Es ist ja nicht so, als seien die Österreicher nicht schon grundsätzlich ein kulinarisch verwöhntes Volk. Die alpenländischen Gaumenfreuden sind ebenso grandios wie vielfältig – geprägt von ungarischen, mediterranen und böhmischen Einflüssen. Nicht minder vielschichtig und komplex ist die Weltklasse-Weinkultur, die sich überwiegend im östlichen Teil des Landes konzentriert. Österreich hat alles, was man als große Weinbaunation braucht – das meiste autochthon und alles vom Feinsten.
Inhalt
- Sonnig-strahlende Perfektion in 2019 und spannungsgeladene Eleganz in 2020
- Traumhafte Wachau
- Lift-off im Herzen des Donautals
- FX Pichler und Knoll brillieren
- Kultbetrieb Emmerich Knoll
- Weltklasse Prager
- Unerreichte Energie
- Der Heiligenstein erstrahlt über dem Kamptal
- 1ÖTW Verkostung
- Rausch der Sinne im Vulkanland Südsteiermark
- Ein Ritt auf der Kanonenkugel
- Auf dem wunderschönen Sattlerhof
- Eines der spektakulärsten Panoramen der Weinwelt
Vom pittoresken Donautal über das pannonische Burgenland bis zur spektakulären Steiermark hat jede Region eine tiefe regionale Prägung, indigene Rebsorten und einzigartige Terroirs. Kühle Nordwinde ziehen vom östlichen Mitteleuropa über Österreichs Weinregionen, zugleich strömt von Osten der Einfluss der pannonischen Tiefebene herein und über Frankreich und die Schweiz kommen sogar die Winde des Atlantiks wirkungsvoll bis in Österreichs Osten. Die Regionen zwischen den auslaufenden Alpen und dem Aufstieg der Karpaten sind kulturelle und klimatische Grenzgänger, deren Weine die gesamte Spannungsbreite abdecken, die eine solche geografische Sonderstellung verspricht. Das Weinkulturland Österreich ist sagenhaft komplex.
Sonnig-strahlende Perfektion in 2019 und spannungsgeladene Eleganz in 2020
Wie Deutschland ist auch Österreich zuletzt von einer Reihe grandioser Weinjahrgänge verwöhnt worden. Das berühmte »Pfefferl« – vor allem der Veltliner –, häufig auch einfach von einer gewissen Unterreife der Trauben in den vergangenen Jahrzehnten herrührend, ist in den letzten Jahren weitgehend prachtvoll reifer Steinobst- und tropisch-milder Zitrusfrucht gewichen. Seit Langem gab es kaum einen wirklich schwachen Jahrgang. Die glorreiche Serie fand ihren Höhepunkt im Bilderbuch-Jahrgang 2019. Alle Winzer bekamen glänzende Augen, wenn sie an den nahezu perfekten Jahresverlauf zurückdachten. Ein sehr warmer, trockener Sommer, jedoch mit unterjährig ausreichenden Regenmengen, der dann in einem fantastischen, kühleren, aber weiterhin trockenen und wahrlich goldenen Herbst gipfelte. Wunderbare Reife der Frucht und der Phenole, dazu weiche, aber lebhafte Säurestrukturen, die dem Ganzen den nötigen Auftrieb verleihen. Unbeschwerte Kraft! 2019 ist so etwas wie die Plus-Version von 2017 – ähnlich geartet, aber noch beeindruckender und kompletter. Ein großes Jahr und in Summe wohl das genialste seit dem Millennium, weil auch die Roten richtig stark sind.
Wie eingangs erwähnt, kann Österreich als klimatisches Chamäleon sowohl zu nordisch-atlantisch-kühlen als auch zu mediterran-hedonistischen Weinen tendieren. Viele der Weiß- und Rotweine aus dem Power-Jahr 2019 tendieren zu beidem, denn sie haben viel Volumen und Kraft, aber auch die grandiose Spannung und Frische einer Cool-Climate-Prägung mitbekommen. Frei nach Leibniz: die beste aller möglichen Welten.
