Ich studiere das Programm, als Chris Benziger und seine Labrador Hündin Blue mich empfangen. Ich denke: Na das kann ja lustig werden, und auch Benziger weiss nicht so Recht, wer da jetzt gekommen ist, in welchem Auftrag und mit welchem Interesse. Ich spreche die Demeter-Zertifizierung an und renne offene Türen ein. Chris Benziger ist persönlich für die Herstellung der biodynamischen Präparate verantwortlich, in die er gerne das gesamte Team mit einbezieht. Jeder Mitarbeiter, der aktiv im Weinbau angestellt ist muss beispielsweise Kuhhörner mit Mist füllen, bevor diese vergraben werden. »Wir machen eine Party draus, mit ein paar Drinks und Gegrilltem,« erzählt Benziger, und tatsächlich gibt es kaum jemanden, der dies als befremdlich empfindet. Wir gehen hinauf in die Weingärten, um einen Blick auf das Weingut zu bekommen. Es liegt in einem geschlossenen Talkessel unterhalb des Sonoma Mountains. An dessen Südseite fließt ein kleiner Fluss, an dessen Ufern früher indianische Kultstätten lagen, wie Ausgrabungen beweisen.
Benzigers haben die Farm 1980 gekauft. Die Wegener Ranch gehörte davor einem gleichnamigen Doktor aus dem nahegelegenen Sonoma Hospital, der seinerseits das Anwesen in den sechziger Jahren gekauft hatte. Davor lag die Farm lag seit der Prohibition brach, bis Wegener sie als eine Art Kommune umfunktionierte. Chris Benziger erzählt von den Anfängen des Weinguts: »Als wir aus New York hierhin auf Land zogen war ich 14. und wenig begeistert. Doch als wir die Farm besichtigten, lief Wegener nackt herum, nur gehüllt in eine Toga. Um ihn herum nur nackte Frauen. Ein richtiger Hippie Traum vom alten Kalifornien. Wegner baute auch Wein an, vergor ihn aber mit Cannabis!«
Benzigers pflanzten neue Rebanlagen und rekultivierten die alten Anlagen rund um die Farm im Kessel in reiner Familienarbeit. Heute bewirtschaften sie insgesamt 85 Hektar, seit 2006 allumfänglich Demeter zertifiziert. Der Ganzheitliche Ansatz spiegelt sich in den Biotopen, die zwischen den Weingärten angelegt sind. Sie garantieren die hohe Biodiversität und umfasst nicht allein Pflanzen, sondern auch Insekten und Vögel. Eine eigene Schafherde hält die Grünflächen kurz und sorgt gleichzeitig für Dünger, den sie mit ihren Hufen in den Boden einwirken, Kühe sorgen für zusätzlichen Kompost, der mit der Biomasse der Gärten in die Rebanlagen eingebracht wird.
Wirkte der Betrieb zunächst wie ein riesiges Demeter-Disneyland, so macht der Aufwand in jedem Falle Sinn. Die Mehrarbeit, die biodynamische Bewirtschaftung mit sich bringt wird bei bis zu 200 Gästen pro Tag hinreichend quer finanziert und ermöglicht eine Existenz als wirtschaftlich arbeitender Betrieb, ohne die übliche Selbstausbeutung. Mike Benzinger: »It takes a lot of work to do very little when it comes to winemaking.« Der offensive Umgang Benzigers mit der Biodynamie lüftet darüber hinaus den mystischen Schleier der Bewirtschaftungsweise und bringt sie dem Endverbraucher näher. Mit Erfolg, so Chris Benziger: »Wir denken, dass Sonoma in zwei Jahren die erste Weinbauregion sein wird, die ohne Chemie und GMOs (genetisch modifizierte Organismen wie beispielsweise Enzyme) arbeitet.« Eine Entwicklung, von der man hierzulande leider noch weit entfernt ist.
Ich werde bei Ankunft bereits erwartet, die Proben sind wie oftmals in Kalifornien im Vorhinein vorbereitet, alle nötigen Unterlagen und Informationen liegen ebenfalls bereit. Es ist ein wenig so, als würde man ein Haus kaufen und hat wenig mit der weinseligen Probierstuben Romantik Deutschlands gemein. Die Weine der kühlen Lagen wie beispielsweise der Chenowth Ranch nahe des Russian River Valley oder die Chardonnays von Larry Hyde (der auch Flächen für Kongsgaard bewirtschaftet) zeigen sich mit kerniger Mineralik und typisch kalifornischem Naturell. Puristisch und klar im Einstiegssegment bis hin zum traditionellen, üppig-buttrigen Chardonnay sind alle Stilistiken vertreten. Auch die Rotweine decken eine Reihe von Stilistiken ab, vom frischen, fruchtbetonten Sonoma Coast Pinot Noir bis zum Pinot von der Pisoni Ranch im südlichen Monterey, der als Tannin-Monster zu 70 % in neuer französischer Eiche ausgebaut wird. Alle Weine durchlaufen die malolaktische Gärung im Fass und werden ungefiltert gefüllt.
Patz & Hall war mein letzter Termin und nicht nur mein Notizbuch, sondern auch mein Kopf ist voll mit neuen Eindrücken, die mein bisheriges Kalifornien Bild gehörig nach vorn korrigiert haben. In vielen Dingen sind die Kalifornier ganz weit vorne, in anderen Bereichen beginnt die Entwicklung grade erst. Ein guter Grund, die nächste Reise zu planen und mir zwischenzeitlich nachzuschenken.
Entgegen der Lehrmeinung zur Weltzspitze
In meiner Woche in Kalifornien habe ich viel gesehen, was meinen bisherigen Vorstellungen widersprach. Alle besuchten Betriebe hatten nichts mit der Flachland-Realität Napas gemeinsam, denn alle Weingüter lagen am Hang oder auf einem Berg. Der Merlot von Ridge steht auf 800 Metern, das entspräche in Europa alpinem Weinbau. Die verkosteten Weine waren fast ausnahmslos entgegen der Lehrmeinung der UC Davis hergestellt, spontan vergoren, ungeschönt, ungefiltert und teilweise sogar extrem niedrig geschwefelt. Dabei spiegelten die Weine stets die Persönlichkeit ihrer Schöpfer, allesamt beeindruckende Persönlichkeiten, Imperien, Unikate und Einsiedlern, tief im Westen, da wo alles erlaubt ist. Draper, Asseo, Shafer, Forman, Seillan, Kongsgaard, Togni, Benziger und Patz & Hall – die Namen lesen sich wie Perlen, aufgezogen in einer Kette.
So faszinierend Kalifornien ist, so unterschiedlich ist es auch im Vergleich zu Europa. Es gibt Traubenproduzenten, Winzer, Winemaker ohne Grund und Boden, sowie Winzer, die zu riesigen Imperien gehören. Tatsächlich werden die Großproduzenten immer größer, denn der Kostendruck in Kalifornien ist enorm. Wer kein Land besitzt sondern pachten muss, unterliegt den kontinuierlich steigenden Pachtzinsen. Dazu kommen die enormen Kosten für die Arbeiter, denn der Mindestlohn in Kalifornien ist hoch. Auch die Traubenpreise steigen Jahr für Jahr, insbesondere in Dürre Jahren wie 2013, 2014 und 2015, in denen der Wassermangel nicht nur die Ernte bis zu 50 % hat schrumpfen lassen, sondern auch durch die Bewässerungs-Kosten in die Höhe getrieben hat. Für Familienbetriebe wird es zunehmend schwieriger, der Konkurrenz der Multis entgegen zuhalten.
In den letzten vierzig Jahren ist es Kalifornien gelungen Weine zu erzeugen, die sich mit den besten Weinen der Welt messen können. Diese Entwicklung scheint dem Phoenix aus der Asche zu gleichen, was gemessen am Erfolg natürlich richtig, historisch betrachtet aber nicht ganz korrekt ist.
Alter und neuer Pioniergeist
Der heutige kalifornische Weinbau lebt zweifelsfrei vom Pioniergeist seiner Protagonisten, den unzähligen Winzern und Winzerrinnen, die sich Anfang der 70er in den goldenen Westen aufgemacht haben und den Mut aufbrachten, das großartige Terroir Kaliforniens zu entdecken. Bei Lichte betrachtet müsste man eigentlich über eine Renaissance sprechen. Denn knapp einhundert Jahre zuvor herrschte schon mal ein ähnlicher Pioniergeist im kalifornischen Weinbau. Teile davon finden sich noch heute. Ridge Vineyards auf dem Monte Bello bauen ihre Weine beispielsweise in einem Keller aus, der 1885 in den Kalkstein des Berges gestoßen wurde und auch das Fundament von Shafer liegt in einer Ranch, die Ende des 19. Jahrhunderts bereits Weinbau betrieb. Es waren oft Bürger italienischen Ursprungs, aber auch Franzosen und Spanier, die damals Reben ihrer Heimat mitbrachten und kultivierten. Der Zinfandel legt heute noch mit teils weit über hundert Jahre alten, historischen Weingärten das beste Beispiel über die lange Geschichte des kalifornischen Weinbaus ab. Die Reblaus setzte der Entwicklung in den 1890er Jahren jedoch ein jähes Ende. Die Bemühungen eines Neuanfangs wurden danach von der Prohibition (1919–1936) völlig erstickt. Viele Weingärten wurden gerodet und anderer landwirtschaftlicher Nutzung zugeführt. Der Weinbau lag völlig danieder. Erst die Reblaus, dann die Prohibition, die Perspektiven waren mehr als düster, härter Nachtreten konnte man kaum.
