Es gibt einen deutlichen Trend zu Nebbiolo, viele scheinen verstanden zu haben, dass diese Weine, auch wenn sie zum Teil vollkommen anders, ein guter Ersatz für die nicht mehr auffindbaren oder bezahlbaren Weine des Burgunds sind. Nebbiolo haben einige Ähnlichkeiten zu Burgundern, aber sie haben auch einige Parameter, die sie deutlich von den Pinot Noir aus der Côte d‘Or unterscheiden. Was gute Nebbiolo wie vielleicht nur wenige andere Weine auf der Welt haben, ist eine fast direkt transportierte Emotionalität. Barolo, Barbaresco, Roero oder Lessona, Weine, die aus diesen Appellationen stammen, lassen einen nicht kalt.
Wenn sie jung sind oder man als Trinker wenig geübt ist, können sie einen mit ihren hohen Säurewerten, massiven Gerbstoffen und dichten Tanninen überfordern. Oft haben sie aber solch eine dramatische Länge, Dichte und Energie, dass man unweigerlich eine Gänsehaut bekommt. Und dann ist man eigentlich schon infiziert. Ein Grund hierfür ist vermutlich, dass man Nebbiolo nicht verkitschen kann. Auch in den besten Weinbergen des Burgunds kann man Weine finden, welche eine Ausgewogenheit zwischen Frucht und Struktur vermissen lassen, und einem wie Fruchtsaft über den Gaumen rinnen. Mit Nebbiolo ist das unmöglich – zumindest ist mir nach vielen hundert probierten Nebbiolo so etwas noch nie untergekommen.
Im Burgund ist Stilistik auch immer eine Frage der engeren Herkunft, Weine aus Chambolle-Musigny sind eigentlich immer weniger dicht als solche aus Gevrey-Chambertin. Im Piemont, das ist meine feste Überzeugung, ist oft das Winemaking wichtiger als die Appellation. Viele Spitzenwinzer aus der Langhe zeichnen sich dadurch aus, dass sie vor allem die Tannine voll im Griff haben. Barolo und Barbaresco haben immer dichte Tannine, die absolute Spitze der Weinmacher ist aber in der Lage, diese Bitterstoffe mit den anderen Komponenten in Einklang zu bringen. Vor allem ist es wichtig, die typischen Fruchtaromen zu bewahren und klar herauszuarbeiten. Diejenigen, die dies beherrschen, beherrschen es durch ihre gesamte Produktpalette hinweg, unabhängig von der Herkunft der Trauben. Die Frage ist dann, welche Rolle das Terroir für Nebbiolo spielt.
Wenn man z. B. Barolo als Weinbauregion unter diesem Aspekt näher betrachtet, wird einem schnell klar, dass dem Terroir in der Analyse von außen deutlich weniger Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde, als man dies bei einer so prominenten Weinbauregion erwarten würde. Doch auch hier hat sich in den letzten Jahren etwas getan. So gibt es z. B. auf der Website von Vinous, dem Onlinemagazin von Antonio Galloni, Karten der Lagen von Barolo und Barbaresco. Hier sind nicht nur alle relevanten Lagen enthalten, sondern auch klassifiziert. Interessant ist, dass alle Barolo, die Bruno Giacosa mit seinem berühmten roten Etikett als Riserva gefüllt hat, hier zu den allerbesten Lagen gezählt werden. Die einzige Ausnahme ist überraschenderweise die Lage Bussia, in der z. B. die Lagen für den Gran Bussia von Aldo Conterno zusammengefasst sind. Aus dieser Lage stammten bis zum Jahr 1971 auch die Trauben für den Monfortino, dies sei hier nur am Rande der Vollständigkeit halber erwähnt.
