Françoise Bedel
Meine erste Station in der Champagne führt mich nach Crouttes-sur-Marne. Die kleine Gemeinde liegt im westlichen Teil der Champagne, gehört zum Marnetal und ist rund eine Autostunde von Paris entfernt. Die Besonderheit liegt hier in den Böden und den aus dem Terroir hervorgehenden Rebsorten. Denn anders als beispielsweise in Reims oder an der Côte des Blancs herrscht hier nicht der Chardonnay oder Pinot Noir. Es ist der Pinot Meunier (Schwarzriesling), der hier perfekt gedeiht. Diese Rebsorte hat unter den großen drei Rebsorten der Champagne vielleicht die schwächste Stellung, doch in den letzten zehn bis 15 Jahren hat sich enorm viel getan. Sie wurde lange deklassifiziert, als rustikale Rebsorte betrachtet, und fand mehr Einklang in den Cuvées.
Eine Vielzahl ambitionierter Winzer liefert seit Jahren den Gegenbeweis und so werden hier Pinot-Meunier-lastige Champagner vinifiziert, die eine ganz eigene Aromatik besitzen. Mein erster Stop ist bei Françoise Bedel. Jener Betrieb zählt zu den Toperzeugern des Marnetals. Françoise und ihr Sohn Vincent Desaubeau arbeiten biodynamisch. Dafür war eine Anpassung notwendig, die bereits 1999 vollzogen wurde. Die Weinberge sind bestens gepflegt. Vincent empfängt mich und erklärt, dass er die Umstellung im Gesamtkontext betrachtet. Es geht ihm sowohl um die Pflege und Reinhaltung der Weinberge als auch um den eigenen gesundheitlichen Aspekt. Die Biodynamik ist hier Lebensmodell. Ganz anders als beispielsweise in Le Mesnil-sur-Oger dominieren hier nicht die Kreideböden, sondern Mergel, Ton und Lehm. Dies sieht man auch gleich an den dunkleren Böden, die das Landschaftsbild prägen. Die Verbindung der Böden mit der Rebsorte macht die unterschiedliche Charakteristik aus. Die Champagner von Françoise Bedel sind kräftige, sehr komplexe Champagner, die ideale Essensbegleiter sind. Sie können ein ganzes Menü begleiten und sind daher weniger als Aperitif geeignet.
Vincent empfängt mich noch im alten Champagnerhaus. Aktuell wird bei Château-Thierry eine neue Halle gebaut. Der Platz hier ist zu klein, das Gebäude zu verwinkelt – auch wenn man nur etwas mehr als acht Hektar bewirtschaftet. Eine Besonderheit des Hauses ist der Einsatz von emaillierten Tanks. Vincent greift auf jahrzehntealte Tanks zurück, die er penibel und nur mit heißem Wasser reinigt. Sie haben eine alte Anmutung, sind innen aber bestens gepflegt. Stahltanks sind seiner Auffassung nach für den Pinot Meunier und speziell den Ausbau nicht gut geeignet. Was in den Tanks an Grundweinen liegt hat das Potenzial zur Topcuvée. Der Aufwand im Weinberg ist in allen Cuvées nahezu derselbe. Größtenteils entscheidet sich erst im Keller welcher Grundwein das Zeug für welches Cuvée hat – Charakterfrage also. Daher variiert die Produktion der einzelnen Cuvées auch von Jahr zu Jahr enorm. Einen schönen Start bietet die »Cuvée Originelle« die aus 75 % Pinot Meunier besteht. Der Extra-Brut-Champagner beeindruckt mit seiner rauchigen Note, Pumpernickel und gar etwas Hopfenaromatik. Erst mit Luft kommt grüne Birne durch. Am Gaumen zeigt sich dann eine klare Frische und ein salziges Finish.
