Mit der diesjährigen Verkostung in Wiesbaden startet die Geschichte der Großen Gewächse in ihr drittes Jahrzehnt. 20 Jahre »GG« hieß es letztes Jahr und dem vorausgehend sogar schon mehr als 30 Jahre auf diesem beschwerlichen Jakobsweg zur Wahrheit großer, trockener deutscher Weine. Jährlich trifft sich – kurz vor dem offiziellen Release am 1. September – das nationale und internationale Who is who der Weinwelt, um dieser Wahrheit im Glas auf den Grund zu gehen. Von den 599 in 2023 durch Anerkennungsprobe des VDP offiziell zugelassenen Großen Gewächsen werden im Wiesbadener Kurhaus 460 gezeigt – aufgeteilt in 83 nach Gemeinden und Lagen geordneten Flights.
Einige renommierte Weingüter – darunter u.a. Clemens Busch, Schloss Lieser oder Klaus Peter Keller – haben in diesem Jahr in Wiesbaden keine Weine eingereicht. Gerade an der Mosel haben viele 2022er sehr lange gegoren, wie bei den beiden genannten Moselanern, sodass die Abfüllung erst just erfolgte oder teils noch gar nicht. Auch Dr. Loosen hat nur Fassproben gezeigt. Eine Folge der Spontangärung und immer trockener werdender Jahre, wie das dramatische 2022, mit geringeren Nährstoffgehalten der Moste. Nicht nur aus diesem Grund setzen immer mehr Weingüter auf eine noch spätere Auslieferung der GGs als den 1. September – oder gehen gleich auf Late Release im 2- oder sogar 3-Jahres-Turnus. An sich eine sinnvolle Entwicklung, denn jeder, der in Wiesbaden probiert, bekommt (teils schmerzlich) zu spüren, wie dramatisch jung und unentwickelt viele der großen Weine Ende August noch sind. Schwefel, Reduktion, Holz und Säuren krachen da teils noch gut rein – junge GGs probieren ist nicht nur Zuckerschlecken.
Doch die schicken und toll balancierten 2022er Rieslinge und saftig-kühlen 2021er Burgunder können auch jung schon faszinieren und entzücken. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, kam da noch häufiger als im Vorjahr ein erstauntes und sehr begeistertes »Wow!!« von Heiner Lobenberg zu mir rübergeflogen im Verkostungs-Saal. Seine Eindrücke und Highlights hat Heiner für Sie direkt live aus Wiesbaden zusammengefasst – so viel sei verraten: Es waren einige hedonistische Überraschungen dabei…
Beginnend an der Saar, präsentiert Familie Zilliken das mit Sicherheit schickste Rausch GG der letzten Jahre. Sehr fein und mit Hang zur Erhabenheit – ein Wein für die reine Trinkfreude. Der Schonfels ist ein klar definierter Steinwein und mein Favorit aus Florian Lauers Kollektion. Van Volxem beweist mit dem Scharzhofberger »P« mal wieder, dass diese berühmte Lage eben nicht nur die mitunter besten Süßweine der Welt hervorbringt, sondern auch im trockenen Bereich durchaus einen Hang zur Größe hat.
Der Grünhäuser Abtsberg brilliert! Ganz klar der Star der Ruwer. Hochintensive, steinig-mineralische Nase. Rauch, Nüsse, Blüten, Birne und Quitte, alles voll auf Mineral und Eleganz. Hohe Frische, ganz ohne aggressive Zitrusaromatik. Langer, salziger Nachhall, ausgewogen und doch spannend, dabei unanstrengend in seinem saftigen Fluss. Aus gleicher Lage stellt Carl von Schubert dieses Jahr auch das beste Kabinett-Fuder als Versteigerungswein an. So kristallklar und unfassbar präzise, zeigt er sich selbst neben Egon Müllers Legenden-Kabi aus alten Reben mit grandioser Power bei gleichzeitig zarter, tänzerischer Ader. Wow, das sind potenzielle 100 Punkte hier!
