Von Elias Schlichting

Expressionisten des Weinbaus – Meister der Kausalität

Einer der faszinierendsten Winzer Deutschlands ist Kai Schätzel. Der Querdenker aus Nierstein an der Rheinfront hat sich mittlerweile in der Elite Rheinhessens etabliert. Und obwohl er heute seinen Stil nach einer extrem experimentell-wilden Zeit manifestiert hat, erfindet er sich gefühlt noch immer jedes Jahr neu. Doch was macht der rheinhessische Freigeist anders? Er bedient sich am vollen Baukasten der Optionen frei nach Lust und Laune und macht dabei nur sehr wenige Kompromisse!

Schätzel

Für den Anbau seiner Trauben in Nierstein und Nackenheim folgt er seit Jahren den strikten Richtlinien der Biodynamie, aber Baukastenrezepte gibt es bei ihm keine. Sein gesamtes Wirken ist ein stetiges Streben nach Dynamik und immer neuen Inspirationen. Er bereist ferne Länder, um sich Landwirtschaftskonzepte und Anbausysteme anderer Kulturen anzusehen und wertvolle Erkenntnisse für sich zu adaptieren. Er experimentiert, wägt ab und lotet aus. Es ist ein dynamisches Wirken, das einen unaufhaltsamen Antrieb hat: eine leidenschaftliche Vision. Eine Vision von Leichtigkeit, von Unbeschwertheit und Verspieltheit, von einem naturbelassenen Stil, der doch unverkennbar diese einmalige Handschrift trägt.

Seit diesem Jahr gibt es bei Schätzel mit dem Naturweiss einen Natural-Gutswein mit 10,5 % vol. aus Silvaner, Riesling, Weißburgunder und Müller. Unterschiedlich lange Maischestandzeiten und dazu Traubensäcke mit Ganztrauben in den Gärbehältern. Alle Moste sind spontan vergoren und – obwohl es nicht so geplant war – einfach ungeschwefelt belassen, weil sie sich so passend präsentiert haben. Ohne Volatilität, sondern mit Präzision, Frische und der unverkennbaren Schätzeligkeit. Mit dem QuerKopf Silvaner, der, wenn er als Ortswein zugelassen wird, manchmal auch Nackenheim Silvaner heißt, erzeugt er einen der spannendsten Silvaner Deutschlands. Tagelange Maischestandzeit, herbfruchtige Schalenaromen in der Nase, komplett ungeschwefelt ausgebaut und abgefüllt. Eine Aromenexplosion am Gaumen, gleichzeitig leicht und doch so abgefahren intensiv. Diese Weine sind eigentlich kleine Gesamtkunstwerke und entziehen sich damit jeglicher Vergleiche oder Konventionen.

Weine vom Weingut Schätzel

Kai Schätzels Weine muten immer leichtfüßig an, sind ultrapräzise, messerscharf und zeichnen sich jedes Jahr durch extrem niedrige Alkoholgrade aus. Eben weil das gesamte Weinbergskonzept darauf ausgelegt ist. Es sind »entschleunigte« Weinberge mit wildem Wuchs und Begrünungen, die mit unzähligen Erntedurchgängen gelesen werden. Für die kleinsten, goldenen Trauben. Er bewegt sich spielerisch zwischen traditionellen, unkonventionellen, Natural-geprägten und empirisch ermittelten Arbeitsweisen. In seinem genialen, freigeistigen Konzept finden extrem lange Maischestandzeiten mit Trockeneis, Einmaischung mit den Füßen, strikte Spontangärung, traditionelle deutsche Fuderfässer, lange Hefelagerung, sowie der gezielte Einsatz von Schwefel oder das komplette Weglassen von Schwefel auf magische Weise zusammen. Für jemanden wie Kai ist eine Diskussion darüber, wie »Natural« ein Wein denn sein darf, doch schon viel zu engstirnig und kleingeistig. Naturweine, Landweine und Große Gewächse, ungeschwefelte Weine und brachial reduktive Kabinette ohne Rücksicht auf Verluste – alles aus einem Keller. Na und? Er beweist doch, dass es geht. Unkonventionell, schräg, eigenwillig, charakterstark, spirituell und immer ein bisschen Freakshow. Aber eben emotional berührend, fesselnd und begeisternd. Erkenntnisreiche Weine zum auch mal drüber Nachdenken, die einem hochdynamischen, intellektuellen Geist entspringen. Mein Lieblingswein: 2017 Hipping Kabinett. Null süß, dramatische Mineralik, laserpräzise Säuren, elektrisierende Spannung. Kompromisse minimal, Spaßfaktor maximal. Mega!

93
/100

BIO

VDP

Naturweiss Gutswein

Schätzel

Rheinhessen

f

Cuvée, trocken

z

exotisch & aromatisch
leicht & frisch
naturbelassen

a

Lobenberg: 93/100

Suckling: 91/100

Ex Vero – wenn die Stachelbeere in Rauch aufgeht.