Ich probiere zum Vergleich die Brut-Variante, doch die geringere Dosage betont den salzigen Charakter und ist meiner Auffassung nach kompromissloser. »Entre Ciel et Terre« stammt nahezu komplett aus dem Jahrgang 2006, hat aber auch einen Anteil aus 2005. Für mich der präziseste Champagner des Hauses – immer geradlinig und knackig. Ein sehr feiner Stil in der Extra-Brut-Dosage. Wer es ganz klassisch mag, muss den »Comme Autrefois« (übersetzt: wie einst) probieren. Eine Hommage an die »gute alte Zeit«. Die Champagner reifen hier noch wie früher auf echtem Kork anstatt Kronkorken und werden von Hand gerüttelt. Selbst die Agraffe aus Garn wird von Hand angebracht. Da der Champagner auch klassisch dégorgiert wird, also nicht durch das Einfrieren des Hefedepots, variiert der Flascheninhalt immer. So auch ein wenig der Stil. Auch die Perlage fällt etwas geringer aus. Über zehn Jahre reift der Wein hier, wobei die Mikrooxidation des Korkens den Wein im Charakter verändert. Ein einmaliger Champagner aus 100 % Pinot Meunier und pure Handwerkskunst.
Salmon
Eine gute Stunde – und ein ordentliches Schinkensandwich – brauche ich, bis ich bei Salmon in Chaumuzy, 20 Kilometer südwestlich von Reims, ankomme. Auch hier dominiert der Pinot Meunier. Direkt vor dem Heißluftballon, dem Erkennungszeichen des Hauses, geparkt, empfängt mich auch schon Alexandre mit Großvater Michel Salmon. Champagne Salmon ist deutlich größer als Françoise Bedel, zumindest was die Produktion angeht. Ein beeindruckender Gang durch die Keller zeigt das Flaschenlager. Hier arbeitet man bewusst mit INOX-Tanks und etwas Holz für die Topcuvées. Im Gegensatz zu Bedel steht hier keine pneumatische Presse, sondern der Klassiker der Champagne: die Korbpresse. Salmon ist Mitglied im »Club Tresor«, eine kleine Vereinigung von Champagnerwinzern. Jedes Mitglied bringt unter dieser Bezeichnung eine spezielle Cuvée hervor, die in ihrer Qualität von den anderen Mitgliedern erst freigegeben werden muss. Der Großteil sind hier Blanc de Blancs. Umso stolzer ist Alexandre, dass sein Club Tresor ein reinsortiger Pinot Meunier Blanc de Noirs ist. Alexandre hätte sich auch nicht verbiegen lassen wollen, denn die Rebsorte prägt den Betrieb und Standort. Ich probiere zunächst die Basis des Hauses, den Pinot Meunier Brut. Ein feiner Einstiegschampagner, der für Puristen aber etwas zu süß ausfallen könnte. Strahlende Augen dann beim 2012er Club Tresor, der nur im Stahltank ausgebaut wurde, undosiert im April 2016 auf die Flasche kam und drei Jahre Hefekontakt hatte. Sehr floral in der Nase, etwas Nashi-Birne und am Gaumen ein Fokus und messerscharfe Säure, wie man sie bei Pinot Meunier erst nicht erwarten würde. Schmeckt und riecht auch nach Austernschalen und Zitrusfrüchten. Knochentrockener Purist – I like it! Der »Rosé de Saignée, non Dosage« stammt aus einer Parzelle mit dem Namen »La vigne du grand pere«. Lachsfarben, feine Dosage, im Bouquet rote Beeren, viel Himbeere, auch rauchig. Auch am Gaumen erinnert er an feine Burgunder von der Hautes-Côtes de Beaune, ist sehr zart, säurebetont, animierend ob seines säuerlich rotfruchtigen Charakters. Transparent und filigran. Das macht viel Freude und ist wirklich zum Auseinandersetzen. Man entdeckt immer wieder neue Facetten im Champagner. AS steht natürlich für Alexandre Salmon. Das ist sein Baby, sein Spielzeug. Damit will er zeigen, dass man nicht nur Pinot Meunier beherrscht. 50 % Chardonnay aus 2006 und 50 % Pinot Noir aus 2007, beides im Holz gereift, der Chardonnay dabei deutlich länger – fast acht Jahre auf der Hefe. Die Nase erinnert etwas an Krug, nur dezenter im Holz. Viel Vanillin, viel Hefe, opulent, gegrillte Mandeln, am Gaumen sehr vielschichtig, auf der Hefe, Tiefgang, Ingwerschärfe, Boskoop-Apfel aber nicht oxidativ im Stil. Lang. Sehr gut. Erinnert auch an Bollinger, weil der Stil »weinig« ist. Man spürt das lange Hefedepot. Nur 2.000 Flaschen. Ein Champagner fürs große Menü und an Weihnachten.
