Ahr-Mosel-Saar-Ruwer – kristalline Schieferkracher
Meine Reise beginnt in der Rotwein-Hochburg des Nordens, dem Ahrtal. Alexander Stodden präsentiert in seiner neuen Vinothek einen wahnsinnig starken Auftakt mit einer wollüstig-reifen, hochfeinen 2022er Kollektion. Schon der JS ist eine Köstlichkeit, die man mit großen Schlücken austrinken möchte. Neu bei uns im Programm ist der Lieblingswein von Alexanders Frau, das verspielte, saftig-florale Rosenthal GG. Bei Meyer-Näkel ist das neue Weingut noch im Planungsstatus und als Headquarter dient weiterhin die Übergangshalle an der Bundesstraße in Dernau. Die aktuell noch etwas triste Umgebung zwischen Baugeräten und Baggern kann nicht von der Großartigkeit und Brillanz der Weine ablenken. Schon mit dem ersten Tropfen im Mund ist all der Bauschutt vergessen. Bereits 2021 war (nicht nur den Umständen entsprechend) ein toller Erfolg – und 2022 setzt jahrgangsgemäß nochmal einen drauf. Mein Liebling ist das GG aus dem Pfarrwingert, an Tiefe und Schiefer-DNA kaum zu überbieten. Unerwartet grandios ist auch der saftige Dernauer Riesling von kühlem Blauschiefer – ein Statement dieser großen Rotwein-Domaine.
Vom Ahrtal ist es nur ein Katzensprung an die nördliche Mosel bei Winningen, wo Reinhard und Sarah Löwenstein aufgrund ihrer exponierten Lagen durchaus mit einigem Fäulnisdruck zu kämpfen hatten. Was Reinhard stets zu sagen pflegt, galt in diesem Jahr wieder besonders: Es kommt nur immer darauf an, wie konsequent man ausliest. Heymann-Löwenstein hat rund 50 Prozent der 2023er Ernte verloren / verworfen, was es zu einer der kleinsten der letzten 20 Jahre macht. Mein Liebling ist 2023 überraschend das Röttgen GG. Ein wirklich faszinierender Wein, vordergründig lecker und zugänglich, aber mit einer gewaltigen mineralischen Tiefe im Untergrund, die immer mehr die Oberhand gewinnt, je mehr man sich mit dem Wein beschäftigt. Die Säuren sind hier eher auf der niedrigeren Seite in 2023, was einigen entgegenkommen mag.
Clemens Busch geht in den letzten Jahren von Stärke zu Stärke. Der erfahrene Bio-Winzer, der seinen Sohn Johannes zur Seite hat, stellte für mich zuletzt häufig die beste trockene Kollektion der Mosel. Hier sah es schon deutlich besser aus mit dem Fäulnisdruck, der Ertrag war bei etwas unter 60 hl/ha, also durchschnittlich. Jahrgangsberichte sind eben immer grobe Verallgemeinerungen. Für Clemens Busch selbst ist 2023 am ehesten mit 2019 vergleichbar, weil es dieselbe kristalline Klarheit hat, wenn sauber gearbeitet wurde. Alles überragend ist der Fahrlay Terrassen, ein Wein für alle Sinne – und sooo delikat. Wunderbar auch das zart-reduktive Kabinett aus der Marienburg.
Ein paar Moselschleifen weiter kommt mit Traben-Trarbach der Hotspot der großen Individualisten. Wahnsinnig gute 2023er bei Immich-Batterieberg, ein Fass spannender als das andere… wow! Dank des Late Release von Gernot Kollmann, müssen wir uns aber noch bis 2025 gedulden. Vormerken: da kommt Großes. Nur wenige Minuten entfernt liegt mit Weingut Vollenweider DAS Kleinod der Mosel. Eine Boutique-Domaine in jeder Hinsicht. Nach dem viel zu frühen Tod von Daniel Vollenweider im Jahr 2022 hat seine langjährige rechte Hand, der junge Hand Moritz Hofmann, das Ruder übernommen und führt den Betrieb ganz im Sinne seines Spiritus Rectors fort. Wer die Weinberge von Vollenweider mal gesehen hat, muss staunen. Extreme Dichtpflanzung, super-knapper Anschnitt für kleinste Erträge, fast nur Einzelpfahl, brutal steil, alles begrünt, Bio-Weinbau – eine unmenschliche Handarbeit. Moritz geht echt in die Vollen. Auch im Keller des alten Moselhäuschens geht es rudimentär zu. Nahezu keine Technik, alles oldschool. Das ist Weinbau wie vor 100 Jahren – und so schmecken auch die Weine: puristisch, karg, brachial mineral. Everybody’s Darling ist anders. Für mich gehört der Betrieb trotz seiner Winzigkeit in die allererste Reihe an der Mosel. So einen extremen Weinbau gibt es kaum ein zweites Mal. Neu sind zwei Weltklasse-Kabinette aus dem ultra-kargen Burgberg und das aus dem 100 bis 120 Jahre alten, wurzelechten Teil der Goldgrube. Der abgefüllte Beweis, dass 2023 ein großes Jahr für Kabinette ist.
Eine Riesenüberraschung ist allerdings, dass Christian mir mit dem Kinheimer Rosenberg R einen der besten Spätburgunder, die ich von der Mosel aus 2021 im Glas hatte, eingeschenkt hat.