Prohibition und die Folgen
Nur eine kleine Zahl von Traubenproduzenten arbeitete unerschüttert weiter. Denn trotz Prohibition gab und gibt es ein Gesetz, dass es jedem amerikanischen Haushalt erlaubt, 200 Gallonen Wein für den Eigenbedarf herzustellen (100 Gallonen in Single Haushalten). Dieses Gesetz hat wahrscheinlich die letzten alten Rebanlagen gerettet, die sonst ebenfalls dem Gemüse- oder Obstbau zum Opfer gefallen wären. Die Landwirtschaft in Kalifornien boomte und nach der Prohibition und dem zweiten Weltkrieg nahm der Weinbau langsam wieder Fahrt auf. Allerdings nach völlig anderen Prämissen als heute: Trauben wurden ebenso wie Obst, Getreide oder Gemüse auf Menge produziert. Der daraus gekelterte Wein dümpelte im Billigpreis-Segment mit Namen wie Burgundy-Bordeaux dahin und kostete im Schnitt zwischen 2–5 $. Zu dieser Zeit waren die Weingärten nicht mit Cabernet & Co bestockt, sondern mit Chasselas, Zinfandel, Alicante Bouschet und Carignan, Trauben, die allesamt große Mengen produzieren, gut an das Wetter adaptieren und im Falle der Alicante eine sichere Farbausbeute lieferten. Der teuerste Wein zu Beginn des kalifornischen Weinwunders Anfang der 1970er Jahre lag bei grade mal 10 $. Es wurde Weinbau betrieben, wie jede andere Form mechanisierter Landwirtschaft auch: Im Flachland. Niemand wäre auf die Idee gekommen, Trauben an Hanglagen anzubauen.
Bodenvielfalt und die Entdeckung der Hanglage
Das wahre Potential Kaliforniens lag damals noch völlig unentdeckt brach: Die unglaublich komplexe Palette unterschiedlicher Böden. Sie sind Kalifornien wahres Kapital, denn nirgends sonst auf der Welt findet sich eine solche Vielfalt unterschiedlicher geologischer Formationen. Von den insgesamt gut 100 unterschiedlichen Bodenformationen weltweit verfügt allein Kalifornien über 50. In Bordeaux findet man im Vergleich nur 17. Neben den unterschiedlichen Bodentypen hat Kalifornien unzählige Mikroklimata in seinen Tälern. Dieser Aspekt, der bei ausschließlicher Flachlandbewirtschaftung gar keine Rolle spielte, ist durch einen entscheidenden Schritt im Weinbau überhaupt erst ins Bewusstsein der Produzenten getreten: Der Schritt hinaus aus der Talsohle hinauf auf den Berg. Bis Anfang der 70er Jahre gab es keinerlei Weinbau an den Hanglagen, ein weltweit einzigartiges Phänomen, denn kein großer Wein der Welt stammt aus dem Flachland. Das muss im Umkehrschluss jedoch nicht bedeuten, dass dies generell nicht denkbar ist. Schließlich hat Kalifornien seine großartigen Böden und ein Großteil der Reben für Mondavis Opus One wächst beispielsweise in der Ebene.
Der Kultivierung der Hänge, der Weg hinaus aus dem Tal und rauf auf den Berg, war ein entscheidender Schritt Richtung Qualität und führte damals zurück zu den Wurzeln. Ridge, Shafer, Togni, sie alle griffen auf verwaiste Lagen des letzten Jahrhunderts zurück und revolutionierten so den Kalifornischen Weinbau in einem Zeitrahmen, dass man das Tempo dieser Entwicklung schlicht als spektakulär beschreiben muss.
Das nahgelegene Meer und die reife Frucht
Ein weiterer Heimvorteil für den kalifornischen Weinbau ist die Nähe zum Wasser. Der Sunshine State ist für seine geschwungenen goldenen Hügel bekannt, die sich nur für eine kurze Zeit im Frühling in saftigem grün präsentieren, bevor sie ab Mai in leuchtendem Gold erstrahlen. Kalifornien erreicht zwar jedes Jahr im Sommer Spitzentemperaturen, es wäre jedoch falsch, allein über die Temperatur Rückschlüsse auf die Qualität der Weine zu ziehen. Die New York Times titelte noch letztes Jahr nach den jährlich wiederkehrenden, schweren Bränden: »California Wine Country – GONE!« Bei weitem nicht!
Das nahegelegene Meer sorgt für kühle Meeresluft am Nachmittag und signifikante Temperaturstürze während der Nacht. Die Morgennebel garantieren den langsamen Anstieg der Temperatur über den Tag und ermöglichen einen langsamen und gleichmäßigen Reifeverlauf. Und zu guter Letzt ist Sonne kein Problem, sondern großartig, wenn es um perfekt gereifte Trauben geht. Insbesondere die spätreifenden Sorten wie Cabernet Sauvignon, Petite Verdot und Syrah erreichen hier stets ihre volle Reife – in anderen Regionen beileibe keine Selbstverständlichkeit.
Diese reife Frucht ist es, die kalifornische Weine auszeichnet. Den Rest entscheidet das Winemaking: Gerbstoff Extraktion, Ausbau, französisches oder amerikanisches Holz, Reifezeit, gefiltert oder ungefiltert. Die Möglichkeiten sind schlicht unbegrenzt, Philip Togni formulierte es treffend: »In California everything is possible. You might even produce a purple wine with yellow spots. The only problem will be selling it.«
Aufbruch durch Wissenschaft und Entdeckergeist
Der wilde Westen blieb weintechnisch unbestellt, bis sich eine Handvoll ambitionierter Winzer Anfang der 1970er Jahre nach Kalifornien begab, um dort den Neubeginn zu wagen. Sie kamen aus Europa, New York, San Francisco oder Mexiko. Selbstverständlichkeiten wie die Annahme, das Napa Valley stehe seit jeher für Cabernet Sauvignon, wurden damals erst geschaffen, vorher war es ein Massenweingebiet ohne Gesicht und Profil. Tatsächlich wurde Cabernet lange Zeit als ungeeignet für den Weinbau betrachtet. Die neue Generation von Winzern, viele von der UC Davis, der kalifornischen Elite Universität für Weinbau, erneuerte alles radikal. Man untersuchte, welche Reben für welche Regionen geeignet sind und bepflanzte entsprechend. So bekamen die Gebiete über die Jahre ein Profil und standen qua Herkunft für einen bestimmten Typ von Wein. Carneros steht seitdem dank der kühlen Winde für Chardonnay und Pinot Noir, ebenso das Russian River Valley, mit seinen steinigen Schwemmlandböden. Napa steht für Cabernet Sauvignon, der Norden Sonomas für Zinfandel. Nur der Merlot hat keine rechte Heimat gefunden, denn er wurde überall angebaut, wo es eben ging, ohne dass er jemals wirklich sesshaft wurde. Like a rolling stone …
Die unzähligen unterschiedlichen mikroklimatischen Bedingungen lassen eine Bandbreite von Rebsorten und Möglichkeiten zu, wie sie in Europa heute nicht mehr denkbar wären: Zu reglementiert sind die herkunftsgeschützten Regionen, als dass sie den Entdeckergeist Kaliforniens zuließen. Zum Schutz der alte Rebanlagen hat sich die Historic Vineyrad Society gegründet, die sich dem Erhalt dieses einzigartigen historischen Erbes annimmt.
Um zu begreifen, unter welchen Bedingungen in Kalifornien seit über 140 Jahren Weinbau betrieben wird, entschied ich mich für den Juli als Reisemonat in den Sunshine-State. Meine Tour begann 100 Kilometer südlich von San Francisco und führte mich nach Cupertino in die Santa Cruz Mountains oberhalb des Silicon Valleys zu Ridge.