An der Mosel fehlen leider Clemens Busch und Schloss Lieser, deren Weine nicht rechtzeitig fertig wurden. Oliver Haags Juffer-Sonnenuhr, mit ihrer feinen Schärfe, Salz und Schieferwürze, zählt für mich zu den besten Vertretern der Mittelmosel in 2022. Relativ dicht gefolgt von Loosens Treppchen, das einfach eine tänzelnde Schönheit ist. Finesse bis zum Abwinken! Heymann-Löwenstein ist für mich eine kleine, durchaus positive Überraschung in 2022. Hier hätte ich wegen des warmen Jahrgangs etwas mehr Fett und Wucht erwartet, tatsächlich aber ist die gesamte Kollektion sehr elegant gelungen und wird von der Blaufüsser Lay als Highlight gekrönt.
Hier spielt jedenfalls oft die Wahrheit! Die Nahe ist für mich das Bindeglied zwischen schlanker Mosel, fruchtstarkem Rheingau und Franken, sowie dem burgundischen Rheinhessen und vor allem der Pfalz. The Best of all Worlds, oft kommen die besten trockenen Rieslinge von der Nahe. Hier zeigt sich der Jahrgang in universellster Art! Und hier sind mit Dönnhoff, Schäfer-Fröhlich, Emrich-Schönleber, Gut Hermannsberg und Diel gleich fünf der Top-20 Deutschlands angesiedelt. Eine höhere Qualitätsdichte gibts kaum, einzig die Pfalz kann im Kern der Mittelhardt noch in dieser Liga mitspielen.
Auch wenn sich an seinen Weinen die Geister scheiden, aber Schäfer-Fröhlich stellt hier sicherlich die Kollektion des Jahres 2022. Dieser ultrakarge Stil, diese krasse Reduktion und Spannung – das muss man schon mögen. Und ich liebe es! Frühlingsplätzchen, Halenberg, Kupfergrube, Felseneck – gleich vier Anwärter auf die 100 Punkte und mit dem Versteigerungswein FINAL aus dem ältesten und steilsten Stück des Felsenecks, ein Wein, der die 100er-Skala sprengt. Purismus-Meister Tim Fröhlich zeigt mit all seinen 22ern, dass sich dieser Stil auch mit etwas charmanter Balance vereinen lässt. Gerade dem brutal steinigen Felseneck steht das so unfassbar gut.
In Sachen Halenberg ist natürlich Frank Schönleber der absolute Meister. Ganz anders als sein Nachbar Tim Fröhlich, aber mit ähnlich viel Grip und fester, steiniger Struktur. Ich sehe sein Frühlingsplätzchen, was etwas fruchtiger und schmelziger daherkommt, in diesem Jahr aber durchaus auf gleichem Level! Beides große Weine. »Auf der Ley« mit nur 12 % Alkohol und soooo viel Druck, das ist schon wirklich irre! Stilistisch eine Kombination aus 20 und 21. Groß, sehe ich aber nicht über Halenberg.
Im Anschluss kommen Cornelis Dönnhoffs vier GG-Lagen jetzt gerade richtig, um mich an der Nahe einzunorden. DER Kompass des deutschen Spitzenrieslings. Wo steht denn nun das zuvor probierte Supertalent Tim Fröhlich, wie hat sich Frank Schönleber im Vergleich geschlagen? Hier kommt die Orientierung:
Die Hermannshöhle ist DIE Benchmark. Leichte Reduktion mit Stein und etwas Rauch, im Mund Drama und Ausgewogenheit zugleich, Wollust und Eleganz. Nicht diese multiple Persönlichkeit des Felsenecks, sondern einfach von allem Guten viel, ohne jemals einen Aspekt zu übertreiben. Ich mag die Dramatik am Felseneck oder das leicht Dreckige am Halenberg, aber die Hermannshöhle ist die positiv-harmonische Perfektion. Ebenfalls 100 Punkte und ganz groß! Das etwas verführerisch-offenere, exotischere Dellchen kommt nicht ganz an die Erhabenheit der Hermannshöhle heran, kratzt für mich aber auch ganz klar an der 100er Marke.
