Als wir uns vor wenigen Wochen im Düsseldorfer Szeneviertel am Medienhafen einfinden, schwelt unterbewusst schon die Gewissheit, dass das wohl für eine ganze Weile eines der letzten Business-Events außer Haus sein wird. Noch einmal einen hedonistischen Abend im ganz kleinen Rahmen zelebrieren, bevor es ins Home Office geht.
Mitten im kreativen Medienhafen residiert das »Berens am Kai«. Ein Klassiker der Haute Cuisine in diesem schick-coolen Ambiente, ein spannender Kontrast. Seit Februar glänzt das Spitzenrestaurant in einer neuen, elegant-legeren Atmosphäre mit Lounge-Charakter. Der einmalige Ausblick durch die Fensterfront über den Rheinhafen mit seiner Mischung aus Industrie-Elementen und moderner Architektur ist schlicht spektakulär und unterstreicht die mondäne Atmosphäre im »Berens« auf extravagante und zugleich lässige Art.
Obwohl die Weinkarte hier einige Delikatessen bereit hält, haben wir unser eigenes kleines Weinpaket für diesen Abend geschnürt. Denn wir möchten dem genialen 2016er Jahrgang ein Blind-Tasting mit den Giganten der Toskana widmen. Blindproben – die Königsdisziplin der Masters of Wine und Master Sommeliers, die unkontextualisierte Wahrheit im Glas, nur der Geschmack zählt. Einerseits ist das die verlässlichste Art unvoreingenommen zu probieren, andererseits fehlt eben auch etwas von der Emotion, die überwiegend erst durch Kontext entsteht. Was wir hier probieren, zeigt aber auch ohne Kontext fraglos Größe und unterstreicht 2016 als Überjahr der Eleganz und Feinheit. In der Toskana wie auch im Piemont gibt es nur sehr wenige ebenbürtig große Jahrgänge. Nach einem bereits atemberaubend guten Jahrgang 2015, der annähernd perfekte Trauben gedeihen lies und so viel wollüstigen Charme aus hoher Reife brachte. Dann kam 2016 mit ebenso makellosem Traubenmaterial und satter Reife, aber etwas kühler in der Anmutung, meist etwas höher in der Säure und ein bisschen dunkler in der Aromatik. Zwei Traumjahrgänge, die Geschichte schreiben, weil sie so nah an der Perfektion sind.
Nun geht es also um die famos frischen 2016er. Wir probieren Felsina aus der Top-Lage Rancia, Fontodis Gran Selezione Vigna del Sorbo, den Bordeaux-Blend Saffredi von Le Pupille, Antinoris großen Klassiker Tignanello und Isole e Olenas Meisterwerk Cepparello. Als blinden Passagier haben wir noch den kleinen Poggio Valente von Le Pupille an Bord, um uns etwas einzunorden und nicht nur ganz große Weine im Panel stehen zu haben. Im ersten Flight vor dem Essen werden die Weine blind in nummerierten Karaffen serviert. Die Nachprobe-Runde folgt dann erneut blind, aber mit einigen Stunden Luftkontakt nach dem Essen.
Zum genussvollen Auftakt gibt es einen gratinierten halben Hummer mit kleinem Salatbouquet, danach genießen wir gemeinsam zwei knusprig krosse Perlhühner aus dem Ofen. Das Grande Finale ist neben den Weinen ein luftiger Käsekuchen nach japanischer Art, und eine Auswahl feinster Rohmilchkäse. Im »Berens« geht ein sehr sympathischer Service mit großer Küche ohne viel Chichi einher, wirklich klasse. Großes Kino auf den Tellern und in den Gläsern. Vereint im Genuss.