Ridge Vineyards
Gut eineinhalb Stunden südlich von San Francisco gelegen, ist das Weingut auf dem legendären Monte Bello problemlos mit dem Auto zu erreichen. Die letzten 15 Kilometer führen über verschlungene Serpentinen durch Redwoods und Eichenwälder bis hinauf zum Weingut, das auf 700 Metern liegt. Die Aussicht von hier oben war schlicht spektakulär: Die Morgennebel bedecken das Silicon Valley noch um 11 Uhr vormittags und lassen den Bauchnabel der IT-Welt noch wie im Schlaf unter einer dicken flauschigen Daunendecke erscheinen. Hier oben, on top of the world, schreibt Paul Draper seit 1962 kalifornische Weingeschichte. Das Weingut und der Tasting Room befinden sich in einem umgebauten Stall aus dem späten 19. Jahrhundert inmitten alter Reben von 1949 gepflanztem Cabernet Sauvignon. Der großzügig angelegte Gästebereich im Garten wird beschattet von Segeltüchern, Kaninchen hoppeln durch die umliegenden Reben und Holzschilder warnen vor Interessenskonflikten mit den Klapperschlangen, die sich hier oben gerne ausgiebig auf den Felsen sonnen. Doch bei 35 °C am Vormittag steht mir weder der Sinn nach Weinproben im Freien noch auf Konkurrenzgebärden. Ich werde aufs Herzlichste empfangen von Eric Baugher, dem Winemaker in Santa Cruz – seit 25 Jahren. Der warme Empfang und die Gastfreundschaft des gesamten Teams spiegeln den Geist des Betriebes von Anbeginn an. Ein Großteil des Personals arbeitet seit langen Jahren bei Ridge, es gibt in den zentralen Positionen keine schnellen Wechsel, der Betrieb läuft wie auf Gleisen, ein Familien-Betrieb durch und durch.
Der Qualitätsweinbau in Kalifornien begann gemeinhin in den frühen 70ern, bei Ridge wie gesagt etwas früher. Auf einem Berg, wohlgemerkt, noch dazu einem hohen Berg. In Europa würden wir hier bereits von alpinem Weinbau sprechen. In den Höhenlagen liegt das Geheimnis der Frische und der Transparenz der Ridge’schen Weine begründet. Heiße Tage und kalte Nächte sorgen für eine langsame und gleichmäßige Reife der Trauben. Die obersten Lagen liegen auf dem Gipfel des Monte Bello auf 800 Metern, gleich neben der Kellerei, where the magic happens. Die tiefsten Lagen liegen auf 300 Metern.
Draper hatte damals das Glück, dass ein Teil des Bodens, den er kaufte, bereits vom Vorbesitzer zu Zeiten der Prohibition bestockt wurde. Zwar riss er die alten Stöcke nach und nach raus und pflanzte Bordeaux Rebsorten, doch der erste Schritt war ihm abgenommen: Die Bestellung des Landes. Damals wusste niemand, wie man Weinbau auf einem Berg betreibt, denn der Traubenanbau in Kalifornien beschränkte sich vornehmlich auf die leicht zu bewirtschaftenden Ebenen. Ertrag war damals die Devise. Doch der piemontesische Vorbesitzer muss es im Urin gehabt haben, dass am Berg bessere Weine wachsen, auch das Terroir aus Kalkstein wird bei der Anlage des Berges eine Rolle gespielt haben. Man bedenke: Er tat dies 1921, inmitten der Prohibition, ohne große technische Hilfen.
Heute umfasst das Weingut auf dem Monte Bello die Flächen fünf ehemaliger Höfe. Hier werden so gut wie alle Weine von Ridge ausgebaut. Die Zweigstelle in Lytton Springs im Dry Creek Valley / Sonoma hat zwar große Kapazitäten zur Vergärung, jedoch keine ausreichenden Flächen für den weiteren Ausbau und die Lagerung. Daher sind so gut wie alle Weine von Ridge hier eingelagert und zu verkosten, aus der Flasche wie aus dem Fass. Erich Baugher nimmt mich mit in den 1880 in Kalkstein geschlagenen Fasskeller und wir probieren den 2017er Monte Bello Cabernet Sauvignon aus unterschiedlichen Fässern: Barriques aus amerikanischer Weiß-Eiche, Whiskeyfässer aus Weiß-Eiche und französische Eiche. Dabei plaudert Baugher vom Gestern, Heute und Morgen des Weinbaus auf Ridge. Wie man in den Siebzigern noch mit Silvaner und Riesling experimentierte, die Wingerte aber wieder abgestoßen hat. Ein Teil der Reben wie 49er Cabernet kam mit in den Betrieb, die Ausrichtung auf Bordelaiser Sorten nahm nach Erwerb schnell ihren Lauf. Draper hatte eine Vision was seine Weine anging und pflanzte Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Merlot und Petit Verdot. Nach und nach kaufte man mehr Land oder tauschte die Nutzungerechte mit benachbarten Landwirten und bestockte sie je nach Ausrichtung mit den Bordelaiser Reben. Man gab ab, was man nicht brauchte und pachtete dazu, was man in besten Lagen bekommen konnte. Dank der amerikanischen Nutzungsrechte spielt es in der Landwirtschaft keine Rolle, ob man Rüben oder Wein anbaut. Und noch heute wird ganz oben auf dem Gipfel neugepflanzt, Cabernet Sauvignon. Für die Zukunft.
Nach dem aufschlussreichen Schlenker in den Keller verkosten wir die Weine, wobei Baugher immer einen 10 Jahre gereiften Jahrgang neben den aktuellen stellt, um die Lagerungsfähigkeit der Weine zu unterstreichen. Ein ambitioniertes Unterfangen in einem Land, in dem die erste Anforderung an einen Wein ist, sofort nach dem Öffnen genussbereit zu sein. Gereifte Weine mögen in Europa zu guten Ton gehören, in den USA gibt es hingegen nicht wirklich eine Kultur, gereifte Weine zu trinken. Doch Draper ist unbeirrt und Baugher vinifiziert die Spitzen-Weine nicht auf schnellen Genuss, sondern auf Langlebigkeit. Reben aus Junganlagen oder Flachlagen werden für den Genuss von Montag bis Freitag gekeltert, die Toplagen jedoch gehören in den Keller. Die zehn Jahre gereiften Weine im Tasting beweisen dabei die Lagerfähigkeit und unterstreichen das Potential sowie das grandiose Terroir hier oben, auf dem Monte Bello.
Ridge ist Mitglied der Historic Vinyard Society, einer Vereinigung die sich um den Erhalt der historischen Rebanlagen kümmert.
Die zweite Station führte mich ins gute drei Stunden südlich von Santa Cruz liegende Paso Robles, auf halbem Wege zwischen San Francisco und Los Angeles. Dort legte Stephane Asseo im Jahre 1998 den Grundstein für seine neue Existenz, denn in der Mitte seines Lebens entschied sich der renommierte Önologe und Consultant, nochmals alles neu zu machen. Aus Bordeaux kommend blickt Asseo auf eine glorreiche Karriere bei Chateau Robin, Chateau Fleur Cardinale und Chateau de Courteillac zurück, doch Asseo fühlte sich als Weinmacher mehr und mehr eingeengt von den Auflagen der französischen AOCs und suchte nach neuen Möglichkeiten, seiner Passion als Winemaker uneingeschränkt nachgehen zu können. Ohne Auflagen hinsichtlich Rebsorten, Erträgen oder Ausbau. Das bedeutete Frankreich zu verlassen. Er verkaufte seine Anteile am Chateau Courteillac und bereiste die Welt um zu sehen, welche Türen ihm wo offenstehen. Er ließ sich letztlich in Kalifornien nieder, um nach der Grundlage seines zukünftigen Imperiums zu suchen. Asseo sah sich Grundstücke in Napa, Sonoma und Santa Barbara an, doch alles war entweder bereits vergeben, zu teuer, der Heimat zu ähnlich oder schlicht unbrauchbar. Der initiale Pioniergeist, gestählt von der Überzeugung, nach dem Verkauf seiner Anteile seines Châteaus reich zu sein, wurde schnell von der Wirklichkeit eingeholt, denn nirgendwo in den USA ist Land so teuer wie in Kalifornien. In den AVAs seiner Wahl kam Landkauf nicht in Frage, Napa erinnerte ihn zu sehr an Bordeaux, Sonoma kam nicht in Frage, bis er in Paso Robles das passende Fleckchen Erde fand, das wie geschaffen zu sein schien für seine Vision des unbeschränkten Weinbaus.
Dort fand er in den geschwungenen Hügeln die für ihn perfekten Gegebenheiten: viele unterschiedliche Expositionen und bestes Terroir aus massivem Kalkstein. Dazu kommen die besonderen klimatischen Bedingungen: Die Temperaturen von bis zu 40 Grad tagsüber fallen nachts bis auf 10 Grad ab, sodass man hier zurecht von einem thermischen Schock spricht. Das verlangsamt das Aufheizen der Trauben und erhält darüber hinaus die Säuren, die bei Weinen dieser Konzentration unerlässlich ist. Das Meer ist nur 25 Minuten entfernt und sorgt für gleichmäßige Belüftung der sanft geschwungenen Hügellagen. Seine Heimat zu verlassen ist eine Geschichte, in der Fremde ein Weingut aus dem Nichts aus dem Boden zu stampfen eine andere. Stephane Asseo kaufte eine Farm, die auf den Hügeln einst Getreide anbaute und begann Land je nach Lage und deren Ausrichtung Reben zu pflanzen und nannte sein Weingut nach seinem letzten großen Abenteuer – L’Aventure.
