ELIAS SCHLICHTING

Die grandiose Dynamik der Champagne

Eine sprudelnde Odyssee voller aufregender Entdeckungen 

Laherte

»Ich bin viel zu selten hier!« – dieser Gedanke trifft mich jedes Mal wie der Schlag, wenn die ersten Tage in der Champagne hinter mir liegen, die ersten paar hundert Probierschlücke im Crachoir gelandet und das erste Dutzend Weinkarten der taktgebenden Restaurants und Bistros der Region gelesen sind. Dabei bin ich mindestens zwei, drei Mal im Jahr in der Region. Doch die Dynamik, mit der dieses weite Rebenmeer der Champagne in den letzten Jahren voranstürmt, macht jede Reise auf ein Neues zu einer sprudelnden Odyssee voller aufregender Entdeckungen und nachgeschärfter Klassiker – und davon haben wir wieder den für uns spannendsten Stoff mit nach Hause gebracht.


Cote des Bar

Aus dem Chablis nach Norden kommend, dauert es nicht mal eine Stunde, da tauchen die ersten kleinen Champagne-Stöcke der Aube – also der Côte des Bar – am Horizont auf. Die Region glänzt durch ein besonderes Klima mit einem starken Einfluss des Langres-Plateaus (kühle und trockene Winde, die dem Bioanbau zuträglich sind) und die typischen Kimmeridge-Kalkmergelböden, eine geologische Stufe aus dem Jura, wie sie auch die Regionen um Chablis und Auxerre besitzen. Dieser Boden weist sehr kompakte Kalksteinschichten und Tonmergel auf, die reichlich versteinerte Meeresorganismen enthalten... winzige Austern namens Exogyra virgula.

Karte Champagne

Die geographische Lage der Champagne

Diese Region im äußersten Süden der Champagne hat in den letzten zwei Jahrzehnten den größten Sprung aller Sub-Regionen der Champagne gemacht. Ähnliches sehen wir auch im Burgund mit dem Mâconnais und der Côte Chalonnaise. Die Zeit der Underdogs ist gekommen. Manche treten dort an, die Meister der berühmteren Gemeinden herauszufordern, andere haben sie längst überholt. Hinterhergeworfen werden einem die guten Parzellen an der Côte des Bar und der Côte de Sézanne jedenfalls schon lange nicht mehr, dafür war und ist die Entwicklung dort viel zu rasant. Heute ist es DER Hotspot einiger der spannendsten Domaines. Das verdankt die Region vor allem Neugründungen und Familienmitgliedern, die sich neuerdings entschieden haben, ihre eigenen Champagner abzufüllen.

Weniger Statik, weniger ungeschriebene Gesetze – mehr Natur und Freigeist.

In den Nachkriegsjahren waren die waldigen Hügel des Departements Aube ein generöser Traubenlieferant für die in üppiger Auflage produzierten Champagner der »Grandes Marques«. Die südlichere Lage der Côte des Bar liefert zuverlässig eine sexy Exotik und druckvollen Körperreichtum – ein willkommener Unterbau für viele Basis-Champagner der großen Häuser um Reims und Épernay. Da zudem in den Crus der Montagne de Reims und der Côte des Blancs schon seit Jahrzehnten nicht allzu viel Bewegung im Top-Lagenbesitz drin ist, wenn man nicht mit ganz großem Geldbeutel oder der richtigen Geburtsurkunde ausgestattet ist, haben sich viele Jungwinzer und vinophile Aussiedler in diesem Wild West der südlichen Champagne niedergelassen.

Weniger Statik, weniger ungeschriebene Gesetze (die geschriebenen sind natürlich dieselben), mehr Natur und Freigeist. Und so schmecken viele der hiesigen Champagner bis heute etwas liberaler und naturnäher in der Auslegung. Eigene Weinberge, eigene Bewirtschaftungsphilosophie, eigene Champagner… mais bien sûr! Das RM auf der Flasche – es steht für Récoltant Manipulant, also Winzer-Champagner – ist für viele der kleinen Domaines hier Ehrensache. Ebenso wie biologischer und oft auch biodynamischer Weinbau. Es ist ein Mekka für Wein-Trüffelschweine, die das Besondere suchen.