Moussé Fils
Nur 20 Minuten brauche ich nach Cuisles. Cédric Moussé zeigt mir seine beeindruckende Halle. Ein ganz eigenständiger Charakterkopf: Humorvoll, bestens gelaunt und wie alle Champagnererzeuger unglaublich freundlich. Man fühlt sich automatisch willkommen, als würde man sich seit Jahren kennen, einen alten Freund besuchen. Weiter geht es im Marnetal. Dieser Betrieb existiert seit dem frühen 20. Jahrhundert. Die Trauben wurden früher an die großen Häuser geliefert, bis man das Potenzial und die Flexibilität erkannte.
Cédric unterstützt seit Anfang der 2000er-Jahre seinen Vater. Der Betrieb ist ebenfalls Mitglied im »Club Tresors de Champagne« und natürlich bester Lieferant für Pinot Meunier. Ich probiere die aktuelle Kollektion sowie die neuen Cuvées. Denn hier findet ein großer Wechsel statt, es wird neue Abfüllungen geben. Terre d’Illite ist ein feiner Jahrgangschampagner aus 2011. Typisch zugänglich für das Jahr, knackig in der Säure. Fast nur Pinot Meunier, ein Schuss Pinot Noir. 48 Monate Hefekontakt sorgen für Cremigkeit und Spannung. Der »Special Club 2012, Rosé de Saignée« ist dann ein echter Knaller. Zwei Gramm pro Liter Dosage. 100 % Meunier. Knallig rosafarben, keine malolaktische Gärung, viel Walderdbeeren, auch Unterholz, Nelke, etwas Zimt. Am Gaumen würzig und vielschichtig. Sehr schade, dass es hiervon nur rund 600 Flaschen gibt, aber es wurden nur zwei Fässer erzeugt. Durch den Stil des Hauses zieht sich die pikante Säure und knackige Frische. Das ist das Gegenstück zu Françoise Bedel. Also mehr Champagner zum Aperitif.
Suenen
Mein letzter Stop des Tages bringt mich nun in eine andere Region der Champagne. Ich bin an der Côte de Blancs, genauer gesagt in der Gemeinde Cramant, die an Avize grenzt. Das bedeutet auch, dass wenn wir hier von Champagner reden, fast ausschließlich Blanc de Blancs aus Chardonnay von Kreideböden gemeint ist. Es wird mein persönliches Highlight des Tages, auch wenn mich Cramant mit heftigem Regen begrüßt. Zur Klingel des Hauses geeilt, muss ich erst mal deutlich gegen den Himmel blicken, denn Aurélien Suenen ist mindestens zwei Köpfe größer als ich. Kein Wunder, der noch junge Winzer ist eher Quereinsteiger – er war zuvor Basketball-Trainer. 2009, nach dem Tod seines Vaters, war er gezwungen den Betrieb zu übernehmen. Das bedeutet auch, dass die bisherigen Champagner bis 2008 noch ausschließlich Erzeugnisse des Vaters sind. Seitdem hat Aurélien einen rasanten Aufstieg in der Branche erfahren – wie nur ganz wenige andere. Wenn man mit dem 1985 geborenen Aurélien Suenen (ausgesprochen: Svenen; die Vorfahren kamen aus Luxemburg) spricht, greift man auf einen Erfahrungsschatz zurück, wie ihn die führenden Erzeuger der Region besitzen. Ein wahnsinnig visionärer Charakter. Aurélien will den Betrieb komplett nach seinem Gusto ausrichten. Daher befindet sich viel in der Schwebe. Den Roséchampagner wird er nicht mehr erzeugen. Der Fokus liegt jetzt auf 100 % Chardonnay. Er