Anspruchsvoll und spannend
Dem Traumjahrgang folgend war 2020 weinbaulich sicher eines der anspruchsvollsten der vergangenen Jahre – für mich aber auch klar eines der spannendsten. Manchmal ist im Wein eben nicht die offenkundige Schönheit das Höchste, sondern die verhüllte. 2020 separates the men from the boys. Hier waren die Winzer wirklich gefordert – und die besten haben gewaltig geliefert. Die 2020er Weine sind leiser, schlanker und feiner ziseliert als viele der krachenden Blockbuster aus 2019. Wobei die Konzentration auch in 2020 aufgrund recht geringer Erträge durchaus hoch ist, aber sie drückt sich eher durch eine spannungsgeladene, engmaschige Energie aus als durch bare Kraft. Es ist ein kühlerer Jahrgang, sowohl bezüglich der Witterung als auch hinsichtlich der sensorischen Ausprägung. Selbst in den warmen Lagen der mittleren Wachau wurde erst gegen Mitte Oktober die Gradation für die Federspiel-Klasse erreicht. In den Vorjahren musste man häufig aufpassen, dass nicht alle Trauben Smaragd-Gewicht erreichen. In 2020 war es – wie in früheren Zeiten – eher ein langsames Ausreifen mit Zuwarten auf die benötigte Reife. Riesling wurde oft noch bis in den November gelesen, die Veltliner waren, wie üblich, früher im Kasten. Also etwas oldschool, an die großen Klassiker der späten 1980er-Jahre angelehnt. Ich war nicht selten baff und verzaubert bei der Verkostung – gerade der Wachau steht diese schlankere Art ganz hervorragend. Die 2020er sind Cool-Climate-Weine, wie sie nur noch selten zu finden waren zuletzt, ich mag das sehr.
Traumhafte Wachau
Wo beginnt man eine Österreichreise, wenn nicht in der berühmten, traumhaften Wachau? Genau, am Wagram. Ähm, wo?! Zufällig traf ich – noch bevor die eigentliche Reise startete – im exzellenten, liebevollen Demeter-Hofrestaurant auf Gut Oberstockstall unsere letztjährige Neuaufnahme Winzer Clemens Strobl. Wir waren uns bis dato nie persönlich begegnet, die Weine hatten uns als Muster im Büro erreicht und direkt geflasht. Sie sind sehr eigenständig und tanzen etwas aus der Reihe der eher unbekannten Weinregion am Wagram – und damit meine ich nicht bloß die handgemalten Etiketten. Stylisches Marketing beherrscht Strobl fraglos auch, er ist Werbeunternehmer-goes-Winzer-aus-Leidenschaft. Das Weingut, das er gemeinsam mit seinem Sohn leitet, sitzt heute im von ihm spektakulär restaurierten Gut Wagram. Ein beeindruckender und außergewöhnlicher Ort – genauso sind die Weine. Von sehr guten Weinlagen um Feuersbrunn am Wagram, dessen Lössterrassen mancherorts ein wenig an das südliche Burgund erinnern, keltert Familie Strobl alles andere als Mainstreamware. Der Pinot Noir aus der Lage Hengst ist zwar kein Schnäppchen, braucht aber den Vergleich mit den besten Premiers Crus der Bourgogne keinesfalls zu scheuen. Wine Advocate Stephan Reinhardt und ich haben den Wein beim Abendessen blind ganz ohne Zweifel für einen großen Burgunder gehalten. So einen Pinot hatte ich selbst aus dem Burgenland kaum je auf der Zunge – aber vom Wagram? Unglaublich! Strobl ist in Deutschland noch ein Geheimtipp, der diese Bezeichnung verdient hat. In Österreich ist der umtriebige Charakterkopf bekannt wie ein bunter Hund und die Weine finden sich auf den besten Restaurantkarten.
Lift-off im Herzen des Donautals
Richtig los ging es dann tatsächlich im Donautal, am ältesten Weingut Österreichs, dem Nikolaihof. Jenem magischen Ort, der sich um eine Kaiserlinde majestätischen Ausmaßes erstreckt. Am Fuß der jahrtausendealten Kellertreppe des Demeter-Gutes liegen einmalige Weinschätze in großen, alten Fässern, die schon seit den 1970ern biodynamisch angebaut werden. Unzählige Weine aus den letzten Jahren und Jahrzehnten ruhen hier noch immer im großen Holz und warten auf ihre Abfüllung bei perfekter Balance, sei es nach ein paar Jahren oder Dekaden. Hier steht mit rund 250 Jahren auch eine der ältesten noch verwendeten Weinpressen der Welt.