Bei Diel ist das Pittermännchen auch 2022, wie immer schon mein Liebling. Rauch und Stein mit apfelig-quittiger Frucht. Viel Schmelz und soooo lecker im Mund. Purer Genuss, ein Musskauf! Goldloch ist der erwachsene Bruder. Viel größer, höher, weiter, intensiver. Trotz der Harmonie des Jahrgangs schon auch ein Dampfhammer und Kracher, eindrucksvoll! Aus der gleichen Lage kommt auch der 2008er Versteigerungssekt in Magnumflaschen – ganz großes Kino aus diesem legendären Schaumweinjahr.
Bei Gut Hermannsberg ist der Felsenberg einer der absoluten Winner! Sehr kühl, reduziert und rauchig-karg. Dieses GG könnte auch von Tim Fröhlich stammen, ist dann aber final doch etwas braver. Sehr schön! Im Steinberg finde ich Chablis-Anklänge wieder. So pikant und für das wärmere Jahr wirkt er fast ein bisschen grün mit Granny Smith und Limette, dann kommt auch Zitronengras und purer Kalkstein hinzu. Fester, salzig-kalkiger Biss.
Erstmal die Rheinfront. Schätzel fehlt in diesem Jahr, Kais Weine kommen ja aber ohnehin immer etwas zeitversetzt auf den Markt. Also dann Kühling-Gillot und Gunderloch im Direktvergleich. Die beiden Rothenberg sind definitiv unterschiedlich, ich zähle aber beide zu meinen Highlights. Sehr fein, leicht reduktiv, strahlen eine tolle Spannung aus. H.O. Spaniers Wein von wurzelechten Reben ist schlussendlich dann doch das dichtere, konzentriertere Powerteil. Sehr mystisch, ein fester Steinwein, der zwar karg ist, aber doch so balanciert. Kommt das von den wurzelechten Stöcken? Mag sein… Es gibt aber ohnehin so wenig von diesem raren, teuren Unikat. Die beiden Pettenthal sehe ich auf ähnlichem Niveau, kraftvoll und etwas Opulenz zeigend. Beide unumstritten groß mit 97–98+ Punkten.
Weiter im Wonnegau. Philipp Wittmann dürfte nun erstmal die Benchmark für Rheinhessen sein. Und ja, seinen erhabener Morstein sehe ich in einer Liga mit Dönnhoffs Hermannshöhle. Großer, großer Stoff! Der Versteigerungswein La Borne ist da die Plus-Version, noch etwas konzentrierter und vielleicht noch eindrucksvoller. Kirchspiel ist reinstes Kalksteine lutschen mit Salz und reifer Zitrusfrucht – großartig, wirklich grandios feinziseliert und so klar wie ein Gebirgsbach. Das Brunnenhäuschen rauchig und fein in der Nase. Stein trifft auf Blütenduft. Ultrafein im Mund und auch hier leicht blumig. Keinerlei Aggression, einfach perfekte Balance.
Battenfeld-Spanier schließt Rheinhessen mit zwei Hammern ab. Frauenberg kommt rauchig und steinig mit schöner Reduktion. Schick und elegant mit Hang zur Größe und Hang ins Burgund. Das ist obere Rille und ganz klar großes Kino, 2022 passt perfekt zu diesem Wein. Zellerweg am Schwarzen Herrgott ebenfalls reduktiv mit Stein und Rauch. Hochintensiver Mund, fast dramatisch. Alles durchdringend. Ziemliche Perfektion, großer, erhabener Stoff!
Auf die Pfalz war ich sehr gespannt, schlägt sie doch den Bogen ins Burgund mit ihrer südlichen Lage und ihrem Kalksteinterroir. Immer kämpfen die Nahe und die Pfalz um die Spitzenposition, oft ist die Pfalz vorne, manchmal grätscht auch Rheinhessen in die Spitze. Aber die Nahe war 2022 so ungemein stark, mit der moderateren Säure für mich besser als je zuvor. Es bleibt ein spannender Wettkampf…
Nordpfalz, Philipp Kuhn. Und hier trifft die Redewendung »Wie der Herr, so’s Gescherr« vielleicht am allerbesten zu, denn Philipps Weine haben immer Klasse, sind individuell und auch immer lieb und charmant. Der Herrgott ist ein Powerwein mit salziger, intensiver Frucht. Der Kirschgarten ist der Charmebolzen, während das Saumagen GG mit immensem Schub an Salz und Kalksteinterroir daherkommt.
