Nördlich der Hauptstadt Lissabon erstrecken sich die Weinberge des ehemaligen Anbaugebiets Estremadura. Heute heißt die Zone schlicht »Lisboa«.
Nördlich der Hauptstadt Lissabon erstrecken sich die Weinberge des ehemaligen Anbaugebiets Estremadura von der kühlen Atlantikküste bis in das warme, mediterrane Hinterland Portugals. Heute heißt die Zone schlicht »Lisboa« – benannt nach der momentan vielleicht angesagtesten Großstadt Europas. Früher wurde in der Region vor allem Massenware für Branntwein in großen Kooperativen hergestellt. Seit den 1990er-Jahren finden man immer mehr ambitionierte Betriebe, die der industriellen Produktion den Rücken kehren. Und auch alte, fast vergessene Abschnitte wie die winzige Küsten-Appellation Colares erleben mittlerweile ein kleines Revival.
Neun Subregionen
Die Region Lisboa umfasst heute rund 30.000 Hektar Weinberge, von denen aber gerade einmal 2.700 Hektar für die Produktion von DOP-Weinen zugelassen sind. Auch ein Grund, weshalb man beim Einkauf viel eher auf Vinho Regional Lisboa stößt als auf geschützte Herkünfte. Im Süden grenzt Lisboa an die Halbinsel von Setúbal, im Osten an die Region Tejo und im Norden an das kühle Bairrada. Neun Subregionen besitzen den DOP-Status, sie verteilen sich auf das gesamte Anbaugebiet Lisboa, entsprechend unterschiedlich fallen die Weinstile aus. In den küstennahen Regionen herrscht ein kühles, feuchtes, maritimes Klima, die Böden bestehen meist aus Sand und etwas Lehm. Je weiter man ins hügelige, grüne Inland kommt, desto wärmer und mediterraner wird es. Neben Lehm findet man dort auch recht viel Kalk im Untergrund. Gerade in den östlichen Abschnitten rund um Alenquer wird viel kraftvoller Rotwein gemacht, teilweise aus internationalen Rebsorten wie Cabernet Sauvignon und Syrah. Klassische Sorten wie Aragnonez (Tempranillo), Tinta Miúda (Graciano), Touriga Nacional, Trincadera und die wiederentdeckte Castelão (scherzhaft als »Warmwetter-Pinot-Noir« bezeichnet) komplettieren das rote Portfolio. Umringt wird die Appellation Alenquer von den DOPs Óbidos, Lourinhã, Torres Vedras und Arruda – sie bilden das Zentrum des Anbaugebiets Lisboa.
Überlebenskampf im Süden
Im Süden kämpfen die beiden Mini-Appellationen Colares und Carcavelos seit Jahrzehnten ums Überleben. In Colares stehen nur noch knapp 60 Hektar Reben, dennoch zählt das Kleinod an der Atlantikküste zu den größten Weinbauschätzen Europas. Uralte wurzelechte Reben der roten Rebsorte Ramisco schlängeln sich hier durch den Sand. Ein tinitiger, tanninreicher, extrem langlebiger Saft entsteht aus den winzigen Beeren. Auch ein weißer Colares aus Malvasia wird gemacht. Die enorme Arbeit im Weinberg und das generelle Desinteresse der Kundschaft zwang nahezu alle Weingüter in den vergangenen Jahrzehnten zur Aufgabe – ein kleiner Reigen ambitionierter Weinfreaks sorgt aber dafür, dass die Region nicht komplett ausstirbt. Gleiches gilt für die Appellation Carcavelos, die heute nur noch knapp 20 Hektar umfasst – unzählige Weinberge mussten in den vergangenen Jahren dem enormen Bauboom an der Küste weichen. Etwas besser steht die dritte Region des südlichen Teils der Region Lisboa da – Bucelas. Nur 15 Kilometer sind es von Lissabon bis in die Appellation, die zu einem Hotspot für knackige Weißweine aus Arinto geworden ist. Rund 200 Hektar sind für die unterschätzte Rebsorte reserviert. Ein wenig erinnern die frischen Weißen an die nordportugiesischen Gewächse des linken Minho-Ufers.
Klar ist, dass Lisboa etwas im Schatten der Superstars Douro, Dão und Minho steht. Klar ist aber auch, dass von Carcavelos im Süden bis zur nördlichsten Subregion Encostas de Aire unzählige Weinbauschätze darauf warten, entdeckt zu werden. Uralte, fast vergessene Weinberge und alte Traditionen treffen auf internationale Sorten, moderne Kellereien und aufstrebende Quintas. Eine wunderbare Weinlandschaft, direkt nördlich der pulsierenden Hauptstadt Lissabon!