Von Elias Schlichting

Bourgogne Millésime 2019

Une bombe atomique.

In einem Jahr wie 2020, wo sollte man anfangen und wo aufhören zu berichten. Es war und ist nur kurios. Ich reiste frisch getestet und mit allen legal notwendigen Formularen im Gepäck an meinen persönlichen Sehnsuchtsort Beaune, über dem – wie über dem Rest der Welt – ein trauriger Schleier lag in diesem Jahr. Es gab einen relativ harten Lockdown in der ganzen Region Bourgogne-Franche-Comté. Nächtliche Ausgangssperre, geschlossene Gastronomie, minimale Kontakte, Abstand halten, nur japanische Begrüßungen, alles ultravorsichtig. Auch mit vermummtem Gesicht, wunden Händen vom Dauerdesinfizieren bei klirrender Kälte in den Caves und ohne Chance die lokale Kulinarik und Gastlichkeit wie üblich zu zelebrieren, war es eine fesselnde, grandiose Reise. Das hat einen simplen Grund: Millésime 2019. 

Elias Schlichting und Sylvain Pataille im Weinkeller

Der Jahrgang ist schlicht und ergreifend eine aromatische Atombombe, die mir ein ums andere Mal das Weinglas gesprengt hat. Ich wusste von der Vorjahres-Reise, dass von 2019 viel zu erwarten ist. Damals schwärmten die Winzer während der Verkostung der 2018er schon häufig von 2019. Meine Hoffnungen waren entsprechend hoch. Die Weine übertrafen sie nicht nur – sie sprengten sie einfach.

Bombe atomique

Großpixelige Bilder

Jahrgangsberichte sind recht großpixelige Bilder, die versuchen einen möglichst scharfen Ausblick zu geben. Es liegt in der Natur der Sache, dass dies nur bedingt gelingen kann. Gerade im Burgund, diesem irren Puzzle aus Terroirs, ist es nahezu unmöglich ein einheitliches Bild zu zeichnen. Partielle Regenschauer, Frost, Hagel, Virusmutationen in den Reben, Wasseradern… Freud und Leid trennen hier oft nur wenige Meter. Im selben Jahrgang wohlgemerkt. Es ist aber immer wieder verblüffend, wie sich eine gewisse Jahrgangsstilistik nicht selten von der Bordelaiser Atlantikküste, über das kontinentale Burgund bis ins nördlichere Deutschland durchzieht. Und dabei gar nicht so weit voneinander entfernt ist, wie man eigentlich annehmen sollte. Konzentration, Reichhaltigkeit, Transparenz, Intensität, tolle Frische. All diese Attribute treffen auf unzählige europäische Weine des Jahrgangs 2019 zu, ganz unabhängig woher genau sie stammen. Das ist doch irre, oder?

Sie wirken eher lichtdurchflutet, transparent und luminös.

Wenn ich meinen Eindruck von den 2019er Burgundern mit nur einem einzigen Wort beschreiben müsste, wäre es luminös. Die Weine profitierten klar von einer sehr sonnigen und trockenen Anbauperiode. Doch erstaunlich wenige erscheinen warm oder hitzig. Je nach Terroir, sind die Weine mancherorts mit einer schwer zu glaubenden, kühlen Herbheit ausgestattet, teils mit mediterranem Schmelz, analog zu 2018. Sie sind lichtdurchflutet, transparent und ausdrucksstark. Leichtgewichte sind die Weine des Jahrgangs keinesfalls. Aber durch ihre strahlend-expressive Erscheinung ganz wunderbar elegant – trotz immenser Power. Im Schnitt hatte die Vegetationsphase 2019 eine niedrigere Durchschnittstemperatur, 16.9° vs. 17.9° Grad Celsius. Zudem gab es zwischen April und Oktober auch minimal mehr Niederschlag als 2018, rund 351.5 vs. 332.3 mm. 2019 hatte bei vergleichbar vielen Sonnenstunden eine gesamtheitlich gesehen leicht niedrigere Temperatur, allerdings vereinzelt höhere Hitzespitzen, die bei offener Laubwand Sonnenbrandschäden verursachen konnten. Insgesamt also ein etwas ausgewogenerer Witterungsverlauf als 2018. Deutlich zu erkennen ist die Abkühlung zur Lesezeit in 2019 ab Mitte September, die den Weinen diese wunderbare sensorische Frische eingehaucht hat. Viele Winzer verglichen den Jahrgang 2019 mit 2009 mit einem Hauch mehr Frische hier und da – ich denke, das trifft es ziemlich perfekt.