Der Nikolaihof ist ein magischer Ort, an dem Geschichte nicht nur spür-, sondern auch schmeckbar ist. Es gibt nichts Vergleichbares in Österreich. Der 2014er Riesling Klause am Berg ist nach moderaten 7 Jahren im Fass in monumentaler Verfassung, entsprechend kommt er nun auf den Markt. Man rutscht mit jedem Schluck ein Stückchen tiefer in den Sessel - wunderbar. Die Weine des Nikolaihofes verkörpern die österreichische Gemütlichkeit perfekt.
FX Pichler und Knoll brillieren trotz Hagelschaden um Loiben
Danach baten die Granden der Wachau zum Tanz mit ihren elektrisierenden 2020ern. Von Pichler, Knoll und Prager lässt man sich nicht zweimal bitten, entsprechend ging hier direkt die Post ab. Die Rieslinge und Veltliner aus der Wachau – gerade FX Pichlers, Knolls und Hirtzbergers – wurden lange für den etwas barockeren, gar fetten Stil der Wachau synonym genommen. Wer glaubt, dass dies auf Knoll und Pichler noch zuträfe, der hat sehr lange nichts mehr von hier im Glas gehabt. Nahezu keine Botrytis (mit Ausnahme feiner Selektionen beim Unendlich und Loibner Vinothek), kein Fett, keine Überreife – nein, nicht mal im Ansatz. Knolls und FX Pichlers Lagenweine sind strahlend klar, rassig definiert und elektrisierend mineralisch unterfüttert.
Lucas Pichler ist kürzlich aus der Vinea Wachau mit ihrem Smaragd-System ausgetreten, um noch mehr Fokus auf das Terroir zu legen, somit nur noch Riedenwein ohne Prädikat zu füllen. Natürlich entsprechen die Top-Weine weitestgehend Smaragd-Gewicht, das spielt hier nun aber keine Rolle mehr. Zudem stellt der Betrieb gerade die Weichen für eine wahrscheinliche künftige Bio-Zertifizierung. Stillstand ist woanders.
FX Pichlers 2020er wirken kühler und feiner, sind etwas leichter im Alkohol als die konzentrierten und reichen Vorjahre. Es war eine spätere Lese. Kühleres Frühjahr während der Blüte, darauf folgte ein gemäßigter Sommer, etwas weniger heiß als 2018 und ‘19. Dann der Schock! Am 23. August hat es FX ungefähr die Hälfte der Ernte verhagelt. Es gibt keine Grünen Veltliner M und Unendlich, weil die selektive Herausnahme der reifsten und kraftvollsten Trauben den Lagenweinen dann zu stark gefehlt hätte. Trotz oder besser wegen diesen beiden Lücken ist die Kollektion aber grandios gelungen. Lucas Pichler fasst treffend zusammen: »Ich bin so überrascht, wie positiv sich die 2020er jetzt zur Abfüllung nach dem Hagelschlag und dem etwas durchwachseneren Jahr entwickelt haben. So lang und präzise, etwas leichter, aber den Weinen fehlt es an nichts!« Diesen Eindruck kann ich zu 100 Prozent teilen, der 2020er Riesling vom kühleren Kellerberg war einer der besten Weine meiner Reise. Pichlers haben das Maximum rausgeholt – und am Ende ein großes Jahr für den Betrieb daraus gemacht. Chapeau!
Kultbetrieb Emmerich Knoll
Auch von den 2020ern des Kultbetriebes Emmerich Knoll war ich hellauf begeistert. Ein bisschen weniger dramatisch vom Frost getroffen als FX, präsentieren sich Knolls 2020er wunderbar fein und lebhaft, mancher gar verspielt bis hin zu stahlig. Die Dramaturgie der Verkostung baute sich auf wie der Trauermarsch in Wagners Götterdämmerung.
Erst der Riesling Loibenberg Smaragd mit pikanter Frucht, dann der GV Schütt mit astreiner Eleganz und stahliger Mineralität. Spätestens nach dem Riesling aus dem Kellerberg, der vor Spannung und Vibration nur so birst, kann es eigentlich nicht mehr besser werden – bis die 20er Riesling Vinothek Füllung mit ihrer Intensität alles wegpustet. Es spielt wild durcheinander im Mund, Mineralik, Säure, Gestein, Exotik. Die Augen ziehen sich zusammen ob diesem immensen Oszillographen. Eine Explosion – und dennoch, wie alle 20er hier, so faszinierend elegant und voller Spannung.