Seine Tochter Chloe erwartet mich im 2016 neu gebauten Keller mit piekfeinem Showroom. Sachlich elegant mit klaren Linien und europäischer Handschrift ist er das perfekte Framing für die Weine Asseos. Der Verkostungsraum liegt vor dem eigentlichen Keller, der von zwei Turbinen in den massiven Kalkstein getrieben wurde. Er liegt inmitten der gut 50 Hektar Rebanlagen, Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Syrah, Grenache, Mourvèdre, Petit Verdot und Graciano und werden hier angebaut und nach Herzenslust ohne Auflagen cuvetiert. Die Stilistik orientiert sich dabei an Stephane Asseos Maxime, stets das Maximum aus den Trauben herauszuholen: Maximale Frucht bei maximaler physiologischer Reife. Unverkennbar kalifornisch, mit geschliffenen Tanninen und dichtem Extrakt, die Frucht stets saftig-frisch und die Säure richtungsweisend: Flasche auf, rein ins Glas und flott nachgeschenkt. Und obwohl die Weine in der Jugend bereits begeistern sind sie enorm lagerfähig.
Der Optimus war der erste Wein, den Asseo auf L’Aventure machte, damals noch mit gekauften Trauben. Heute werden alle Weine ausschließlich aus eigenem Rebmaterial gekeltert und der Optimus ist der Einstiegswein von L’Aventure, die Spitze hat inzwischen die Estate Cuvée übernommen. Dazwischen tummeln sich Cuvées, die als Reminiszenz an Frankreich oder seine Tochter Chloe kreiert wurden – Chloe selbst insistiert, nichts damit zu tun zu haben als sie meinen Kelch füllt. Aktuelle Trends wie der Ausbau in Beton (hier nicht als Ei, sondern als Zylinder) sowie in italienischen Amphoren werden auf L’Aventure ganz selbstverständlich ins Winemaking mit eingebunden. Die Cuvée Côte a Côte z. B. enthält 9 % Amphorenwein und gewinnt somit ihr griffiges Mundgefühl, Kühle und damit allem voraus eins: Trinkzug – die wichtigste Eigenschaft für Weine aus so radikalem wie extremen Klima.
Shafer
Wenn man das erste Mal in seinem Leben das Napa Valley besucht, kann einem Schlechteres passieren, als den Auftakt bei Shafer zu machen. Andy Demsky empfängt mich herzlichst und wir schlendern durch die Weinberge, bevor die Sonne zu hoch steht und uns mit Schmiedehämmern bearbeitet. Demsky erzählt von der Geschichte des Betriebes und dessen Blick in die Zukunft. Seit einigen Jahren bestreitet Shafer dank Solar-Technik seinen eigenen Energieverbrauch, der Sunshine State Kalifornien macht’s möglich. Auch die Wasserversorgung ist seit Schwarzenegger alleinige Sache der Weingüter: als wirtschaftliche Unternehmen sind sie im notorisch trockenen Kalifornien vom öffentlichen Wassernetz entkoppelt und müssen autark arbeiten. Ich habe 101 Fragen zu Trockenheit und zur Bewässerung, die in Europa gern dämonisiert wird. Demsky erklärt den neusten Stand der Technik, der durch Messung des Saftflusses im Rebstock erlaubt, genau festzustellen, wann wie viel bewässert werden muss. Das hat die Wasserkosten und somit die Nachhaltigkeit Shafers nach vorne katapultiert. Der Vorsprung durch Technik mischt sich langsam mit der Erkenntnis der Vorzüge des nachhaltigen Weinbaus, was sich letztlich in der Qualität der verkosteten Weine zeigt. Auch Themen wie biologische Bewirtschaftung treten auch immer mehr in den Fokus, ganz nach Shafer’scher Manier: learning by doing. Da man auch hier festgestellt hat, dass man in einem balancierten Ökosystem weniger spritzen muss, hat man Herbizide und Fungizide aus dem Programm genommen und setzt stattdessen auf Begrünung, Nistkästen für Eulen und Singvögel. Durch die Konkurrenz der eingesäten Begrünungen werden die Reben gezwungen, tiefer zu wurzeln. Insgesamt 201 Acres (81 Hektar) umfasst der Betreib, wovon allerdings nur knapp 22 Hektar bepflanzt sind. Der Rest ist zu steil oder zu steinig. Derweil werden neue Reben direkt unterhalb des Kellers angelegt, eine sukzessive Vergrößerung ist derzeit jedoch nicht vorgesehen.
Learning by doing scheint bei Shafer Arbeitstitel zu sein, denn die Geschichte von Shafer Vinyards ist zweifellos eine der amerikanischen Vorzeige-Stories schlechthin. John R. Shafer hing mit 50 seinen alten Bürojob als Marketing-Experte an den Nagel um Wein zu machen. Aus dem Nichts heraus. Es gab keine familiären Vorbelastungen, kein Grund und Boden, keine vinophile Initialzündung. Er kaufte 1972 eine Farm im Napa Valley, zu der ein paar alte Zinfandel-Rebstöcke und ein oller Traktor gehörten. Laut historischer Quellen wurde an diesem Ort seit den 1880er Jahren Weinbau betrieben, vornehmlich mit Massenträgern wie Alicante Bouschet und Zinfandel. Die Annahme, Napa stünde zwangsläufig gleichbedeutend mit Cabernet Sauvignon, ist ein Irrglaube, denn die ersten Cabernet Pflanzungen sind erst seit 1962 belegt. Von Shafers damaligem Nachbarn John. Der war Weinbauer und verkaufte Trauben, machte aber probeweise seinen eigenen Wein aus Cabernet. Die Lage hieß John’s Upper Seven und sollte die Grundlage für den ersten Icon-Cabernet Sauvignon aus dem Napa Valley werden.
Eines Tages kam Nachbar John mit ein paar Flaschen 1968er Cabernet Sauvignon Eigenbedarfsfüllung vorbei, die er und John R. Shafer zusammen leerten. Der Nachbar bekam Recht in seiner Vermutung, dass es sich dabei um einen außergewöhnlich guten Wein handelt und Shafer bepflanzte den Berg hinter seiner Farm mit Cabernet Sauvignon, der heute den weltberühmten Hillside Select produziert. Weinbau in den Hanglagen war damals wie gesagt nicht üblich, man pflanzte nur im Flachland. Doch Shafer war voller Überzeugung und betrat Neuland, obwohl er sowohl mit den Hanglagen als auch der Wahl der Rebsorte auf zwei unsichere Variablen setzte, für die es keinerlei Erfahrung gab. Der Rest ist mehr oder weniger Geschichte. Shafer gehört heute zu den besten Weingütern der Welt, der Hillside Select ist eine Benchmark für Napa Cabernet, dessen Ruhm nachweislich auf Shafer zurück zu führen ist. Darüber hinaus hat sich John R. Shafer lange dafür eingesetzt, dass der Stags Leap District 1989 zur ersten AVA innerhalb Napas erklärt wurde und dem Massenweingebiet zu erstem Profil verhalf.
Wir stehen hinter dem Weingut vor genau diesem Berg als Johns Sohn Doug vorbeikommt, um den Besuch aus Europa zu begrüßen. Schirmmütze auf, Kaffeetasse in der Hand, alles sehr amerikanisch, aber eben auch sehr, sehr erfolgreich. Doug Shafer begann 1983 als Önologe und stellte das Jahr darauf direkt einen Assistenten ein, Elias Fernandez, der drei Wochen vor seinem High-School Abschluss in den Betrieb einstieg. Inzwischen wurde er im Weißen Haus geehrt als Beispiel für mustergültige Integration. Seit 34 Jahren fährt der Familienbetrieb wie auf Gleisen, auch hier gibt es keine Fluktuation in entscheidenden Stellen. Noch heute fährt John R. Shafer mit über 90 täglich ins Büro, um als Senior President am Geschehen teilzuhaben. Nach ein paar Fotos verabschiedet sich Doug und Marketing Manager Andy Demski und ich verkosten die Weine. Auch hier gibt es Neues: Nach 30 Jahren wird der Merlot als solcher nicht mehr aufgelegt, sondern durch den TD9 ersetzt. TD9 war das Traktor-Modell, auf dem Jon R. Shafer Trecker fahren gelernt hat – das Motiv, als initialer Motor der heutigen Marke, lag der Namensgebung zu Grunde.
