Von Elias Schlichting

Paradox? Oxidation und Reduktion

Das sehr komplexe Zusammenspiel von Oxidation und Reduktion bekommt durch den weitgehenden Verzicht auf Schwefeldioxid natürlich nochmal eine neue Dimension. Schwefel ist der einfachste und wichtigste, aber nicht der einzige Oxidationsschutz für Wein. Will ein Winzer versuchen ohne oder mit möglichst wenig davon auszukommen, müssen diverse andere Parameter umso mehr erfüllt sein.

Lesegut

Ein gezielter Einsatz von Trockeneis während und nach der Ernte für einen Sauerstoff-minimierten und kühlen Transport ist in den Ländern der Neuen Welt weit verbreitet und auch zur Naturwein-Erzeugung ist es hilfreich. Während und nach dem Pressen der Trauben ist ein Einsatz von Inertgasen wie Kohlendioxid, Argon oder Stickstoff ein veritabler Ersatz für Schwefel als Schutz vor zu viel Sauerstoffkontakt. Auch danach sollte es möglichst reduktiv weitergehen. Das heißt Behälter sollten stets komplett gefüllt sein, möglichst ohne Oberfläche. Auch ein ausgedehnter Kontakt mit der Hefe ist ebenso sinnvoll wie zielführend, da sie ein starkes Reduktionsmittel ist und den Einsatz von Schwefel weitgehend ersetzen kann. Auch das Behalten der während der Gärung entstehenden Kohlensäure dient als Oxidationsschutz. Sie wird bei Natural Wines häufig mit abgefüllt und bitzelt ein wenig auf der Zunge. Sturzkaraffieren oder die Flasche leicht Schütteln vor dem Öffnen schaffen Abhilfe - unkonventionelle Weine erfordern unkonventionelle Methoden!

Karaffieren

Gute Naturweine sind also trotz des Verzichtes auf Zusatz von Schwefeldioxid sensorisch nicht zwingend oxidativer als konventionelle Weine und schon gar nicht oxidiert. Dennoch weisen sie natürlich häufiger Aromen auf, die mit Oxidationseinflüssen in Verbindung stehen. Noten von fermentiertem Apfel oder Birne, Curry, Wurzelgemüse oder Nüssen findet man in Naturweinen sehr viel häufiger. Generell erwecken sie eher den Eindruck von erdigen, mineralischen oder elementaren Aromen als von reiner Frucht. Das lässt Naturals oft mehrdimensional und charaktervoll erscheinen und macht sie zu äußerst interessanten Speisebegleitern. Nur einer von vielen guten Gründen, weshalb sie sich in der Sommelier- und Gastroszene weltweit so großer Beliebtheit erfreuen. Es ist die große Handwerkskunst der Naturwinzer, diese Nuancen harmonisch einzubinden und zu einem ansprechenden, lebendigen Aromenspektrum zu vereinen. Das ist alles andere als einfach! Deshalb gab und gibt es auch dermaßen viele minderwertige, viel zu schräge Natural Wines.

Der Hotspot der oxidativen Drahtseilakte ist – neben Andalusien – das französische Jura. Viele Naturwinzer ließen und lassen sich vom Jura inspirieren und begeistern. Als Guillaume d’Angerville aus dem burgundischen Volnay seine Dependance im jurassischen Arbois begann (Domaine du Pélican), gab er ganz offen zu, dass er natürlich zunächst sehr reduktive, burgundische Weine hier erzeugte. Schlicht und ergreifend, weil er dieses oxidative Spiel noch nicht wirklich beherrschte und erst von seinen neuen Nachbarn lernen musste. Sich im Spannungsfeld zwischen Oxidation und Reduktion zu bewegen, hat viel mit Empirie, Mut und Gelassenheit zu tun. Genauso verhält es sich mit dem Natural-Winemaking. Das bewusste Weglassen bewährter Methoden, die eben vor allem auch Sicherheit vermitteln, ist etwas worauf man sich nicht nur einlassen, sondern es auch beherrschen muss.

Guillaume d’Angerville – Domaine du Pelican
Guillaume d’Angerville – Domaine du Pelican
Enthält Sulfite
Enthält Sulfite
Schäfer-Fröhlich
Schäfer-Fröhlich-Reduktion – im Glas ;-)

Wir haben heute eine teils weit auseinander divergierende Wahrnehmung und Bewertung solcher und anderer »alternativer« Weinstilistiken und Aromenausprägungen. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass einige der interessantesten Weine der Welt unter der Kategorie Landwein oder IGP laufen, weil sie (bewusst) gegen Appellations-Statuten oder eine wie auch immer definierte »Typizität« verstoßen. Auch jeder Naturwein-Winzer kann ein Lied davon singen.

Natural Weine sind aromatische Chamäleons. Sie bewegen sich kaleidoskopartig in diesem Spannungsfeld aus Oxidation und Reduktion. Einerseits sind sie auf Grund des weitgehenden Verzichts auf Schwefel aromatisch tendenziell immer auf der oxidativeren, erdigeren, nussigeren, pflanzlicheren Seite unterwegs. Andererseits drückt ihnen auch ein zwingend reduktiver Ausbau seinen Stempel von mineralischen, animalischen und eher elementaren Nuancen auf. Das ist unglaublich spannend und eröffnet völlig neue Aromenwelten und Geschmackseindrücke. Die Glücklichen sind neugierig.

Elias Schlichting

Elias Schlichting

Elias liegt der Wein im Blut, schon sein Großvater besaß einen Weinberg in Heidelberg. Das er mal Weinwirtschaft studieren und dann bei Lobenbergs Wine Scout werden würde, konnte damals natürlich niemand ahnen. Elias liebt Weine aus dem Burgund, aber auch alle anderen guten Tropfen liegen ihm schwer am Herzen. An den Entdeckungen seiner Weinreisen lässt er uns alle teilhaben.

Weiterlesen

Naturwein

Naturwein

Im engsten Sinne des Begriffs ist ein »Naturwein« einfach ein in irgendeinem Behältnis fermentierter Traubensaft, der nach der Gärung...

Orange Wine

Orange Wine

Der Begriff Orange Wine an sich ist nicht synonym mit »Naturwein«, ein Orange kann ein Naturwein sein, muss es aber nicht. Er muss nicht...

Oxidation und Reduktion

Oxidation und Reduktion

Das sehr komplexe Zusammenspiel von Oxidation und Reduktion bekommt durch den weitgehenden Verzicht auf Schwefeldioxid natürlich nochmal...

Neueste Beiträge

Deutschlandreise 2024

Deutschlandreise 2024

Sechs Wochen sind unsere Scouts Elias Schlichting und Max Bomm für Sie durch die Republik gereist um den Deutschland Jahrgang 2023 zu...

Bordeaux Primeurs 2023

Bordeaux Primeurs 2023

Was für ein Zufall, als an unserem letzten Tag der Reise dieser strahlende Regenbogen über Saint-Émilion auftauchte. Ein Zeichen?...