Exakt eine Woche vor dem offiziellen Marktstart der VDP Großen Gewächse 2018 bzw. 2017 für Rotweine und einige Late-Releaser Weißweine steht die Preview der neuen GGs im Wiesbadener Kurhaus an. Der Rahmen ist schnell erklärt: etwa 160 der einflussreichsten Journalisten, Weinkritiker, Händler und Importeure probieren die trockene Qualitätsspitze des Verbands deutscher Prädikatsweinguter in der wohl bestorganisiertesten Verkostung dieser Größenordnung überhaupt. Ein eindrucksvolles Line-Up des internationalen Who is Who der Szene hinter den Tischen und ein nicht minder beeindruckendes Line-Up deutscher Spitzenweine auf den Tischen. Deutschlands Weine surfen weiterhin auf der Erfolgswelle, wie es diese Veranstaltung jedes Jahr mit Nachdruck bestätigt und über sämtliche verfügbaren Medienkanäle in die Welt hinausposaunt – völlig zurecht.
Durchaus erstaunlich sind die erneut sehr erfreulichen Ergebnisse in der Spitze, wenn man sich die Schwierigkeit der beiden zurückliegenden Jahrgänge vor Augen führt. 2017 und 2018 – zwei Jahre die unterschiedlicher kaum hätten verlaufen können und definitiv beide ihre Tücken hatten.
Denkwürdiger Sommer
2018 war wohl der denkwürdigste Sommer seit 2003. In den Süden in Urlaub fahren musste man da jedenfalls nicht mehr. Aber welche unglaublichen Fortschritte unsere Winzer im weinbaulichen und önologischen Bereich in den letzten Jahren gemacht haben, zeigt sich in so einem Extremjahr umso mehr. Ja, der Klimawandel sollte uns zu denken geben, aber was unsere besten Winzer mittlerweile unter den sich so rasch ändernden Bedingungen leisten und mit welcher Geschwindigkeit sie sich ebenfalls erfolgreich weiterentwickeln ringt mir dabei höchsten Respekt ab. Krankheitsbedingt war 2018 im Gegensatz zu 2017 ein eher entspanntes Jahr, etwas Mehltaudruck hier und da, kaum Botrytis in Ermangelung von Feuchtigkeit, eigentlich alles recht entspannt soweit. Die Schlüssel zum Erfolg lagen eher im Lesezeitpunkt, im Laubwandmanagement, im lokal-abhängigen Wasserhaushalt und im Alter der Reben. Entgegen weitläufig verbreiteter Jubelschreie halte ich 2018 keineswegs für einen uneingeschränkten Topjahrgang. Aber er hat definitiv Top-Winzern, die am Puls der Zeit arbeiten in die Hände gespielt. Ebenjenen hat er traumhafte Ergebnisse spendiert von denen man kaum glauben mag, dass sie diesem denkwürdigen Sommer und Herbst entstammen.
Silvaner auf hohem Niveau
Am ersten Verkostungstag heißt es ABR – anything but Riesling – es geht also um Silvaner und die Burgundersorten, sowie Rotweine. Geradezu aus den Socken gehauen haben mich die ersten Silvaner-Flights. Insgesamt ein hohes Niveau mit einigen sehr schönen Gewächsen. Der Rebsorte scheint der Jahrgang 2018 ausgesprochen gut bekommen zu sein. Die Kombination aus hoher Reife und nicht durch Schäden reduzierte Erträge vereint sich in den besten Silvanern zu großer Trinkfreude mit Feinheit, Saftigkeit und Eleganz. Weingut am Stein wie gewohnt eigenwillig und mit markanter Würze, urwüchsig. Rudolf Mays Rothlauf ist dicht, hefewürzig, sehr cremig, kiesig-steinig, gelbfruchtig mit kandierter Zitrus-Ingwerfrucht, lang und sehr fein. Wäre da nicht Mays Himmelspfad im selben Flight, der alles zuvor und hernach in den Schatten stellt. Ein monumentaler Auftritt, opulent und dicht mit vollreifen Agrumen, gelber Birne und etwas Curry (Bockshornklee) in der Würze. May-typisch mit extrem gekonntem, geradezu verlockend-noblem Holzeinsatz wie aus Côte d’Or-artiger Meisterhand. Der Gaumen ist fest und konzentriert, dabei sehr samtig, anschmiegsam, weißer Pfirsich und Babybanane, Kamille, im Kern von Kräuterwürze und Extraktsüße getragen. Sehr feine Säurespur, das passt alles ganz hervorragend zusammen, ein gesamtkünstlerisches Meisterwerk. Fesselnd (98+/100)!