An der Mittelmosel haben mich zwei Betriebe ganz besonders geflasht: Dr. Hermann und Schloss Lieser. Bis weit in die Nacht probiere ich mich mit Christian Hermann in seiner neuen Vinothek, direkt vis-a-vis des spektakulären Erdener Prälat, durch seine atemberaubende Kollektion. Ich könnte Ihnen natürlich berichten, wie irre gut die Herzlei Spätlese 2023 sich zeigte, dass die Treppchen Auslese GK 2023 ein 100 Punkte Wein ist oder von den Sprengstoff-TBAs aus dem Prälat und der Wehlener Sonnenuhr (über 20 Gramm / Liter Mostsäure!!). All das ist nur, bei Hermanns Konsistenz und Kompromisslosigkeit im edelsüßen Bereich, in einem Jahr wie 2023 gar keine Neuigkeit. Eine Riesenüberraschung ist allerdings, dass Christian mir mit dem Kinheimer Rosenberg R einen der besten Spätburgunder, die ich von der Mosel aus 2021 im Glas hatte, eingeschenkt hat. Ich habe es selbst nicht glauben wollen.
Schloss Lieser ist mit dem Eintritt von Tochter Lara und Sohn Niklas mittlerweile ein echtes Familien-Weingut. Die 2023er sind deutlich geschmeidiger durchgegoren als letztes Jahr und so haben sich die Weine schon im Frühjahr wahnsinnig strahlend präsentiert. Lange habe ich die GGs bei Lieser nicht so gut probiert wie 2023. Das Graacher Himmelreich ist atemberaubend aufregend und in meinem persönlichen Mosel-best-of.
Die Saar hatte einen nahezu makellosen Herbst. Kein Wunder, dass sowohl Zillikens eine rassige, aber hochfeine Kollektion im kühlen Keller hat, als auch Van Volxem und Lauer Großes erwarten lassen. Eine Premiere gibt es bei Van Volxem auch: das Große Gewächs aus dem legendären Geisberg, den es bisher nur als Kabinett gab. Tatsächlich gefiel mir der Wein von allen GGs an diesem Tag sogar am allerbesten. Er ist tief, salzig, zupackend und unendlich fein. Das ist ein großer Saar-Riesling wie aus dem Bilderbuch. Mastermind-Winzer Florian Lauer hatte mit dem Schonfels GG 2023 ebenfalls einen Überflieger präsentiert. Die gesamte Kollektion ist so ruhig, so gelassen und delikat-lecker. Den Weinen fehlt nichts, außer vielleicht der allerallerletzte Kick, aber so schick wie ein reiches 2012 ist es allemal.
Den salzigen Elektroschock fand ich dann spätestens auf Egon Müllers Scharzhof. Die Säuren im Kabinett liegen einen Hauch unter 10 Gramm pro Liter, ab Spätlese ist alles zweistellig. Insgesamt sind die Säurewerte durchwachsener als 2021, doch im Betriebsschnitt sogar einen Hauch höher als 2021. Der Jahrgang schlägt für mich auch in eine ähnliche Kerbe wie 2021. Egon Müller selbst zog sogar Vergleiche zu den krachenden 2010ern, aber es ist doch weniger brutal. So überwältigend gut die Scharzhofberger 2023 sind, ist der eigentliche best-buy dieses Jahr die Kollektion von Le Gallais. Der vibrierende Jahrgang gibt diesem etwas wärmeren Terroir genau den Schliff, den es braucht. Traumstoff für die Ewigkeit und verhältnismäßig preiswert.
Auch für Hofgut Falkenstein ist 2023 ein Mega-Jahr, weil es neben all seiner Spannung auch diese innere Dichte und Geschmeidigkeit hat, die den Nordwand-Rieslingen vom kleinen Höfchen einen saftigen Charme schenkt. Wenn Sie dies lesen, wird ein Großteil der Weine aber leider schon wieder ausreserviert sein. Liebe Familie Weber, wir brauchen dringend mehr Wein!
Die Nahe und immer wieder die Nahe… im trockenen Bereich kaum zu schlagen war sie wohl auch dieses Jahr.
Die Nahe – Brillanz durch die Bank
Die Nahe und immer wieder die Nahe… im trockenen Bereich kaum zu schlagen war sie wohl auch dieses Jahr. Auf dem ehrwürdigen Gut Hermannsberg gab es ein nagelneues GG ins Glas: Klamm »In der Rossel«. Eigentlich dachte ich, die Mineralität und der Gesteinsausdruck des extremen Steinberg können nicht mehr getoppt werden, doch die Klamm kann! Und, dass bei den Reserve-GGs jetzt Jahrgang 2019 ins Haus steht, ist ein perfektes Pairing zu den 2023ern. Die Kupfergrube Reserve 2019 ist ein 100-Punkte-Kandidat, Wahnsinn.
Es gibt wahrscheinlich keinen zweiten Betrieb in Deutschland, der SO gut in Trocken UND in Restsüß ist, wie Familie Dönnhoff. Da kommt ein 2023, das seine Stärke in beiden Kategorien hat, genau richtig. Bei den GGs sah ich die Hermannshöhle einen Hauch vor dem Dellchen. Ihre Konzentration in Tateinheit mit der darunterliegenden Spannung ist unerreicht. Besonders hat mir auch die feste, rotbeerige Würze des Höllenpfads gefallen, sowohl im Ersten als auch im Großen Gewächs.
Bei Emrich-Schönleber negiert das Frühlingsplätzchen zusehends den einstig geglaubten Abstand zum Halenberg, begegnet ihm in manchen Jahren nun gar auf Augenhöhe und spielt über seinen energetischeren Charakter in der Jugend durchaus mehr Rasse und Zug aus. Ob man nun die große Ruhe, die leichte Öligkeit und Harmonie des Halenberg bevorzugt oder die Vibration des Frühlingsplätzchens, liegt auf der Zunge des Betrachters. Jedenfalls erneut eine beeindruckende Performance des Frühlingsplätzchens aus dem Fass.