Am stärksten und öffentlichkeits-wirksamsten innerhalb der Winzerschaft scheint hier Bruno Giacosa gewirkt zu haben. So hat sich Antonio Galloni wohl bei den Einschätzungen Bruno Giacosas bedient, mit der Ausnahme Bussia. Auch das Standardwerk zu den Lagen Barolos, »Menzioni Geografiche Aggiuntive« von Alessandro Masnaghetti, ist wohl vom enzyklopädischen Wissen Bruno Giacosas inspiriert, dies behauptet zumindest Monica Larner, die für den Wine Advocate über die Langhe berichtet. Giacosa war nicht der erste, der im Piemont Einzellagenweine auf die Flasche gebracht und so den Terroirgedanken befruchtet hat. Er war jedoch der erste Weinhändler, der dies gemacht hat. Bruno Giacosa begann seine Karriere als Weinhändler, in der Zwischenkriegszeit musste sein Großvater auf Grund der Weltwirtschaftskrise und der damit einbrechenden Nachfrage das eigene Weingut aufgeben. Erst 1961 brachte Giacosa Weine unter seinem Namen auf die Flasche. 1964 dann schon mit Lagennamen, seine erste Riserva war der Barbaresco Santo Stefano 1964.
Mit den Jahren und wachsendem Erfolg kamen auch immer wieder neue Lagen hinzu, denn bis in die 90er Jahre war es schwierig, Barolo zu verkaufen, nicht für Giacosa, aber für viele andere. So war z. B. Dolcetto beim Weingut Giacomo Conterno, einem der historisch wichtigsten Barolo-Weingüter, bis in die 90er Jahre der Verkaufsschlager. Dadurch war es nicht schwierig für Giacosa, Trauben für seine Barolo und Barbaresco zu kaufen. Diese Praxis endete erst mit dem 2011 Barbaresco Santo Stefano, seit diesem Jahrgang sind alle Barolo und Barbaresco aus im Eigenbesitz befindlichen Lagen gekeltert. Daher ist es überraschend, dass Giacosa 1982 ein Weingut mit einer kompletten Einzellage erwarb. Die Frage ist nun, warum tat er dies? Es wird vermutet, dass es mit den Jahren immer schwieriger wurde, Trauben aus den besten Lagen zu erwerben und dass Giacosa daher das Weingut Falletto in Serralunga d’Alba erwarb. Dies scheint jedoch, wie oben bereits zum Teil deutlich wurde, nicht zuzutreffen. Schließlich war er in der Lage, bis 2011 Trauben für den Santo Stefano zu kaufen. Eine Lage, der er zu ungemeiner Prominenz verholfen hatte. Santo Stefano ist vermutlich später nicht mehr als Riserva produziert worden, da andere Lagen bessere Weine hervorbrachten.
Laut seiner Tochter Bruna Giacosa entschied sich Bruno das Anwesen Falletto zu erwerben, sobald er davon erfuhr, dass es zum Verkauf stand. Denn er wollte Weine machen, die langlebig und elegant sind, solche Weinberge interessierten ihn. Denn hier sind die natürlichen Bedingungen für feine Tannine und damit balancierte Weine gegeben: Kraft und Intensität aber ohne die zwangsläufige Härte anderer Barolo. Schon als Kind hatte Bruno mit seinem Vater auf der Suche nach besten Trauben oder Weinen die Weinberge der ganzen Langhe besucht. Die Legende sagt, dass er in der Lage war, am Geschmack der Trauben Rebsorte und Lage zu bestimmen. Die Lage Falletto di Serralunga war ihm daher bekannt. Auch wenn die Lagen in Serralunga historisch gesehen nicht die Reputation einiger Lagen in La Morra, Barolo und Monforte hatten, wusste Bruno, dass man hier Weine machen kann, die seinem Ideal von Balance und Finesse entsprechen.
Heute gibt ihm die Geschichte in zweierlei Hinsicht Recht: Fast alle Produzenten, die sich im qualitativen Potential ihrer Weinberge verändern und verbessern wollen, erwerben oder pachten heute Weinberge in Serralunga. Und der erste Jahrgang Giacosas aus Falletto, der Barolo Falletto 1982, ist weit davon entfernt müde zu werden, er steht voll im Saft und braucht nach dem Öffnen viele Stunden um sein volles Potenzial zu entfalten, so durfte ich dies zumindest bei einer Probe im letzten Jahr erfahren. Bereits drei Jahre nach dem Erwerb von Falletto entschließt sich Bruno eine Riserva aus diesem Weinberg zu füllen, es folgen noch einige weitere, alle werden von den Kritikern hoch gelobt.
