Der Jahrgang 2022 in Südtirol
Vor meiner Reise in den Norden Italiens nach Trentino und Südtirol, war ich dieses Jahr besonders gespannt, wie sich die Weine des Jahrgangs 2022 wohl präsentieren würden. Denn der Jahrgang war, wie in vielen Teilen Europas, auch im Trentino und in Südtirol besonders warm und vor allem trocken. Zur Verblüffung vieler Winzer sind die Weine entgegen allen Erwartungen aber ausgeglichen und die Befürchtung, dass sie fett und mit zu wenig Säure ausgestattet sein würden, traf glücklicherweise nicht ein. Viele Weine, die ich probiert habe, sind sogar von Leichtigkeit, wunderbarer Frische und beeindruckender Textur geprägt, sie sind unglaublich attraktiv in ihrer Fruchtklarheit, obwohl sie dichter und stoffiger sind als die 2021er.
Klaus Gasser von der Cantina Terlan erklärt, dass der Jahrgang gar nicht so extrem war wie beispielsweise 2003 oder 2006, denn ab September wurden die Temperaturen in der Region wieder kühler und ausgeglichener. Außerdem war es von Anfang an eher gleichmäßig trocken und warm, so konnten sich die Reben akklimatisieren und wurden nicht aus heiterem Himmel mit Hitze-Spitzen überrascht.
Die Zukunft des Weinbaus in Norditalien
Bei all der Aufregung um den Jahrgang kommt langfristig die Frage auf, ob die Dynamik der ideenreichen Winzer sicherstellen kann, dass wir weiterhin die gewohnte Qualität und Spannung ins Glas bekommen, die wir vom traditionsreichen Norditalien gewohnt sind. Die Herausforderungen der wärmer werdenden Jahrgänge bedeuten für die Winzer ohne Frage mehr Aufwand und Ideenreichtum, um die kristalline Frucht ihrer Weine zu bewahren. Jedes der Weingüter, die ich besucht habe, hat eine eigene Herangehensweise, auf die ich gleich weiter eingehen werde.
Italiens alpine Regionen Südtirol und Trentino unterteilen sich klimatisch in den kühleren Norden und den mediterranen Süden. Zumindest was die Weinanbaufläche angeht, sind die Regionen in Italien nur wenig signifikant. Gemeinsam bringen sie nicht mal zwei Prozent allen italienischen Weins hervor. Die 5.400 Hektar der Südtiroler Rebfläche sind unter Tausenden von Traubenbauern aufgeteilt, daher wird der Großteil (ungefähr 80 Prozent) allen Weins auch heute noch von Genossenschaften abgefüllt. Das klingt für unsere Ohren erst mal nach einem Kompromiss, was die Qualität angeht, und somit nach einem Nachteil, aber der Qualitätsstandard der Genossenschaften ist so enorm hoch, dass sie Südtirol dazu verhalfen, über viele Jahre hinweg die Reputation als verlässlicher Qualitätswein-Lieferant zu etablieren. Die Weine der besten Genossenschaften, wie beispielsweise die der begehrten Cantina Terlan, sind zugeteilt – es gibt nie genug davon, um die hohe Nachfrage zu befriedigen.
