Vor einer Weile – es war noch die Zeit, als man in geselliger Runde in der Gastronomie schlemmen konnte – durfte ich einen Wein probieren, der sich besonders tief in mein Gedächtnis eingebrannt hat: einen 2008er Centgrafenberg Spätburgunder vom Weingut Fürst aus Bürgstadt in Franken. Sicherlich eines meiner Weinhighlights des vergangenen Jahres. Aber wieso gerade dieser Pinot? Schon bei der ersten Nase war’s um mich geschehen. Ganz feine Kirschnoten, etwas Eukalyptus und Minze, dazu auch erdige Töne, wie bei einem Waldspaziergang im frühen Herbst. Einfach traumhaft. Paul und Sebastian Fürst sind begnadete Winzer, nicht nur wenn es um Spätburgunder geht. Besonders verwundert war ich also nicht, als ich zum ersten Mal am Wein schnupperte. Auch mit Blick auf den Jahrgang hatte sich mein bisheriger Eindruck nur noch mehr bestätigt.
2008 war und ist ein unterschätzter Jahrgang, der mit seiner Frische einfach wahnsinnig Spaß macht. Was mich am Ende des Abends aber am meisten faszinierte, war die Tatsache, dass sich der Wein für mich auf seinem absoluten Höhepunkt zeigte. Genau zwischen Jugend und Reife, zwischen betörender roter Frucht und sanften Tertiäraromen. Einfach ein perfekt gereifter Pinot, was auch der Verdienst des Gastgebers war, der den Wein unter idealen Bedingungen gelagert hatte. Bei diesen hätte der Centgrafenberg wohl noch lange sein Niveau gehalten, vielleicht sogar noch einmal eine Schippe draufgelegt. Aber wie muss ein Wein gelagert werden, um diesen Zenit zu erreichen? Und welche Entwicklungen zeichnen sich auf Seiten der Winzer ab, wenn es um das Thema Reife geht? Zeit, sich die wichtigsten Parameter und Entwicklungen einmal genauer anzusehen. Der Centgrafenberg wird’s danken!
Ein langes Weinleben
Lagerung und Reife von Wein – da tauchen ganz grundsätzliche Fragen auf. Wann möchte ich den Wein trinken? Wie soll der Wein schmecken, wenn ich den Korken ziehe? Hat der Wein denn überhaupt die Anlagen für ein langes Leben? Lauten die Antworten »schnell«, »sehr frisch« und »nein«, dann kann die Sache mit der Lagerung durchaus etwas entspannter angegangen werden. Was nicht bedeutet, dass auch vermeintlich »einfache« Weine keine guten Lagerbedingungen verdient hätten. Zumal sich diese Weine oft phänomenal entwickeln können. Möchte ich jedoch Weine erst in 10, 20 oder mehr Jahren genießen und ich davon ausgehen kann, dass sie das Alter durch ihre Gehalte an Alkohol, Säure, Gerbstoff oder Zucker erreichen, dann tauchen Fragen nach den idealen Lagerbedingungen direkt auf. Meist geht es dann nicht mehr um Einstiegsweine, sondern um die Centrafenbergs dieser Weinwelt, um Top-Rieslinge, Bordeaux, Barolo, Burgunder und viele mehr.
Und auch wenn es sich unglaublich lohnt, solche Langstreckenläufer in ihrer verspielten Fruchtphase zu probieren, ist es doch noch einmal ein ganz anderes Erlebnis, wenn eine perfekt gereifte Flasche auf dem Tisch steht, auf die man sich lange gefreut hat. Wenn Riesling diese einzigartige Balance zwischen Frucht und leisen Petrolnoten zeigt, und dazu eine perfekt eingebundene Säure. Wenn bei Cabernets aus Bordeaux oder den USA Ruppigkeit zu feiner Seide geworden ist.
