Das Thema der Qualität und Konstanz von Weinbewertern und Weinjournalisten wird aufgrund der Vielzahl immer besserer Weine und Weinregionen für den Verbraucher immer wichtiger. Auch stiftet die gleichzeitige Verwendung der immer gebräuchlicheren, amerikanischen 100-Punkte-Skala und der 20-Punkte-Skala der Europäer Verwirrung.
Skalen entschlüsselt
Fangen wir mit den Skalen und den Umrechnungen an. Die Skalen suggerieren mit 20 oder 100 möglichen Punkten eine große Bandbreite an detailliert bewerteten Weinen. Das ist jedoch irreführend. Natürlich muss es für die richtig schlechten Massenweine die Bewertungen von 10 bis 13 (oder noch niedriger) geben – es gibt doch wirklich auch viel untrinkbaren Mist. Aber keiner der mir bekannten Genießer oder Winzer rührt einen Wein unter 14 Punkten (entsprechend 80–82 Punkte der 100er-Skala) an. In Wirklichkeit geht es oberhalb der Supermarkt- und Massenweinvermarktung erst bei 15 oder 83–85 Punkten los. Bewerter einiger bekannter Magazine, die mit 12 Punkten für durchaus gute Weine loslegen, haben das System nicht verstanden. Das kann man auch für Bewerter sagen, die »aus Prinzip« die 20 Punkte (98–100) nicht benutzen, weil sie das für den sogenannten ultimativen Wein, der ja nie kommt, aufheben.
Nur ganz selten haben sich Verkoster aus dieser Komfortzone herausgewagt. Es ist ja auch einfach einen Wein nicht als ultimativ zu bezeichnen und ihm stets das letzte Quäntchen Perfektion abzusprechen. Schließlich hätte man dann einen Wein an dessen Urteil einen alle anderen Trinker kritisieren könnten. René Gabriel vergab aber mal 21 von 20 Punkten – für einen 1937er d’Yquem. Also einen Wein bei dem man nicht mehr schätzen muss. Man trinkt ihn jetzt und fällt ein Urteil. Das war ein eben solcher »perfekter Wein«. Auch ändern sich Maßstäbe. So vergab Parker für einen Châteauneuf-du-Pape – die legendäre Cuvée da Capo der Domaine Pegau 2000 – die Höchstnote, verkostete dann den 2003er, der nochmals besser war. Also vergab er mit einem Augenzwinkern 100+ Punkte. Konsequent dahinterstehen wollte er dann aber doch nicht, denn die Punkte vergab er inoffiziell.
Das wäre so, als ob der Lehrer in der Schule nie eine 1 gäbe. Was für ein Quatsch! Und was für eine Beschränkung und Verengung eines guten Bewertungssystems. Also bitte auch für alle guten Weine die Bandbreite von 83 bis 100, bzw. 15 bis 20 Punkte ausnutzen. Nur so kann man doch differenzieren. Wie kann man sonst vom Trabant zum Bugatti, vom einfachsten QbA zum Romanée-Conti eine richtige Differenzierung vermitteln? Einige der bisher zu Recht anerkannt verlässlichsten und weltbesten Weinbewerter, der Amerikaner Robert Parker und der Schweizer René Gabriel, ziehen sich mehr und mehr zurück. Das erschwert nicht unerheblich die verlässliche Übersicht. Womit nicht gesagt sein soll, dass diese zwei Superstars immer richtig lagen. Sie waren aber extrem konsistent und man konnte sie als positiven, wie auch manchmal negativen Indikator, immer verlässlich zurate ziehen. Was kommt danach? Auf wen kann man sich verlassen? An wem orientieren?