Forman
Bereits die Anfahrt zu Ric Formans Weingut beweist abermals, dass exzellenter Weinbau in einer Region wie Napa nur in Hanglagen und am besten in entsprechender Höhe funktionieren kann. Ich verlasse den Silverado Trail und biege rechts ab, um den Howell Mountain hinauf zu fahren. Die Landschaft und somit auch das Mikroklima sind unglaublich wechselhaft und vielseitig und verändern sich teils auf kleinstem Raum. Die Straße zu Forman führt durch alte Redwood Wälder immer weiter den Berg hinauf, bis am Ende eine kleine Zufahrt in den Hof hinab führt. Kein Schild, kein Hinweis, nichts – man muss wissen, wo man hinmuss. Das hat den Vorteil, dass Forman weiß wer kommt. Das ist wichtig für ein knapp besetztes, inhabergeführtes Weingut, das Forman zusammen mit seinem Sohn Tobi und zwei festangestellten Mexikanern im Alleingang bestreitet.
Kein Tasting Room, keine Reisebusse, keine Sekretärin. Ich bin ein wenig aufgeregt, denn Formans Weine haben mich einen guten Teil meiner beruflichen Karriere begleitet, und sein Ruf, ein eigensinniger alter Kautz oben auf dem Berg zu sein, sorgt darüber hinaus für zusätzliche Anspannung. Dazu kommt, dass er eine verdammte Legende ist was den Weinbau in Napa betrifft. Ric Forman war der erste, der Merlot anpflanzte. Er arbeitete bei Mondavi und Sterling, war Mitbegründer von Newton, Duckhorn und Abreu Wines und war abermals der Erste, der Chardonnay im Fass ausgebaut hat. Er hat lange Zeit als Traubenproduzent gearbeitet und kennt das Terroir des Napa Valley wie kaum ein Zweiter.
Begrüßt werde ich von Forman persönlich, der grade den Stapler geparkt hat und sich fragt, wo zum Teufel sein Agent und Kumpel Ray Kaufmann bleibt. »Hi, I’m Ric!« Der Empfang ist kalifornisch direkt und herzlich, sein Händedruck zupackend und zeigt: Ric ist ein Macher. Es sei viel zu heiß, wendet er ein, und wir gehen in sein Büro, plaudern ein wenig und warten auf Ray. Forman ist geradeaus und offenherzig, trägt eine Schirmmütze und ist sonnengegerbt durch die Arbeit im Wingert. Was man in Deutschland von Trump halte, will er wissen und es entspannt sich eine lebhafte Diskussion, in die sein Agent Ray Kaufmann bei Eintreffen direkt einsteigt. Natürlich geht es um die Mexikaner, ohne die in Kalifornien nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch im Weinbau alle Räder still stehen. Ich bin keine zehn Minuten auf dem Weingut und wir befinden uns im vertrauten Plauder-Modus. In manchen Weingütern läuft ein Besuch businessmäßig nach Plan, auf manchen entspannen sich Gespräche und man vergisst die Zeit, das Geschäft, den Grund des Besuchs.
Wir vergessen die Zeit, bis uns allen dreien dürstet und Forman vorschlägt, etwas Chardonnay vom Fass zu kosten. Seine persönliche Vorliebe gilt dem Burgunder im allgemeinen und dem Chablis im Speziellen, am liebsten ohne Holz. Chablis ist Vorbild für seinen eigenen Chardonnay, den er zwar im gebrauchten Holz ausbaut, jedoch immer ohne malolaktische Gärung. Seine vertikale Säure ist es, die ihm Rückgrat, Charakter und immensen Trinkzug verleiht. Wir probieren verschiedene Fässer, die mit Reife und Konzentration spielen, bis wir ins Herzstück des Betriebes gehen: Den Stollen, drei Etagen unter dem Keller. Mehr als 150 Metern wurden direkt in den Berg getrieben. Dort reifen Formans Weine in französischer Eiche.
Wir verkosten verschiedene Lagen der Cuvée, die sich erstaunlich unterschiedlich präsentieren. Forman liest stets zwei Wochen vor seinen Kollegen und meidet die Überreife wie der Teufel das Weihwasser. Dazu spielt er mit den Lagen, eine mit rein südlicher Ausrichtung, die andere mehr südöstlich, höher und kühler gelegen. Sie sorgen für die Balance im Wein, Kellertechnik sucht man vergebens. Forman selbst sieht sich als Hands Off und Low-Intervention-Winemaker, der sich nach der Prämisse »Less is better« richtet. Eine Philosophie, die sich auch in Formans Preisgestaltung niederschlägt, die nicht allein für die für die gebotene Qualität, sondern auch für die geringen Mengen regelrecht günstig erscheint. »36 verdammte Dollar kostet mich alleine die Ausstattung einer 12er-Kiste,« empört sich Forman über die überall steigenden Preise. »Papier, Kork, Holzkiste, alles vor Steuer!«
Wir probieren den 2015 Cabernet Sauvignon, der von 12 % Cabernet Franc und variierenden Teilen Merlot und Petit Verdot ergänzt wird. Anders als in Europa sind in Kalifornien nicht 85 %, sondern nur 75 % einer Rebsorte vorgeschrieben, wenn diese als Monovarietät auf dem Etikett aufgeführt ist. Wir plaudern noch ein wenig und Forman erzählt von dem Pinot Projekt, dass er mit seiner Frau betreibt. Doch der stand heute nicht auf dem Programm. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass wir uns wirklich verquatscht haben. Ray Kaufmann muss los zum nächsten Termin und ich mache mich auch auf den Weg, denn Forman muss wieder raus, in den Wingert. Machen.
Kongsgaard
Das Weingut von John Kongsgaard ist nicht auf Besuch ausgelegt. Wer dennoch empfangen wird fährt den Atlas Peak hinauf, durch kilometerlange, verwinkelte Täler, die sich langsam von den dramatischen Bränden des letzten Oktobers erholen. Kein Schild, kein Hinweis, nur eine lange Auffahrt auf einen Berggipfel. Die asphaltierte Straße wird zusehends schlechter, bis sie irgendwann vor einem Tor aufhört. Auch hier steht kein Schild, kein Hinweis. Das Tor öffnet sich von Geisterhand, und erste Zweifel steigen in mir auf: Was, wenn dort oben auf dem Berg ein übellauniger Redneck steht? Oder sogar ein übellauniger, bewaffneter Redneck? Die Auffahrt schlängelt sich den Berg hinauf und Gerätschaften, die auf Weinbau schließen lassen zerstreuen meine initialen Zweifel. Oben angekommen steht ein kleines Häuschen vor einer dunkelbraunen, hölzernen Tür im Berg. Ein junger Mann, der sich später als Kongsgaards Assistant-Winemaker Evan zu erkennen gibt, deutet mir an zu warten, bis sich die Tür im Berg öffnet, und leise aber deutlich Klänge von Gustav Mahler aus dem Stollen dringen, gefolgt von John Kongsgaard. »Hi, I’m John,« begrüßt er mich mit festem Händedruck. Kongsgaard verzichtet auf den typischen kalifornischen Small Talk und schnell stellt sich eine gewisse Ruhe ein. Wir plaudern kurz und gehen ein wenig über das Anwesen.
Er zeigt mir seine neuen Rebanlagen, die er letztes Jahr am Hang unterhalb des Kellers angelegt hat. »Wir pflanzen immer erst die Unterlagen und pfropfen erst im Folgejahr, wenn wir absehen können, wie sich die Stöcke entwickeln. So müssen wir nicht beides doppelt neu machen, wenn ein Stock nicht anwächst.« Es ist Mittag und die Sonne läuft zur Hochform auf. Die umliegenden Hügel sind gesäumt von schwarzen Stämmen, die wie tote Finger in den blauen Himmel ragen. »Letztes Jahr wäre fast mein Haus abgefackelt,« erzählt Kongsgaard, »einen Wingert mit Cabernet Franc hat es niedergebrannt.« Ob der denn wiederkäme, frage ich, doch Kongsgaard hat keine Antwort. »Es kann sein, vielleicht aber auch nicht,« Kongsgaard oszilliert zwischen Resignation und Hoffnung und lässt seinen Blick zufrieden über die Neupflanzungen schweifen. Wir ziehen uns in den Keller zurück, den er 2006 in die Bergkuppe aus vulkanischem Gestein gebohrt hat – wie alles in familiärer Eigenleistung. Er und sein Sohn Alex haben sechs Monate gebohrt und nochmal so lange gebraucht, um den ganzen Abraum zu entsorgen. Seitdem entstehen hier oben in der Abgeschiedenheit bei konstanten 14 Grad und klassischer Musik einige der rarsten Weine Kaliforniens.