Wein Nr. 1 – Le Pupille – Poggio Valente 2016
Viel dunkle Waldbeeren in der Nase, dazu etwas Weihrauch und Orangenabrieb. Sehr lecker, saftig, vollmundig und weich. Wirkt in der Reihe nicht ganz so scharf gezeichnet wie die anderen, etwas weniger spannungsgeladen und das Tannin ist eher mürbe. Die Struktur ist insgesamt nicht so ehrfurchtgebietend wie bei den anderen Weinen, dennoch eine ausgesprochene Delikatesse mit supersaftiger Frucht. 92–94/100
Wein Nr. 2 – Fontodi Chianti Classico Gran Selezione Vigna del Sorbo 2016
Eine wilde Nase, Leder, Teer, ein ganz kleiner Hauch Pferdestall ist da schon dabei, was aber recht gut in die Stilistik passt, solange es nicht Überhand nimmt. Ein bisschen »Brett« ist nett, sagte schon mein Sensorik-Professor in Geisenheim (Brettanomyces sind Wildhefestämme, die sich gerne in Weinkellern und Fässern einnisten und maßgeblich für die animalischen Aromen verantwortlich sind). Daneben satte Beerenfrucht, eher dunkel mit zarten roten Einschüben, Brombeere und Cassis mitsamt Stängeln, Himbeere, alles leicht angetrocknet, feine Kräuter. Dicht, üppig und voluminös mit viel Druck und immensem, vom Tannin getragenen Nachhall. Sicher nicht der stylischste und geschliffenste Wein in der Reihe, aber sehr charakterstark und durchaus beeindruckend. 95–96+/100
Wein Nr. 3 – Le Pupille – Saffredi 2016
Der Wein, der alle direkt mit der Harmonie, Eleganz und überragenden Frische, die er ausstrahlt, begeistert. Sehr ätherisch, Minze, Thymian und Lavendel über dichter, samtiger, ultrafeiner, schwarzer Frucht. Das Ganze ist durchzogen von kreidig-salziger Mineralität. Der Wein ist mundfüllend und wunderbar texturiert am Gaumen mit perfektem Zusammenspiel aus üppigem, aber extrem feinkörnig-kreidigem Tanninpolster, ultrapräziser, salzbeladener Säurespur und samtig-delikater Fruchtopulenz. Gleichzeitig so pikant, mit kräuterwürziger Kühle bei immenser Frische, die dem voluminösen Körper perfekt Paroli bieten und eine Balance der höheren Art herstellen. Dieser Wein vereint alles in sich, was 2016 so großartig macht. Cassis, Brombeere, Schwarzkirsche, umhüllt von herber Valrhona-Schokolade, Rauch und Minze. Alles fein verwoben, dicht und reich. Die mühelos elegante Kombination aus feinem Salz, kreidigem Tannin und saftiger Frucht lassen einen Gesamteindruck von Umami entstehen, wie ein Stück Wagyu oder alter Parmesan, die auf der Zunge schmelzen. Sowohl bei der ersten als auch bei der zweiten Runde der Verkostung der einstimmige Sieger aller Beteiligten. Großes Kino, das macht richtig Freude. 99–100/100
Wein Nr. 4 – Felsina Chianti Classico Riserva Vigneto Rancia 2016
Schöne Komposition aus dunkler Frucht mit rötlichen Einschüben, Schwarzkirsche, Herzkirsche, Pflaume und Schlehe, dazu Gesteinsmehl und saline Muschelschale. Samtig und dicht im Mund mit feinporigem Tannin, das sich wie ein Teppich über den Gaumen legt. Fein verwobene dunkle Frucht, die aktuell noch etwas bedeckt wirkt und von den steinigen Noten überflügelt wird. Vielleicht auch weil die Frucht hier noch nicht ganz so charmant strahlt momentan, landet der Wein nicht auf der vorderen Plätzen. Es gibt aber deutliche Anzeichen, dass sich dies mit einer Reife auf der Flasche noch ändern wird und sich der mineralisch geprägte Wein in die verführerischere Frucht öffnen wird. Der Wein zeigt nicht ganz die verblüffende Zugänglichkeit, die viele 2016er ob ihrer perfekten Balance und hohen Reife haben. Das Jahrgangs-typische Rückgrat, die geschliffene Eleganz und intrinsische Frische hat er aber allemal. 95+/100
Wein Nr. 5 – Isole e Olena – Cepparello 2016
Überwältigende Nase von dunkel-samtiger Frucht. Nur riechen reicht eigentlich schon, ganz wunderbar. Brombeere, Cassis und Veilchen könnten zunächst auch auf Cabernet Sauvignon schließen lassen, aber 2016 ist auch die Sangiovese aromatisch eher dunkel ausgefallen, somit muss das noch nicht viel heißen. Gewürznelke und Lakritze spenden eine feine Süße im Kern. Salzig-pikante Säurespur, Orangenschale, und im Mund nun auch deutlich rotfruchtiger, Granatapfel, erdig, ein bisschen spicy. Dabei ultrapräzise trotz der voluminös-samtigen Charmeoffensive. Wohl doch eher ziemlich perfekte Sangiovese mit dem dunklen Touch des Jahrgangs in der Nase und dieser einfach entwaffnend-perfekten Balance. Was für eine große Delikatesse, jetzt schon zum Reinspringen schön, aber mit Potenzial ohne Ende. 97–99/100
Wein Nr. 6 – Tenuta Antinori – Tignanello 2016