Temperaturverlauf 2019
Temperaturverlauf 2019
Temperaturverlauf 2018
Im Vergleich dazu 2018

Um jeden Tropfen kämpfen

Nach den für burgundische Verhältnisse generösen Erntemengen 2017 und 2018, hat 2019 leider durch mehrere Faktoren erneut Ertragseinbußen erlitten. Spätfröste in der ersten Aprilwoche haben Teile der Côte de Beaune empfindlich getroffen, während die Côte de Nuits weitgehend verschont blieb. Hinzu kommt eine generell sehr geringe Saftausbeute bei dicken Beerenschalen – auch hier verstärkt beim Chardonnay – aufgrund anhaltender Trockenheit und extensiver Hitzephasen im Juni und Juli. Die besten Winzer antizipieren stark sonnige Witterungsverhältnisse heute und arbeiten entsprechend, um die Trauben durch geschlossene und höhere Laubwände möglichst gut vor direkter UV-Strahlung zu schützen. 2018 floss der Saft in Strömen von den Pressen, 2019 musste man um jeden Tropfen kämpfen. Auch das ist eine Analogie zu Deutschland.

Die Ansammlungen von Top-Premiers und Grands Crus sind kein Zufall

Denogent

Die erneut in Rekordzeit antretenden Lesemannschaften wurden im Herbst fast überall entlang den Côtes von vollreifen, kerngesunden Trauben angestrahlt. Ein Vorteil der trocken-warmen Jahre. Zu dieser Periode – Ende August und Anfang September – wurde die Côte d‘Or von kühlen Nordwinden und sinkenden Temperaturen erfasst. Das ließ nicht nur die Erntehelfer, sondern auch die Reben einen kühlen Kopf bewahren. Noch mehr als sonst bevorzugt waren die Lagen in den direkten Windschneisen der diversen Combes. Combes sind Seitentäler, geographische Einschnitte an den Hängen der Côte d’Or. Diese liegen zumeist oberhalb der besten Weinberge. Die Ansammlungen von Top-Premiers und Grands Crus, wie etwa in Gevrey-Chambertin oder Vosne-Romanée, aber auch von Saint-Aubin hinab nach Chassagne- und Puligny-Montrachet, sind kein Zufall, sondern durch die darüber liegenden Täler begründet. Die geographischen Einschnitte begünstigen dort seit Jahrmillionen das Erodieren von Gesteinsschichten an die Côtes, was genau an diesen Stellen zu erhöhten Mineralgehalten und besonders spannenden Bodenzusammensetzungen führt. Zudem sind die Schneisen ein Einfallstor für kühlende Winde aus den waldigen Hautes-Côtes, die den Weinen oft einen Touch mehr Eleganz und eine gewisse Frische verleihen. In einem Jahr wie 2019 ist das ein Segen, der die Weine von entsprechend situierten Lieu-dits gleich doppelt brillieren lässt.

Karte

Dieses makellose Parfüm

Auch Rieslingtrinker werden mit den 2019er Burgundern ihre Freude haben, denn die trockenheits-induzierten partiellen Reifestopps im Sommer hielten die pH-Werte relativ niedrig. Die kühleren (Nacht-)Temperaturen zur Lesezeit präservierten diesen Zustand. Dennoch sind die Weine reich und voluminös, haben hohe Oechslegrade erreicht und sind teils auch etwas mediterran in der Art. Die Besten liegen dabei in einem grandiosen Spannungsfeld aus schwereloser Kraft, Konzentration und kristalliner Transparenz. Also sehr burgundisch – aber mit Turbolader. Ich war mehr als einmal völlig baff in den Caves der Domaines gestanden, verzaubert vom intensiven Charme der 2019er. Viele unserer Winzerveteranen attestierten, nie zuvor solch verführerische, wunderschöne Weine im Jungstadium erlebt zu haben. So offenherzig und überwältigend die 2019er sind, so ehrfurchtgebietend tief und geheimnisvoll können sie sein. Stille Wasser sind tief, stürmische sind tiefer, möchte man da sagen. Dieses makellose Parfüm der Pinot Noirs – ich habe es Wochen und Monate später noch immer in der Nase. Kein Zweifel, dass die 2019er Pinot Noirs in einer Reihe mit 2009 und 1999 stehen. Zudem sind die Weißen 2019 spannender als in jenen beiden Top-Jahren.