Direkt daneben dann Rings’ Wein aus gleicher Lage. Natürlich mit Reduktion und Rauch, extremst puristisch selbst 2022. Immense Mineralität, steht für Minuten. Saumagen ist ein Ereignis besonderer Art, quasi der Schäfer-Fröhlich der Pfalz! Annaberg ist, wie die Pinots der Brüder, eher Burgund als Pfalz. Das erinnert mich schon etwas an Puligny-Montrachet in diesem Jahr. Stark! Und dann noch der Weilberg. Für mich in 2022 so genial wie nie zuvor, sehr tief, komplex und rauchig. Die gesamte Rings-Kollektion ist wieder einmal ganz grandios in 2022.
Jetzt alle Christmann-GG in einem Flight. Die zwei Superstars sind Idig, der oft einer der besten Weine Deutschlands ist, und der stark aufkommende Vogelsang aus Neustadt. Die Kollektion ist hier insgesamt auch nicht so rasiermesserscharf wie 21, aber durchaus druckvoll und einfach fein. Beim Idig werde ich kurz stutzig – das könnte ja durchaus auch ein Corton-Charlemagne sein! Kreide und cremiger Kalkstein, weiße Blüten und weißes Steinobst. Milde Säure, feines Holz. Klares Burgund! Den kühleren Vogelsang verorte ich im Kontext dann eher nach Meursault mit toller Spannung im Mund, feinsalzig und dicht.
Dann der Forster Lagen-Cup. Mit Dr. Bürklin-Wolf, den Weinen von Nicola Libelli, seit Jahren für mich der Weltmeister in der Disziplin puristischer, kraftvoller, gnadenlos terroirgetriebener Rieslinge. Pechstein ganz groß, erhaben und verschlossen. Der Wein scheint der Offenherzigkeit von 2022 zu trotzen und doch stiehlt sich ein kreidig-kalkiges, verschmitztes burgundisches Lächeln aus dem Glas. Besser nach 10 Jahren, aber der Wein tut nicht weh, was so jung oft der Fall ist. Ein Riese! Ebenfalls besonders stark zeigen sich wie gewohnt auch Ungeheuer und Gaisböhl.
Das Kirchenstück ist ja die Pfälzer Lage schlechthin, hart umkämpftes Land und dementsprechend rar. So rar, dass Bürklin den Wein hier in der Regel auch nicht zeigt. Dafür gibt es aber ein tolles 22er Beispiel von Von Winning. Satte, steinige Mineralität. Viel Kraft und Tiefe, aber trotzdem sehr einnehmend und so jung schon fast genussfertig. Ebenfalls ein Kirchenstück gibt es von Nachbar Reichsrat von Buhl, aufgrund des Late Release allerdings allesamt 21er. Viel Feuerstein und wenig Frucht, dafür ultralang und durchdringend. Pechstein mit einer so faszinierenden Nase, die einem ob ihrer Intensität schon die Schuhe auszieht. Holz mit sattem Kernobst, Passionsfrucht, Orangenzesten und Feuerstein. Im Mund Saft ohne Ende und der Wein zeigt, wohin die Reise hier ab sofort geht: Geradeaus! Stahlig, salzig, druckvoll und fesselnd präsentiert sich die gesamte Kollektion. Buhl war noch nie besser, auch nicht zu Kaufmanns Zeiten. Im Grunde ein genialer Mittelweg zwischen Winning und Bürklin – großartig! Der italienische Kellermeister Simone hat es voll drauf!
Auch aus der Südpfalz gibt es 2022 großen Stoff! Rebholz sehe ich ganz klar vorn mit an der Spitze, besonders der Kastanienbusch beeindruckt mit seiner großartigen, Chevalier-Montrachet-artigen Komplexität. Hier kommt nicht nur die reine Puristik und kühle Würze, sondern auch ein Hauch ultrafeine, klare Exotik zum tragen. Ganz stark! Franz Wehrheim zeigt auch einen sehr schicken Kastanienbusch, etwas mehr auf der Frucht als auf der kompromisslosen Steinigkeit, aber durchaus auch druckvoll, mit toller Würze und Länge.
