VON ANJA Breit

Wein-Schlaraffeninsel Sizilien

Anja trifft Winzer auf Sizilien

Durch den enormen Drive hin zu mehr Qualität hat sich Sizilien in diesem Jahrhundert zu einer der spannendsten Weinregionen Italiens entpuppt. Die große Stärke der Insel ist, dass sie mit Hilfe autochthoner Rebsorten in Kombination mit den individuell verschiedenen Terroirs jeder Unterregion so genial viel Identität und den passenden Wein für absolut jeden Geschmack ins Glas zaubern kann. In allen Ecken der Insel gibt es Weingüter, die kompromisslos hohe Qualität auf die Flasche bringen. Es wurde in Weinberge und Keller investiert, zudem ist das Bewusstsein für naturnahen Weinbau zumindest in den Spitzenbetrieben allgegenwärtig. Sizilien war mal ganz vorne in Italien, was die Menge anging, aber das Image als reiner Massenproduzent belangloser und günstiger Weine ist – obwohl es sich in manchen Köpfen festgesetzt hat – inzwischen wirklich veraltet.

Die Qualitätsrevolution wurde Anfang des Jahrhunderts auf dem Ätna angefeuert. Marc de Grazia, der Gründer der fantastischen Tenuta delle Terre Nere, war einer der Ersten, der das Potenzial hier erkannte und die Region auf der Nordseite des Vulkans nur wenig später »das Burgund im mediterranen Raum« nannte. Die Höhenlage auf erkalteten Lavaflüssen verschiedener Epochen ist in Verbindung mit den grandiosen einheimischen Rebsorten Nerello Mascalese (rot) und Carricante (weiß) ergeben eine magische Kombi. Der Fokus auf Qualität und Klasse der Weine hat dazu beigetragen, das bis dahin übersehene Wein-Genuss-Potenzial Siziliens ins Scheinwerferlicht zu rücken und somit Winzer Kollegen auf der gesamten Insel zu gleichen Taten zu motivieren. Inzwischen haben wir auf dem Vulkan mit Passopisciaro, Tascante und vielen weiteren kleinen aber feinen Betrieben tatsächlich ein ähnliches Feeling wie im Burgund, wo Minibetriebe das Beste aus einem Flickenteppich an ebenso kleinen Lagen hervorzaubern. Noch ist die Einteilung der Weinberge in Premier- und Grand Cru Lagen auf dem Ätna un-offiziell, dennoch schreiben die Visionäre von Terre Nere sie bereits auf ihre Etiketten. Jeder Liebhaber der Finesse und terroir-getriebener Weine sollte die Bewegung auf dem Ätna unbedingt im Auge behalten. Denn diese phänomenalen Geschmackserlebnisse, die man hier erleben darf, sind sogar noch bezahlbar.

Erinnerung an das ursprüngliche Wohnhaus der Familie Spadafora
Zur Erinnerung an das ursprüngliche Wohnhaus der Familie Spadafora, das vom Erdbeben 1968 komplett zerstört wurde

Im Südosten Siziliens befindet sich bis heute die einzige DOCG der Insel, Cerasuolo di Vittoria. Hier werden die autochthonen Rebsorten Frappato und Nero d’Avola zu einem sinnlichen, rotfruchtigen Blend zusammengefügt. Die Böden sind von Kalkstein und rotem, beinahe rostig aussehendem Sand geprägt. Das Klima ist meist besonders trocken in dieser Region – der südöstliche Zipfel Siziliens liegt tatsächlich so weit südlich wie Tunesien! COS sind hier die Meister der verspielten Feinheit und bei Gulfi kommt klirrende rotfruchtige Frische in Form von quietschig konzentrierten Kirschen hinzu. Die beinahe schwerelosen Weine bringen enorm viel Trinkfreude bei schwebend schwerelosen Weingenuss mit sich.

Auch im Nordwesten Siziliens ist das Weinpotenzial spannend. Ausbleibender Niederschlag scheint soweit kein Problem in der Region, zudem gibt es hier eine Menge unterirdischer Quellen, die die Reben mit Wasser versorgen. Die Weinberge stehen auf Ton- und sandhaltigen Böden. Nero d’Avola ist die wichtigste rote Rebsorte und in den besten Händen, wie beim Weingut Spadafora, haben die Weine attraktive Frische im Mund, sowie Spannung und Dichte. Das alte Bild der Rebsorte, das sie zu ihrem marmeladigen Image verdonnert hat, hat wirklich nichts damit zu tun, was Qualitätswinzer heute auf die Flasche bringen. Die weißen Catarratto und Grillo ergeben hier mineralisch geladene Weine mit faszinierender Salzigkeit und Frische zu erstaunlich attraktiven Preisen.