Stille Wasser sind tief, stürmische sind tiefer

Vincent

Der Klimawandel ist gekommen, um zu bleiben.

Der Weinstil der letzten Dekade leitet fraglos eine neue Ära ein. Es gibt nur wenige Ausnahmen wie die etwas „klassischer“ und schlanker anmutenden Jahrgänge 2013 und 2014. Mit Energiebündel Nicolas Potel – Sohn der Burgunder-Legende Gerard Potel von Pousse d‘Or – philosophierte ich angeregt über dieses Thema. Der Tisch war reicht gedeckt mit Sashimi to-go aus dem Bissoh in Beaune (Tipp, hervorragend!). Dazu genossen wir einen Bellene 2000er Latricières-Chambertin. Gereifter Pinot Noir kann ganz ausgezeichnet Fisch begleiten. Große Burgunder des Jahrgangs 2000 trinken sich jetzt superb, während die besten 1999 und 2001 noch Zeit haben. Es wurde ein langer Abend.

The Times they are a-changin‘

– Bob Dylan

Für Nicolas Potel gelten als stilprägend im Burgund: Prä-Phylloxera (die Zeit vor der Reblauskrise), dann die sehr klassischen, aber klimatisch oft gebeutelten Dekaden bis zum zweiten Weltkrieg. Darauf die durch naturwissenschaftlich-chemischen „Fortschritt“ geprägte Nachkriegszeit bis Anfang der Zweitausender. Natürlich hatte jede dieser Zeitspannen nochmal seine eigenen Trends und Entwicklungen, doch im größeren Gesamtkontext kann man sie wohl so clustern. 2003 kam der erste große Weckruf des Klimawandels. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich ein einschneidendes Erlebnis für Landwirte und die Bevölkerung. Hitzetote und Missernten. SO ein Jahr im alten Europa?! Es sollte nicht das letzte sein, aber eines der lehrreichsten. 2005, 2009 waren weitere vereinzelte Vorboten, bis es dann einfach die Regel wurde. Die Jahre 2014 bis 2020 zählen – global gesehen – alle zu den wärmsten jemals gemessenen Jahren seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1880. The Times they are a-changin‘. Wir entern eine neue Ära.

Vincent 2

Die Weine sind klar anders als früher, aber in 2019 auch so delikat und burgundisch, wie man es sich besser kaum wünschen könnte. Viele – überwältigend viele – 2015er, 2017er, 2018er und 2019er lassen, ob ihrer wollüstigen Zugänglichkeit und Delikatesse, antizipieren, dass uns ein Zeitalter des Hedonismus bevorsteht. Und 2019 ist vielleicht der bisher schönste Jahrgang dieser Neo-Klassik.

Fruchtbarer Nährboden für ganz große Weine

Nahezu alle Winzer*innen mit denen ich während meiner Reise sprach, äußerten das Gefühl, dass die Rebe sich – als Pflanze mit natürlichem Fortpflanzungs- und Überlebenswillen – den veränderten Bedingungen offenbar schneller anpasse als wir Menschen in unseren Köpfen. Ergänzend und im besten Fall symbiotisch zu den veränderten klimatischen Faktoren, ist der Weinbau inzwischen an so vielen Stellen perfektioniert – vom Pflanzmaterial bis zum intimeren Wissen über Standorte und laboranalysierte Bodenchemie. Denn natürlich haben vor allem auch unsere Top-Winzer ganz entscheidenden Anteil daran, dass die Weine so expressiv und penibel geschliffen sind. Alle der besten Winzer arbeiten mit einer anderen Aufmerksamkeit und Geisteshaltung gegenüber den Weinbergen, den Trauben, dem Klima und der Natur. Nicht selten spielt dabei auch ein Generationswechsel auf den Domaines eine Rolle. Die Erfahrung der älteren Garde bezüglich der Terroirs und früheren Jahrgängen, gepaart mit den neuen Erkenntnissen und Fähigkeiten der jüngeren, internationaler ausgebildeten Generation bildet den fruchtbaren Nährboden für ganz große Weine.

Nach Sägewerk und Kaminfeuer riecht kaum noch ein wirklich ernsthafter Burgunder. 