Horst Sauers Am Lumpen ist ein expressives Powerteil mit aromenexplosiver, fruchtbeladener Nase, geradezu ein scheinbares Sinnbild für 2018. Sowohl elegante, weiße Nashibirne als auch üppigere, gelbe Birne, zur Melone changierend, dazu etwas Kümmel. Der Mund kommt dann fast unerwartet mit erstaunlich viel Zitrusfrucht, aber alles reif und mild. Dennoch energetisch, herb und saftig mit viel Zug. Bestechend ist die Klarheit und schnörkellose Struktur, die Horst Sauers Gewächse stets auszeichnet. Man ist versucht hier einfach lecker zu sagen, ob der Delikatesse in diesem Wein, obwohl hier spürbar viel Substanz und Potenzial drinsteckt (96+/100). Im völlig aparten Luckert-Stil zeigt sich der Maustal Silvaner. Stückfass, Sponti und BSA, all-in für die ganz eigene Handschrift. Etwas Nashibirne und Ananas, nahezu ohne Süße in einem Bad aus cremiger Haptik schwimmend, mit anschmiegsamer, dezent-eleganter Säure. Ein klein wenig Nordrhône-Style in der Weißblütigkeit und der Präzision, ohne auf Säuren zu bauen. Luckert geht hier unbeirrt seinen eigenen Weg, top (96+/100)!
Letztendlich stellt aber der 2018er Himmelspfad Silvaner für mich die maximal mögliche Perfektion in diesem paradoxen Jahrgang zwischen Feinheit und Intensität dar. Ein großer Wurf von Rudolf May!
Weißburgunder für Rieslingtrinker
Weiter geht es mit Weißburgunder aus der Pfalz, hier gab es einen ausgesprochen spannenden Flight mit den drei Granden Bassermann, Knipser und Rebholz. Knipsers Kirschgarten ist weißfruchtig, vom Holz getragen, aber sehr fein. Bassermann mit etwas mehr Druck und zupackender Säure, gelbfruchtiger, also sehr Mittelhaardt-typisch, macht Freude. Schon im Frühjahr allerdings hatte sich für mich herauskristallisiert, dass ich Familie Rebholz’ Im Sonnenschein den wahrscheinlich grandiosesten Weißburgunder des Jahres finde. Wunderschöne, glockenklare Nase von reifer Amalfizitrone, knackig-frischer, grüner Birne, grüner Aprikose, dicht und kraftvoll, immens elegant und dabei stets mit vertikal-energetischem Charakter. Erstaunlich schwerelos, ob es an 0 % Holz liegt? Wer weiß. Wie man gaumenschmeichelnde Cremigkeit und substanzielle Tiefe in einen Burgunder bekommt, ohne ihn im Holzfass zu rühren kann nun bei Rebholz erfragt werden. Auch der Mund zeigt eine belebende, tänzerische Wirkung. Quitte und pinke Grapefruit, keine drückende Steinobstopulenz, keine Massivität oder Schwere. Ohne Blütenduftigkeit und ohne Schnickschnack. Leichtfüßig und doch intensiv, ganz einfach perfekt gelesen und dann perfekt in die Flasche gebracht. Ein Weißburgunder für herbe, steinsüchtige Rieslingtrinker. Superb – ich habe noch keinen Besseren aus 2018 gefunden (97–100/100).