Weltklasse Prager
Neben den beiden berühmtesten Gütern der Wachau, Knoll und FX Pichler, bleibt der Dritte im Bunde, Weingut Prager, bezüglich der Bekanntheit oft etwas zurück – völlig zu unrecht! Was Toni Bodenstein bei Prager auf die Flasche zieht, ist atemberaubend gut. Die Weine sind hochfein und durch die Bank kristallklar wie die Salzach. Ich kenne keine anderen dermaßen kristallinen Weine aus Österreich.
Auch Prager wurde 2020 vom August-Hagel getroffen, erlitt rund ein Drittel Mengenverlust, was der strahlenden Brillanz der Weine aber mitnichten einen Abbruch tut. Die Grünen Veltliner Achleiten Wachstum Bodenstein und Zwerithaler Kammergut 2020 zählen nicht nur zur Top 5 meiner Reise, sondern auch zu den allerbesten Veltlinern des Landes. Wunderbar saftig, geschliffen, athletisch, schlank und hoch mineralisch, es fehlt an nichts. Irre mineralische Länge und bezaubernd verspielte Frucht. Diese Art Grüner Veltliner findet man fast nicht mehr. Urklassisch, aber doch so glockenklar und frisch. Generell ist das Schöne an Pragers Weinen diese wahnsinnige Fruchtintensität. In Zeiten, in denen fast jeder Topwinzer vom Bodenausdruck spricht, wird die Frucht immer mehr zurückgenommen. Prager ist in seinem hochpräzisen und klaren Stil aber über jegliche Trends und Moden erhaben. Das sind einfach große Weine, ganz nah an der Perfektion. Das Spitzenduo der mittleren Wachau um Knoll und FXP ist eigentlich ein Triumvirat, nimmt man Prager hinzu. Weltklasse!
Unerreichte Energie
Beim Wein-Örtchen Spitz zieht sich mit dem Spitzer Graben ein waldiges, windiges Seitental von der Donau den Berg hinauf. Während sich die Schnellstraße die Höhenmeter hinaufschlängelt, werden die Reben weniger flächendeckend, die Landschaft deutlich hügeliger und verschachtelter. Wie ein Eremit lebt der passionierte Winzer Peter Veyder-Malberg in einem Traumhaus gegenüber seinen steilsten Toplagen, die mit unterschiedlichen Expositionen und Urgesteinsformationen nebeneinanderliegen.
Der Biodynamiker strahlt persönlich dieselbe Ruhe und Balance aus wie seine Weine. Die Rieslinge und Veltliner aus dem Spitzer Graben sind den vorderen Wachauern bis zu den frühen 1990er-Jahren sehr ähnlich. Das ist genau der Stil, den Peter V-M zu erreichen sucht. Schlank, kühl, laserpräzise, aufregend und dezent aromatisch. Die Weine zählen zu meinen absoluten Favoriten in Österreich. Brandstatt und Buschenberg sind Rieslinge mit anderswo unerreichter Energie. Ich bin überwältigt von dieser kanalisierten Strahlkraft aus der kühlen Mineralität des Spitzer Grabens. Veyder-Malberg erschafft hoch mineralische Wunderwerke.
Der Heiligenstein erstrahlt über dem Kamptal
Das namensgebende Flüsschen Kamp zieht sich vom kühlen Waldviertel bis in die Donauniederung. Wenn man über das weite Seitental der Kamp schaut, thront meist irgendwo am Horizont die alles überstrahlende Riede Heiligenstein und deren kaum weniger grandiose Nachbarlagen Lamm, Gaisberg und Renner. Das Kamptal liegt am Spannungspunkt zwischen den kühlen Abwinden des Waldviertels und der exponierten Wärme des Donautals. Eine unglaublich spannende Region, auch wenn sie – genau wie das benachbarte Kremstal – immer etwas im Schatten der Wachau steht. Hier gibt es allerdings neben Urgesteinsformationen wie Gneis, Granit und Schiefer auch noch Löss von den Ausläufern des Wagram. Die Riesling-Toplage der Region, der Zöbinger Heiligenstein, ist sogar eine steile, terrassierte Sandsteinerhebung – einzigartig entlang der Donau! Nicht nur deswegen sind die Rieslinge von hier sehr besonders. Die Filetparzellen des Heiligenstein sind quasi das Forster Kirchenstück des Kamptals – bei jedem Top-Erzeuger umweht den Wein ein Mythos und in einer Reihe mit anderen Lagen probiert strahlt er fast immer am hellsten.