Vincent Couche

Solch ein besonderer Grenzgänger ist etwa Vincent Couche, der meinen Auftakt mit dem ersten Termin gleich magisch macht. Erst Mitte der Neunziger hat Couche seine Domaine an der Côte des Bar selbst gegründet, wie so oft hier im Süden. Schnell war klar, dass er einiges anders denken möchte. Dreißig Jahre später ist er am Zenit seines Schaffens und keltert atemberaubende Weine mit ganz eigenem Charakter von beiden Seiten der Gemarkungsgrenze zwischen der Bourgogne und der Champagne.

Champagne Couche Keller
Zu Besuch bei Vincent Couche

Seine Champagner wachsen in Montgueux und Buxeuil – also Power trifft Spannung. In seinen Weingärten arbeitet er mit hohen Stockdichten von 10.000 und mehr pro Hektar, fördert Aufforstung und Biodiversität, wo er nur kann. Bio seit Tag eins, seit geraumer Zeit arbeitet er auch nach Demeter-Richtlinien.

Couche arbeitet im Keller, wie unter Biodynamikern üblich, sehr reduziert. Seit rund einem Jahrzehnt arbeitet er konsequent ohne Schwefelzugabe, weil er für sich Methoden entwickelt hat, die auch ohne SO2-Zugabe für ihn funktionieren. Er hat seit den frühen 2000ern an seinen Techniken gearbeitet. Nicht falsch verstehen, das ist kein schräger Naturwein und auch kein Dogma, sondern höchst präzises Handwerk und eine durchdachte Herangehensweise. Das führt zu einem fein-nussigen, leicht oxidativen Stil mit großer Tiefe und innerer Harmonie. Einen Teil seiner Grundweine baut Couche in Holzfässern aus. Zudem setzt er für manche Weine seine Solera mit gereiften Weinen ein, um noch mehr Aromenspektren zu eröffnen. Er hat ein Urvertrauen in die Balance und Stabilität seiner Champagner, trotz dieses minimalinvasiven Arbeitens und das Ergebnis gibt ihm recht.

Vincent Couche hat ein Urvertrauen in die Balance und Stabilität seiner Champagner.

Vincent hat zudem vor einigen Jahren Reben an einer alten Zisterzienser-Klosteranlage im Burgund erworben, ein 900 Jahre altes Terroir, das einige Jahrhunderte kaum bewirtschaftet wurde und daher aktuell nur als Bourgogne klassiert ist. Vincent Couche belebt diese großen Terroirs jetzt wieder, er hat erst einen Teil in Produktion, weil er vieles komplett neu angepflanzt hat. 13000 Stöcke pro Hektar, extreme Pflanzdichte, sofortige Umstellung auf Biodynamie mit Zertifizierung von Demeter. Probieren Sie mal seinen »Voulez vous Couche avec moi?«, wenn sie Crémant de Bourgogne in neuer Dimension erleben möchten! Wer sich von 0815 verabschieden mag und urwüchsige Extravaganz in großer Klasse sucht, der wird bei Couche schnell fündig.  

Pierre Gerbais

Nur zehn Minuten weiter im Nachbarort Celles-sur-Ources gibt es fast ein Kontrastprogramm in der fast chirurgisch präzisen Herangehensweise bei unserer damals ersten Domaine von der Côte des Bar, Pierre Gerbais. Aurélien Gerbais führt das Familienweingut in x-ter Generation mit einem Arbeitsethos und einer Präzision, dass selbst deutsche Winzer staunen würden. Im Keller, in dem man vom Boden essen kann, dominiert folglich Edelstahl - des teutonischen Sauberkeitsfimmels liebstes Material. 

Hochpräzisions-Handwerk.

Ich bin jedes Mal wieder erstaunt, wie grandios Gerbais ist. Kein einziger Champagner kostet hier auch nur annähernd 100 Euro, selbst nach allen Preissteigerungen der letzten Jahre. Für dieses Hochpräzisions-Handwerk und die Zuverlässigkeit, mit der dieser Stoff reift und abliefert, ist das sagenhaft preiswert. Immerhin fast alles aus Einzellagen und drei Jahre auf der Hefe wie Vintage-Champagner. Die Spezialität des Hauses ist der rare La Loge, Champagner nur aus Pinot Blanc, also Weißburgunder. Ein einmaliger Genuss! 