Innovationen aus Mini-Betrieben genießen weltweites Ansehen
Wenn sich das nun anhört, als stünde die Region durch ihre Tradition still oder als sei sie vollkommen homogen, so muss gesagt werden: Das ist nicht der Fall. Ungefähr zehn Prozent der Rebfläche befinden sich in den Händen von kleineren Mini-Betrieben, die der Region zu viel Drive verhelfen und hoch individuelle Bio-Weine hervorbringen. Sie haben ihre Finger am Puls der Zeit und machen heute spannendere und bessere Weine als je zuvor. Es wird unglaublich viel experimentiert, vor allem auch damit, wie Frische in den Weinen bewahrt werden kann. Das Ansehen der einfallsreichen Winzer reicht übrigens weit über die Grenzen Italiens hinaus. So erzählt Emilio Zierock vom Weingut Foradori von den Besuchern aus der Champagne, die ihn bezüglich des Anbaus im Pergola-System zu Rate ziehen möchten. Das Weingut Foradori erlangte Ruhm durch den großartigen Top-Teroldego »Granato«, der aus einer Lage kommt, die in dieser Reberziehung angebaut ist, die Trauben wachsen dabei über Kopf und die Reberziehung spendet Schatten. Durch das wärmer und trockener werdende Klima ist in Europa eben Einfallsreichtum gefragt. Damit das Pergola-System funktionieren kann, sind Voraussetzungen wie ein stetiger Windfluss, wie er hier zwischen den imposanten, massiven Bergketten gegeben ist, von enormer Wichtigkeit – ein Vorteil, den die Region im Norden Italiens eben hat. Emilio selbst experimentiert währenddessen mit einem Chardonnay, der im Jura-Stil unter einer Hefe-Schicht ausgebaut wird. Eine solche entsteht ebenfalls nur unter ganz bestimmten Bedingungen, wie sie im Jura oder auch in Andalusien für die Sherry-Produktion zu finden sind. Seine hoch individueller weißer Manzoni ist im Jahrgang 2022 laserstrahlartig. Im Keller des Trentiner Vorzeige-Weinguts wird seit Jahren viel mit Amphoren und Schalenkontakt gearbeitet – eine Technik auf die nun mehr und mehr Winzer zurückgreifen, denn die Haptik die dadurch im Mund entsteht kann zu einem erfrischenden Trinkfluss beitragen. Seitdem Emilio 2013 ins Weingut eingestiegen ist, wurde die Weinstilistik immer feiner und eleganter.
Nusserhof – Bozen
Der Besuch beim visionären Heinrich Mayr vom Nusserhof war absolut »mind blowing«, und wenn ich ein Weingut aussuchen müsste, dessen Weine jeder einmal probiert haben sollte, ist es dieses. Der ruhige, bescheidene Mann ist der Retter der autochthonen Rebsorte Blatterle, die ohne ihn wohl sicher von der Bildfläche Südtirols verschwunden wäre. Zu niedrig und unregelmäßig sind die Erträge der Diva im Weinberg. Der Nusserhof bringt zudem anbetungswürdige Lagrein und Teroldego auf die Flasche. Sie bringen Feinheit und Komplexität auf dieselbe wundersame Art ins Glas, wie es sonst nur Rotweine aus dem Burgund vermögen. Echt absolut grandios und voll auf der Schiene von Feinheit und Finesse. Die weniger als sechs Hektar große Rebfläche des Nusserhofs wurden immer schon naturnah angebaut und erstaunlicherweise kommen derart bewirtschaftete Rebflächen mit Wetterkapriolen besser klar und können sie super gut ausgleichen.
Pranzegg – Bozen
Das Weingut Pranzegg liegt nur wenige Fahrminuten vom Nusserhof entfernt und gehört nicht ohne Grund zum neuen »Hot Stuff« aus Südtirol. Auch hier wird mit der verlängerten Mazerationszeit auf den Traubenschalen gearbeitet, um die Frische durch Textur in den Trauben aus den wärmeren Lagen in Bozen zu bewahren. Erst 2007 begann Martin Pranzegg die Trauben seiner zwei Hektar Pergola-Reben selbst zu verarbeiten, der erste Jahrgang war 2009. Die Weine werden »hands-off« und so natürlich wie nur möglich gemacht. Martin und Marion Gojer sind extreme Biodynamiker. Und auch hier ergeben Jahrgänge, die klimatisch etwas aus der Reihe tanzen, wie 2022, ausgeglichene Weine. Wer eine Flasche des gefeierten Weinguts ergattern kann, darf sich glücklich schätzen. Inzwischen gibt es viele begeisterte Anhänger, die um die Mini-Produktion konkurrieren.