Dieser Wein zeigte ähnliche Schärfe und Präzision in der schwarzen Frucht wie der allgemeine Favorit, die Nr. 3 (Saffredi) – vielleicht einen Ticken weniger stylisch. Dennoch unglaublich poliert, fein und geschmeidig verwoben präsentiert sich schon der Duft. Schwarz-rote Kirsche sowie schwarz-rote Johannisbeere, Quatre Épices, Feuerstein und Kreidestaub, frisch aufgewühltes Erdreich, Chamäleon-artige Komplexität. Das Ganze ist mit brillanter Frische unterlegt und strahlt wollüstige Kraft aus. Dieser Wein hat wohl die deutlichste Verwandlung an der Luft hingelegt und sich bei der zweiten Probe so viel besser präsentiert, dass er mindestens einen Platz gut gemacht hat beim Nachskalieren. Anfangs wirkte die Struktur noch etwas rau, mit ehrfurchtgebietendem Rückgrat, dass den Charme-Charakter des Weines etwas untergraben hat. Doch in der Karaffe wurde die Frucht einnehmender, die Tanninstruktur buttriger und die Frische kam noch prägnanter zum Tragen. Die samtige Frucht hat zwar durchgehend Druck gemacht und von unten heraus angeschoben, aber der sehr feste Kern wurde erst nach einigen Stunden fein aufgedröselt. Es folgt ein deutlicher Zugewinn an Harmonie. Oder anders, ein Wandel zum Hedonismus. Ein rassiger Wein mit mittlerem Körperbau bei hoher Intensität, der einige Reife in der Flasche auf jeden Fall reich entlohnen wird. Ein weiteres Mitglied im Team der 2016er Langstreckenläufer, grandios. 96–98/100
Das Jahr 2016 hat den Spitzenweingütern der Region alle Möglichkeiten eröffnet große Weine für die Ewigkeit zu produzieren. Dunkelfruchtig, geschliffen, ultraelegant und mit Zen-gleicher Balance präsentieren sich die Top-Weine des Jahrgangs einfach berauschend schön. Massive, aber butterweiche Tannine und ein nahezu perfektes Fruchtdichte-Säure-Verhältnis machen die Weine bereits jetzt schon unglaublich verführerisch und zugänglich. Aber alle Zeichen deuten darauf hin, dass sie ein ewiges Leben und eine sehr positive Entwicklung vor sich haben werden.
Einen ersten Ausblick darauf gab die atemberaubende Entwicklung des Tignanello über den Verlauf des Abends, wie sehr er mit Luft an Delikatesse und Geschmeidigkeit zulegt, und nochmal ein, zwei der anderen rechts überholt, phänomenal. Hier steckt so viel Potenzial drin. Von seiner wilden Seite hat sich an diesem Abend der Vigna del Sorbo gezeigt, der mit seinem sehr eigenwilligen Charakter und distinktiver Würze definitiv aus der Gruppe herausstach. An die geschliffene Eleganz des Saffredi oder die unglaubliche Gourmandise des Cepparello kam er damit in dieser Probe nicht ganz heran. In ein paar Jahren kann das durchaus wieder anders aussehen. Einen Achtungserfolg kann man auch Felsinas Riserva aus der Top-Lage Rancia zusprechen, die verhältnismäßig sehr preiswert ist und sich dabei auf Augenhöhe mit den absoluten Granden des Jahrgangs bewegt. Zudem stellt er mit seiner mineralisch-bedeckten Frucht ein ebenso hohes Entwicklungspotenzial in Aussicht. Der kleine Poggio Valente hat sich tapfer geschlagen in diesem Umfeld ganz großer Weine. Auch wenn es ihm im direkten Vergleich natürlich etwas an Struktur und Grazie fehlt, zählt er zu den absoluten Top-Werten des Jahrgangs mit seiner saftig-vollen Beerenfrucht. Wine Advocate Monica Larner hat 2016 zu DEM perfekten Jahr für Sangiovese ausgerufen.
Witzigerweise war unser Wine of the Night der einzige von allen, der keinen Tropfen davon enthält. Aber auch die Cabernet-Sorten sind im Jahr 2016 so wunderbar satt ausgereift, dass es nicht den Hauch von Grün oder Härte darin gibt, und es zugegebenermaßen gar nicht so einfach war, sie unter den reinen Sangiovese herauszuschmecken. Doch die Umami-artige Geschmacksexplosion des ultraeleganten Saffredi war einfach überwältigend schön an diesem Abend. Was für eine Rakete von Wein, die begnadete Winzerin Elisabetta Geppetti ist in ganz eigenen Universen unterwegs. Der Cepparello präsentierte sich ebenfalls in Bestform und stand dem strahlenden Sieger nicht viel nach. So eine charmante Wucht, mit nicht mal einem Hauch von Schwere. Das ist er wohl, dieser perfekte Sangiovese, den Monica Larner meinte.
Der große Gewinner
Ganz zweifellos ist der größte Gewinner des Abends der famose, an die Perfektion heranreichende Jahrgang 2016. Zusammen mit seinem ähnlich perfekten und doch total andersartigen Vorgänger 2015 stellt er wohl das Größte dar, was bisher in weiten Teilen Italiens erzeugt wurde. Da kann man nur zutiefst dankbar sein als Genießer für so viel Genialität und in Flaschen gefüllten Hedonismus. Gerade weil das Land aktuell mit der Corona-Epidemie durch seine schwerste Zeit seit dem zweiten Weltkrieg geht, sollten unsere Gedanken umso mehr mit diesen wundervollen Menschen sein, die für Genuss, Lebensfreude und Kultur stehen wie kaum ein Volk sonst. Wenngleich momentan physisch getrennt, sind wir doch vereint im Genuss.