Noch Mitte der 90er-Jahre gab es nicht mal eine Handvoll Sortiertische in Vosne-Romanée. Bei Jayer, Conti, Mugneret-Gibourg und Méo. Heute gibt es vielleicht keine vier Domaines in Vosne, die keinen Sortiertisch haben. Die trockenen Jahre wie 2018 und 2019 machen mit ihrem extrem gesunden Traubenmaterial auf den Sortiertischen nur eher Sonnenbrand als Fäulnis zum Thema. Immer penibler, ja geradezu chirurgisch rein arbeitende Önologen kommen bei solch gesundem Traubenmaterial mit deutlich weniger Schwefel, Schönung und Filtration aus als früher. Auch der Holzeinsatz geschieht vielerorts dezenter. Nach Sägewerk und Kaminfeuer riecht kaum noch ein wirklich ernsthafter Burgunder. Ziel vieler Top-Winzer sind Weine wieder möglichst nah am puren, delikaten Traubensaft, wenngleich das Holzmanagement natürlich noch immer eine prominente Rolle im Burgund spielt. Die alles überstrahlende Frucht der 2019er ist – ähnlich wie 2017 und 2018 – nicht selten dermaßen intensiv, dass sie dem Holzeinsatz nicht nur komplementär Paroli bietet, sondern ihn sogar galant überflügelt. In 2019 wird, durch die Kombination mit den frischen Säurestrukturen, das Holz häufig einfach weggelasert.

Denogent
Bei Robert Denogent

Alles gute Gründe, dass die Qualitäten in den letzten Jahren auf einem Allzeithoch sind. Wen wundert es da, dass die Preise für Burgunder weltweit unaufhaltsam steigen und die Region prosperiert wie nie zuvor. Doch zeigen die Bourguignons keine weitläufige Erfolgsmüdigkeit. Im Gegenteil. Der Ehrgeiz vieler Winzer scheint proportional mit den Preisen zu steigen. Das Burgund ist nicht nur klimatisch »on fire«, sondern vor allem qualitativ. Selbst in den Randappellationen außerhalb der berühmten Hotspots der Côte d’Or werden heute atemberaubend gute Weine erzeugt. Die Weinbauern müssen hier noch immer doppelt so viel ackern, um dieselbe Aufmerksamkeit für ihre Weine zu erzielen wie im Kern der Côte. Doch sie tun dies so akribisch wie vielleicht nie zuvor und mit inbrünstiger Leidenschaft für ihre „Underdog-Gemeinden“. Guffens-Heynen & Verget, Jean-Marc Vincent, Sylvain Pataille, Robert-Denogent oder Bruno Lorenzon sind nur einige der Leuchttürme in der weiten See der auf dem Papier häufig unterbewerteten Rand-Appellationen.

Les Blancs 2019

Les Blancs 2019 – eine Ménage-à-troi aus 2012, 2015 und 2017 wie Parkers Mann Kelley schätzt? Neben den teilweisen Frostschäden vom April, war die geringe Saftausbeute der dickschaligen Beeren in 2019 der stark limitierende Faktor des Chardonnay-Ertrags. Die wärmeren und vor allem trockeneren Jahre tragen ihren Teil zur Aufkonzentration aller Elemente in den Weinen bei. Niedrige Erträge und ein solches „millésime solaire“ sollten eigentlich zu überreifen Weinen mit erhöhten pH-Werten führen. 2019 kam es anders. Die pH-Werte blieben verhältnismäßig tief und das zeigt sich in den Weinen als grandiose Pikanz, Spannung und Frische. Gerade bei den Chardonnays ein wichtiger Faktor, der manchem 2018er als letzter Kick gefehlt hat.

Es ist selten der Fall, dass in einem Jahrgang beide Farben im Burgund gleich herausragen, wie etwa 2010. 2017 und 2014 hatten eine bevorzugende Tendenz zu weiß. 2012 und 2018 gerieten größtenteils die Roten etwas spannender. 2015 hatte – wenngleich auf der opulenteren Seite beim Chardonnay – Stärken in beiden Farben. Ganz ähnlich wie 2019. Die Weißen haben eine hohe Konzentration und stoffige Dichte, die an 2010, 2012 oder 2015 erinnert. Dazu eine reiche, offenherzige, strahlende Fruchtintensität wie in 2015 und 2017. Es wird noch besser. Denn auch wenn man es ob ihrer Reichhaltigkeit kaum glauben mag, zeigen die Weine auf der Zunge eine ganz ähnliche Spannung, Vibration und Vitalität wie 2017, 2014 oder 2010. Die abkühlend-windigen Nächte im Spätsommer, die durch Trockenheit und Hitze evaporierenden Beeren und mit Sicherheit auch die angepasste Laubarbeit, Pressprogrammierung und peniblere Selektion der Pressfraktionen tragen ihren gerechten Anteil dazu bei.