Schäfer-Fröhlich konnte sich auch 2023 nicht dazu durchringen, auch nur eine Schwäche in der Kollektion zu zeigen. Langsam wird diese Perfektion echt spooky. Heiße Jahre waren schon immer Tim Fröhlichs Ding. Zum einen, weil sie »wilder« gären, wie Tim betont, zum anderen, weil sein reduktiver Stil eben einen Gegenpol zum In-die-Breite-Gehen darstellt, vor allem was die Reifefähigkeit angeht. Schäfer-Fröhlich und 2023 passt wieder wie Arsch auf Eimer, aber trotz der frühen Zugänglichkeit des Jahres werden die GGs lange brauchen. Von der goldgelben Traubenqualität erinnerte es Tim Fröhlich ein wenig an 2011, aber es hat mehr Säure und Frische als 2011. Quintessenz ist die fast schon ungeheuerlich dunkle Mineralität, die sich wie ein roter Faden durch seine 2023er zieht.
Rheinhessen – die perfekte Mitte
Im Norden präsentiert Carsten Saalwächter seine 2022er, die er persönlich höher einstuft als die 2021er, auch wenn der kühle Jahrgang viele Fans hatte. Er sucht aber mehr die Textur und den Druck in seinen Weinen. Jeder, der Saalwächters Laurenziberg, Steinkante oder Grauer Stein mal im richtigen Moment probiert hat, kann an der Größe von Silvaner in den richtigen Händen nicht zweifeln. Das steht weder Chardonnay noch Riesling nach, wenn er mit so viel Spannung, Charakter und Struktur ins Glas kommt wie bei Silvaner-Prinz Carsten Saalwächter. Er ist sowas wie der stilistische und idealistische Nachfolger vom Querkopf Michael Teschke, denn solche Silvaner zaubern nur ganz wenige Charaktere hervor. Neu bei ihm sind die Silvaner Steinkante und Laurenziberg, aus demselben Weinberg, dem ehemals Michael Teschkes 1968 entstammte. Seine 2022er Pinot Noirs wirken aktuell noch etwas unruhig, sie brauchen noch Zeit, aber der Release ist ja auch noch etwas hin.
Bei Familie Raumland ist für die Grande Reserven jetzt 2012 aktuell, damit ein harmonischeres Jahr als der Vorgänger 2010. 2011 wurde keine Grande Reserve erzeugt. Die Chardonnay Grande Reserve, deren Duft mich sehr an einen großen Meursault erinnert, geht mir als Burgund-Freak direkt ins Herz. Neu bei uns im Programm ist jetzt daneben auch die Blanc de Noirs Grande Reserve aus Pinot Noir, in 2012 so grandios, dass wir daran nicht vorbei konnten.
Jedes Jahr eine verlässliche Bank für Größe ist das Powercouple Carolin und HO Spanier, die eine Vorreiterrolle der ersten Stunde im zur Zeit so spannenden Zellertal für sich beanspruchen können.
Eine besondere Erwähnung muss Kai Müller vom Pilgersberg bekommen. Auch wenn er es selbst nie zugeben würde, aber er hat 2022 eine Granate der Köstlichkeit abgefüllt. Der passionierte Gourmet, dem Foie Gras durchs Blut fließt, hat mit diesem Jahrgang einen Wein im Keller, der genau seinem Geschmack und ihm selbst entspricht: ein großer Charakter, auf eine bezaubernd bodenständige Art. Die reinste Gourmandise und einer der verführerischsten Pinot Noirs Rheinhessens, Hand drauf!
Jedes Jahr eine verlässliche Bank für Größe ist das Powercouple Carolin und HO Spanier, die eine Vorreiterrolle der ersten Stunde im zur Zeit so spannenden Zellertal für sich beanspruchen können. Ihr Hochzeitswein CO war der erste Riesling auf dem Place de Bordeaux – und ganz in Bordelaiser Manier kommt jetzt mit dem Auf dem Kalkofen 1G quasi der »Zweitwein« des Flaggschiffs, ebenfalls über den Place. Athletisch und straff gebaut, es geht nur vorwärts. Das ist der Usain Bolt des Zellertals. In other news: Der Zellertaler Kreuzberg wird nicht mehr versteigert, sondern fix ab Hof verkauft. Ehrlich gesagt, für mich der richtige Schritt, denn die jedes Jahr weiter steigenden Auktionspreise führen am Ende dazu, dass die Weine immer seltener dort landen, wo sie sollten: in den Gläsern. Mein Liebling in 2023 ist allerdings der Rothenberg wurzelecht, das ist Papillen-Tango für alle Sinne.
Weedenborns Gesine Roll ist die ungekrönte Sauvignon Blanc-Königin. Was Stephan Attmann in der Pfalz der Rebsorte entlockt, findet hier an Größe sein rhoihessisches Pendant. Der Stil könnte unterschiedlicher nicht sein, Winning saftig-exotisch im Stile eines großen Pessac-Leognan, daneben Weedenborn betont burgundisch-fein mit nordisch-kühlem Einschlag. Beide beweisen, dass 2022 für diese Rebsorte absolut herausragend war. Nie habe ich aus Deutschland bessere Sauvignons probiert als 2022. Schon der Westhofener Terra Rossa ist eine Klasse für sich. Für rund 20 Euro muss man weltweit schon auf die Suche gehen, um so einen feinen Sauvignon Blanc zu finden.