Bewertungen richtig einordnen
Zuerst braucht man den Händler seines Vertrauens! Wo soll man die Schätze oder tollen Alltagsweine denn sonst kaufen? Klar, das Vorurteil steht im Raum: Der Händler bewertet hoch und empfiehlt was er verkaufen will. Aber glauben Sie mir: Der anspruchsvolle Kunde ist nicht doof. Wenn Sie nur nach Marge hoch bewerten und schwache Weine zu hoch loben, werden Sie ganz schnell Ihr besser verkostendes Publikum verlieren! Sie können als Linie generell eher höher oder tiefer bewerten, aber es muss konsistent und verlässlich sein. Es muss eine Linie haben. Ihr Geschmack muss verifizierbar sein. Wie ich es schon bei Parker und Gabriel sagte: Nicht alles muss dem Geschmack jedes Kunden entsprechen. Die Bewertung darf auch ein negativer Indikator sein, aber sie MUSS VERLÄSSLICH SEIN!!! Ich zum Beispiel bewerte eher etwas hoch, das weiß ich, denn ich kaufe nur Weine, die ich toll finde. Deshalb gibt es bei mir tendenziell eher etwas (zu?) hoch bewertete Weine – in allen Preisklassen. Aber jeder Kunde kann mich einschätzen und weiß woran er bei mir ist. Also final gesagt, der wirklich gut probierende Händler Ihres Vertrauens, der sich über einen langen Zeitraum in seiner Bewertung für Sie bewährt hat, ist ihre erste Auskunft über einen Wein.
Dann gibt es die über einen langen Zeitraum bekannten und deshalb gut einschätzbaren Weinjournalisten und Juroren. Aber Parker und Gabriel gehen. Was bleibt; wer ist gut? Ich nehme mir hier mal die Freiheit, die wichtigsten Weinbewerter – subjektiv nach meinem Geschmack und nach meiner Konsistenzerwartung – zu beurteilen:
The Wine Advocat
Robert Parkers Magazin hat inzwischen einige Nachwuchsstars hervorgezaubert, einige sehr gute und einige eher schwache. Der Chef selbst probiert nur noch wenig, ist aber immer noch superb in seiner Konstanz und Berechenbarkeit.
Stephan Reinhardt
Überwiegend Deutschland mit etwas Frankreich (Elsass, Champagne und Loire) dazu. Wird mit der Zeit mutiger, vergibt auch öfters mal 100, aber ist dabei immer noch etwas süßweinlastig. Bei trockenen großen deutschen Weinen ist er noch etwas zurückhaltend, mir immer noch zu wenig mutig. Er braucht vielleicht noch Zeit, bis er seine alte Schule der 20er-Skala des Weinwissers (sein früherer Arbeitgeber) überwindet. Ist aber ein wirklich sehr guter Verkoster und klar der beste Mann, den Parker je für Deutschland hatte. Wäre auch ideal für Burgund!
Monica Larner
Italienspezialistin. Nach dem großen Loch, dass der verschwundene Galloni hinterließ, füllt sie dieses doch erstaunlich gut! Nicht laut, aber sehr beständig und verlässlich. Chapeau!
Die restlichen Bewerter hier sind eher weniger arbeitsintensiv und in ihrer Auswahl und Bewertung eher weniger nachvollziehbar, Luis Gutierrez für Spanien ist da noch der beständigste.
Vinous / Galloni
Antonio Gallonis Homepage Vinous mit einigen guten Verkostern. Speziell der vormals selbstständige Stephen Tanzer ist ziemlich gut, sehr konstant, konsistent und nachvollziehbar. Der Star aber ist Antonio Galloni selbst. Früher selbstständig mit einer Piemont-Page, dann Robert Parkers Mann für Italien. Nun mit eigenem, großen Auftritt. Ziemlich perfekt für Italien, USA und auch Burgund. Leider eher etwas schwächer in Bordeaux, das war noch nie sein Lieblingsgebiet.
Neal Martin
Vorher Parker-Autor. Bordeaux, Burgund und anderes. Etwas schwankend, fast launisch wirkend. Manchmal passt es, dann wieder nicht. In Summe kann man daher auf dessen Noten nicht so viel geben. Etwas ein Zufallsgenerator, der kann was, aber man weiß nie so genau, was für einen Tag er gerade hatte, schade.
James Suckling:
Der Amerikaner war zuvor das Frontschwein des Wine Spectators. Ist noch besser als früher und unheimlich arbeitswütig und betriebsam. Total verlässlich in seiner Bewertung, wenn auch oft verdammt hoch in den Punkten. (Und wenn ich, der eher hoch Bewertende das sage, dann will das was heißen!). Leider kennt er nur Mainstream und angesagte Erzeuger, etwas zu wenig Mut zu Neuem.
