Eine große Erwartungshaltung und Neugier trieb mich dazu, die Einladung des Weinguts Sandrone zum 40ig jährigen Jubiläum im Mai 2018 anzunehmen und meine jährliche Barolo Verkostungsreise vorzuziehen. Also dieses Jahr Barolo als Fassprobe.
Trediberri
Es ging Sonntag los mit einem überaus spannenden, brandneuen Weingut in La Morras Annunziata, Trediberri, in Steinwurfentfernung mitten in der Toplage Rocche gelegen, in der sie mit 1,5 Hektar direkte Nachbarn von Roberto Voerzio sind. Diese 1,5 Hektar sind seit Generationen Familienbesitz, der Vater des heutigen jungen Besitzers Nicola Oberta und seiner nicht minder ambitionierten Frau Steffania, hatte den Weinberg immer an seinen früheren Arbeitgeber Ratti vermietet. Nicola arbeitete bei Merryl Lynch in London im Investmentbereich, Steffania bei Price Waterhouse Coopers in deren Londoner Rechtsabteilung als Anwältin. Als beide buchstäblich die Schnauze voll hatten vom Establishment und Internationalität, erinnerten sie sich an ihre Ursprünge. Sie kommt aus Alba, er aus La Morra. Und sein Vater ging in Rente. 1,5 Hektar besten Weinbergs Rocche. Nicola und Steffania träumten ihren Traum vom biologischen Weingut in La Morra im Zeitraffer. Nicola gewann einen der bekanntesten Banker und Finanzmagnaten des Piemonts und einen weiteren Freund, zusammen investierten sie in den Ankauf von 5 Hektar brachliegender Barolo-Fläche in Berri. Tre de Berri (drei aus Berri) – der Weingutsname war geboren. Dazu den Rocche aus Annunziata, die Mitgift des Vaters. Das Terroir in Berri ist Kreide und Kalkstein, hochfeine und mineralisch salzige Weine kommen von diesem Terroir. Und das aus mehr als 400 Metern Höhe. Cool climate! Aber die Freunde mussten erst mal 2006 alle 5 Hektar neu pflanzen. Selection Massale aus dem Rocche und anderen Toplagen. Verschiedene schwachwüchsige Unterlagsreben. Und das auf eine langen Brache, perfektes Bioland, Jahrzehnte weder Pestizide noch Herbizide noch Kunstdünger. Was für eine Ausgangslage!
Und so präsentieren sich die 15er Bio-Barolo auch glasklar. Reich und doch überaus strukturiert und voll mineralischer Spannung. Ein salzig rotfruchtiger und mineralischer Charmeur vom Kreideboden aus Berri. Zu junge Reben für absolute Größe, aber starker Stoff dafür. Rocche aus uralten Reben und der von Südost bis Südwest reichenden, warmen Amphitheaterlage in 250 Metern Höhe. Intensiv und doch eher rotfruchtig und seidig im Tannin. Superber Stoff und nicht dramatisch weit weg vom Nachbarn und Extremisten Roberto Voerzio. Klare 3 Punkte hinter dessen 100 Punkte Wein aber doch. Macht nichts, dennoch fast ein großer Wein hier!
Elio Altare & Corino
Am nächste Morgen folgten dann Silvia Altares 2015er Barolo und 16er Tafelweine. 2015 mit warmer, reicher Frucht, viel Struktur und verblüffender Frische, wenn man nicht zu spät gelesen hat. Cannubi war »best ever« und glatt 100, der beste Barolo, den ich hier je probiert habe. Selbst der Uno per Uno, die handentrappte Auslese aus dem Arborina, war knapp geschlagen. Aber alles war groß hier, auch der Arborina und erst recht der grenzgeniale Cerretta aus Serralunga. Der Village 2015 war mit 94–95 gleichauf mit dem zugleich probierten Village Barolo von Corino, dessen grandios frischer, rotfruchtiger Barolo Giachini mit 98+ an die Phalanx der besten Weine Altares Anschluss halten konnte. 2016 wird scheinbar ähnlich gut oder gar besser, denn der Barbera Larigi war mit 99–100 auch noch nie zuvor so gut, und der Arborina lag nur einen Punkt dahinter.
Aldo Conterno
Dann kam abends die große Stunde von Aldo Conterno. 2015 Barolo vom Fass wollte mich der geschäftsführende Sohn des Hauses, Giacomo Conterno, der das Weingut mit seinen Brüdern Franco und Steffano führt, nicht probieren lassen. Dafür den berauschen frischen und überaus grandios aromatischen Il Favot aus jungen Barolo-Reben der besten Lagen. Eine kleine Sensation. Dann hatte ich die große Ehre als erster Besucher überhaupt, und als erstes Nichtfamilienmitglied, den Granbussia 2010 zu verkosten. Er kommt erst September 2019 auf den Markt. Der Wein steht in seiner grenzenlosen Finesse und unendlich feinen Intensität über allem, was ich je im Piemont probiert habe, sogar über dem vor 6 Monaten probierten Monfortino des Cousins Roberto.
Was für ein Tag im Piemont. Dazu mittags die beste Weinkarte und Terrasse nebst Aussicht des Piemonts, Restaurant Bovio in La Morra, und abends mit Giacomo und einem unglaublichen Gaja Barbaresco 1988 in der traumhaft guten Trattoria della Posta in Monforte. Leben wie Gott in Frankreich ist ein dummer Spruch gegen die Realität in der Langhe.