1ÖTW Verkostung
Auch bei der 1ÖTW Verkostung auf Schloss Grafenegg, dem österreichischen Äquivalent zur GG-Premiere in Wiesbaden, hat der Heiligenstein-Flight mich am meisten geflasht. Loimer, Bründlmayer, Jurtschitsch – alle großen Namen nebeneinander. Dann kommt der 2019er Heiligenstein Riesling von Schloss Gobelsburg daneben und zeigt sich mehr als nur auf Augenhöhe. Ein Riesenwein! Was Michael Moosbrugger und sein Team auf diesem urtraditionellen Weingut in den letzten Jahren geleistet haben, ist einfach großartig. Das Lagenportfolio des Gutes ist ohnehin famos. Quasi alle besten der Ersten Lagen sind hier Programm – und die Weine reflektieren diese Güte ganz klar. Kürzlich wurde der spektakuläre neue Keller fertiggestellt, der eigentlich uralt aussieht. Was paradox klingt, ist schlicht genial. Gutsdirektor Michael Moosbrugger hat den riesigen Gewölbekeller mit aufwendigstem Handwerk Stein auf Stein bauen lassen wie im Mittelalter, selbsttragend, alles in Handarbeit. Sein Credo: Der Keller muss mindestens 500 Jahre überdauern können. Ich habe schon viele Keller-Neubauten besucht, das ist der Primus inter pares.
In diesen ehrwürdigen Gemäuern unter Schloss Gobelsburg, das gerade 850. Jubiläum feiert, baut Betriebsleiter Franz Kahner die Weine langsam und kühl in großen neutralen Holzfässern aus. Die Lagenweine von Gobelsburg sollte jeder Österreichfan auf dem Radar haben, denn sie bieten den großen Namen der Region locker paroli und sind zumeist noch preiswerter. Der Stil ist ausgewogen, feinmineralisch und anschmiegsam – Extreme gibt es woanders. Die Lagerfähigkeit ist sagenhaft. Von den 2019ern sollte man kistenweise einlagern, sie können Jahrzehnte Freude bringen. Auch Sucklings AT-Verkoster Stuart Pigott schwärmt: »The legend of Schloss Gobelsburg rises again.« Legendär ist das Gut allemal, die Weine sind es nun auch.
Rausch der Sinne im Vulkanland Südsteiermark
Hauchfeiner Nieselregen durchzieht die Luft, Nebel wabert zwischen den bezeilten Hügeln: typisch Südsteiermark. Trockenstress ist hier jedenfalls – selbst in den letzten Jahren – noch immer ein Fremdwort. Wenn der Blick über die steilen, intensiv, ja fast leuchtend grünen Hänge schweift, kann man es kaum fassen. Die Landschaft ist schlicht spektakulär, wild und wunderschön. Die Region verströmt einen ureigenen Zauber. Große, spannende, packende Weine entstehen nicht selten in solch marginalen Klimazonen – im Spannungsfeld karger Böden und harscher Witterung, wo um Reife auch mal gekämpft werden muss. Von Bordeaux über die Mosel bis in die Südsteiermark ist das der Fall. Die Elektrizität, die Aufregung wird in den besten Weinen der Region für uns Genießer physisch spürbar. Trotz fraglos unterschiedlicher Philosophien und Stilistiken eint unsere Winzer aus der Südsteiermark eines: die hingebungsvolle Handarbeit in Steillagen im Einklang mit der Natur. Sattlerhof und Werlitsch arbeiten biodynamisch, auch Tement stellt gerade von jahrelang Bio auf Biodyn um. Die Winzer sind ebenso dynamisch wie das Wetter in der Slowenien zugeneigten Grenzregion. Wer stehen bleibt, bekommt nasse Füße.
Ein Ritt auf der Kanonenkugel - Werlitsch
»Du hast quasi jeden Fehler im Wein, den es laut Schulbuch gibt, aber in gerade einem solchen Maße, dass es zusammenpasst und man es gar nicht anspricht, weil es quasi genau so alles Sinn macht. Mein Weinstil ist immer ein Ritt auf der Kanonenkugel«, stellt Winzer Ewald Tscheppe vom Demeter-Weingut Werlitsch mit gelassenem Gemüt fest. Die kleine Probierstube ist von Tscheppes eigentümlich erzogenen Reben (vom Vater in Überhang-Kultur gepflanzt) und Wald umgeben.