Grandiosität ist kein Zufall
Eine ganz kurze, weil sehr zu erwartende Meldung bekommen hier Hegers 2017er Gras im Ofen. Sowohl als Grau- und auch Weißburgunder wieder ganz oben in der Spitze dabei. Aus dieser Lage kommt immer die größte Feinheit, irgendwie auch die größte Kühle bei Joachim Hegers Weißweinen, obwohl der Winklerberg durchaus ein ganz klein wenig warm ist. Aber Gras im Ofen ist quasi die Cool Climate Parzelle im vielleicht heißesten Weinberg Deutschlands. Auch 2017 ist der Grauburgunder hier ganz vorne mit seiner phenol-getragenen, feinsalzigen Eleganz. (95/100) Keinen Deut weniger elegant ist der Limettenschalenduft-verströmende, spannungsgeladene Weißburgunder aus derselben Vulkan-Kalk-Parzelle (96+/100). Das ist fast ein wenig Corton-Charlemagne in dieser geradeauslaufenden, den knackigen Jahrgang herauskristallisierenden Eleganz. Genau wie der Charlemagne am ansonsten deutlich heißeren Südost-Corton, zieht sich auch Gras im Ofen nach Südwesten weg und hat ebenso wie Charlemagne ein kühlendes Waldstück darüber liegend. Ebenfalls vorliegende Gemeinsamkeiten in der Grandiosität sind also kein Zufall.
Königsdisziplin Chardonnay
Die Königsdisziplin der weißen Burgundersorten ist aber fraglos der Chardonnay, der nur in Baden als GG zugelassen ist (nachdem immer mehr grandiose Rheinhessen Chardonnays vom Kalksteinfels auftauchen, könnte man mal über eine diesbezügliche Änderung nachdenken). Alle bis auf Wöhrle zeigen noch 2017er. Auch hier brilliert Hegers Gras im Ofen, der sich für meinen Gaumen aber zumindest im Bereich des Chardonnays dem alles überstrahlenden Bienenberg von Julian Huber beugen muss. Hier gibt es kein Vertun mehr, direkt beim ersten Hineinriechen wird klar: jetzt kommt ein Top-Chardonnay. Eine hypnotisierend-geniale, maßvoll(!) eingesetzte, den geneigten Burgund-Fanboy verrücktmachende Reduktionsnote umweht Kreide und Graphitabrieb. So kennt man das eher von der anderen Rheinseite… und von Julian Huber. Reduktion ist ein fragwürdiges Stilmittel, aber wenn es gekonnt eingesetzt wird, ist es ein turn-down Button für penetrante Frucht und ein Katalysator für mineralisch-steinige Nuancen, die wir Terroiristen so verehren. Bei Julian passt das meistens ganz ausgezeichnet und 2017 ist da wiederrum keine Ausnahme.
2017 gefällt mir nun mit einem Jahr mehr Abstand noch besser für weiße Burgundersorten aus Baden, weil diese intrinsische Spannung des Jahres den fülligen Badenern willkommenen Auftrieb verleiht. Julian erntet aber ohnehin früh und seine Weine bersten in nahezu jedem Jahr vor Energie. Feiner Zitronenabrieb, milde Limette, unreife Birne, weiterhin mineral- und reduktionsgetragene Anmutung. Der Mundeintritt ist Meursault mit etwas weniger Gewicht, etwas leichtfüßiger, filigraner wirkend als von der Côte d’Or. Hier spürt man Julians feines Händchen ganz besonders, kein Gramm Fett zu viel, kompromisslos und zwingend. Mit dem Antritt eines Sprinters zieht sich die zitruslastige Frucht über den Gaumen, gesalzene Limette, unreife Aprikose, grüne Quitte, definitiv stilistisch früh gelesen, einschneidend-intensive Säure als stilprägendes Element. Bestechend klare Aromatik, einnehmende Balance, bis aufs Äußerste geschärft, ein Wein wie ein Maßanzug. Für mich der mit Abstand größte hier gezeigte Chardonnay, wenn man denn Rasse(!) und Feinschliff den Vorzug vor Kraft und sanftem Volumen gibt. Das kann auch in Frankreich weiter oben mitspielen. Noch tiefer kann ich mich nun textlich nicht mehr vor diesem Stil verbeugen – I love it (97–100/100).