Kongsgaard ist großer Musik-Liebhaber und Schirmherr des Chamber Music & Napa Valley Festivals, dass dieses Jahr zum 39. Mal stattfindet. Die Musik im Keller sorgt für eine besondere Atmosphäre, die uns völlig der Außenwelt entbindet. Wir probieren zunächst einzelne Fässer, Kongsgaard möchte wissen, mit wem er es zu tun hat. Meine Analyse scheint ihm zu gefallen und aus einem werden 12 Fässer, bevor wir uns an die Flaschen machen. Wir setzten uns an einen kleinen Tisch zwischen den Fassreihen, in der Ecke neben uns ist eine voll ausgestattete Küche eingebaut. »Guter Wein braucht gutes Essen,« Kongsgaard überlegt kurz. »Und Musik. Was braucht es mehr?« Einmal im Jahr reist er nach Europa, ansonsten freut er sich, dass dank des Festivals die Größen der klassischen Musik zu ihm nach Napa kommen.
Wir probieren in aller Ruhe, die Weine geben den Takt vor. So ist es beim Winemaking, so ist es beim Verkosten. Mit seinem Top Chardonnay The Judge scheint Kongsgaard nicht zufrieden und bittet mich, ihn auf die Seite zu stellen, bis wir die Roten probiert haben. Allesamt Weine, die die Spitze Kaliforniens abbilden, ohne etwas sein zu wollen, was sie nicht sind. Sie haben Finesse und Terroir dank ihrer vulkanischen Böden, sind niedrig im Alkohol und haben trotzdem diese saftig-reife, verführerische Cabernet Frucht, die man nur in Napa so hinbekommt. Nur diese hedonistisch opulente Frucht verträgt auch den zupackenden Holzeinsatz aus 100 % neuer französischer Eiche. Das alles ist sehr kraftvoll, darin jedoch sehr wohl definiert und balanciert und lässt eher an Bruce Lee als an Sylvester Stallone denken. Der Wein hat die Konzentration und die Frucht, um dem Holz auf Augenhöhe zu begegnen. »Hat er die nicht,« so Kongsgaard, »trinkt man underwined oak statt overoaked wine.« Wir probieren weit über eine Stunde, fast beiläufig, dabei plaudern wir über Gott, die Welt und natürlich Musik. Meine Feststellung, dass im amerikanischen Radio ausschließlich Rock Musik läuft, lässt ihn mit den Schultern zucken. Rock? Radio? Beides wirkt im kühlen Keller bei gedämpfter klassischer Musik wie etwas Veraltetes aus weit zurückliegenden Zeiten.
Nach knapp eineinhalb Stunden sind wir fertig und ich packe bereits meine Sachen für den nächsten Termin, als er die zwei Gläser The Judge nochmals ins Rennen schickt. Eine Beschreibung an dieser Stelle würde dem Wein nur unzureichend begegnen, seine Entwicklung im Glas war jedoch phänomenal. Ein sagenhafter Chardonnay, dessen Nase an Le Montrachet erinnert und der zweifellos zu den ganz großen Kalifornischen Chardonnays zählt. Wahrscheinlich sind alle Flaschen bereits verteilt, bevor sie etikettiert sind. Dennoch sollte man zusehen, zumindest einmal davon gekostet zu haben, besser jedoch, eine ganze Flasche auszutrinken.
Als ich nach gut drei Stunden aus dem Berg in die Nachmittagssonne trete holt mich die Realität mit 43 Grad Celsius und blendender Sonne wieder ein. Ich fahre zum nächsten Termin und beobachte im Rückspiegel, wie Kongsgaard immer kleiner wird und winkt. Das Radio lasse ich vorerst aus und genieße Gustav Mahlers Nachhall.
Verité
Der anstehende Besuch bei Verité sorgte für eine gewisse Vorfreude, denn bislang hatte ich von den Weinen nur gelesen, sie aber nicht verkostet. Man durchquert Napa zur Gänze um in Sonoma County gleich hinter Calistoga links in die Chalk Hill Road abzubiegen. Spekulationen bezüglich der Beschaffenheit des Bodens verdichten sich wie ein nahendes Gewitter. Nach ein paar Kilometern fährt man auf den verhältnismäßig unspektakulären Hof: Ein funktionaler Keller in einer unscheinbaren Halle und eins der niedlichen kalifornischen Holzhäuser in Mausgrau, das ist alles? Irgendwie hatte ich mir alles etwas pompöser vorgestellt, bedenkt man, dass Verité Wines mit ihren inzwischen 13 × 100 Punkten ein vermeintliches Abo auf die Spitzenauszeichnung zu haben scheinen.
Ich werde empfangen vom gebürtigen Leipziger Fabian Krause und bin etwas verdattert, doch das Rätsel lüftet sich schnell. Fabian zog der Liebe wegen nach Kalifornien, der Liebe zu Pierre Seillans Tochter. Es wird grade neu gebaut auf Verité, erzählt Fabian und bittet das Durcheinander zu entschuldigen. Seillan selbst kam in den 90er Jahren nach Kalifornien, allerdings aus Liebe zum Wein. Auf Initiative von Jess Jackson von den Jackson Family Wines verabschiedeten sich Seillan und seine Frau Monique von ihrer Heimat Saint Emilion und zogen an die Westküste, um die Vision vom Spitzen-Kalifornier nach Bordelaiser Vorbild zu verwirklichen. Das Beste vom Besten war der Arbeitstitel, und der wurde von Beginn an konsequent umgesetzt. Die Weingärten liegen auf bis zu 700 Meter Höhe was in Europa bereits zum alpinen Weinbau zählen würde. Abermals bestätigt sich die Beobachtung, dass alle Top Weine vornehmlich aus Höhenlagen stammen.
Die Trauben werden Plot für Plot gelesen, in den Spitzenlagen handelt es sich oft um Einzelstock-Selektionen. Die Weine werden traditionell in einer alten französischen Korbpresse gepresst, es wird nur der freilaufende Saft und kein Presswein verwendet. Die Vergärung erfolgt spontan, bevor die Weine ins maßgeschneiderte Holz kommen. Das Thema Fässer ist ein weiterer Fetisch von Seillan und wird mit höchster Akribie verfolgt. Französische Hölzer aus ausgesuchten Wäldern lagern länger als üblich und werden dann nach Kalifornien verschifft, um vor Ort vom eigenen Küfer Fässer nach seinen Vorstellungen herstellen zu lassen. Jede Rebsorte kommt in individuell ausgewähltes Holz, um das Maximum an Qualität zu erzielen.
Fabian, Monique und ihr Cocker-Spaniel heißen mich herzlichst willkommen und entschuldigen Pierre, der beruflich auf Reisen ist. Wir gehen in das kleine Holzhaus, in dem Büro und Verkostungsraum untergebracht sind. Die Weine von Verité Wines folgen der Vorlage von Seillans alter Heimat: Bordeaux. Er begann in den späten 90ern mit seiner ersten Cuvée, die sich an Pomerol orientierte. Er nannte sie La Muse, später folgte die zweite Cuvée nach Vorbild des linken Ufers mit höherem Cabernet Sauvignon Anteil. Er nannte sie La Joie. Die Vorlage, Spitzenweine zu produzieren war eigentlich erfüllt, erzählt Monique Seillan, doch ein Herzens Projekt ließ Pierre nicht ruhen, Le Desir, eine Cabernet Franc Cuvée, die als dritte im Bunde das Portfolio abrunden sollte.
Das alles passierte mit überwältigendem Erfolg, und im Jahre 2007 erhielten erstmals alle drei Cuvées 100 Parker Punkte. Fabian, Monique und ich probieren die aktuellen Jahrgänge, die allesamt so perfekt und trinkfertig schmecken, dass die Frage aufkommt, wie die Wein reifen würden. Monique Seillan, die nicht nur für die Gäste, sondern auch für Public Relations zuständig ist, war natürlich vorbereitet und hatte den 2007 Le Desir rechtzeitig karaffiert – ein Weltklasse Cabernet Franc, der erst am Beginn seines langen Lebens steht. Das Bemerkenswerte ist, dass die Weine nur minimal geschwefelt werden, deutlich niedriger, als so manches deutsche Große Gewächs. Eine Entscheidung, die sich besonders beim 2007er Le Desir auszahlte, der durch seine beginnende Reife seine Eigenschaften wie auf einer Farbpalette zeigte: Frucht, Herkunft, Böden, alles verband sich glasklar zu einer Sinfonie. Seillans betrieben noch ein Weingut in der Toskana unter dem Namen Arcanum sowie das Château Lassègue in Saint Emilion.