Was es in diesem unprätentiösen Räumchen zu probieren gibt, zählt für mich zum Besten und Spannendsten an liberal interpretiertem Wein auf der Welt. Wenn ein paar Fässer einer Abfüllung ihre letzten zwei, drei Gramm Zucker per rein spontaner Gärung auch nach Monaten oder gar Jahren nicht loswerden wollten, füllt Ewald Tscheppe den Wein eher unter Kronkorken, um einem sich hebenden Korken bei Nachgärung vorzubeugen, als auf technische Eingriffe wie Filtration zu setzen. Nicht mal im Äußersten. Jahrgangsschwankungen fallen hier klar intensiver ins Gewicht als anderswo, das ist Teil der Philosophie. Am Ende stehen Weine, die das Ergebnis ungezügelter natürlicher Kreisläufe innerhalb des kulturellen Zutuns sind. Polarisierend – aber unerreicht emotional und voller Energie und Charakter.
Auf dem wunderschönen Sattlerhof
Nur wenige Minuten mit dem Auto entfernt arbeitet Familie Sattler auf dem wunderschönen Sattlerhof in Gamlitz mit derselben akribischen biodynamischen Wirtschaftsweise im Weinberg. Deren Kranachberg ergibt neben Tements Zieregg den wohl genialsten Lagen-Sauvignon des Landes. Die Reserve- und Privat-Füllungen sind legendär und ultrarar, sie reifen über Jahrzehnte gen Perfektion. Ein Familienbetrieb durch und durch, nahezu alle arbeiten am Weingut mit. Alexander und Andreas bringen neben Vater Willi Sattler viel frischen Wind und Dynamik in den Betrieb. Der Fokus liegt klar auf dem Ausdruck der Weinberge, im Keller bleiben die Weine mit langer Hefelagerung im Holz oder Stahl recht unberührt bis zur Abfüllung.
Die Weine sind intensiv und energetisch, aber fein nuanciert, balanciert und gelassen. Es gibt hier meist etwas mehr verspielte Sauvignon-Frucht als bei den kompromissloseren und noch reduzierteren Lagenweinen von Tement. Die Weine des Sattlerhofs sind für mich eine Veredelung dieser Rebsorte. Worüber man nicht vergessen sollte, dass hier auch ganz großartige Weißburgunder mit demselben eleganten Ansatz abgefüllt werden.
Zieregg – Eines der spektakulärsten Panoramen der Weinwelt
Dichter Wald bildet mit verschachtelten Weinparzellen ein wildes Mosaik als Unterlage für eines der spektakulärsten Panoramen der Weinwelt: die Große steirische Lage Ried Zieregg im fließenden Übergang von der Steiermark nach Slowenien. Eine der besten Sauvignon-Blanc-Lagen überhaupt und ziemlich sicher die beeindruckendste. Man wird von diesem Ort sofort in den Bann gezogen. Das Spannungsfeld aus amphitheater-gleicher Öffnung gen Südwesten und den unaufhörlich durch die kleinen Täler ziehenden Winden ist einmalig.
In den letzten Jahren wurde Tements Stil bei den Lagenweinen immer fokussierter, mancher würde sagen extremer. Jedenfalls bewegt er sich ohne Umschweife auf ein klar definiertes Ziel zu: Terroirausdruck. Nur der Boden und das wilde Klima sollen schmeckbar sein, alles andere ist dem untergeordnet. Die Frucht weicht zunehmend zurück, es wurde und wird stetig salziger, fester und eben gewissermaßen auch extremistischer. Uns als Riesling-Nation schockt das wohl weniger, aber diesen Weg kann und will sicher nicht jeder Genießer mitgehen. Für alle, die gerne flüssiges Gestein trinken, gibt es kaum größere Weißweine im Land – und auf der Welt kaum größere Sauvignon Blancs. Die Riede Zieregg erstreckt sich bis ins benachbarte Slowenien, weshalb es mit Ciringa quasi einen »Zieregg« von der »Ebsch Seit‘« gibt. 2009 war der erste vermarktete Jahrgang aus der biologisch bewirtschafteten Lage, die, ebenfalls auf fossilem Muschelkalk, in dicht bewaldetes Hügelland eingebettet ist. Etwas anders geartet als der Zieregg, ist der Fosilni Breg immer ein famoser best value.