2019 ist eher Lamborghini als Aston Martin

Die Alkoholgrade zeigen – entgegen dem kühleren sensorischen Eindruck – den (vo)luminösen Charakter des Jahres deutlicher. Sie liegen bei den meisten Domaines im Schnitt gleichauf, nicht selten auch über denen des Vorjahres 2018. Es ist kein Jahrgang für Puristen. 2019 ist eher Lamborghini als Aston Martin. Wer in 2019 einigermaßen schlanke Chardonnays finden möchte, der muss schon in Saint-Romain oder den Hâutes-Côtes suchen. Etwa bei Agnès Paquet, deren Lagen in den kühlen, waldigen Seitentälern so manchem Liebhaber in normalen Jahren zu karge Weine ergeben. 2019 erfreuen sie sich jedoch praller Reife und zugleich typisch-kühler Spannung. 

Insgesamt macht 2019 schon ordentlich Druck im Glas. Ultimativ denke ich aber nicht, dass die 2019er Blancs an die weißen Top-Jahre 2014 und 2017 herankommen. Eigentlich ist es Haarspalterei. Beeindruckender sind sie allemal. 2019 ist – mehr noch als 2018 – ein superbes, wenngleich wuchtiges Weißwein-Jahr im Burgund. Eine Tour de Force.

Agnes Paquet
Agnes Paquet

Wenn Chardonnay wie Espresso wirkt

Mein erster Termin der Reise war montagsmorgens um 9 Uhr bei Sabine Morey (Domaine Marc Morey) in Chassagne-Montrachet. Und ich wurde direkt eingenordet. Ein verdammt guter Bourgogne Blanc, wow. Dann Chassagne Village, mit immenser Dichte, so feinst verwoben, ziseliert und rassig. Helltönig, weißfruchtig, feinsalzig. Könnte bei aller Kraft kaum terroirgetreuer sein. Ich werde etwas nervös. Der allererste Termin ist immer am schwersten einzuschätzen, da einem noch die Referenzen fehlen. Bin ich a priori übermotiviert endlich Burgund 2019 zu probieren oder ist das wirklich so gut? Weiter im Programm. Saint-Aubin 1er Cru Charmois, immer ein Liebling. Der explodiert förmlich. Unglaublich hohe Spannung und satte säurebeladene Power. Ungewöhnlich konzentriert und dicht in der Mitte für einen Saint-Aubin, ohne die Typizität zu verlieren – Chapeau. Nun Chassagne 1er Vergers, letztes Jahr gar nicht gekauft, weil nicht so sehr spannend. Dieses Jahr kommt er angefräst wie ein Lasterstrahl. Elektrisierende mineralische Schärfe und glockenklare Präzision am Gaumen, ein leicht grünlicher Kick in der Frucht, nur geradeaus. Ein Muss, der kann nie besser gewesen sein?! Nachdem mich die Chassagne 1ers schon total geflasht hatten, kommt Puligny mit dem 1er Cru Les Pucelles. Wenn ein Wein „Grip“ physisch spürbar werden lässt, dann ist es dieser. Hochverdichtet und doch schwerelos, transparent, kristallin, eigentlich verflüssigter Stein. 