Im Rheingau glänzt mal wieder Weils Gräfenberg mit Größe und überschattet damit die meisten Rheingauer aus 2022. Erstaunlich voluminös und reich, aber ohne Aufdringlichkeit. Sehr moderate, geschmeidige, feine Nase voller Charme. Feine Kalksteinnoten, helle Blüten, weißer Pfirsich und Williams-Birne. Voluminöser, reicher Fruchtmund, wieder Kernobst, etwas Mandeln, kaum Zitrusfrucht. Saftiger Fluss am Gaumen. Salziges Finale mit gutem mineralischen Grip. Ein großartiges Highlight sind auch die 2021er von Peter Jakob Kühn. Doosberg rauchig und grandios fein, St. Nikolaus sehr steinig und karg. Das Lenchen GG gefällt mir in 2021 besonders gut, weil dieser von Natur aus wärmeren Lage dieser Fokus des Jahrgangs extrem gut steht.
In Franken fasziniert Horst Sauers 2022er Am Lumpen mit saftig entspanntem Mundeintritt. Was für ein leckerer Saft! Das macht richtig Freude. Fürsts Centgrafenberg hat wie immer eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Rheingau. Saftig, intensiv, voluminös und mit voller Frucht. In Württemberg zeigen Aldinger und Haidle ihre ultrafeinen Pulvermächer aus 2021. Kühl, kristallin und steinig, zupackend und mit viel mineralischem Biss. Aldinger wie immer etwas mehr Fokus auf feinrauchiger Reduktion, Haidle sehr klar und mit toller Spannung.
Weiße Burgundersorten
Im Gegensatz zu teilweise sehr rassigen Rieslingen des Jahrgangs 2021 und den sehr kühlen Pinots, dürften die weißen Burgundersorten die Profiteure der Jahrgangstypizität sein, denn hier bringt die Kühle, die Frische und Rasse genau den Kick, der die hohe Klasse der deutschen Weißburgunder und Chardonnays zur Weltklasse bringt.
In der Pfalz beeindruckt mich besonders Kuhns Kirschgarten, der 2021 so ungewöhnlich spannungsgeladen und reduktiv daherkommt. Das bin ich von Philipp eher nicht gewohnt, so viel aufregende Dramatik. Kühl, burgundisch straff, sehr schick! Wie fast jedes Jahr, ist auch Rebholz’ 22er Weißburgunder »Im Sonnenschein« ein Gigant. Kommt trotz der südlicheren Lage schlank rüber, ein leicht grünlicher Touch verleiht ihm Flügel. Totaler Geradeauslauf, genialer Nachhall mit Stein, Salz, hellem Kernobst, toller Reduktion – ein Weißburgunder nahe der Perfektion. In Baden gefällt mir Heger mit seinem Weißburgunder »Gras im Ofen«. So ganz anders als die Pfälzer, etwas fetter aber mit genial frischer Säure und viel Mineralität im Finale. In Sachen Grauburgunder ist Friedrich Keller ganz vorn mit dabei – das Schlossberg GG ist so unfassbar präzise in 2021. Das hat eine Wucht aus konzentrierter Mineralität, das kann ich gar nicht fassen, wie zupackend dieser Grauburgunder ist. Wow, was für ein Geschoss! Blind könnte man das für einen Chardonnay halten.
Und wenn wir schon bei Chardonnay und Keller sind, dann machen wir doch direkt mit dem Kirchberg weiter. Genial reduktiv, nasser Feuerstein und grüne Mandeln mit Salz im Mund. Ganz anders als die Weine seines besten Freundes Julian Huber, aber ganz klar der beste Chardonnay, den es hier bisher gab. Wie ein großer Chassagne-Montrachet 1er Cru, ein finessenreicher Vibrations-Kracher voller Drama, bitte mehr davon, erstmals wirklich Weltklasse! Ich bin echt baff und sehr fasziniert!