Antonio Galloni ist zunächst nicht begeistert [...] der 2001 Rocche del Falletto di Serralunga Riserva ist dann schon mit 97 Punkten bewertet.
1997 kommt es dann zu einer einschneidenden Veränderung. 12 Jahre nach dem Erwerb des Anwesens – Falletto ist nicht nur eine Lage, sondern eine Azienda Agricola – kommt ein neuer Wein auf den Markt, sein Name ist »Rocche del Falletto di Serralunga«. Gleichzeitig wird keine weitere Falletto Riserva mehr auf die Flasche gebracht, 1996 bleibt der letzte Jahrgang dieses Weins. Antonio Galloni, der seine Reputation mit dem Beschreiben und Bewerten piemonteser Weine erworben hat, ist zunächst nicht begeistert. Robert Parker wird informiert, dass dieser neue Wein aus vier zentralen Parzellen stammt. Und ihm gefällt das neue Produkt durchaus ziemlich gut, die Bewertung mit 96 Punkten ist für einen neuen Wein extrem hoch. Gallonis Meinung ändert sich relativ schnell, denn der 2001 Rocche del Falletto di Serralunga Riserva ist dann schon mit 97 Punkten bewertet, der 2004er dann bereits mit 99+. Die Entscheidung, einen Rocche del Falletto zu produzieren, geht auf den Wunsch Brunos und Brunas zurück, keinen Barolo mehr aus gekauften Trauben zu produzieren. Da der Charakter der Nebbiolo aus unterschiedlichen Parzellen Fallettos deutliche Unterschiede zeigte, entstand die Idee, zwei Weine zu produzieren. Seit diesem Zeitpunkt ist auch keine weitere Falletto Riserva mehr gefüllt worden. Barolo Riserva war von nun an den Parzellen des Rocche del Falletto vorbehalten.
Ich kann mich noch gut an die Verkostung des 2004 in Neive erinnern. Ich erinnere mich nicht mehr an viele Details, aber die Assoziation, nun mit etwas absolut Klassischem zusammengetroffen zu sein, hat meinen Eindruck bis heute geprägt. Trotz seiner immensen Intensität, Länge und Vielschichtigkeit war vor allem die scheinbare Mühelosigkeit, die diesem Wein innewohnte, einzigartig. Trotz seiner extremen Attribute schienen die Proportionen im absoluten Gleichgewicht, zunächst fiel es mir schwer, eine Verkostungsnotiz zu erstellen, so eindrucksvoll war dieser Wein. Die Entscheidung Brunas und Brunos war ein voller Erfolg. Die ersten Jahrgänge waren jedoch nicht als Riserva gefüllt worden. Und dies blieb auch in der Folge so. In jüngster Zeit sind 2013 und 2015 als Barolo gefüllt worden, 2011, 2012 und 2014 als Barolo Riserva. Laut Bruna sind die Kriterien für die Entscheidung, ob ein Wein als einfacher Barolo oder als Riserva auf die Flasche gebracht wird, immer noch die gleichen, die entscheidend zum Erwerb von Falletto führten: Langlebigkeit und Eleganz. Wenn man alle Rocche Weine von 2011 bis 2015 miteinander vergleicht ist dies offensichtlich. Während 2013 und 2015 nur so vor Kraft strotzen, sind 2011 und vor allem 2012 unglaublich finessenreich und elegant. 2014 ist dann scheinbar noch eine Spur komplexer, länger und lebendiger. 2013 und 2015 sind immer noch Barolo, die eindeutig aus dem Hause Giacosa stammen. Der Unterschied liegt maßgeblich im Charakter der Jahrgänge, der hier sehr genau herausgearbeitet wurde. Der Unterschied im Ausbau zwischen weißem Etikett und der Riserva mit rotem Etikett ist lediglich eine längere Lagerung auf dem Weingut in der Flasche. Das Ziel ist es, das Terroir, inklusive des Jahrgangs, so genau wie möglich zu zeigen, um einen möglichst finessenreichen, eleganten und langlebigen Wein zu machen. Dies ist genau die gleiche Motivation, die Bruno Giacosa in den 60er Jahren dazu verleitet hat, Einzellagenweine auf die Flasche zu bringen.