In Summe hat Philipp Wittmann letztes Jahr mit den 2022ern die wohl beste Riesling-Kollektion meiner Reise gestellt. Diese Eleganz hat kaum jemand erreicht. Es ist also keine Überraschung, dass Philipp etwas zögerlich ist, ob 2023 der so glasklar bessere Jahrgang ist, wie es die meisten anderen Winzer sehen. Ganz oben geht eben auch nur noch wenig drüber. In 2023 war Westhofen schon sehr nah an den Klimadaten der Pfalz, daher gehen wir von der Frucht auch erneut in diese Richtung. Tatsächlich ist der Jahrgang bei Wittmann recht ähnlich zum genialen Vorjahr, mit einem Touch mehr Trinkfluss hier und da und etwas saftiger und früher zugänglich, weil die Phenol-Struktur nicht ganz so reinkickt. Obwohl ich in vielen Jahren auch mal das Brunnenhäuschen bevorzuge, ist der Morstein 2023 erneut der Primus inter pares. Das ist die Blaupause für großen, kühlen, aber total reifen und entspannten Kalkstein-Riesling. Wo früher ein Clos St Hune von Trimbach das Maß aller Dinge war, ist es heute womöglich Wittmanns Morstein. Große Klasse ist auch der Gundersheimer 1G aus der Großen Lage Höllenbrand, der eigentlich GG-Niveau hat, wenn Philipp nur nicht so streng wäre… es kann nicht mehr lange dauern.
Rheingau – große Individualisten
Der VDP.Rheingau ist mittlerweile im kollektiven 2-Jahres-Turnus für die GGs. Dort wo es dank Einlagerung seitens Weingut möglich ist, haben wir sogar noch etwas ältere Jahrgänge aufgestockt, denn Rheingauer profitieren noch mehr als viele andere Regionen von einer gewissen Reife. Durch die Aufgabe von Schloss Schönborn in Hattenheim sind unter anderem Künstler und auch Prinz an Parzellen in diesem mit dem Berg Schlossberg legendärsten Weinberg des Rheingaus gekommen. Und für die Lage konnte nichts besseres passieren, als dass die Top-Güter der Region hier mal wieder frischen Wind reinbringen, denn ein Weinberg ist nur so gut wie seine Winzer. Künstler dicht und tief-gelbfruchtig, Prinz basaltig-jodig und Von Oetinger kristallin und zart-exotisch. Alle drei sind Rieslinge, die dieser kultigen Lage mehr als gerecht werden.
Wie großartig sich die 2022er, diesem herausfordernden Trockenjahr, nach der Abfüllung bei PJ Kühn aktuell zeigen, hat Peter Bernhard Kühn während unserer Probe zurecht ein Freudentänzchen entlockt.
Wie großartig sich die 2022er, diesem herausfordernden Trockenjahr, nach der Abfüllung bei PJ Kühn aktuell zeigen, hat Peter Bernhard Kühn während unserer Probe zurecht ein Freudentänzchen entlockt. Nach dem krachenden 2021 sind die 22er wieder mehr an die Ruhe von 2020 und 2018 angelehnt, das passt perfekt zum Stil des Hauses. Nachdem PJ Kühn die für mich beste 2018er Kollektion geerntet hat, bin ich nicht wirklich überrascht. Dafür hat mich das Lenchen Kabinett 2023 wie der Blitz getroffen. Der 2023er hat eine schiefer-artige Reduktion entwickelt, die man niemals in den Rheingau verorten würde, sondern viel eher an der Mosel oder maximal der Nahe, aber für die Mosel ist es mit 30 Gramm Restzucker zu trocken. Ein Hammerteil! Außerdem kommt mit dem Berg Roseneck aus 2022 auch das erste Kühn’sche GG vom Rüdesheimer Hang. Und – entre nous – viele Genießer haben noch immer nicht auf dem Schirm, wie stark die Pinot Noirs von PJ Kühn sind.
Apropos Pinot Noir – ein großer Klassiker trumpft für mich groß auf in 2022: August Kesseler. Ich liebe die 2022er. Sie sind wollüstig, fruchtopulent, zart wie Seide, geht runter wie Öl. Eine ungeahnte Delikatesse. Die Cuvée Max ist himmlisch und auch der Höllenberg macht so manchem Burgunder Konkurrenz. Die Süße von 2018 trifft auf die Saftigkeit von 2020, etwas klassischer in der Auslegung, aber kaum weniger intensiv. Eine Ode an die (Trink-)Freude!