Voerzio
Dienstagmorgen um 10 probiere ich die 2015er Barolo von Roberto Voerzio vom Fass bzw. Tank. Die warme rote Frucht erinnert mich instinktiv an 1990. Ich habe lange nach dem verwandten Jahrgang zu 2015 in mir gesucht. 1989 ist ein Riese, das dachte ich zuerst, aber 89 braucht länger, 2015 ist wärmer und offener, 1990 passt ziemlich gut. Und in einem so warmen Jahr, dass aber trotz der warmen, reichen roten Frucht durch die kühlen Monate nach der Verfärbung im August die Frische so grandios bewahrte, ist es nicht verwunderlich, dass mir Robertos höhere Lagen so gut gefallen. La Serra ist vor Cerequio und Rocche meine Nummer 1 hier, unendlich fein sind aber alle drei Topweine. Charme, Wärme, Süße, Frische und Mineralität in einem großen, aber eher charmanten als tanninreich klassischen Jahrgang. Weine, die nach 10 Jahren große Freude machen, eine etwas konzentriertere Version der leckeren 2005er.
Bartolo Mascarello
Dienstagnachmittag dann Bartolo Mascarello. Wir probieren vom Fass erst die extrem klassischen, supereleganten und sehr strukturierten Barbera und Nebbiolo von 2016. Und wie die Fassproben der 16er bei Altare und Trediberri zeigt sich auch hier, dass 2016 noch vor 2015 DAS Jahr in Europa ist. Wie in Deutschland, in Bordeaux, an der Rhone, in Spanien, so auch hier. Unendlich elegant und stylisch mit einer unendlichen, versteckten Kraft dahinter, und mit einer königlichen Finesse. DIE Wiederholung von 2010 im Piemont. Danach Barolo 2015. Warm, fruchtig, reich, charmant, mineralisch und frisch. 2005 und mehr noch 1990. Ein Traumjahr, auch wenn gegen die Überjahre 2016 und 2010 sicher unterlegen. Oder anders ausgedrückt: 2015 und 2005 und 1990 sind die königlichen Delikatessen für reichen Genuss nach 10 bis 25 Jahren, 1989 und 2010 und 2016 laufen erst nach 25 Jahren zur Höchstform auf. Genuss gegen Unendlichkeit.
Roagna
Mittwochmorgen Luca Roagna auf seinem Weingut Pira in Castiglione Faletto. Die Bestätigung der Ausnahmestellung in unendlicher Feinheit. Barolo Pira VV nebst Barbaresco Asili VV und Crichet Paje VV. Alles aus 70 bis weit über 100 Jahre alten Reben. 2012 kam gerade, 2013 erst zum Winter. Bis auf Villero von Vietti, Granbussia von Aldo Conterno, Monfortino von Giacomo Conterno, Ca’ d’Morissio von Giuseppe Mascarello und die Crus von Gaja gibt es in seiner Qualitätsliga keine Gegenspieler. Abgespaced! Neu dazu der auf 30–50 Jahre Entwicklung in der Flasche angelegte weiße Timorasso. Roagna ist zur Zeit und zu recht der angesagteste Winzer!
Sandrone und Conterno Fantino
2015er Barolo von Sandrone und danach die 2015er Barolo von Conterno Fantino. Die besten Lagen von Barolo (Cannubi) und Monfortes erste Reihe von Ginestra und Mosconi bestätigen den 2005er + Stil und Qualität von 2015. Immense süße rote Frucht mit sattem seidig samtigem Tannin und Frische und irre salziger Mineralität und Terroirabdruck. Das ist ein tolles Jahr. Nicht so fein wie 2010, aber danach ziemlich vorne, das wird schon in 5–10 Jahren samtig dichter und mineralfrischer Hochgenuss.
Elio Grasso
Am nächsten Morgen geht’s weiter in Monforte. Elio Grasso, DER Meister von Ginestra. 2015 zeigt die Feinheit und Verspieltheit von 2012, dazu die süße, rote Frucht von 2005 und die Frische und den mineralischen Abdruck aus 2008. Was für ein charmantes Traumjahr!
Luigi Pira
Dem stehen Luigi Pira in Serralunga und Vietti in Castiglione nun so gar nicht nach. Pira zeigt in der reifen Süße mit frischer roter Frucht und viel salziger Mineralität sein bestes Jahr, seit ich hier probiere. Selbst 2010 gefiel mir hier nicht so gut wie 2015, die süße, reiche, frische Frucht aus 2015 bändigt die Strenge der eisenhaltigen Böden aus Serralunga aufs Feinste.
Vietti
Zu Vietti gibt es wenig mehr zu sagen als immer. Ist der Ravera aus Novello nun der Wein des Jahres? Oder Rocche aus Castiglione? Egal, Vietti war 2010 und 2011 und 2012 und 2013 und 2014 einer der Top 3 – ist er 2015 vielleicht klar und allein die Nummer 1?
Resümee
2015, das ist mein Resümee, ist nicht der alleinige beste Jahrgang meiner Verkostungshistorie in der Langhe. 2010 ist wohl best ever, Fassproben aus 2016 belegen dessen Wiederholung im nächsten Jahrgang. ABER: 2015 ist für mich klar vor 2005, 2008 und 2012, weit vor 1990, ’97 und 2007, der leckerste Jahrgang, den ich kenne. So reiche, süße, rote Frucht mit famoser Frische und seidig samtigen Tanninen bei komplexer Mineralität und einer Halbwertzeit von geschätzten 25–30 Jahren. So köstlich kann Barolo wirklich sein!