Falletto zeichnet sich durch lehmigen Unterboden mit einer Auflage aus fein pulverisiertem Kalkstein aus.
Seit der Kreation des Rocche del Falletto ist dieser Wein die Spitze der Qualitätspyramide im Haus Giacosa, vor allem natürlich, wenn er als Riserva auf den Markt kommt. Mit dem 2011 Riserva hat sich die Bezeichnung geändert, nun heißt der Wein »Vigna Le Rocche«, was den Auflagen des Konsortiums für Einzellagenweine entspricht.
Mit den Jahren ist der Barolo Falletto in den Hintergrund getreten. Neben dem Vigna Le Rocche kommt auch der Barbaresco Asili nur in bestimmten Jahrgängen als Riserva mit rotem Etikett auf den Markt, in den anderen als Barbareso Asili mit weißem Etikett. Seit 2013 ist Giacosa auch wieder im Besitz einer Parzelle der Lage Rabaja in Barbaresco, die faszinierend schöne Weine hervorbringt.
In der Lage Falletto waren bei Erwerb durch Giacosa auch Dolcetto und Barbera gepflanzt worden. Diese Reben haben nun ein Alter erreicht, durch welches sie in Kombination mit den herausragenden Eigenschaften der Lage an der Spitze der Appellation stehen. Falletto zeichnet sich durch lehmigen Unterboden mit einer Auflage aus fein pulverisiertem Kalkstein aus. Serralunga ist vor allem in seinem Kernbereich um den Ort selbst herum mit eisenhaltigen Böden ausgestattet. Diese bringen ungemein wuchtige Weine hervor, ein klassisches Beispiel ist hier die Lage Rionda. Der südliche Bereich von Serralunga hat einen viel geringeren Anteil an Eisen. Vor allem die Kalkauflage im Falletto ist einer der Gründe für die Finesse sämtlicher Weine, die hier entstehen.
Bei dieser Vielzahl an herausragenden Weinen ist es fast natürlich, dass ein Wein etwas in den Hintergrund tritt. Dies ist in vielen Jahrgängen der Barolo Falletto gewesen. Neben der Kraft des Rocche wirkte er weniger prominent. Im Hause Giacosa wurde das aber nie so wahrgenommen, Barolo Falletto und Barolo Falletto Vigna Le Rocche hatten immer nur leichte Preisunterschiede. Denn bei Giacosa geht es eben um Eleganz. Mindestens seit dem Jahrgang 2014 hat Falletto nun eine Klasse erreicht, die zur absoluten Spitze des Piemonts gezählt werden muss. 2014 hatte eine Feinheit, die in Proben einige der berühmtesten Grand Cru des Burgund auf die Plätze verwiesen hat. 2015 ist hochkomplex, fein und schwerelos-druckvoll, dies scheint ein quasi giacosaesques Attribut zu sein. 2016 hat nun die absolute Spitze erreicht, aromatische Komplexität, Länge und Energie sind umwerfend. Dieser Falletto kann sich mit allen Spitzenweinen der Welt messen, dies hört man in den letzten Monaten immer öfter. Diese Kombination von zwei Weltklasseweinen aus einer einzelnen Lage scheint mir global einmalig zu sein.
Man muss sich schließlich fragen, wann Falletto auch wieder als Riserva gefüllt wird. Solange dies nicht passiert, sollten wir uns an dem erfreuen, was Bruno Giacosa uns hinterlassen hat.