Perfekte Reife ist aber am Ende für jeden etwas anderes. Die einen mögen es frischer, die anderen lecken sich die Finger nach Tertiäraromen. Alles eine Frage des Geschmacks. Der Weg zum Ziel ist im Grunde immer derselbe, lediglich die Lagerzeit unterscheidet sich dann etwas. Räume mit Temperaturen zwischen 12 und 16 Grad Celsius, einer Luftfeuchtigkeit um 60 Prozent und möglichst dunklen Lichtverhältnissen. Wenn diese Parameter über das Jahr hinweg konstant gehalten werden, dann steht einem langen Weinleben nichts im Wege. Leichte Temperaturschwankungen zwischen kalten und warmen Jahreszeiten verzeihen Weine dabei eher als ein wöchentliches oder gar tägliches Auf und Ab. Schmerzlich wurde mir der Einfluss von schnell schwankenden Temperaturen vor Augen geführt, als ich während eines Praktikums in Bordeaux einen 1986er Sauternes geschenkt bekam und sich der Inhalt in meiner Unterkunft nach nur wenigen Tagen von zitronengelb zu bernsteinfarben wandelte… Zusammen mit dunklen Verhältnissen ist die Temperatur am Ende der wichtigere Faktor als eine ideale Luftfeuchtigkeit. Und die Lagerung nun liegend oder stehend? Da gehen die Meinungen stark auseinander. Um das Thema Korkfeuchtigkeit muss man sich jedenfalls bei einer stehenden Lagerung keine Sorgen machen. Der Raum zwischen Wein und Korken enthält genug Feuchtigkeit, um den Kork feucht zu halten. Größere Unterschiede ergeben sich da mit Blick auf unterschiedliche Verschlusssysteme. Da Naturkorken mehr Sauerstoff aufnehmen als Glas- oder Schraubverschlüsse, ist auch eine etwas schnelle Reifeentwicklung vorhersehbar. Gleiches gilt für die Flaschengröße – je kleiner, desto schneller die Reife.
Neue Wege: Reife Weine ab Weingut
Warum aber nicht einfach mal den Spieß umdrehen? Das Lagern denen überlassen, die sich eigentlich am besten auskennen müssten: den Winzern selbst. Nicht nur in Bordeaux wird es auf Seiten der Weingüter immer beliebter, Weine nicht mehr im klassischen Zyklus auf den Markt zu bringen, sondern dann, wenn sie nach Meinung der Châteaux schon eine gewisse Genussreife haben. Château Latour ist da wohl das bekannteste Beispiel. 2011 hat das Weingut den En-Primeur-Verkäufen den Rücken gekehrt. 2012 ist der jüngste verfügbare Jahrgang. Auch in Deutschland sind »late releases« ein Thema, etwa bei Kühling-Gillot und Battenfeld-Spanier oder bei J. B. Becker.
Und dann gibt es da Weingüter, die bei diesen Entwicklungen nur schulterzuckend zusehen, weil sie bei Reife und Lagerung gesetzliche Mindestvorgaben schon seit jeher bei weitem sprengen. Bestes Beispiel ist López de Heredia in der Rioja Alta. Sogar die Weißweine aus Viura und Malvasia schlummern dort teilweise zunächst an die zehn Jahre im Fass, ehe sie gefüllt werden, um dann noch weitere Zeit auf der Flasche zu reifen. Das Ergebnis sind Weine, die einerseits herrlich klassisch, ja sogar altmodisch daherkommen, andererseits aber auch das Zeug zum abgefahrenen Freakstoff haben. Die weiße Crianza Gravonia aus 2011 etwa steht genau zwischen diesen Stühlen. Feine Nussigkeit trifft auf zurückhaltende Petrol- und Flornoten, gestützt von herrlich reifen Aprikosen und etwas Orangenabrieb. Am Gaumen knochentrocken und subtil salzig.
Ansporn und Herausforderung
Manchmal muss es eben einfach etwas Gereiftes sein. Wer öffnet nicht gerne einer Flasche seines Geburtsjahrgangs? Wie gut, wenn man dann in den Keller gehen und aus dem Vollen schöpfen kann. Viele junge Weine habe ich schon mit dem Plan in den Keller gelegt, sie lange reifen zu lassen. Zugegebenermaßen waren diese Versuche bisher nicht immer erfolgreich. Oft war die Versuchung dann doch zu groß. Wenn es aber gelingt, dann ist es immer wieder eine Freude, eine Flasche wie den 2008er Centgrafenberg zu probieren. Und auch die Diskussionen darüber, ob der Wein zu jung, zu alt oder schlicht perfekt ist, machen immer wieder Spaß und tragen letztlich auch dazu bei, dass es im Leben eines Weinliebhabers nie langweilig wird. Die Suche nach dem optimalen Reifegrad ist Herausforderung und Ansporn zugleich. Und wenn’s mal bequemer zugehen soll, erfreut man sich ganz einfach der wachsenden Vielfalt an Weinen, die bereits wunderbar reif die Tore der Weingüter verlassen.