Philip Togni
Der Weg zu John Kongsgaard schien mir der bislang Ungewöhnlichste. Abgeschieden im Nirgendwo auf dem Gipfel eines Berges, in dessen Tiefen leise klassische Musik den Wein bei seiner Entstehung begleitet. Der Weg zu Tognis jedoch verwies dieses Erlebnis auf den zweiten Platz. Ich hatte mich im Vorfeld gewundert, dass Togni mir eine detaillierte Wegbeschreibung geschickt hat, ganz wie in analogen Zeiten, als man noch mit Landkarten, in diesem Falle jedoch ohne deren Hilfe Ziele finden musste. Das Navi jedenfalls gab irgendwann auf, inmitten einer Kurve einer Serpentine oberhalb des Valleys. Es brauchte eine Zeit, bis ich das Tor ohne Schild, ohne Hinweis fand und den Code in das Bügel-Schloss eingab, um die Kette zu lösen und Zugang zum Weingut zu bekommen.
Hier oben, fernab von allem mitten im Wald, macht Togni seit 1983 seinen eigenen Wein. Seitdem Parker ihn in den frühen 90ern mit reichlich Punkten versah sind die Weine gesuchte Kreszenzen, die stets nach Füllung über eine Mailing-Liste schnell verteilt sind. Deshalb trifft man Togni selbst außerhalb des Weinguts nur selten. Er geht nicht auf Messen, bleibt gern zu Hause und schert sich um den Weinzirkus herzlich wenig. Wozu auch, wenn die Weine stets verteilt sind? Bis vor kurzem flog er noch jährlich nach Italien, Togni ist halber Tessiner, doch jetzt mit über 90 Jahren bleibt man lieber daheim.
Ich werde empfangen von seiner Tochter Lisa, die seit einigen Jahren in den Betrieb eingestiegen ist um das Erbe ihrer Eltern weiter zu führen. Wir machen einen kleinen Rundgang und Lisa zeigt mir die Rebanlagen, unter anderem auch den Hang, in dem noch zwei alte wurzelechte Sasso-Stöcke stehen, deren Alter auf gut 200 Jahre geschätzt wird. Wir gehen in den Keller, der so unspektakulär wie funktional ist. Er ist dreigeschossig angelegt, um von der Traubenannahme bis zur Füllung die Gravitation zu nutzen. Ich bekommen eine kurze Führung, bis Lisa mich ihrer Mutter Brigitta übergibt, mit der ich die Fässer des 2016er Jahrgangs probiere. Brigittas Freude über Lisas Entscheidung ist nicht zu übersehen. Die Alternativen, so meint sie, wäre Verkauf und im schlimmsten Falle das Ende gewesen. Lisa selbst hatte ursprünglich nichts mit Wein am Hut, so Brigitta. Sie arbeitete in einer Agentur in San Francisco, bis sich eines Tages ihr Interesse zu regen begann. Sie half eine Lese bei Leoville Barton in Pauillac, bevor sie 2012 nach Hause kam und in den Betrieb der Eltern einstieg.
Während Brigitta vom Gestern, Heute und Morgen erzählt probieren wir die unterschiedlichen Fässer der 2016er Cuvée, den reinen, vergorenen Saft sowie den Presswein. Erst einzeln, dann im Glas cuvetiert. Sie entschuldigt ihren Mann, der mit Lisa noch schnell die Analysen des 2016er Jahrgangs im eigenen Labor beenden muss, damit der Wein in der nächsten Woche gefüllt werden kann. Togni hat stets alle Arbeiten in Eigenregie ausgeführt: Analysen, Füllung, Labeling, Abtransport. Es ist alles so geregelt, dass man auf keine Hilfe von außen angewiesen ist. Ist der Wein gefüllt, geht die Mailing-Liste in den digitalen Orbit, die Weine werden abgeholt und von einem externen Lager aus kommissioniert. Das war’s dann. Seit einigen Jahren hält man immer einen Teil der jeweiligen Ernte zurück, um ihn später mit Flaschenreife auf den Markt zu bringen. Dabei folgen Tognis keinem festgelegten Muster, sondern richten sich nach der Entwicklung der Weine.
Als wir den Ca’ Togni, den Süßwein aus der Muskat-Spielart Black Hamburg verkostet haben, kommt Philipp Togni aus dem Labor zu uns und wir plaudern ein wenig über Gott, die Welt und letztlich über Süßwein. Wie die Rezeption in Deutschland sei, möchte er wissen. Wir unterhalten ein wenig über die Entwicklung der Gastronomie, der Veränderung der Trinkgewohnheiten und über Süßweine und deren Rolle auf den Tafeln und in den Gläsern der Welt.
Abermals war dies ein Besuch, der die Grenzen der Produktpräsentation überschritt und sich in eine herzliche Begegnung mit wunderbaren Menschen wandelte, die einen die Zeit vergessen ließ. Hier oben, ohne Zeit und Raum, wo die beeindruckendsten, unkalifornischen kalifornischen Cabernets produziert werden. Togni hat nicht nur die gesamte Produktionskette in seiner Hand, sondern kennt auch jeden seiner Partner persönlich. Er erkundigte sich zum Abschluss noch über meine Arbeit- und Auftraggeber und lässt alle ausdrücklich und herzlich grüßen. Für alle, die sich angesprochen fühlen und denen ich nicht explizit Grüße ausgerichtet habe möchte ich dies hiermit nachholen.
Benziger
Gut zehn Meilen nordwestlich von Sonoma liegt das Weingut von Chris Benzinger, oberhalb von Glen Ellen. Der nahegelegene Jack London Freizeitpark scheint eine der Attraktionen der Gegend zu sein, denn der Verkehr ist bereits am Morgen für Sonoma mehr als stattlich. Die Gästeparkplätze bei Benziger sprechen eine ähnliche Sprache, denn deren Größe lässt keinen Zweifel, dass man etwas Größeres im Sinn hatte, als man die Fläche als Parkplatz auswies: Was, ist auch schnell klar, als der erste Caddy mit gut 20 Touristen Richtung Weinberge an mir vorbei fährt.
Der Weg zum Eingang ist ausgeschildert wie in einem Freizeitpark, an dessen Ende der Eingang ist, sprich: Das Kassenhäuschen. Es werden verschiedene Touren zu unterschiedlichen Preisen angeboten und es ist erstaunlich, wie viele Leute bereits am frühen Morgen auf den nächsten Caddy für die nächste Tour durch die Weinberge warten. Das günstigste Angebot liegt bei 20 $, große Runde kostet 50 $, ein Preis der in Deutschland für Ausschreitungen sorgen würde, in den USA aber völlig normal ist. Wein ist hier ein Event, ein Happening, für das man genauso wie für einen Besuch im Zoo oder im Freizeitpark zahlt. Es kräht kein Hahn danach. Im Gegenteil, Benziger’s Winery wurde für 2018 sogar ausgezeichnet für »Best Tasting Room & Best Wine Tour« mit Sonoma Peoples Choice Award, auch der Wine Enthusiast teilt das Lob für das Angebot. Das umfasst von der einfachen Verkostung (5 Weine) über die Estate Tribute Tour, die Biodynamic Tram Tour (natürlich mit Trecker statt Caddy), bis hin zur Private Tour mit anschließendem Dinner mit einem Mitglied der Benziger Familie alles, was das Herz begehrt. Ein kleines gastronomisches Angebot mit Pizza aus biodynamischen Zutaten oder Sandwiches mit Produkten der Region erlaubt allen Gästen, für eine solide Grundlage zu sorgen.
Ich studiere das Programm, als Chris Benziger und seine Labrador Hündin Blue mich empfangen. Ich denke: Na das kann ja lustig werden, und auch Benziger weiss nicht so Recht, wer da jetzt gekommen ist, in welchem Auftrag und mit welchem Interesse. Ich spreche die Demeter-Zertifizierung an und renne offene Türen ein. Chris Benziger ist persönlich für die Herstellung der biodynamischen Präparate verantwortlich, in die er gerne das gesamte Team mit einbezieht. Jeder Mitarbeiter, der aktiv im Weinbau angestellt ist muss beispielsweise Kuhhörner mit Mist füllen, bevor diese vergraben werden. »Wir machen eine Party draus, mit ein paar Drinks und Gegrilltem,« erzählt Benziger, und tatsächlich gibt es kaum jemanden, der dies als befremdlich empfindet. Wir gehen hinauf in die Weingärten, um einen Blick auf das Weingut zu bekommen. Es liegt in einem geschlossenen Talkessel unterhalb des Sonoma Mountains. An dessen Südseite fließt ein kleiner Fluss, an dessen Ufern früher indianische Kultstätten lagen, wie Ausgrabungen beweisen.
