Viele Winzer, von Bierzo über Rioja bis Priorat, sprechen von einem idealen »best ever« Jahr ob dieser perfekten Balance. Oder wie es Jean-Francois Gadeau, der französische Weinmacher von Artadi, ausdrückte: 2021 ist voll und reich, sehr fruchtig und saftig, aber ohne Kanten, unerhört seidig und mit einer aromatisch frischen Sensation, die ihresgleichen sucht. Ob die Weine den hohen Ausschlag des Hyperjahrgangs 2019 in Reife und Frische erreichen werden, ist noch nicht gänzlich abzusehen. Ich habe mir vorort einen Überblick verschafft...
Gastfreundschaft auf Remelluri
Am Montag, den 30. Mai 2022 flog ich nach Bilbao und fuhr dann nach Labastida in die Rioja Alavesa zum Weingut Remelluri. Nach meiner Meinung das am schönsten gelegene und einzige »Chateau«, dessen Rebberge komplett um das Weingut herum liegen. Ich kenne auf der Welt kein schöneres Anwesen, einfach ein historisch stylischer und romantischer Traum, den die baskische Familie in der letzten Generation über Umwege letztlich von den Mönchen erwarb.
Klassisch Bordelaiser Schule, es gibt den überragenden »Granja«, der Erstwein, der zu den allerbesten Weinen Spaniens zählt, und den immer noch hoch dekorierten Remelluri »Reserva«. Beide Weine biodynamisch und der Mittelweg zwischen der Moderne und der Tradition. Als ob Vina Tondonia und Ygay Gran Reserva mit Telmo Rodriguez‘ moderneren Superstars a la »Las Beatas« aus Lanciego eine Vereinigung eingingen.
Telmo und seine Schwester Amaya ließen es sich nicht nehmen mir zu Ehren eine fröhliche Schar befreundeter Winzer und Winemaker in den Garten einzuladen, und so wurde der erste lauschige Abend gleich ein beschwingtes Miteinander und aufregend vielseitiges Tasting. Beste deutsche Große Gewächse von der Nahe und Pfalz wechselten bunt zu Piere Peters Champagner. Michelini, Lanzaga, Artuke, Remelluri gaben den roten Rahmen. Es wurde spät und viel und durchaus kontrovers diskutiert.
Artadi
So eingeläutet verbrachte ich den ganzen Dienstag in Laguardia beim Weingut Artadi. Eine große Show, Juan Carlos und Sohn Carlos de la Calle hatten über zwei Tage 140 spanische und internationale Importeure eingeladen, um gemeinsam den Jahrgang 2021 zu verkosten und zu feiern. Ein buntes Rahmenprogramm mit wissenschaftlichen Vorträgen der angesehensten französischen Önologen und Bodenanalytikern sowie Sterneküche von der Küste machten dieses Tasting zu einem großen Event.
Der 2021er Jahrgang zeigte neben erwartet großer Klasse auch einige Überraschungen. Der weiße und der rote »Vinas de Gain« (eine Selektion jüngerer Reben aus allen großen Weinbergen) wurde erstmals im Reigen der großen Brüder und Schwestern gezeigt. Superbe und moderne Weine mit viel Frucht und etwas Neuholzstütze, beide 94-95 Punkte und in dem Preisbereich schon verdammt weit vorne in der Rioja. Unter den Crus faszinierte mich der preiswerteste »Valdegines« aus einer Ostexposition wie jedes Jahr. Im Mittelfeld war »La Hoya« wie schon 2020 echt groß. Die Sensation waren wie immer die zwei bekannten Superstars Carretil und Pison, auch wenn im Preis-Qualitäts-Verhältnis sicherlich La Hoya und Valdegines unschlagbar sind.
In Summe kann man 2021 eine hohe Fruchtreife attestieren, fast an 2019 herankommend. Seidigeres Tannin als 2019, eher im Stil von 2020. Dazu kommt aber ein sehr kühler Antrunk mit großer Frische und eine hohe Saftigkeit gepaart mit viel Graphit, Minze, heller Lakritze, Garriguewürze und etwas Nordrhone-Syrah-Stil. 2021 hat also einen ganz eigenen Stil und reiht sich meiner Meinung nach qualitativ bei 2019 und 2016 ein, knapp vor 2020 und 2018.
Telmo Rodriguez
Der dritte Tag gehörte Telmo Rodriguez und seinem Winemaker-Partner Pablo Eguzkiza. Einen Tag verkosteten wir Jahrgang 2019, das ist der 2022 erscheinende Jahrgang ihrer »Selecion Parcelaire«. Egal ob im Hochland vom nordwestlichen galizischen Valdeorras mit dem »As Caborcas« und seinen Brüdern, oder im extremen Hochland von Gredos bei Madrid der überragende 100 Punkte Wein »Arrebatacapas«, die 2019er waren das Beste was dieses Team je gezeigt hat. Lesen Sie meine Verkostungstexte, das ist sehr faszinierend.