Marc Morey ist einfach raketenstark dieses Jahr

Der erste Termin und schon so eine Benchmark. Sabine Morey ist eine sehr zurückhaltende Frau. Sie erzählte mir, während wir probierten, recht emotionsfrei von der Witterung der Vegetationsperiode und wie sehr sich Chassagne und Meursault stilistisch annähern in den letzten Jahren. Ich versuchte das Thema auf ihre herausragenden Weine zu lenken. Da merkte ich, sie ist ebenso neugierig auf meine Reaktion, wie ich auf ihre. Die Weine hatte bis dato ja noch kaum jemand probiert, die Winzer nur wenig Rückmeldung von außen. Die meisten internationalen Importeure sind gar nicht angereist. Viele Gastronomen auch nicht, sie hatten ohnehin gerade geschlossen und wollten erstmal nichts kaufen. Nur Neal Martin und ein paar wenige andere haben zuvor überhaupt hier verkostet. Sabine taute auf als sie merkt, dass ich total begeistert bin. Sie ist ebenso glücklich mit ihren Weinen dieses Jahr. Wir waren uns einig, das ist großer Stoff. Ich kam dennoch etwas ungläubig aus der Domaine. Der direkte Anschlusstermin bei Altmeister Pierre Morey in Meursault bringt dann schon mehr Klarheit. Ja, Domaine Marc Morey ist einfach raketenstark dieses Jahr.

Sabine Morey
Sabine Morey

Monumental auftrumpfen

Einige Chardonnays waren bei Pierre Morey recht schwierig zu probieren, weil sie erst im Spätsommer mit der Malo fertig wurden. Entsprechend zugeknöpft und geheimnisvoll haben sie sich präsentiert. Dafür sind Pierres häufig unterschätzte Rote doppelt aufgekommen. Sie zeigten sich überwältigend duftig, verspielt und delikat. Monthelie und Volnay dufteten dermaßen intensiv, dass sich der ganze Probenraum im Keller mit Pfingstrosen und Waldbeerenconfit füllte. Da ich den Bâtard-Montrachet nicht probiert habe, war Meursault Perrières der beste Wein und Primus inter pares hier im Keller. Der ganze Mund zieht sich zusammen durch die immense Intensität und ungeheure Spannung. So viel Druck ohne Fett, salzig und wild. Dieses komprimierte Geschoss braucht sicher bis in die zweite Hälfte dieser Dekade, um sich zu beruhigen. Er dürfte dann aber monumental auftrumpfen. In seiner steinigen Art erinnert er mich etwas an einen schlankeren Baby-Chevalier-Montrachet.

Ich glaube, ich habe nur selten einen solch perfektionistischen Winzer getroffen.

An der Côte Chalonnaise gab es - im Gegensatz zur Côte de Beaune - weniger Frost und Hagel in 2019. Bruno Lorenzon war überhaupt nicht getroffen. Seine Erträge sind auf natürliche Weise immer extrem gering. Er hat 14.000 bis über 20.000 Stöcke auf dem Hektar in seinen Anlagen stehen, schneidet zudem knapp an. Lorenzon erntet selbst in einem normalen Jahr maximal 25 hl/ha. Bei ihm gibt es üblicherweise kaum neues Holz, manchmal auch gar kein neues Holz. Dennoch legt er höchsten Wert auf seine Fässer. Bruno ist befreundet mit einem benachbarten Tonnelier, der ihm die Fässer exakt nach seinen Wünschen baut. Er sucht alle Bäume in den Wäldern nordöstlich von Chablis selbst mit ihm aus. Er lagert das Holz anschließend auf seinem Grundstück für mindestens drei Jahre, bevor dann beim Tonnelier ein Fass daraus wird. Das Toasting ist stets minimal. 

Ich glaube, ich habe nur selten einen solch perfektionistischen Winzer getroffen. Schon 2018 ist es Bruno mit seinem extremen Weinbau und der hyperpeniblen Vinifikation gelungen maximale Präzision und Klarheit zu erhalten. 2019 gelang ihm dieses Kunststück wieder, sogar noch besser. Bruno ist schon ein großer Meister, dessen persönlicher Fokus und handwerkliche Präzision sich Eins zu Eins in seinen Weinen wiederfinden. Das gleiche gilt übrigens für seinen guten Freund Jean-Marc Vincent, dem wohl besten Winzer Santenays, ebenfalls ein ultra-akribischer Weinbauer mit demselben Freak-Ansatz wie Lorenzon. 

Bruno Lorenzon
Bruno Lorenzon

Der Aligoté auf dem qualitativen Vormarsch.