Neben Frankreich hat sich vor allem Österreich zu einem der führenden Länder für naturbelassene Weine entwickelt. Es gibt unglaublich viele hochgradig talentierte Naturwinzer dort. Natürlich profitieren sie von diesem empirischen Know-How und entsprechendem Austausch von Erfahrungswerten. Zudem verfügen sie über einige Top-Netzwerke wie etwa RESPEKT. Selbst in dieser Riege von Top-Winzern schaffen es einige wenige, sich nochmal abzuheben. Einer davon ist für mich Ewald Tscheppe vom Weingut Werlitsch. Die steilen Hanglagen der Südsteiermark sind die Leinwand dieses Terroir-Künstlers. Die atemberaubende Landschaft ist ebenso faszinierend wie die Weine. Es ist eine Weißweinregion mit marginalem Klima und neben der Loire, Pessac und Marlborough wohl die beste für Sauvignon Blanc. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Ewald Tscheppe sich aufs Wesentliche konzentriert.

Ewald Tscheppe
Ewald Tscheppe

Sein Fokus liegt auf Sauvignon und Chardonnay, der hier eigentlich Morillon heißt. Dabei geht es ihm vorwiegend um den Ausdruck der Lagentypizität und nicht der Rebsorten. Seine Weine weichen immens von den Vorstellungen eines fruchtigen Sauvignon Blancs ab. Ob der vielen lauten und expressiven Weine aus dieser Sorte vergisst man schnell, dass sie absolut dazu fähig ist auch feinste Terroir-Unterschiede zu transportieren. Natürlich wird im Außenbetrieb strikt biodynamisch gearbeitet, aber nicht nur aus qualitativen Gründen, sondern als Lebenseinstellung. Das Profil seiner Weinberge beschreibt steile, karge Hänge, die in etwas flachere Zonen übergehen, um wieder steil ins Tal abzufallen. Daraus ergeben sich verschiede Zonen an Kleinklima- und Bodentypen. Die flacheren Stellen mit höherem Lehmanteil sind sehr fruchtbar. Die steilen Zonen hingegen sind extrem karg mit nur sehr geringer Erdauflage. Boden, Ausrichtung und Steigung sind die Determinanten seiner Ex Vero Linie. Ex Vero III kommt vom oberen, kargsten und windigsten Teil, also der Kuppe des Steilhangs. Nach der Einmaischung folgen je nach Jahrgang einige Tage Standzeit und anschließend die spontane Gärung im offenen Holzgärständer. Es folgen volle 2 Jahre auf der Feinhefe in großen, alten Holzfässern und anschließend noch weitere Flaschenreife im Weingut vor Release. Die Weine leben neben ihrer ausgefallenen Aromatik zwischen Rauch, Stein, Schale und Frucht vor allem von ihrer aparten Textur. Die Kombination aus Schalenkontakt und Hefelager erzeugt ein Tannin gepolstertes, salzgeprägtes, gleichsam anschmiegsames und ungezähmtes Mundgefühl der etwas anderen Art. Hochgradig stimulierend. Aber am allermeisten fasziniert mich die uhrwerkgleiche Präzision, die seine Ex Vero Serie auszeichnet und die Genialität dieser Weine und ihres Machers unterstreicht.

Ewald Tscheppe

Werlitschs »Glück« (früher einfach Werlitsch) ist in der Regel ein 50/50 Blend aus Sauvignon und Chardonnay, meist aus den Hangabschnitten Ex Vero I und/oder II. Teilweise wochenlanger Maischekontakt und ebenso offen im Holz vergoren und anschließend über Jahre ausgebaut. Für mich regelmäßig einer der großartigsten Naturweine der Welt und ein Eye-opener in jeglicher Hinsicht. Intensiv, raumgreifend, wuchtig, mundwässernd salzig, pikant, sowohl haptisch als auch aromatisch Grenzen auslotend. Ein Wein, der sich erst auf den dritten oder vierten Schluck erschließt, oder nie. Die Glücklichen sind neugierig.

95+
/100

BIO

Ex Vero II

Werlitsch

Südsteiermark

f

Cuvée, trocken

z

unkonventionell
mineralisch
naturbelassen

a

Lobenberg: 95+/100

97+
/100

BIO

Ex Vero III

Werlitsch

Südsteiermark

f

Cuvée, trocken

z

unkonventionell
mineralisch
naturbelassen

a

Lobenberg: 97+/100

Falstaff zu 2019: 95/100

Elias Schlichting

Elias Schlichting

Elias liegt der Wein im Blut, schon sein Großvater besaß einen Weinberg in Heidelberg. Das er mal Weinwirtschaft studieren und dann bei Lobenbergs Wine Scout werden würde, konnte damals natürlich niemand ahnen. Elias liebt Weine aus dem Burgund, aber auch alle anderen guten Tropfen liegen ihm schwer am Herzen. An den Entdeckungen seiner Weinreisen lässt er uns alle teilhaben.

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