Im Riesling-Powerhouse von Kiedrich zeigt Wilhelm Weil vom Gutswein bis zum GG die gewohnte Konstanz und Brillanz. Das Gräfenberg GG 2023 ist eine elegante Wuchtbrumme, hat Kraft ohne Ende, das war in diesem Jahrgang gar nicht so einfach zu erreichen, dennoch hat es einen Ticken mehr Spannung als das rundere 2022. Wilhelm Weil sieht 2023 in seinem mittelreifen Charakter in einer Linie mit 2001, 2008, 2012. Quasi in mein Gedächt gefräst hat sich auch der Monte Nostrum 2023, Weils neuster Geniestreich, der über den Place de Bordeaux gehandelt wird. Dieser Stoff wird den Wein nach dem ersten Release dieses Jahr in 2024 nochmal in eine ganz neue Dimension pushen, da kommt er schon ziemlich nah an den Vacano ran, aber eben auch nur fast…
Franken – strahlende Silvaner- und Burgunder-Gala
Ein fürstlicher Auftakt ist sicher, wenn man in Bürgstadt aufschlägt. Ich liebe Fürsts 2021er Spätburgunder, auch wenn sie lange, lange brauchen werden. Charme right out of the gate sind eher die 2022er, auch wenn Fürst diesem Jahrgang monumentale Gewächse abgerungen hat. Wer deutschen Spätburgunder liebt, der muss in einem solchen Schlossberg GG 2022 sein Weihwasser finden. Wir haben die Kühle von 2019 mit dem feinfruchtigen Charme von 2020 und landen am Ende irgendwo dazwischen. Der Schlossberg ist die charmante Finesse, aber der Hundsrück ist noch einen Ticken länger und faszinierender. Mein Favorit ist, wie meist, der Hundsrück, aber auch der Schlossberg ist 2022 sagenhaft. Neu ist in diesem Jahr der erstmals singulär abgefüllte Grossheubacher Ortswein aus der Großen Lage Bischofsberg, der fast einen Touch Nordrhône in seiner pfeffrig-kühlen Würze hat. Tolle Ergänzung zum Klingenberger, weil sie total unterschiedlich sind.
2023 gab es zum ersten Mal Oidium in Escherndorf, weil der Lumpp ungewöhnlicherweise im Sommer im Nebel stand. Das gab es bisher nur im Herbst. Alles neu macht nicht nur der Mai, sondern auch der Klimawandel. Bei den GGs setzt Sandra Sauer mittlerweile zu 100 Prozent auf Spontangärung, ohne Nachimpfen, das heißt, die Weine gären teilweise ziemlich lange, was ihnen aber spürbar mehr Dimension verleiht. Mein Liebling ist dieses Jahr nicht der Silvaner, sondern der Riesling aus dem Lumpp: suuuper-saftig, das ist wirklich die Signatur, wie ein feineres, eleganteres und strafferes 2018. Ein Trink-GG, das früh schon Freude bereitet, obwohl es auch viel Struktur hat, was gibt es besseres?!
Bei den GGs setzt Sandra Sauer mittlerweile zu 100 Prozent auf Spontangärung, ohne Nachimpfen, das heißt, die Weine gären teilweise ziemlich lange, was ihnen aber spürbar mehr Dimension verleiht.
Holzausbau-Spezialist und Bio-Handwerker Rudolf May und Sohn Benedikt haben allen Grund breit zu grinsen dieses Jahr, denn sie haben einige ziemlich scharfe Geschosse im Keller. Nach dem buddhistisch-ruhigen Silvaner Der Schäfer Reserve aus 2022, der verlängerten Fassausbau bekommen hat, steigt dann das Silvaner Rothlauf GG 2023 kometenhaft in ganz andere Sphären. Das ist in 2023 ein wahnsinnig großer Wein. Ich bin schon bei der ersten Probe völlig baff. Und als wäre das nicht alles schon aufregend genug, zaubert May auch noch eine Weltpremiere mit ziemlich brachialem Namen aus dem Hut: Silvaner Kniebrecher 2022. Klingt wie ein Hammer, ist auch einer. Best of the best aus Himmelspfad und Rothlauf, als Cuvée natürlich kein GG, im kleinen Holz ausgebaut. Der Wein steht wie ein Felsen auf der Zunge. Wenn dieser Kniebrecher mal in der richtigen Reife ist, kann er mühelos neben den großen Weißweinen der Welt stehen.
Unvergleichlich im Stil, aber nicht weniger groß präsentiert sich Luckert. Nach einigen ertragsmäßig sehr schwierigen Jahren, kam 2022 ein furioses Comeback und 2023 setzt da nahtlos an. Der Ertrag lag 2023 leicht unter dem von 2022, rund 50 Hektoliter, also kein Drama. Im Maindreieck ist es von Mai bis Juli eigentlich immer sehr trocken, das war in 2023 ähnlich, aber es gab keine Reifestopps wie in 2022. Der Jahrgang ist etwas harmonischer ausgereift – und das schmeckt man auch: clean, in sich ruhend, geschmeidigst dahingleitend. Was für eine Wonne! Der Sulzfelder Silvaner ist eines der größten Preiswunder Deutschlands, das ist ganz vorne. Hier muss man nicht mal zu den Crus greifen, um irre Qualität ins Glas zu bekommen. Anders als bei Sauer sehe ich bei Luckerts Maustal das Silvaner GG klar vor dem Riesling. Die Luckert’schen 2023er wirken fast zart im Antrunk, aber hinten raus schallt dann diese gewaltige Struktur wie ein wummerndes Technokonzert durch den Rachenraum. Das ist Silvaner-Weltklasse.
Bilderbuch-Burgunder und vibrierende Rieslinge – Zum Wohl, die Pfalz
Womit könnte man eine Reise in die Pfalz wohl am besten starten? Eigentlich wäre eine klassische Pfälzer Schorle aus dem Dubbeglas angebracht, aber für mich begann sie eigentlich noch besser – mit der Premiere eines langersehnten Sektes: Der grandiose Pechstein Lagensekt von Reichsrat von Buhl. Dieses »Erstlingswerk« von Mathieu Kauffmann aus dem kühlen und perfekten Sektjahr 2013 ist ein absolut extremer Gigant. Keine Dosage bei etwa zehn Gramm Säure. In der Nase würde man vermuten, dass der Grundwein im Holz war, aber er lag nur im Edelstahl. Es sind die Terroirnoten, die typische Rauchigkeit vom Pechstein die hier durchkommt. Am Gaumen dann ultraklar, kerzengeradeaus, sehr brillant in dieser enorm vibrierenden Säurestruktur. Wow, wie unglaublich lang ist das bitte? Die dunkle Mineralität steht quasi ewig am Gaumen. Extremistisch, karg, tief. Neben den fein balancierten GG aus 2022 und zupackend frischen 2023er Ortsweinen, präsentieren Kellermeister Simone Frigerio und Geschäftsführerin Monika Schmid außerdem zwei besondere Einzelfassabfüllungen aus 2020, die noch immer auf der Hefe liegen. Stay tuned, da kommt was Großes!