Julian Hubers Chardonnays sind, wie auch in den letzten Jahren, wieder einmal unfassbar gut und ganz klar Nummer Eins in Deutschland. Allerdings so rar, dass es mich wirklich wundert, dass Julian hier ein paar Flaschen zeigt. Vom Schlossberg gab es nur ein Fass, das kommt komplett ins Archiv und wird erst nach einiger Zeit überhaupt verkauft. Der Wein ist irre, die Dramatik ist beeindruckend, das ist ein Chardonnay für den man eigentlich erstmal eine Prüfung ablegen muss – sowas kann man nicht an »Normalos« geben. Brachial zupackend in seiner salzig-zitrischen, ultrakargen Ausrichtung. Alles vibriert, dabei haben wir hier aber auch so einen unglaublichen Tiefgang. Wirklich grandios. Der Bienenberg kommt etwas weniger extrem daher, zeigt nicht nur reine Zitrusfrucht, wirkt nach dem Schlossberg fast etwas brav in seiner Größe und Harmonie. Für mich dennoch auf gehobenem Puligny 1er Cru Niveau.
Spätburgunder
Sicher ist das eher kühle und rassige Jahr 2021 für Rotweine eine Herausforderung, zumal es in der Reihe wärmerer Rotweinjahre 2019, 2020 und den vermutlich üppigeren Jahren 2022 und 2023 deutlich heruassticht. Also 2021 also Cool-Climate-Finessejahr zwischen den optimalen Jahrgängen. Kann die kühle Rasse mit ihrer abgehobenen Eleganz dennoch überzeugen?
Start an der Ahr: Meyer Näkels Kräuterberg könnte man wahrscheinlich in jeder Blindprobe als Ahr-Pinot identifizieren. Die Nase ist so kühl, erdig und graphitig. Schwarze Würze mit Cranberry und Sauerkirsche, etwas rote Johannisbeere, aber auch leicht bläulich schimmernde Frucht mit Zwetschge und Heidelbeere. Im Mund so zart, feinblättrig, ein unglaublich tänzelnder Pinot. Die Säure ist so präsent, trägt diesen aber durchaus druckvoll konzentrierten Pinot so federleicht über die Zunge. Das ist schon ein Highlight und unglaublich in dieser Kombination aus Kraft und Struktur gepaart mit dieser fast zerbrechlich wirkenden Finesse. Großartig! Stoddens Wein aus der gleichen Lage wirkt etwas wärmer, nicht ganz so karg und puristisch, etwas süßlicher und dichter in der Frucht. Aber die Struktur und Tiefe sind auch hier beeindruckend. Süße und saure Kirsche mit feiner Holzumrahmung. Im nächsten Flight dann Näkels Silberberg mit mehr kirschiger Süße als der Kräuterberg, nicht ganz so karg-puristisch und dramatisch. Pfarrwingert ist da stilistisch ein Zwischending. Großartig auch Stoddens Herrenberg, den man auch nach Gevrey-Chambertin verorten könnte. Meyer Näkel finde ich in diesem Jahr ultraschick, wirkt so klar, ungeschminkt und doch gleichzeitig auch etwas wild. Sehr, sehr stark.
In Franken strahlen die 21er Pinots von Fürst echten Hochlagen-Flair aus. Nicht zu spitz in der Säure, durchaus reif. Aber im Burgund wäre das eher Auxey-Duresse und kühles Volnay, als Vosne-Romanée oder Gevrey. Rotfruchtig, rauchig, mineralisch, salzig und extrem frisch. Reif und doch auch herausfordernd, keine pure Wollust, wie man sie in warmen Jahren durchaus auch mal schmecken kann. Ich empfehle langes Lagern, vermutlich 5-10 Jahre, damit sich diese großen Weine von dramatischer Extraklasse und schlanker Finesse noch etwas sammeln können.
Weiter in der Pfalz. Knipser kommt hier mit 19ern, die allesamt mit großartiger Ausgewogenheit, Struktur, Kraft und feiner Eleganz überzeugen. Mandelpfad ist saftig und fein, Kirschgarten wird seinem Namen mehr als gereicht – hier haben wir wirklich die reife, satteste Kirschfrucht und Kirschblüte. Kuhns 20er sind charmant schick mit reifer Frucht, aber auch pikantem Säurekern. Danach zeigen die Gebrüder Rings mit dem 21er Felsenberg und Saumagen zwei der allergrößten deutschen Rotweine der letzten Jahre! Der Saumagen ist etwas rotfruchtiger und charmanter, der Felsenberg steiniger und erhabener. Zwischen 97 und 99 Punkten sind beide definitiv anzusiedeln. Immense Länge und mineralisches Gerüst, ich bin schwer beeindruckt!