Jeb Dunnuck:
Entspricht in seinem Mut zu hohen und tiefen Punkten, also in der extremen Differenzierung, seinem Mentor Robert Parker. Bewertet Rhône und USA. Er war früher ein extrem guter, selbstständiger Rhône-Bewerter. Schade, dass er nicht auch Bordeaux macht! Ist inzwischen wiede eigenständig unterwegs und erweitert sein Portfolio.
Wine Spectator:
Generell relativ verlässliches, größtes US-Magazin. Zu viele Bewerter verderben die Konsistenz. Deshalb etwas breiig und allgemein ohne Höhen und Tiefen. Der Bordeauxbewerter, James Molesworth, ist aber gut und klar der beste Verkoster, wenngleich er nur Mainstream kennt. Das Magazin ist in Summe ok, aber nicht überragend. Sucklings Abgang hat geschadet.
Decanter:
Das englische Magazin hat viele Bewerter und kommt mir vor wie ein Zufallsgenerator. Oft geschmacklich für mich nicht nachvollziehbar. Da gebe ich eher wenig drauf.
Jancis Robinson:
Die englische Grande Dame und Hugh-Johnson Schülerin probiert unbestechlich und perfekt. Leider hat ihr nie jemand gesagt, dass es noch Punkte oberhalb von ihrer Lieblingshöchstnote 17,5 gibt. Schade, dass sie deshalb wegen ihrer selbst gewählten Schmalspurigkeit nicht sehr zu beachten ist. Ein verschenktes Supertalent mangels Mut. Oder was für Leser, die wissen, dass ihre 18 bei anderen Bewertern eine 20 wäre.
Michel Bettane:
Zusammen mit Desseauve verkostet er sehr gut und unbestechlich, aber auch er nutzt nicht die Bandbreite der Punkte, deshalb international trotz seiner Klasse leider kaum beachtet.
Weinwisser:
War toll mit René Gabriel, Stephan Reinhardt hat es hoch gehalten, jetzt ein Schatten seiner selbst. Unbedeutend und nicht mehr zu beachten, und René Gabriel Superstar macht leider außer Raritäten kaum noch was fürs breite Publikum.
Vinum:
Rolf Bichsel und Barbara Schröder für Bordeaux verkosten gut und konstant, wenn auch etwas tief und auch mit eindeutigen Vorlieben und Lieblingen. Die anderen Verkoster sind für mich in ihrer Bewertung manchmal gut, aber auch oft schwer nachvollziehbar, zu viele Köche verderben den Brei. Die Gastautorin Caro Maurer ist für mich da klar das beste Pferd im Stall, macht aber leider zu wenig für die Vinum. So hat die Vinum trotz einzelner guter Leute in Summe kein einheitliches Bild und spielt deshalb auch keine große Rolle.
Falstaff:
Der Falstaff ist in sich nicht schlüssig. Der Lebemann und Chefredakteur Peter Moser probiert konstant und konsistent mutig und optimistisch, die Weine will man gern probieren. Uli Sautter ist dagegen etwas skeptisch und extrem vorsichtig. In dieser Art auch konstant und berechenbar wie Peter Moser, nur eben ganz anders. Das ergibt zumindest kein einheitliches Bild für den Falstaff und schmälert seine Bedeutung.
Feinschmecker:
Nach dem Abgang aller wichtigen Verkoster und der Einstellung der eigenen Weinausgabe ist dieses Magazin für Wein nicht mehr sehr relevant. Der deutsche Rieslingpreis ist aber durchaus beachtlich. Das war es aber wohl auch.
Gault & Millau:
Wird von allen mehr als perfektes Nachschlagewerk der deutschen Weine genutzt. Auf diese Art unentbehrlich und ein Muss! Sehr viele sehr unterschiedliche Bewerter mit sehr vielen unterschiedlichen Vorlieben. Im Grunde nur als Aufzeiger von Tendenzen wichtig, die Einzelbewertungen sind oft zu politisch geprägt und daher für mich wenig nachvollziehbar.