Gerbais
Im Keller bei Pierre Gerbais

Marie-Courtin

Vom jungen Gerbais, der bei uns schon ein Altmeister ist, geht es zu Winzerin Dominique Moreau, die das Weingut Marie-Courtin nach ihrer Großmutter benannt hat. Eine ausgesprochene Meisterin der Puristik. Alle ihre Weine wachsen in einem einzigen Plot von 2.5 Hektar, das ist auch die Gesamtgröße der Domaine, die sie im Jahr 2000 selbst gegründet hat. Dadurch dass alle ihre Weine aus einer Lage stammen, hat sie sich entschieden die Unterschiede in ihren Champagnern über die Vinifikation herauszuarbeiten. Es gibt im Holz ausgebaute, welche aus der Amphore, Emailletank und einen ohne Schwefel. Und als wäre das alleine nicht schon genug Grund zur Gaumenfreude, führt sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, Roland Piollot, auch noch dessen rund 8.5 Hektar umfassende Familien-Domaine im selben Örtchen Polisot.

Schlicht und hochfein, doch zugleich generös und umarmend.

Roland Piollot

Piollot verfolgt im Grunde den Ansatz: eine Rebe, eine Lage, ein Jahrgang, also eher ein burgundischer als ein champenoiser Ansatz des An- und Ausbaus. Seit 2009 arbeitet die Domaine biologisch und biodynamisch, heute zertifiziert nach Demeter. Roland Piollot liebt alte Reben! Es ist seine größte Freude und Passion, seine Weinberge so zu pflegen, dass sie möglichst alt werden. Mehr als die Hälfte seines Rebbestandes ist um die vierzig, fünfzig Jahre alt – Tendenz immer weiter steigend. Piollot verfolgt einen zugänglichen, geschmeidigen und offenherzigen Stil für die Freude - leicht oxidativ, cremig, mit einer sagenhaften Puristik und Fruchtstärke.

Als ich beseelt von den aufwühlend-charaktervollen Champagnern den Hof des biodynamischen Power-Couples Moreau und Piollot verlasse, bedecken die ersten paar Centimeter Schnee diesen Winters mein Auto. Irgendwie passt das alles zusammen. Dieser dustere Schimmer des Winter-Mondes mit dem strahlend-hellen Weiß des ersten Schnees beschreibt die Seele der Champagner von Marie-Courtin ziemlich perfekt. Sie sind erdig, dunkelwürzig und mit einer bezaubernd herben Teewürze ausgestattet, ohne ihre luminöse, kristallklare Mineralität zu verlieren. Es ist ein Stil, der mich an die Fusion japanischer und französischer Küche erinnert, schlicht und hochfein, doch zugleich generös und umarmend. 

Côte des Blancs

Ich springe an die Côte des Blancs, den südlichen Zipfel des »Nordens« der Champagne und der Hochburg des puristischen Kreide-Chardonnays. Wie ein Fels in der Brandung steht dort im 1er Cru Cuis das Haus Gimonnet. Die Familie ist unerschütterlich und zeitlos im Stil. Ein Cuis 1er Cru liefert einfach immer ab, kompromisslos. Auch deshalb ein Garant für glückliche Kunden im glasweisen Ausschank der Top-Gastronomie, auch hierzulande. Relativ neu ist, dass es den Cuis mittlerweile auch als Special Club-Version gibt, für alle, die noch eine Schippe drauflegen wollen. Ohnehin ist Gimonnets Kollektion von Special Clubs die größte innerhalb des Clubs, kein Wunder bei einem Cru-Anteil von über zwei Dritteln der Gesamtfläche. An der Côte des Blancs macht ihnen das so schnell keiner nach. 

Die Qualität dieses Stoffs ist einfach atemberaubend.