Bei Rings gibt’s dann erstmal faszinierende 2022er Pinots zum Start. Angefangen beim Gutswein, der wahrscheinlich noch nie so gut war wie 2022. Floral, seidig, saftig. Unglaublich animierende, betörende Kirschfrucht. Hier sind erstmals auch Erträge aus dem Weilberg drin, aus dem es in Zukunft dann irgendwann auch einen Lagenwein geben wird. Nachdem 2021 ein komplizierter Pinot-Jahrgang und auch mengenmäßig sehr limitiert war, ist 2022 großartig und unglaublich elegant. Aus den warmen Vorjahren haben die Gebrüder Rings gelernt und so ist 2022 alles andere als fett, ja fast filigran und das bei moderaten Alkoholwerten um 13% Vol. Die Aromatik ist dabei sogar etwas konzentrierter als 2020, aber die Weine wirken einen ticken purer und zeichnen sich vor allem durch weniger Reduktion, dafür mehr Fruchtoffenheit aus. Saumagen und Felsenberg liefern sich wie immer den Kampf um die Spitze – ersterer einen Hauch mehr Frucht zeigend, zweiterer würzig und kraftvoll.
Der Jahrgang wirkt deutlich frischer als 2022, extrem lebendig, schon in der Jugend durchaus auch offen – angefangen beim Gutswein, der Jahr für Jahr sehr viel Wein für das Geld bietet
Im Anschluss dann die überirdischen 2023er Rieslinge! Durch die späte Blüte gab es hier allerdings kaum Ertrag, die alten Reben sind zudem stark verrieselt. Im Schnitt nur rund 30 Hektoliter pro Hektar. In Sachen Reife war Schluss bei etwa 93-94 Grad Oechsle. Der Jahrgang wirkt deutlich frischer als 2022, extrem lebendig, schon in der Jugend durchaus auch offen – angefangen beim Gutswein, der Jahr für Jahr sehr viel Wein für das Geld bietet, bis hin zu den engmaschig-komplexen Lagenweinen einfach unglaublich konstant. Präzise und total fokussiert. Ähnlich zeigen sich auch die Weine des unweit ansässigen Philipp Kuhn. Ich glaube, ich habe seinen Saumagen noch nie so gut probiert. Steinig-reduktiv, aber bei aller Kargheit ist das ein Wein von großartiger Dichte und mit ordentlich Konzentration. Der Schwarze Herrgott wirkt daneben beinahe tänzelnd und klar wie ein Gebirgsbach.
An die brillanten Pinots von Rings schließen Sophie Christmanns Meisterwerke nahtlos an. Auch hier ist bereits der Einstieg »Aus den Lagen« eine echte Sensation. Der Idig wird nun schon seit geraumer Zeit vom immer besser werdenden Vogelsang verfolgt. Beide Lagen beweisen rot, so auch weiß als 2023er Rieslinge echte Grand Cru Qualitäten, wobei ich den Idig in diesem Jahr in seiner großen Balance etwas weiter vorne sehe. Auch bei Christmann hat sich das strenge Selektieren ausgezeichnet und die Lese-Mannschaft von über 30 Personen hat jede unperfekte Beere feinsäuberlich ausgeschnitten. Übrig blieben nur die lockerbeerigen Rieslingtrauben, die Weine mit einem hohen Spannungsbogen hervorgebracht haben.
»2023 haben wir sehr viel gelernt. Vor allem Demut. Wenn Du schon so viele Jahre im Betrieb bist, kennst Du Deine Lagen ganz genau, weißt wo es schwierig werden könnte. Deshalb haben wir Parzelle für Parzelle individuell gearbeitet, alles vorbereitet – wir waren selbstsicher. Und dann kam der Regen im August. Wir sind rausgefahren und die erste Parzelle hatte fett Botrytis. Kurz davor waren die Trauben traumhaft gesund, aber ab dann wurde es richtig hart.« Ich sitze jetzt bei Bürklin-Wolf und bin nach diesen einleitenden Worten von Kellermeister Nicola Libelli natürlich sehr gespannt, was dabei herumgekommen ist. Und? Ich bin baff! Besonders Gaisböhl ist für mich in diesem Jahr ganz weit vorn mit dabei. Durchdringend mit satter Textur und parallel eine unglaubliche Frische ausstrahlend. Auch die ohnehin immer genialen Forster Weine sind noch einmal next Level. Sie zeigen Eigenschaften von warmen, aber gleichzeitig auch von kühlen Jahren. Die Säurestruktur ist präsent, dabei aber reif. Die Weine sind nicht so massiv wie 2018 und teilweise 2019, sondern haben einen Hauch mehr Dramatik, wie die 21er. Pechstein kommt fast etwas ungewohnt elegant und leise daher, braucht irre viel Luft, aber dann ist es gemeinsam mit dem Kirchenstück am Ende doch wieder an der Doppelspitze. Diese beiden Crus sind einfach unangefochten hier, Jahr für Jahr. Das zeigt sich dann auch bei Von Winning. Stephan Attmann liefert mit seinen 23ern so richtig ab! Ich probiere sie im direkten Vergleich neben der fantastischen 22er Kollektion, aber 2023 setzt für mich nochmal eins drauf. Kirchenstück und Pechstein präsentieren sich von ihrer kühlen Seite, sind verschlossene Mineralhammer, die erst nach Jahren aufmachen werden. Aber als Gegenentwurf dazu gibt es ja das Ungeheuer, was mit etwas mehr exotischem Fruchtspiel glänzt. Auch die ersten Lagen sind wieder stark, wobei für mich insbesondere der Haardter Herzog heraussticht
Sowohl Rebholz als auch Wehrheim zeigen ganz klassische Weine aus dem Kastanienbusch, die eine Kräutrigkeit und mineralische Finesse auszeichnet.