Benzigers haben die Farm 1980 gekauft. Die Wegener Ranch gehörte davor einem gleichnamigen Doktor aus dem nahegelegenen Sonoma Hospital, der seinerseits das Anwesen in den sechziger Jahren gekauft hatte. Davor lag die Farm lag seit der Prohibition brach, bis Wegener sie als eine Art Kommune umfunktionierte. Chris Benziger erzählt von den Anfängen des Weinguts: »Als wir aus New York hierhin auf Land zogen war ich 14. und wenig begeistert. Doch als wir die Farm besichtigten, lief Wegener nackt herum, nur gehüllt in eine Toga. Um ihn herum nur nackte Frauen. Ein richtiger Hippie Traum vom alten Kalifornien. Wegner baute auch Wein an, vergor ihn aber mit Cannabis!«
Benzigers pflanzten neue Rebanlagen und rekultivierten die alten Anlagen rund um die Farm im Kessel in reiner Familienarbeit. Heute bewirtschaften sie insgesamt 85 Hektar, seit 2006 allumfänglich Demeter zertifiziert. Der Ganzheitliche Ansatz spiegelt sich in den Biotopen, die zwischen den Weingärten angelegt sind. Sie garantieren die hohe Biodiversität und umfasst nicht allein Pflanzen, sondern auch Insekten und Vögel. Eine eigene Schafherde hält die Grünflächen kurz und sorgt gleichzeitig für Dünger, den sie mit ihren Hufen in den Boden einwirken, Kühe sorgen für zusätzlichen Kompost, der mit der Biomasse der Gärten in die Rebanlagen eingebracht wird.
Wirkte der Betrieb zunächst wie ein riesiges Demeter-Disneyland, so macht der Aufwand in jedem Falle Sinn. Die Mehrarbeit, die biodynamische Bewirtschaftung mit sich bringt wird bei bis zu 200 Gästen pro Tag hinreichend quer finanziert und ermöglicht eine Existenz als wirtschaftlich arbeitender Betrieb, ohne die übliche Selbstausbeutung. Mike Benzinger: »It takes a lot of work to do very little when it comes to winemaking.« Der offensive Umgang Benzigers mit der Biodynamie lüftet darüber hinaus den mystischen Schleier der Bewirtschaftungsweise und bringt sie dem Endverbraucher näher. Mit Erfolg, so Chris Benziger: »Wir denken, dass Sonoma in zwei Jahren die erste Weinbauregion sein wird, die ohne Chemie und GMOs (genetisch modifizierte Organismen wie beispielsweise Enzyme) arbeitet.« Eine Entwicklung, von der man hierzulande leider noch weit entfernt ist.
Patz & Hall
Patz & Hall sind Senkrechtstarter unter den kalifornischen Winemakern. Im Jahr 1988 gründeten Donald Patz, James Hall, Anne Moses und Heather Patz den Betrieb aus Liebe zum Wein. keiner der vier war in irgendeiner Weise vorbelastet, es gab es keinen Grund und Boden und natürlich auch keine Kellerei. Patz & Hall verfügen über kein Land, sie arbeiten mit freien Weinbauern, den Growern, zusammen. Ein Konzept, das für uns zunächst seltsam erscheint, in Kalifornien aber gang und gäbe ist. So wie der europäische Weinbau seine Zäsuren durch die Kriege erlebte, brachte in den USA zuerst die Reblaus und danach die Prohibition den Weinbau fast komplett zum erliegen. Daraus entspringt die besondere Struktur: Es gibt Winzer mit eigenem Land, Winzer mit Land die Trauben zu- oder verkaufen und Winzer, die alles zukaufen. Zu letzteren zählen auch Patz & Hall.
Neben den Star-Winzern gibt es in Kalifornien ebenso berühmte Traubenproduzenten, die über bestes Terroir verfügen. Patz & Hall konzentrieren sich auf die burgundischen Rebsorten Chardonnay und Pinot Noir und beziehen den Löwenanteil ihrer Trauben aus Carneros. Diese südliche AVA liegt sowohl in Sonoma als auch in Napa und bietet ideale Voraussetzungen für beide Rebsorten. Sowohl das Terroir ist dank seines hohen Kalkanteils besonders geeignet, dazu kommt die Nähe zum Meer und die teils kräftigen Winde, die für stete Belüftung sorgen. Sie sorgen für langsame Erwärmung der Trauben, gleichmäßigen Reifeverlauf und schützen vor Pilzkrankheiten, da die Trauben stets gut belüftet werden.
Die Kellerei von Patz & Hall liegt am Rande des kleinen Örtchens Sonoma und ist für Endverbraucher nicht zu besichtigen. Eine schmucklose Halle, funktional ohne jeglichen Charme. Für Termine hat man deshalb eigens einen großzügigen Showroom gekauft, in dem Gäste und Gruppen zur Verkostung empfangen werden können. Auch für Hochzeiten und größere Feiern ist das Outlet perfekt geeignet.
Ich werde bei Ankunft bereits erwartet, die Proben sind wie oftmals in Kalifornien im Vorhinein vorbereitet, alle nötigen Unterlagen und Informationen liegen ebenfalls bereit. Es ist ein wenig so, als würde man ein Haus kaufen und hat wenig mit der weinseligen Probierstuben Romantik Deutschlands gemein. Die Weine der kühlen Lagen wie beispielsweise der Chenowth Ranch nahe des Russian River Valley oder die Chardonnays von Larry Hyde (der auch Flächen für Kongsgaard bewirtschaftet) zeigen sich mit kerniger Mineralik und typisch kalifornischem Naturell. Puristisch und klar im Einstiegssegment bis hin zum traditionellen, üppig-buttrigen Chardonnay sind alle Stilistiken vertreten. Auch die Rotweine decken eine Reihe von Stilistiken ab, vom frischen, fruchtbetonten Sonoma Coast Pinot Noir bis zum Pinot von der Pisoni Ranch im südlichen Monterey, der als Tannin-Monster zu 70 % in neuer französischer Eiche ausgebaut wird. Alle Weine durchlaufen die malolaktische Gärung im Fass und werden ungefiltert gefüllt.
Patz & Hall war mein letzter Termin und nicht nur mein Notizbuch, sondern auch mein Kopf ist voll mit neuen Eindrücken, die mein bisheriges Kalifornien Bild gehörig nach vorn korrigiert haben. In vielen Dingen sind die Kalifornier ganz weit vorne, in anderen Bereichen beginnt die Entwicklung grade erst. Ein guter Grund, die nächste Reise zu planen und mir zwischenzeitlich nachzuschenken.
Entgegen der Lehrmeinung zur Weltzspitze
In meiner Woche in Kalifornien habe ich viel gesehen, was meinen bisherigen Vorstellungen widersprach. Alle besuchten Betriebe hatten nichts mit der Flachland-Realität Napas gemeinsam, denn alle Weingüter lagen am Hang oder auf einem Berg. Der Merlot von Ridge steht auf 800 Metern, das entspräche in Europa alpinem Weinbau. Die verkosteten Weine waren fast ausnahmslos entgegen der Lehrmeinung der UC Davis hergestellt, spontan vergoren, ungeschönt, ungefiltert und teilweise sogar extrem niedrig geschwefelt. Dabei spiegelten die Weine stets die Persönlichkeit ihrer Schöpfer, allesamt beeindruckende Persönlichkeiten, Imperien, Unikate und Einsiedlern, tief im Westen, da wo alles erlaubt ist. Draper, Asseo, Shafer, Forman, Seillan, Kongsgaard, Togni, Benziger und Patz & Hall – die Namen lesen sich wie Perlen, aufgezogen in einer Kette.
So faszinierend Kalifornien ist, so unterschiedlich ist es auch im Vergleich zu Europa. Es gibt Traubenproduzenten, Winzer, Winemaker ohne Grund und Boden, sowie Winzer, die zu riesigen Imperien gehören. Tatsächlich werden die Großproduzenten immer größer, denn der Kostendruck in Kalifornien ist enorm. Wer kein Land besitzt sondern pachten muss, unterliegt den kontinuierlich steigenden Pachtzinsen. Dazu kommen die enormen Kosten für die Arbeiter, denn der Mindestlohn in Kalifornien ist hoch. Auch die Traubenpreise steigen Jahr für Jahr, insbesondere in Dürre Jahren wie 2013, 2014 und 2015, in denen der Wassermangel nicht nur die Ernte bis zu 50 % hat schrumpfen lassen, sondern auch durch die Bewässerungs-Kosten in die Höhe getrieben hat. Für Familienbetriebe wird es zunehmend schwieriger, der Konkurrenz der Multis entgegen zuhalten.
Es war eine große Freude, vor diesem Hintergrund die Persönlichkeiten des kalifornischen Weins kennenzulernen. Sie haben den kalifornischen Wein in nur vierzig Jahren vom 4 $ Bordeaux-Burgundy Schoppen an die Spitze geführt. Eine Entwicklung, die es streng genommen erfordert, meinen ersten Satz um zu formulieren: Kalifornien ist es in den letzten vierzig Jahren gelungen Weine zu erzeugen, mit denen sich die besten Weine der Welt messen lassen müssen.