Gimonnet
Probe bei Gimonnet

Gimonnet

Gimonnet ist mit sechs Hektar etwa einer der größten Besitzer in der Gemeinde Cramant. Das ist ein Hammer, alleine davon könnte eine kleine Domaine gut leben, denn die Weinberge haben eine solche Güte, dass man die Champagner auch für weiter über 100 oder 200 Euro verkaufen könnte, wenn man es darauf anlegt. Die Lieu-dits haben diese Qualität fraglos und viele andere tun das ja. Aber Gimonnet will nicht in diesen Luxus-Sektor vorstoßen, obwohl sie es könnten. Sie halten die Lagen in der Familie, einige Reben sind sogar von 1913. Der alte Weinberg und auch die meisten anderen Lagen in Cramant stammen von der Familie Larmandier (u.a. Larmandier-Bernier), die in den 1950er Jahren in Gimonnet eingeheiratet hat. Trotz dieses üppigen Besitzes bleiben die Gimonnets mit den Füßen auf dem Boden, aber die Qualität dieses Stoffs ist einfach atemberaubend. Für diese Qualität ist das preislich unschlagbar.

Parker hat Suenen und Dhondt in den Olymp der Côte des Blancs gehoben.

Dhondt-Grellet und Suenen

Neben dem all-time-great Gimonnet geben die beiden Nachbarn und Kumpels Adrien Dhondt(-Grellet) und Aurélien Suenen ordentlich Gas in ihren Domaines in ebenjener herausragenden Gemeinde Cramant Grand Cru. Hier geht es nur noch um absolute Haute-Couture. Ausbau parzellen-genau und meist im kleinen Holz, alles wie an der Côte d’Or im Burgund. Suenen gehören seine winzigen drei Hektar Grand Cru mittlerweile alleine, er hat sie ohne Investor aus der Familie herausgekauft. Deshalb musste er die Preise etwas anziehen, sonst hätte die Bank nicht mitgespielt. Seis drum – für das was er abliefert, ist das preislich im Rahmen, denn er ist unter Insidern Top-3 an der Côte des Blancs. Nicht zuletzt Parkers neuer Mann für die Champagne, Kristaps Karklins, hat Suenen und Dhondt neben Selosse bewertungsmäßig in den Olymp der Côte des Blancs gehoben. Für mich lange überfällig. Suenens Champagner sind scharf wie ein Damastmesser – sicher nicht für Jedermann, aber wer einmal auf den Geschmack gekommen ist, will bald nichts anderes mehr im Glas haben… versprochen!

Vallée de la Marne

Augustin

Ganz neu bei uns im Programm sind die Champagner der Familie Augustin. Champagne Augustin ist als Domaine und Familie ein Gesamtkonzept der Biodynamie. Die Demeter-zertifizierten Weinberge liegen im 1er Cru Avenay Val d’Or, einem sehr speziellen Terroir, genau am Schnittpunkt zwischen dem Vallée de la Marne und der Montagne de Reims. Die Champagner von Augustin sind aber nur nicht deshalb mehr als unique.

Augustin
Im Keller bei Augustin

Wir sind zwar offiziell noch im Vallée de la Marne, allerdings ist der Charakter des Ortes und auch seine geographische Lage viel eher der Montagne de Reims zuzuschreiben, denn der Grand Cru Aÿ liegt nur einen Steinwurf westlich des Dorfes. Der Ort ist in eine sanft abfallende Hügellandschaft eingebettet, den kühlenden Wald im Rücken und gen Süden exponiert. Das verspricht schöne Reife bei knackig-frischen Säurestrukturen. Es ist also nicht verwunderlich, dass von Bollinger über Philipponnat bis Billecart-Salmon viele der Top-Häuser im 1er Cru Avenay-Val d’Or unterwegs sind, um überwiegend herausragende Pinot Noir-Trauben anzubauen oder zu kaufen.

Kaum ein anderer Winzer in der Champagne ist so nah an seinen Weinbergen.