In der Südpfalz brilliert der Kastanienbusch, wo wir mit Rebholz und Dr. Wehrheim hier die absolute Spitze aus dieser Lage vertreten haben. Eine Lage, die insbesondere in den letzten Jahren mit Trockenheit zu kämpfen hatte, deshalb teilweise auch bewässert wird. Durch die Kombination aus hohen Niederschlägen im Spätsommer und die optimale Bodenabdeckung, waren die Böden in diesem Jahr aber extrem gut versorgt. Das Ergebnis waren perfekte Rieslingtrauben wie aus dem Bilderbuch, die extrem köstlich-saftige Weine hervorgebracht haben. Analytisch eher moderat in der Säure, vergleichbar mit 2020, aber mit recht niedrigen pH-Werten, was für mehr Frische bei gleichzeitiger Konzentration gesorgt hat. Sowohl Rebholz als auch Wehrheim zeigen ganz klassische Weine aus dem Kastanienbusch, die eine Kräutrigkeit und mineralische Finesse auszeichnet. Rebholz’ Ganz Horn überzeugt mich auch in 2023 wieder mit seiner zupackenden, kompromisslos geradlinigen Art und bei Wehrheim feiert ein neues erstes Gewächs Premiere: Aus dem Frankweiler Biengarten stammt ihr erster, reiner »Kalkriesling«. Oberhab der Lage Im Sonnenschein gewachsen, komplett im Stahl ausgebaut. Sehr dramatisch und filigran, fast ein bisschen an kargen Chablis erinnernd. Ein starkes Debüt.
Weiter geht’s nach Schweigen, wo sich das Handy nie entscheiden kann, ob es im deutschen oder im französischen Netz sein möchte. 2023 war auch hier sehr arbeitsintensiv. Teilweise musste dreifach selektiert werden, die Mengen sind etwa ein Drittel geringer als 2022. Im Ergebnis sind die Weine aber umso schicker geworden! Totale Balance aus hoher Reife bei genialer Säurestruktur und moderaten Alkoholgehalten. Die beiden Schweigener Platzhirsche Johannes Jülg und Friedrich Becker arbeiten beide mit Rappen in ihren Pinots, was ganz hervorragend zum warmen Jahrgang 2022 passt. Die Burgunder von Jülg zeichnen sich durch eine großartige Balance aus, zartes Tannin und satte, dunkle Frucht geben hier den Ton an. Der Sonnenberg KT verkörpert diese DNA perfekt – Rasse, steinige Struktur, dunkle Beerenfrucht. Ein Burgund-Killer, wirklich großer Stoff und vor allem auch etwas massentauglicher, geschliffener, nachdem 2021 eher fordernd war. Bei Becker gibt es wie immer nicht den aktuellen 2022er, sondern die monumentalen 2019er, die jetzt erst auf den Markt kommen. Die richtige Entscheidung, denn Beckers Weine brauchen sehr lange, präsentieren sich jetzt noch blutjung. Dicht und kraftvoll, jetzt in der Jugend noch mit wirklich konzentrierter Tanninstruktur, werden das Weine für die Ewigkeit sein – wie einige gereifte GGs, die Fritz mir aus Halbflaschen (!) einschenkt, unter Beweis stellen.
Baden & Württemberg – Next Generation
Dass am Kaiserstuhl seit Jahren Weine erzeugt werden, die nicht nur preislich, sondern auch qualitativ ihren burgundischen Nachbarn massiv einheizen, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Aber auch wenn es schwer zu glauben ist, stelle ich die These auf, dass 2022 nahezu alles toppt, was ich bisher von hier probiert habe. Ja, immer diese Superlativen, aber was soll man denn anderes sagen, wenn die Weine einfach so beeindruckend sind?
Fangen wir doch mal mit Neuigkeiten bei Friedrich Keller an. Der Enselberg war jahrelang das »Einstiegs-GG«, von der Machart natürlich identisch mit den anderen Großen Gewächsen, aber einfach immer ein bisschen darunter angesiedelt. Einstiegs-GG ist ohnehin eine ungünstige Beschreibung, die Lage ist genial, aber hat einfach nicht das volle Potenzial wie Eichberg, Schlossberg und Co. Friedrich hat sich mit dem 2022er dazu entschieden, den Wein nun als erstes Gewächs einzustufen. Ähnliche Ansätze verfolgen unter anderem auch Julian Huber und Konrad Salwey. Ein gewagter, aber wie ich finde durchaus richtiger und wichtiger Schritt. Damit setzen sie ein Zeichen, wodurch die jeweiligen Weine qualitativ in keiner Weise abgewertet, sondern einfach korrekt eingestuft werden. Immerhin gibt es auch Burgund großartige Premier Crus, die so manchen Grand Cru übertreffen. Vom fantastischen Kirchberg Spätburgunder wird 2022 leider der letzte Jahrgang sein, denn Keller hat den Pinot hier durch Chardonnay ersetzt. Man könnte vermuten, dass die Reben von ihrem Schicksal ahnten, denn der Wein der hier herausgekommen ist, ist einfach überwältigend – und zwar nicht in Sachen Dichte und Konzentration, sondern vielmehr bezogen auf seine Feinheit. Einfach köstlich mit dieser Verbindung aus Reife und Frische. Ist zart und tänzelnd, filigran, aber auch fast dramatisch in kühler Finesse und kirschiger Eleganz. Stark!