Christmanns 2021er Idig ist für mich der erste, ganz große rote Idig. Sophie hat vielleicht erst einige Jahre gebraucht nach der Übernahme, aber 2021 hat nun alles. Mineralität und Spannung, Druck, rote Frucht und salzige Vibrationen. Wenn dann noch etwas hedonistische Wärme und reiche Rotfruchtigkeit dazu käme, wäre es hier ziemlich perfekt. Nahe am eigenen Optimum. 2021 als Startschuss auf noch bessere Jahre in Folge! Bravo Sophie!
Jülg und Becker dann im direkten Vergleich. Super spannend, da die beiden Betriebe sie so unterschiedlich interpretieren. Aber bei beiden – obwohl wir hier ja sogar noch einen anderen Jahrgang haben – gefällt mir jetzt aktuell der Kammerberg besonders gut. 2020er Becker typisch kraftvoll und konzentriert, aber nicht fett, einfach sehr strukturiert mit präsentem Tanninbiss und Säurestruktur. Heydenreich ist ein Gigant für die Ewigkeit, auf Richebourg-Niveau, der aber deshalb auch Jahre brauchen wird. Insgesamt die vielleicht schickste Becker-Kollektion der letzten Jahre. 2020 ist hier mehr als gelungen! Jülgs 21er Pinots bestechen durch ihre zarte Frische. Sehr delikat, nichts ist hier grün in 2021, was man ja vermuten könnte, aber es ist einfach nur in perfekter Balance.
Sowohl bei Keller, als auch bei Salwey sehe ich den Eichberg meist als das »deutscheste« Pinot-GG an. Weil er bei beiden rotfruchtiger ist, diese typische Walderdbeere, Erdigkeit und etwas Unterholz mit sich bringt. Der Kirchberg daneben ist deutlich duftiger, etwas eleganter, dunkler und dichter verwoben, wirkt aber auch kühler. Spannend, das ist hier wirklich mehr Lagencharakter als Winzerhandschrift, das kommt bei beiden Winzern ähnlich rüber. Ich muss betonen: Friedrich Keller hat in den letzten Jahren so einen großartigen Lauf und er will einfach nicht enden. Mir gefällt der Enselberg hier auch noch sehr gut – eine Lage, die vielleicht noch etwas unter dem Radar fliegt. Aber das ist traumhaft fein, unglaubliche Finesse, süße und saure Kirsche in allen Schattierungen, dazu dieses dezente salzige Finish. Steinriese und Schlossberg sind Riesen in der Mache, die nur so vor mineralischer Intensität strotzen. Aber perfekte Harmonie dazu. Lang, steinig, grandios!
Hegers Kollektion ist auch stark! Die Lage Rappenecker explodiert quasi. Noch nie war die reiche, rotfruchtige Fülle und satte kirschige Wärme und die coole Rasse so perfekt in ihrer Ergänzung. Das ist eine Art Mazis-Chambertin. Rebecca Heger kann mehr noch als ihr genialer Vater, sie kitzelt noch etwas mehr hervor. Ähnlich wie bei Christmanns Wechsel auf Tochter Sophie ist auch bei Heger der Generationswechsel auf die Tochter der »burner«.
Zum Schluss dann nochmal Julian Huber. Gleiches und einziges Problem wie beim Chardonnay – immer zu rar. Die Alte Burg ist zart, eher schwarz, die Sommerhalde unglaublich charmant. Bienenberg kommt mit etwas mehr Zug und Spannung daher und der ultra-rare Schlossberg treibt das Ganze dann auf die Spitze mit seiner zupackenden, super fokussierten und durchdringend mineralischen Vibrationskraft. Vier mal groß und selbst ohne den Wildenstein klar die beste 2021er Rotweinkollektion!