Dass die Selektionsweine aus der Rioja mit »Las Beatas« und »Tabuerniga« zur absoluten Spitze Spaniens gehört ist nicht erst seit Parkers 100 Punkten bekannt. Der »Pago La Jara« und der sensationelle 18er »Matallana« aus Ribera del Duero machten das Starschnitt-Bild komplett. Und eine kleine, für mich glatt 100 Punkte werte Sensation kam am Ende. Der erst in ca. vier Jahren erscheinende »Granja« 2019, quasi die Gran Reserva von Remelluri aus uraltem gemischtem Satz.
Familie Eguren
Tag 4 ist der Familie Eguren gewidmet. Eduardo Eguren, Sohn des berühmten Winzers und Besitzer der Sierra Cantabria, Señorio de San Vicente und Paganos, Marcos Eguren, ist zwar der erklärte Nachfolger, aber weil Papa Marcos sich sicher noch 10-15 Jahre Zeit lässt den Chefsessel zu räumen, hat Eduardo sich mit Cuentaviñas erstmal selbstständig gemacht. Uralte Weinberge auf allerbestem Terroir in atemberaubender Lage katapultiert den in Kalifornien und Australien bestens ausgebildeten, extrem talentierten Winzer innerhalb erst weniger Jahre mit an die qualitative Spitze der Rioja. Superelegant, burgundisch, stilistisch sehr eigen. Selbst von seinen Wettbewerbern wird ihm diese Klasse bescheinigt. Ein Sympath mit drei großen Jahren nacheinander, dabei ist es schwer zu entscheiden, ob 2019, 2020 oder 2021 größer ist. Was für ein Debüt, so etwas habe selbst ich noch nie erlebt!
Alvaro und Ricardo Palacios
Der Abend gehört dann Alvaro und Ricardo Palacios. Ich treffe sie auf ihrem in Alfaro gelegenen elterlichen Weingut »Palacios Remondo«. Ricardo reiste aus Bierzo an, wo er als Winzer ihr gemeinsames Joint Venture Weingut »Descendientes de J Palacios« betreut. Hier auf bis zu 1000 Höhenmetern entsteht von Granit, Kalkstein und diversen Böden mit das Beste des Nordwestens, Mencia ist hier der König. Steilste Bergen und brutalste Steillagen sind hier Standard. Bis 120 Jahre alte Reben. Gern mal fullbunch. »Faraona«, »Moncerbal« und »Las Lamas« sind trotz der schwierigen 21er Wettersituation in Bierzo ganz groß. »Faraona« vielleicht best ever und wohl der beste 2021er der ganzen Familie. Rotfruchtig, enorm profund und hyperkomplex.
Alvaro kam aus dem Priorat. Nur Schiefer gibt es hier. Bis 1000 Meter hoch. Mal mit Eisen, mal mit Mangan oder Magnesium, mal mit Chlorid. Mal brutal steil wie an der extremsten Mosel, mal nur mittelsteil, aber extrem ist es hier immer. Oft Nordlagen, gern auch mal Nordost. Mal nur 50 Jahre alte Reben, mal 120 Jahre alt. Oft nicht entrappt. Hier regiert eine Art der Grenache, wie man sie in dieser brachialen Krautwürzigkeit und graphit-artigen Schwärze nirgendwo auf der Welt findet. Nicht everybodys darling, das ist gesichert. Obwohl… »Finca Dofi« zeigt schmelzige rote Frucht, das ist schon verdammt lecker. Der »L’Ermita«, vielleicht der majestätischste Wein Spaniens, braucht eher Jahrzehnte. Großes Kino aus den höchsten Lagen des Nordwestens und des Nordostens.
Und gestartet sind sie beide aus Alfaro vom elterlichen Riojaweingut. Aber auch das hier in der Rioja Orientali, ist reines Grenache-Land, zu trocken für Tempranillo. Mit dem »Quinon de Valmira« beweist Alvaro, dass Grenache auch in Rioja Weltklasse sein kann. Der Wein ist reinstes Chambolle Musigny, rote Kirsche und Johannisbeere und frische Zwetschge, ultrafein und saftig. Eher unfreiwillig muss ich ihm anerkennend 100 Punkte geben. Ganz nebenher macht ein weiterer Bruder Alvaros, Rafael, die vielleicht besten Weißweine Spaniens in Valdeorras. Talent gibts in dieser Familie reichlich.
Alegre Valganon
Freitag gehts zum Flieger. Vorher zum Supersympath Oscar Alegre im superschönen Sajazarra, quasi das kleine Salamanca der Rioja. Unbemerkt entstehen hier auf den Terroirs viele Superweine von Tondonia, La Rioja Alta und Murrieta. Allerbeste Lagen! Der noch eher unbekannte Neuwinzer Oscar Valegre heimste mit seinem Miniweingut Alegre Valganon gerade die zweitbeste Einzellagenbewertung im Falstaff Magazin ein. Sensationell elegante und ausdrucksstarke Weine entstehen hier auf nur 3,5 Hektar. Der in Italiens Universitäten ausgebildete Winzer arbeitete dann viele Jahre bei Alvaro Palacios und danach bei Telmo Rodriguez. Diese Klasse hat böse abgefärbt. Immer noch ein Geheimtipp, aber ganz große Finesse und Klasse.