Lageder – Margreid
Dieses Jahr sind beim Weingut Lageder besondere Feierlichkeiten angesagt, denn Südtirols Vorzeige-Weingut feiert sein 200-jähriges Bestehen. Auf meiner Reise durch die Region höre ich immer wieder von der Dankbarkeit vieler Winzer für die Veränderungen, die Alois Lageder bereits in den 1980er-Jahren in der Region angeregt und umgesetzt hat. Er war eine treibende Kraft in der Qualitätsrevolution der Region und somit ist ein Großteil der Reputation Südtirols eben auch Alois Lageder zuzuschreiben. Inzwischen ist mit Alois Clemens Lageder die nächste Generation mit ebenso viel Drive dabei. Gemeinsam mit Kellermeister Jo Pfisterer lenkt er das Weingut durch die Herausforderungen des wärmer werdenden Klimas. Die ganzheitliche Herangehensweise des »Hofkomplexes« ist der Höhepunkt des biologisch dynamischen Anbaus, der hier voll gelebt wird. Tiere sind ein unerlässlich wichtiger Bestandteil des Kreislaufs und während der Wintermonate grasen seit mehreren Jahren Ochsen zwischen den Reben. Clemens und Jo experimentieren mit einem kleinen Teil früher gelesener Trauben, um Säure in ihren Weinen zu behalten und auch mit längerem Schalenkontakt bei den Weißweinen. Sie verwenden zudem vermehrt Trauben aus dem höher gelegenen und somit kühleren Eisacktal nördlich von Bozen. Die Ergebnisse sind hoch spannend. Die Lageders verpassen wirklich keine Möglichkeit, um immer ganz vorne mit dabei zu sein.
Baron Longo – Neumarkt
Auch Südtirols bester junger Winzer, Baron Anton Longo, hat bereits Reben in höheren und somit kühleren Lagen gepflanzt. Eine seiner mit Pinot Noir und Chardonnay bestockten Parzellen steht auf über 1.000 Höhenmetern mitten im Wald. Hier greift Anton in der Tat nach den Sternen! Er macht seine Weine ganz ähnlich wie weiße Burgunder, geradlinig, von beinahe kristalliner Frische und von einer leichten Reduktion geprägt, und damit setzt er sich ganz klar von seinen Südtiroler Kollegen ab.
Manni Nössing – Brixen
Die 40-minütige Fahrt hinauf ins Eisacktal zu Manni Nössing fühlt sich surreal an. Es scheint, als ob die kurvige Autobahn schwebend über dem Tal hängt, links und rechts türmen sich die gewaltigen Berge immer höher und höher. Manni hat hier oben in der merklich kühleren Gegend die Rebsorten Kerner, Müller-Thurgau, Grüner Veltliner und Sylvaner stehen. Sein Sylvaner ist seine besondere Spezialität, aber bis seine neu bepflanzte Lage in Ertrag kommt, gibt es gerade mal homöopathische 1.000 Flaschen pro Jahr. Manni schwebt es vor, einen Sylvaner in Montrachet-Qualität herzustellen. Die Aromatik im Mund geht sogar schon etwas in diese magische Richtung, sehr steinig, mineralisch und geradlinig. Auch bei Manni lautet das Motto: »The future is bright.«
Kettmeir – Caldaro
Auch die Zukunft der Schaumwein Meister Südtirols, dem Weingut Kettmeir, liegt in der Höhe. Der erfahrene Önologe Josef Romen kann auf Lagen in bis zu 850 Höhenmetern zugreifen. Auch hier wird ein Teil der Trauben früher gelesen, um die Frische im Traubensaft zu bewahren. Zudem hat Josef immer Ideen um Qualitätsverbesserungen umzusetzen. Er legte beim Ausbau des Kellers 2016 großen Wert auf die Kühlung mithilfe von Geothermie, durch welche die Temperaturen stets konstant bleiben. Da die Schaumweine hier mindestens 22 bis 24 Monate in Gitterboxen reifen, bevor sie degorgiert werden, ist die Lagertemperatur ein entscheidender Faktor. Diese Spitzenwinzer in Trentino und Südtirol zeigen Möglichkeiten auf, wie die Qualität hier auch in Zukunft gesichert ist. Von höheren Lagen, Laubarbeit, Anpassung der Erntemenge und des Lesezeitpunkts hin zu einem längeren Schalenkontakt: Der Einfallsreichtum kennt hier keine Grenzen.