Schon die Malterdinger im Village-Bereich sind einfach atemberaubend gut, die »Alten Reben« übertreffen viele GG anderer Produzenten und lassen sich auch blind kaum von ihren französischen Vorbildern unterscheiden.
Dass 2022 ein warmes Jahr war, merkt man bei Julian Huber nicht ansatzweise. Voller Energie, terroirgetrieben und dabei total elegant zeigen sich hier sowohl Pinot als auch Chardonnay. Der wichtigste Unterschied zu 2021 – es gibt wieder ein bisschen mehr Menge! Auch der langersehnte Pinot aus dem Wildenstein wurde 2022 produziert. Die Konstanz bei Huber ist einfach beachtlich, die Weine erfahren nicht grundlos einen gewissen Hype. Schon die Malterdinger im Village-Bereich sind einfach atemberaubend gut, die »Alten Reben« übertreffen viele GG anderer Produzenten und lassen sich auch blind kaum von ihren französischen Vorbildern unterscheiden. Schlossberg, Bienenberg und Co. sind dann definitiv auf Grand Cru Level anzusehen – leider trotz etwas größerer Ernte aber auch wieder extrem rar.
Bei Konrad Salwey stehen die Late-Releases aus 2021 auf dem Plan. Im Vergleich zu den zuvor probierten 22ern der Kollegen, fehlt es hier aber keineswegs an Konzentration. In 2021 natürlich nicht so früh gelesen wie in manch anderen Jahren bei Salwey, aber dennoch sehr elegant. Besonders der Kirchberg brilliert mal wieder mit seiner Mischung aus salzig-süßer Kirschfrucht. Bei den Weißweinen gefallen mir besonders das GG aus dem Steingrubenberg, sowie sein kleiner Bruder, der Chardonnay Ortswein aus Oberrotweil.
In Sachen Generationennachfolge ist Baden mindestens genauso spannend wie die Pfalz. Ähnlich wie Sophie Christmann die Stilistik im elterlichen Betrieb zum Positiven verändert hat, beweist auch Rebecca Heger ein unglaublich feines Händchen, insbesondere für Pinot. Weniger Holzeinsatz und ein perfektes Spiel mit Ganztrauben. Der Winklerberg ist eine der heißesten Lagen Deutschlands, umso beeindruckender, wie zart und verspielt die Weine bei Heger sind. Was mich hier – wie auch bei Keller und teils Salwey – sehr überrascht, dass mir die Grauburgunder sogar einen Hauch besser gefallen als die Weißburgunder. Mehr Struktur, Tiefe und nicht ansatzweise »ordinär«. Ein großes Highlight ist ganz klar das GG aus der Lage Häusleboden, wo die Hegers schon vor Jahren Genetik aus dem Clos Vougeot gepflanzt haben.
Beim Thema Nachfolge sind die Aldingers in Württemberg ja quasi schon alte Hasen. Matthias Aldinger hatte mich zuvor gefragt, ob ich an irgendeiner Vertikalverkostung interessiert sei, also habe ich mir jeweils eine Vertikale des Brut Nature Sekt und der kuriosen Rarität Trollinger 1G Rosé gewünscht. Bisher kannte ich beide Weine nur jung, aber mit Reife erreichen sie noch einmal ganz andere Dimensionen. Der Trollinger stellt unter Beweis, dass er alles andere als ein cleverer Marketing-Schachzug ist, sondern ein ernstzunehmender, großer Wein. Ebenso der großartige Brut Nature, der sich in einer Blindprobe sicher gegen viele Champagner durchsetzen kann. Matthias berichtet mir außerdem von einem spannenden Projekt – er hat im Jahrgang 2022 nämlich Trauben aus dem Burgund in seinem Keller verarbeitet und das Ergebnis ist absolut genial! Stay tuned…
Last but not least geht es zum Prince of Lemberger, Mr. Ritzling aka Moritz Haidle! Hier verkoste ich einige 2023er vom Fass – ein Jahrgang, der sich genial zu entwickeln scheint mit feinem Fruchtausdruck und schöner Offenheit. Die aktuell kommenden 2022er zeigen sich sogar mit etwas zupackenderer Ader. Der Riesling aus der Lage Häder ist tropisch, beinahe laut mit von Rauch ummantelter Ananas und hintergründigen Noten von Koriander. Total eigenständiger Stil, das gefällt mir sehr. Bei den Lembergern ist es das große Gewächs aus der Lage Gehrnhalde, was hier besonders heraussticht. Das sind die wahrscheinlich ältesten Lembergerstöcke im Remstal. Sehr kühle, kräutrige Nase von Menthol und Eukalyptus. Zarter Rauch, Kirsche in allen Schattierungen. Ein Teppich aus ultra geschliffenem, kalkigen Tannin belegt den ganzen Mundraum. Moritz Haidle gilt zurecht als Shootingstar im Remstal!