Bei Augustin geht es um akribische und tiefgreifende Biodynamie in den Weinbergen, seit 2016 ist die gesamte Domaine Demeter-zertifiziert. Marc Augustin hat für alles seine eigenen Ideen. Er beschäftigt sich sehr viel mit kosmischen Konstellationen, sowie Mineral- und Pflanzenkunde. Er vergräbt Edelsteine mit unterschiedlichen Eigenschaften in den Ecken seiner Parzellen, genau wie er diese an den Wänden seines Kellers hat oder teilweise auch in die Fässer und Amphoren hineingibt, während der Vergärung und des Ausbaus. 

Man kann über die Wirkweisen solcher Maßnahmen trefflich streiten, denn all das spielt sich in mikroskopisch kleinen oder gar überhaupt nicht seh- oder messbaren Spektren ab, aber darum geht es auch im Grunde gar nicht. Marc Augustin ist ein »hands-on-man«, er lebt für das, was er tut und seine Überzeugungen. Beinahe täglich geht es in die Reben. Kaum ein anderer Winzer in der Champagne ist so nah an seinen Weinbergen, wühlt, gräbt, bastelt und schraubt in seinen Parzellen herum. Er hört jedes Blatt rascheln. Ich denke, Sie verstehen, was ich meine. 

Augustin
Jeder Champagner hat seine Entsprechung in den Elementen

In der biodynamischen Welt von Augustin, hat jeder Champagner seine Entsprechung in den Elementen, je nachdem, wie er sich geschmacklich und von den Trauben her ausprägt. Die Cuvée Terre ist der erdig-würzige Einstieg von Augustin, wohingegen mein heimlicher Favorit, der Air, die ätherische, schwebende Seite des Pinot Noirs aus Avenay zeigt. Es geht bei Augustin immer zuerst im Wein und erst in zweiter Linie um die Bubbles. Wer bereit ist die Zügel loszulassen, der kann sich mit Augustin auf einen Ritt begeben, der weit abseits der klassischen Champagner-Häuser führt. Eine biodynamische Welt, hinter der höchst sympathische Naturmenschen stehen.

Laherte Frères

Aurélien Laherte ist heute der spannendste Winzer an den Coteaux Sud d‘Épernay, diesem kleinen, exzellenten Terroir direkt an der Wein-Hauptstadt, das die Cote des Blancs und das Vallée de la Marne verbindet und doch etwas ganz Eigenes ist. Aurélien zeigt mir dieses Jahr seine endlich fertig gestellte, nagelneue Cuverie. Auf und in das ehemalige Haus seiner Eltern, hat er ein gigantisches Projekt platziert. Es ist sein Lebenswerk, wie er selbst sagt. Und das mit gerade einmal um die Vierzig! Viele hunderttausende Euro hat er in die Hand genommen, aber jetzt steht alles nach seinen Wünschen. Und dabei geht er, wie so oft, einen eigenen, ungewöhnlichen Weg. 

Laherte
Bei Laherte im Keller

Er hat – entgegen der heute üblichen Mode – riesige emaillierte Betontanks installiert, die teilweise für die Vergärung und die Reifung, aber vor allem für die Lagerung der Reserve-Weine dienen. Ziemlich oldschool, denn die meisten Domaines schmeißen ihre Emailletanks raus oder nutzen sie kaum noch. Für ihn sind Emaille und Beton das Mittel der Wahl, er will weiterhin kaum Edelstahl in der Domaine. Da passiert zu wenig, stellt er für sich fest. Ganz unabhängig vom Material gibt ihm die schiere Größe seines neuen Kellerabteils eine so viel größere Spielwiese zur Reifung und Cuvetierung und damit Verfeinerung seiner Blends. 

Wo will dieser absolute Qualitätsfreak noch hin?

Wo will dieser absolute Qualitätsfreak noch hin mit seinen Champagnern, die jetzt schon zum Besten zählen, was man in diesem Preisbereich in der Region finden kann?! Wir sind gespannt. Ich war jedenfalls Mal wieder mehr als geflasht von seiner Ultradition-Linie, die so sagenhaft gut ist, dass ich selbst immer mindestens eine Flasche kalt liegen habe bei mir zu Hause. Der Stoff performt einfach immer – und ist dabei alles andere als belanglos. Viel besser geht Winzerchampagner in der Basis für mich kaum.

