Erst kürzlich nutzte ich die viele Zeit, die einem momentan bei all den ausgefallenen Großereignissen bleibt, für einen gemütlichen Abend mit Filmen rund ums Thema Wein. Auf der Liste stand unter anderem „Der Wein und der Wind“, der mir schon damals im Kino gut gefallen hat. Im Film geht es um drei Geschwister aus dem Burgund, die nach dem Tod ihres Vaters das Familienerbe, ein Weingut an der Côte d´Or, unter sich aufteilen müssen.
Während der älteste Bruder Jean nach etlichen Auseinandersetzungen mit dem herrischen Winzervater das Land bereits vor Jahren verließ, blieben seine Geschwister Juliette und Jérémie im Burgund. Jérémie heiratete in eine wohlhabende, bourgeoise Familie, Juliette entdeckte früh ihre Leidenschaft für Wein und stürzte sich in die Arbeit auf dem Familienweingut. Der Tod des Vaters führt schließlich alle drei wieder zusammen, alte Wunden reißen auf, es gibt Streit um das Erbe, denn die enorm hohe Erbschaftssteuer muss bezahlt werden. Und dabei stehen der nächste Herbst und die Weinlese unmittelbar bevor.
Die fehlende schützende Hand
Auch wenn sich am Ende alles zum Guten wendet, zeigt der Film, vor welch enorme Herausforderungen einen das Winzerleben stellen kann, wie unsicher, ja fast schon verloren man als junger Mensch dasteht, wenn die helfende, schützende Hand fehlt, die einem bisher bei allen wichtigen Entscheidungen mit Rat und Tat zur Seite stand. Bezeichnend dafür ist eine Szene im Weinberg, in der Juliette entscheiden muss, wann geerntet wird: Sind die Beeren nun reif oder nicht? Noch zwei Tage warten oder gleich morgen lesen? Wie hätte der Vater wohl entschieden?
Glücklicherweise sind solch dramatische Entwicklungen auf Weingütern nicht die Regel, aber auch im echten Leben gibt es Beispiele dafür. Man denke an Julian Huber, der 2014 als 24-Jähriger die Verantwortung auf dem Familienweingut nach dem Tod von Vater Bernhard übernehmen musste. Oder an Theresa Breuer, die 2004 nach dem unerwarteten Tod ihres Vaters plötzlich ins kalte Wasser geworfen wurde.
Generationenwechsel
Abseits solcher Schicksalsschläge sind Betriebsübergaben an den Winzernachwuchs meist ein langer Prozess. Die Elterngeneration hat über Jahrzehnte hinweg das Weingut sicher geführt, vielleicht sogar aufgebaut. Und nun kommt der Nachwuchs, möchte alles übernehmen. Da vermischen sich Freude und Sorge. Freue darüber, dass alles weitergeführt wird und in der Familie bleibt, Sorge darüber, wie sich nun alles schlagartig verändern könnte, wenn der Nachwuchs übernimmt. Klar, dass man sich da auch mal in die Haare kriegt.
Hier gilt es, den Spagat zwischen Konstanz und Fortschritt zu finden, zwischen Kontinuität und stetiger Weiterentwicklung. Neue Ideen, die das Bestehende bereichern, bringen ein Weingut voran. Ideal, wenn dann die Elterngeneration offen für frischen Input ist, sich nicht an alte Strukturen klammert und dennoch die Philosophie des Weinguts und der Weine an die nächste Generation heranträgt. Hierfür gibt es etliche gelungene Beispiele: Fritz Haag, Emrich-Schönleber, Dönnhoff oder Kühn.
Neue Verbindungen, neue Ideen
Neue Ideen saugen Nachwuchswinzer heute stärker auf als je zuvor. Das liegt zum einen daran, dass die Lehre heute vielfältiger und offener für Neues geworden ist. Methoden, die früher verpönt wurden, stehen heute auf dem Lehrplan der Weinbauhochschulen, auch wenn man sich selbst mit scheinbar banalen Themen wie der Spontangärung noch immer etwas schwertut. Viel wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass sich in der Weinwelt in den letzten Jahren alles viel stärker vernetzt hat. Man pflegt Kontakte zu Winzerinnen und Winzern aus der ganzen Welt, an den Hochschulen, etwa in Geisenheim, treffen die Studierenden auf Kommilitonen aus Italien, Spanien, Argentinien oder Georgien. Abseits der Hörsäle spielt sich dann das eigentliche Studium ab – man verkostet gemeinsam, man diskutiert über An- und Ausbaumethoden, man streitet heftig, um am Ende in den Armen der anderen zu liegen und auf die Freundschaft anzustoßen.
Der wichtigste Phase im Leben eines Winzers
Verständlicherweise zieht es einen dann auch an die Quellen der Schöpfung, auf Weingüter in der ganzen Welt, wo Wein ganz anders gemacht und gedacht wird als zuhause auf dem Familienweingut, wo Genuss ganz anders gelebt wird. Zurück bei den Eltern werden die gesammelten Ideen dann in neuen Projekten umgesetzt und ausprobiert. Wahrscheinlich ist das die wichtigste Phase im Leben eines Winzers. Sich ausprobieren, seinen eigenen Stil finden, ohne den Druck zu spüren, der einen später begleiten wird, wenn die Verantwortung für das Weingut ganz auf einem lastet.
Etliche Ergebnisse dieser wichtigen Entwicklungsphase können mittlerweile erschmeckt werden, die längst mehr sind als bloße Experimente. Da ist Carsten Saalwächter aus Ingelheim, einer der Newcomer schlechthin, der zunächst in Deutschland bei Winzern wie Stodden, Schnaitmann, Becker und Ziereisen Erfahrungen gesammelt hat, dann auch im Burgund bei Thierry Brouin und Jean Chartron. Da ist Sophie Christmann, die nach Stationen auf der ganzen Welt ein neues Kapitel Pfälzer Spätburgunder-Geschichte schreibt.
Schritt in die Ungewissheit
Und dann gibt es ja noch diejenigen, die mit Familienweingut und Winzerleben zunächst so gar nichts am Hut hatten. Diejenigen, die getrieben sind von der Faszination für Wein und schließlich den Schritt wagen und den Traum vom eigenen Weingut verwirklichen. Manchmal entstehen dann die vielleicht spannendsten Projekte. Viel hören wird man noch von Stefanie und Fabian Lassak aus Württemberg, die in Hessigheim am Neckar seit 2016 alte Terrassenlagen rekultivieren und dort sagenhaft gute Lemberger, Spätburgunder und Rieslinge ganz im Stile einer kleinen, feinen Weinmanufaktur machen.
Rien n'est impossible!
Im Fernseher läuft mittlerweile der Abspann. Selbst im bourgeoisen Burgund, wo sich viel hinter verschlossenen Weingutstoren abspielt und alteingesessene Winzerfamilien seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten über dieselben Parzellen herrschen, gibt es immer wieder einzelne Weinverrückte, die es schaffen, in einem so umkämpften Terroir etwas Eigenes zu kreieren. Da muss ich sofort an Sylvain Pataille denken, der Anfang der 2000er mit einem Hektar Reben in Marsannay startete, sich als sehr eperimentierfreudig zeigte und mittlerweile der Star der Appellation ist. Getrieben von der Besessenheit für unser liebstes Getränk scheint in der Weinwelt nichts unmöglich. Der Film ist aus, der Wein ist alle, der Wind noch längst nicht verklungen. Ab in den Keller und ein Fläschchen Marsannay oder Aligoté von Sylvain Pataille holen. Auf die Jugend!