Sizilien ist tatsächlich ein Schlaraffenland für Weinliebhaber. In jeder Ecke gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Weine und Weinstile zu entdecken. Von sinnlich und fein zu kraftvoll und intensiv, aber auf jeden Fall häufig einzigartig und individuell.

Enrica Spadafora und Francesco Spadafora
Enrica und Francesco Spadafora

Jahrgang 2022

Der Jahrgang 2022 startete im Südosten Siziliens mit idealen Wachstumsbedingungen der Reben – Bedingungen wie aus dem Bilderbuch. Der Juli war überraschend mild mit Tagestemperaturen um die 33 °C, normalerweise sind die Temperaturen in der Region im Sommer wesentlich wärmer. Im Gegensatz zu vielen anderen Regionen Italiens gab es hier im August ausreichend Regen, und der Zuckergehalt in den Trauben war nach dem kühlen Beginn des Jahres soweit sogar niedriger als gewöhnlich. Die »Ciccalina«, die Grashüpfer, die Blätter der Nero d’Avola besonders gerne mögen, tauchten dieses Jahr wieder im Südosten der Insel auf. Da die Fotosynthese durch sie verlangsamt wird, verzögerte sich die Reife zusätzlich. Bei der späten Lese, die sich zum Teil bis in den November zog, musste sorgfältig selektiert werden, damit nur vollreifes Traubengut in die Keller gelangte. Bei Trauben aus betroffenen Weinbergen ist zudem besonders viel Gefühl im Keller gefragt. Es muss behutsam gepresst werden, um sicherzustellen, dass keine grünen Aromen aus den Traubenschalen extrahiert werden. In diesem Jahrgang kann daher nicht generalisiert werden, denn die Qualität der Weine hängt sehr vom Können der Winzer ab. Die besten Weine zeichnen sich durch ihre Frische und Feinheit aus, generell sind die Alkoholwerte 2022 niedriger ausgefallen als gewöhnlich. 

Die Sommertemperaturen auf dem Ätna sind meist warm bis heiß, aber 2022 war es in der Region – zumindest was die Temperaturen angeht – ein durchschnittliches, sogar ausgeglichenes Jahr und wesentlich kühler als beispielsweise 2017. Die lange Trockenheit machte allerdings den Unterschied. Für gewöhnlich gibt es am Ätna regelmäßige Niederschläge, aber dieses Jahr blieben sie bis auf ein wenig Regen Mitte August weitgehend aus. Das führte zu konzentrierten und fruchtintensiven Trauben und somit auch zu einem intensiven Power Jahrgang in den Weinen.

Weingut Tascante auf dem Ätna
Weingut Tascante auf dem Ätna

Jahrgang 2021

2021 war ein sehr trockener Jahrgang auf Sizilien. Zudem war es der wärmste Jahrgang, den die Insel bis dahin erlebt hat – am 13. August wurden in Vittoria im Südosten satte 48,8 °C gemessen. Auch nachts wurde es dort in diesem Jahr nicht sehr viel kühler. Die Lagen am Ätna hingegen wurden nachts mit kühlender Luft aus den Hochlagen heruntergekühlt. Die Lese im Oktober war inselweit eine Herausforderung, denn es musste zügig gelesen werden, bevor der Herbstregen einsetzte. Die Erntemenge war durch die Trockenheit des Sommers insgesamt zwischen 30 und 40 Prozent kleiner als gewöhnlich und die konzentrierten, kleinen Beeren brachten dichte und strukturierte Weine hervor, die generell etwas breiter und körperreicher sind als gewöhnlich.

Anja Breit

Anja Breit

Anja Breit hat ihre Weinbegeisterung in der Gastronomie gelernt und gelebt. 15 Jahre war sie in London für Spitzenkoch Gordon Ramsay, Zuma und als Chef-Sommelier im mit zwei Michelin-Sternen dekorierten Ledbury tätig. Seit 2021 ist sie bei uns als Wine Scout tätig.

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