Tarlant

Ein weiterer ganz persönlicher Coup de Coeur von mir, ist seit vielen Jahren Familie Tarlant. Ich weiß aus vielen Tastings mit Benoît Tarlant, dass wir einen sehr ähnlich Weingeschmack haben. Daher ist es keine Überraschung, dass mir dieser nussig-oxidative, jodig-griffige, herbe und beizeiten fast rohe, im besten Sinne naturbelassene Stil so gut gefällt. Es ist für mich die schlüssigste Verbindung aus immenser, aus großer Tiefe schöpfender Kraft und puristischem Mineralausdruck. Es ist die Essenz ewigen Hefelagers in Perfektion feinjustiert. Wer am eigenen Leib schmecken möchte, was ich meine, findet alle Antworten im Weltklasse-Chardonnay La Vigne d’Antan 2004 bzw. demnächst 2006 – oder seinem neuen kleinen Bruder L’Enclume, der zum Besten zählt, das ich aus dem schwierigen Jahr 2011 probiert habe. 

Ein Champagner, der keine Gefangenen macht.

Auch die Cuvée Triumvirat aus dem generöseren Jahr 2009 ist ein traumhaft schöner Champagner, der die Stuhllehne automatisch zwei Stufen tiefer stellt. Psssst, unter uns Tarlant-Fans: es gibt in der Domaine eine noch nie veröffentlichte Charge Cuvée Louis aus dem atemberaubenden Jahr 1996. Ohne mich zu weit aus dem Fenster zu lehnen… dass Benoît mir diesen Raketentreibstoff, der auch nach über 25 Jahren Hefelager noch auf allen Zylindern feuert, nun zu probieren gegeben hat, ist ein starkes Indiz dafür, dass es 2025 soweit sein könnte mit dem Markstart. DAS ist ein Champagner, der keine Gefangenen macht. Das weiß ich jetzt aus erster Hand. So stelle ich mir einen Montrachet mit Bubbles vor. 

Tarlant
Probe bei Tarlant

Montagne de Reims

Roger Coulon

Apropos Burgund… wer gerne Burgunder trinkt, findet bei Roger Coulon in Vrigny 1er Cru in der Montagne de Reims ein sprudelndes Pendant. Es geht bei Coulon um Struktur und Textur, Druck und Dichte. Das ist seine Quadratur des Kreises. Eric Coulon, der die Domaine heute gemeinsam mit seinen Kindern Louise und Edgar führt, sucht diese spezielle Textur auf verschiedenen Wegen zu erzielen. Die Champagner der Bio-Domaine Coulon haben immer rund 10 bis 15 Prozent weniger Kohlensäure als die anderer Domaines und Maisons. einmal über seine Solera, die bis 1995 zurückreicht. 

Coulon

Einen Ausbau der Grundweine nahezu komplett in Holz, vor allem Barriques, sogar etwas Neuholz ist dabei, aber aberwitzig gut ausgewogen. Dann über mindestens vier Jahre Lagerung auf der Hefe in der Flasche, und zwar unter Korken, also auch fein-oxidativ. Zudem werden die Champagner bei Coulon immer mindestens ein Jahr oder länger nach dem Degorgieren weitergelagert, bevor sie in den Verkauf kommen. All das macht Roger Coulon zu einem Bruder im Geiste seines persönlich sehr guten Freundes Francis Egly(-Ouriet) – und selbst die Champagner sind sich in ihrer üppigen Texturiertheit und kraftvollen, gelbfruchtigen Eleganz mehr als ähnlich.

Bruno Paillard

Auch neu bei uns ist einer, der in der Region schon früh für Furore sorgte: Bruno Paillard, heute geführt von seiner Tochter Alice. Mit etwas über 30 Hektar eigenen Reben, kann man Paillard Maison-Domaine-Hybrid sehen. Anfang der 1980er Jahre war die Lancierung von Bruno Paillaird die erste Maison-Neugründung seit über 100 Jahren. Dieser junge Traubenmakler, der nichtmal einer Winzerfamilie entstammte, traute sich was! Mit seinem puristischen, eher schlanken und trockenen Stil mit etwas Holzeinfluss machte er sich unter den Top-Sommeliers Frankreichs rasch einen Namen, denn sowas gab es damals kaum. Das war auch der Grund, warum Paillard es selbst machte. 

