kilometer lang.
Die Blütezeit
Legendär wurde der Ruf der Insel ab dem 17. Jahrhundert. Damals diente Madeira als Zwischenstopp für Seefahrer auf der Reise nach Amerika und auf den Expeditionen nach Indien. Großzügig deckte man sich auf der Insel vor der Weiterfahrt mit Wein ein. Die Ausbaumethode, die sich fortan etablierte, kann heute getrost als verrückt bezeichnet werden: Weil der Wein die lange Reise nicht heillos überstand, nutzte man Weinbrand zur Stabilisierung, wie es unter anderem auch bei der Herstellung von Port gemacht wird. Später entdeckte man, dass der Wein auf dem Seeweg – insbesondere durch die heißen tropischen Gewässer rund um Indien – immer besser wurde. Die Farbe verdunkelte sich, der Wein nahm einen karamelligen Geschmack an (er »madeirisierte«). Fortan wurde er als »Vinho da roda« (zu Deutsch: »gedrehter Wein«) bezeichnet, da er auf der Reise nach Indien und zurück zweimal den Äquator passierte. Vor allem in Amerika erlebte Madeira zu dieser Zeit einen richtigen Boom. In aristokratischen Kreisen war der Wein das Getränk schlechthin – die Unabhängigkeitserklärung 1776 wurde selbstverständlich mit Madeira begossen.
Legendär wurde der Ruf der Insel ab dem 17. Jahrhundert. Damals diente Madeira als Zwischenstopp für Seefahrer auf der Reise nach Amerika und auf den Expeditionen nach Indien.
Die Estufagem-Methode
Das Ende der wilden Spazierfahrten wurde Ende des 18. Jahrhunderts eingeläutet. Zu teuer, zu lang, zu gefährlich war der waghalsige Transport des kostbaren Getränks geworden. Auf Madeira wurde in der Folge die »Estufagem«-Methode entwickelt, bei der ganze Räume (»Armazem de Calor«) oder einzelne Tanks (»Cubas de Calor«) über einen langen Zeitraum beheizt wurden. Wesentlich sanfter, jedoch auch aufwendiger ist das »Canteiro«-Verfahren, das heute nur noch vereinzelt für die absoluten Topqualitäten genutzt wird. Dabei werden Holzfässer mit dem aufgespriteten Wein befüllt und in dreistöckigen Lagerhäusern untergebracht. Die jungen Weine liegen dabei direkt unterhalb des Dachs, wo die Hitze am größten ist. Der Effekt des »Madeirisierens« stellt sich langsamer ein als beim klassischen Estufagem.
Die Krisenjahre
Eine lange Krisenzeit erlebte Madeira Mitte des 19. Jahrhunderts. In den 1850er-Jahren vernichtete der Falsche Mehltau einen Jahrgang nach dem anderen, 1873 traf die Reblaus auf Madeira ein. Die gesamten 2.400 Hektar Weinberge wurden zerstört. In der Folge pflanzten die Winzer auf der Insel zunächst keine Vitis-Vinifera-Reben, sondern französisch-amerikanische Hybriden, die auch ohne Unterlagsreben gegen den Schädling resistent sind. Die schlechte Qualität und der eigentümliche Charakter dieser Sorten führten dazu, dass die daraus gekelterten Weine erst gar nicht als Madeira bezeichnet oder gar exportiert werden durften. Das ist bis heute so geblieben.
Nur 1.200 Hektar wurden nach der Reblauskrise wieder mit echten Madeira-Sorten bestockt. Heute sind davon nur noch rund 500 übrig geblieben. Wichtigste Rebsorte war vor der Krise die weiße Malvasia (auf der Insel »Malmsey« genannt). Ebenso rekultiviert wurden die weißen Sorten Bual, Verdelho und Sercial. Die einzig rote Sorte, die heute auf Madeira angebaut wird, ist die Tinta negra mole. Vor der Krise wurde sie für einen Rotwein mit dem Namen »tent« genutzt. Heute ist die Rebsorte ganz klar die wichtigste auf Madeira – ca. 60 Prozent der Fläche sind mit ihr bestockt. Quasi ausgestorben sind hingegen Bastardo (in Frankreich als Trousseau bekannt), Terrantez und Moscatel.
Die Madeira-Sorten
Jede Rebsorte steht für einen eigenen Madeira-Stil, der sich in unterschiedlichen Restzucker- und Säurewerten ausdrückt. Die feine und frische Sercial wird aufgrund ihrer knackigen Säure für einen »trockenen« Madeira-Stil verwendet. Der Restzuckergehalt liegt dann meist zwischen 20 und 45 Gramm pro Liter. Aus Verdelho, der oft einen leicht bitteren Abgang hat, wird ein halbtrockener Wein gemacht. Sowohl Sercial als auch Verdelho gären einfach länger, bevor sie aufgespritet werden. Beide Sorten stehen meist in höhergelegenen Weingärten. Boal (halbtrocken bis süß) und Malvasia (im Grunde immer süß) wachsen hingegen in den tieferen Lagen. Sie gären nur kurze Zeit, meist ein bis maximal zwei Tage, vor der Zugabe des 95-prozentigen Weinbrands. Gerade Malvasia, alias »Malmsey«, ist die Quintessenz eines Madeira – nur wenige Weine dieser Welt haben eine so geniale Balance zwischen Süße und Säure.
Die Madeira-Stile
Nach dem Estufagem, das je nach Qualität bis zu zwei Jahre dauern kann, lagern die Weine weitere Zeit in Holzfässern, bevor sie abgefüllt werden. Die Zeitangabe auf den Etiketten gibt dabei Auskunft über die Reifedauer. »Selected« oder »Finest« reifen drei Jahre, »Reserva« mindestens fünf, »Special Reserva« mindestens zehn und Vintage Madeiras mindestens 20 Jahre im Fass (manchmal auch noch 20 zusätzliche Jahre im Glasballon!). »Rainwater« ist ein halbtrockener Wein, der nur noch selten produziert wird. Vor 200 Jahren war er in Amerika ein Renner – sein Geschmack soll offenbar an Regenwasser erinnert haben.
Auf Madeira hat sich über die Jahre ein kompliziertes Qualitätssystem entwickelt, das auf den ersten Blick recht undurchdringlich scheint. Dabei sind die Weine der Insel so herrlich unkompliziert. Ein großer reifer Madeira (reif bedeutet hier nicht selten mindestens 100 Jahre alt) ist für viele Weinliebhaber eines der absoluten Highlights des Verkostungslebens. Wer alte Jahrgänge ergattern kann, sollte zuschlagen – kein Wein ist lagerfähiger, kein Wein ist auch nach Jahrzehnten so lebendig wie ein guter Madeira. Und auch die frischen Stillweine, die heute vermehrt auf der Insel gemacht werden, können mit ihrer knackigen Stilistik überzeugen. Altmodisch und langweilig war auf Madeira gestern!