hat Parzellen abgegeben und wird seine Champagner bei nur drei Hektar lagengetreu ausbauen – die für seine Konstellation einzig sinnvolle Schlussfolgerung. In Chouilly und Cramant steht der Großteil. Noch ist er nicht biodyn-zertifiziert. Er will erst nach vollständiger Umstellung als Biodyn-Winzer benannt werden, alles andere empfindet er als unkorrekt. Dies wird er wohl im Jahr 2016 erreichen. Er gibt selbst zu, dass er in den ersten Jahren nicht fähig war diesen Schritt zu gehen. Zunächst wollte er jede Facette verstehen. Er zeigt mir seine Parzellen, diese sind so gut gepflegt wie in kaum einem anderen Champagnerhaus der Reise. Sie stehen in bester Exposition, nebst großen Kollegen wie Anselme Selosse. Grüne, stark aufgelockerte Böden, alte Reben. Im Keller experimentiert er noch gerne. Hier stehen Stockinger nebst Betonei, Barrique und INOX. Wie auch immer er sich entscheidet, die Champagner prägen zwei Facetten: Frische und Präzision. Die Hauptaromen seiner Champagner sind Agrumes (Zitrusfrüchte) und Salzigkeit. Sein großes Vorbild ist Nachbar Agrapart. Er schätzt außerdem die Champagner von Lassaigne und Vergnon. Es ist ziemlich klar wo das enden wird. Ein Top-Class-Erzeuger, der noch ganz am Anfang und gleichzeit schon jetzt im Dunstkreis der besten Erzeuger steht.
Die Weine sind quasi alle mindestens Extra-Brut. Dadurch arbeitet Aurélien Suenen den Charakter seiner Parzellen besser heraus, anstatt sie mit einer höheren Dosage zu überschminken. Mindestens sechs Monate reifen die Flaschen im Lager. Mehr Platz hat Aurélien noch nicht. Daher sollte man seine Cuvées, wie er selbst sagt, noch gerne ein paar Monate lagern – dann sind sie perfekt. Ich probiere hier die zukünftigen Cuvées. »Oiry« ist ein Blanc de Blancs aus Grand-Cru-Gemeinden und Extra-Brut. 11.346 Flaschen, 300 Magnums und 40 Jeroboams wird’s geben. Herausgabe ist im Herbst 2016. Keine Schönung und Filtration oder Kaltstabilisierung. Spontan angegoren und dann mit Reinzuchthefen nachgeimpft, 25 % im Holz ausgebaut. Zart blasses hellgold, das Bouquet ist eine Mischung aus süßer Zitrone, weißen Blüten, und Salzwasser. Am Gaumen so schön reduziert, keine überbordenden Bubbles, viel Zitrus, Kalkaromatik, präzise. Baut einen schönen Spannungbogen auf, exotischer Stil. »C+C« steht für die Cuvée aus Parzellen aus Cramant und Chouilly, die hier gemeinsam Einklang finden. 36-jährige Reben im Schnitt mit NW-W Exposition. Hier hat man viel duftende Amalfi-Zitronen, grüne Birne, und florale Noten. Das ist noch präziser, etwas cremiger, aber mineralischer als der Oiry. Aber ebenfalls kristallin und zitrusbetont. Ich freue mich schon auf die finale Cuvée mit etwas mehr Flaschenreife. Das sind extrem puristische Champagner, die für Liebhaber Agraparts prädestiniert sind – kreidig und kompromisslos. Aktuell gibt es noch eine letzte Chance die Champagner des Vaters zu verkosten.
Der nächste Trip führt mich dann nach Le Mesnil-sur-Oger.
Bericht folgt.