Jetzt trinken oder liegen lassen? Eine Frage, die sich jeden Tag viele Weinenthusiasten stellen. Und dann gibt es noch diejenigen, die sich bewusst für einen jungen Wein entscheiden.
Wenn man sich so die Kommentare unter einigen Degustationsnotizen in Social Media ansieht, dann könnte man meinen »Der ist doch viel zu jung« oder »Babymord« liegen auf einer Kurzwahltaste der Facebook-App. Aber muss man sich denn schämen, junge Weine zu trinken? Zunächst fehlen vielen Weinfans die Optionen. Wer in der Stadt wohnt, hat oft nicht die geeigneten Lagerkapazitäten, um einen Keller aufzubauen. Andere stehen noch am Anfang ihres Weinlebens und sammeln somit noch nicht lange genug. Nebenbei benötigt man auch etwas Kleingeld. Und was passiert in der Zwischenzeit? Durstig bleiben? Viel Geld auf Auktionen oder dem Sekundärmarkt ausgeben? Es gibt eine weitere Möglichkeit, eine Haltung: Die Fruchtphase kann etwas Wunderschönes sein.
Fruchtphase, ja bitte!
Ob ein Wein jung oder alt besser ist, bleibt immer Geschmackssache und ist kein Gesetz. Vielleicht ist es ein bisschen wie das Leben selbst: Die Unbekümmertheit der Jugend bringt eine andere Lebensfreude als die des Alters, wenn Erfahrung und Weisheit Qualitäten strahlen lassen, die der junge Mensch nur erahnen kann. Jedoch haben beide Phasen ihre absolute Berechtigung. Für diejenigen, die begeistert junge Weine trinken, habe ich heute ein paar Tipps. Sozusagen »the buyers guide für Babymörder« (spätestens jetzt stehen wir bei einem Algorithmus auf der Beobachtungsliste).
Burgund ist (fast) immer eine Bank
Chardonnay und Pinot Noir aus dem Burgund lassen sich oft schon wunderbar in ihrer Jugend genießen. Vergleichsweise kleines Geld kosten die Chardonnays aus der nördlichsten Appellation Chablis. Hier hat man im Moment sogar die Qual der Wahl! 2021 hat sehr strahlige, mineralische Chablis hervorgebracht, wohingegen 2019 oder 2020 viel wärmer waren und die Weine deshalb auch eine kräftige Intensität aufzeigen. Ähnlich sieht es bei den Rotweinen aus. Insbesondere an der Côte d’Or lassen sich momentan die 2021er mit ihrer jahrgangtypischen Eleganz trinken. Wer nun aber die Möglichkeit hat, gereifte Weine, zum Beispiel aus 2015 oder 2013, zu ergattern, der sollte nicht lange zögern!
Deutscher Riesling
Eigentlich gibt es gerade bei den Top-Erzeugern keine schlechten Jahre mehr, nur andere. Es ist ja hinreichend bekannt, dass der Klimawandel uns seit dem Blockbuster-Jahrgang 2017 einen Hitzejahrgang nach dem anderen beschert. Wer Riesling wegen seiner Klarheit liebt, der wird im für viele Winzer schwierigen Jahr 2021 fündig. Die Weine sind durch ihre karge, kristalline Art und die hohe Säure eher Langstreckenläufer, ähnlich wie die aus 2017. Wer hier etwas Gereiftes findet, sollte das unbedingt kaufen! Aber auch die gereiften Weine aus 2016 mit ihrer wunderbaren Tiefe und Kraft sind für die Ewigkeit gemacht! Nur eben anders. Vom richtigen Produzenten sind auch die 2022er hervorragend. Reifer und doch balanciert, einfach wunderbar zu trinken!
Modernist Style Barolo
Wer seinen Kopf verlieren möchte, der stellt sich am besten auf die kleine Aussichtsplattform in La Morra und verkündet mit aller Kraft, dass Barolo im kleinen Holz ausgebaut werden sollte. Was für lang anhaltende Verfeindungen, sogar innerhalb einzelner Winzerfamilien, im Piemont gesorgt hat, ist für den ungeduldigen Weintrinker aber eine Chance: Barolo aus neuer französischer Eiche ist früher zugänglich als jener, der in den traditionellen Botti reift. Aber natürlich schmecken sie auch anders …
Jugendliche Bordeaux
Wer hätte gedacht, dass man auch in Bordeaux Weine findet, die schon in ihrer Jugend eine ungemeine Freude machen? Gerade in warmen Jahren wie 2018 kommen Weine hervor, die besonders in jungen Jahren schon durch ihre Präsenz und Hedonismus begeistern. Einfach lecker und charmant. Im Vergleich dazu wirkt 2019 fast wie eine andere Region. Fein, elegant und mit ganz viel Potenzial. Aber das Schöne daran ist, dass beide, zum richtigen Zeitpunkt, einfach Spaß machen.
Wein ist so wandelbar, facettenreich und launisch wie die Spezies, die ihn herstellt, und durchläuft dabei ganz ähnliche Lebensphasen.
Hat jemand Champagner gesagt?
Auf jedes der großen Häuser der Champagne kommen unzählige kleinere Winzer mit überragenden Qualitäten. Die Einstiegs-Cuvées sind in der Regel zum sofortigen Genuss vinifiziert und schmecken nach purer Lebensfreude. Und wann trinkt man Champagner am besten? Champagner geht immer. Aber bitte aus großen Gläsern und mit großen Schlucken.