Paillard
Heute in Verantwortung: Alice Paillard

Für diese Handschrift steht die Familie auch heute noch in zweiter Generation. Der Brut Première ist ein von so ziemlich allen Kritikern durch die Bank gelobter Allrounder, der aber eben nichts mit Süße kaschiert, sondern allein durch die Güte seiner Trauben glänzt. Das Flagship N.E.C. Plusultra 2009 mit über 12 Jahren Hefelager zeigt, wo der Hammer hängt bei Paillard, nämlich verdammt weit oben für so ein Haus. Das muss sich in Sachen Lagerfähigkeit hinter keiner Domaine verstecken.

Andre Clouet

Wenn man am Ende einer solchen Reise nahezu alles an Philosophien und Charakteren erlebt hat, ist mit dem Ursympathen Jean-Francois Clouet zum Lunch zu sitzen, letztlich wie nach Hause kommen. Der Bürgermeister und ungekrönte König von Bouzy ist so nonchalant und charming wie seine Champagner. Einfach immer gut drauf, immer richtig, immer voller Freude und Leben. Seine Pinot Noirs sind in Flaschen gefüllte Sonne, dito Jean-Francois’ Gemüt. Was für eine unerschütterliche Urgewalt dieser Monsieur doch ist. Sein neuester Dream-Vintage aus 2018 beweist, dass er diesen köstlichen Hedonismus, der seine Champagner auszeichnet, auch beim Chardonnay perfekt beherrscht. Ein hochfeiner Charmebolzen sozusagen, genau wie sein Macher. 

Clouet
Jean-Francois Clouet

Das umtriebige Mastermind werkelt gerade eifrig an seiner »Clouet-World«, die etwas außerhalb des historischen Ortskerns von Bouzy entsteht. Wäre die Baufirma nicht in den Miseren der Energie- und Baukrise pleite gegangen, wäre er vielleicht schon fertig. So dauert es noch etwas. Sein noch gewissermaßen im Rohzustand befindlicher Neubau beherbergt bereits einen Teil seiner Produktion, damit ist alles state-of-the-art der neusten Technik, zudem hat er dort viel mehr Platz und damit noch mehr Präzision und Feinheit, was Abfüllung, Lagerung und Co betrifft. Seine Top-Weine, wie der Un Jour de 1911, reifen ohnehin weiterhin im uralten Kreidekeller unter seinem Familienhaus, einem der ältesten so genutzten der Champagne. In der neuen Clouet-World wird, wie sollte es im Hause des Gourmands Clouet auch anders sein, natürlich ein tolles Restaurant mit Ausblick auf die besten Lagen des Grands Crus Bouzy entstehen. 

Der ungekrönte König von Bouzy ist so nonchalant und charming wie seine Champagner.

Doch das sind noch nicht die großartigsten News im Hause Clouet, denn 2025 wird ein richtig dicker Coup gezündet: der Release der ersten Abfüllungen allerfeinster Champagner aus Einzellagen, Selection Parcellaires, Lieu-dits. Wie man es auch nennen will, es wird DER Schritt in die grandiose Zukunft der Domaine Clouet sein – und ich bin, ehrlich gesagt, genauso aufgeregt und gespannt darauf, wie Sie wahrscheinlich. Denn wie wir den Lebemann Jean-Francois kennen, wird es nicht nur vinophil ein Quantensprung, sein nächstes ganz großes Ding in Sachen Weiterentwicklung zu noch grandioserer Qualität und Detailverliebtheit im Wein, sondern eben auch eine Ode an die Freude und den Genuss.

Elias Schlichting

Elias Schlichting

Elias liegt der Wein im Blut, schon sein Großvater besaß einen Weinberg in Heidelberg. Das er mal Weinwirtschaft studieren und dann bei Lobenbergs Wine Scout werden würde, konnte damals natürlich niemand ahnen. Elias liebt Weine aus dem Burgund, aber auch alle anderen guten Tropfen liegen ihm schwer am Herzen. An den Entdeckungen seiner Weinreisen lässt er uns alle teilhaben.

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