Ist es der Klimawandel? Sind es die unermüdlichen Vorreiter wie Ponsot, Sylvain Pataille oder Agnès Paquet? Letztere sind beide Mitglieder der Winzer-Vereinigung Les Aligoteurs, die der stiefmütterlich behandelten Rebsorte zu neuem Glanz verhelfen soll. Sind es die Bistro-Hipster von Paris über London bis Berlin? Was auch immer das neuerweckte Interesse am Aligoté befeuert… es ist großartig, dass es so ist. Denn die Sorte kann so viel mehr, als ihr gemeinhin zugetraut wird. Sie ist später reifend als Pinot Noir und Chardonnay, behält sich trotz später Lese und reifen Jahren eine kernige, vitale Säure. Ein bisschen wie Savagnin im Jura. Gerade Jahre wie 2015, 2018 und 2019 beweisen die Stärke des Aligoté eindrücklich. Nie waren Sylvain Patailles Weine besser. Was der Magier von Marsannay in den jüngsten Jahrgängen aus seinen alten Aligoté dorée-Stöcken zaubert, ist schlicht spektakulär. Schon die Basis haut aus den Socken.

So nah und doch gefühlt auf einem anderen Planeten.

Aligoté dorée ist neben Aligoté vert die meistverbreitete Spielart der Sorte im Burgund. Der häufiger vorkommende Aligote vert bildet größere Beeren aus, entwickelt weniger Aromen und hat eine prononcierte Säure. Leider schmecken viele Weine aus dieser Variante auch heute noch so, dass man einen Schuss Crème de Cassis hineinschütten möchte. Aligoté dorée ist ein anderes Kaliber. Kleine, dickschalige Beeren, die golden ausreifen und ein Kaleidoskop an Aromen entwickeln können – je nachdem wo sie stehen. Ja, Aligoté IST eine terroir-expressive Traube.

Agnès Paquets genialer neuer Aligoté wächst zum Teil in den kühleren Hochlagen der Hâutes-Côtes und teils in Meursault. Ich finde sowohl die pikante Frische und schlanke weiße Frucht der Hâutes-Côtes, als auch den Druck und feinen Schmelz von Meursault in diesem Wein. Best of both worlds. Ein genialer Blend zweier Terroirweine. Die aufkommende Freude, dass Sie damit jetzt ein Schnäppchen machen können, muss ich dennoch dämpfen. Sie werden mindestens 36 Flaschen von dem Stoff wollen, um gerade so übers Jahr zu kommen. 

Ein weiteres Beispiel sind Patailles Aligotés aus Marsannay im Norden und daneben sein neuer Bouzeron (die einzige kommunale AOC für Aligoté) von der Côte Châlonnaise im Süden. Identischer Ausbau. Aber ein geschmacklicher Unterschied wie die Fanbase von Real und Atletico Madrid oder Inter und AC Mailand – so nah und doch gefühlt auf einem anderen Planeten.

Pataille
Mit dem Bruder von Sylvain Pataille

Les Rouges 2019

Les Rouges 2019 – eine hypothetische Melange aus 2009 und 2010? Im Gegensatz zur Côte de Beaune, gab es an der Côte de Nuits kaum Frostschäden. Das lag vor allem daran, dass zum Zeitpunkt der beiden heftigsten Frosttage, vierter und fünfter April, ein Großteil der Pinot Noirs noch nicht ausgetrieben hatte. Selbst dort, wo Frost an der Nuits auftrat, konnte er noch nicht viel Schaden anrichten. Entsprechend war der Fruchtansatz hier deutlich solider als in Teilen der Côte de Beaune, wo durch den ein paar Tage früher begonnenen Austrieb auch der Pinot Noir betroffen war. Volnay, aber vor allem Chassagne und Saint-Aubin wurden durchaus hart vom Frost gebissen. Der Frühling begann trotz eines relativ frühen Austriebs eher kühl und regnerisch, was sich bis in den Mai zog. Bei solchen Wetterverhältnissen verläuft die Blüte unregelmäßig und entsprechend wurde der Fruchtansatz hier etwas dezimiert, was dann auch an der Côte de Nuits zu geringeren Erträgen führte. Der Hochsommer verlief sehr sonnig und mit ausgedehnten Trockenphasen, wie schon in den Jahren zuvor. Im Gegensatz zu 2018 war die Hitze aber weniger extrem, weniger langanhaltend und die Trockenphasen wurden in vielen Gemeinden von gelegentlichen Regenschauern unterbrochen. Kaum ein Winzer an der Côte de Nuits sprach daher wirklich von „Trockenstress“, eher von trockenen Verhältnissen. 

Ein Meilenstein für die Traubenqualität

In den besten Parzellen stehen auch überwiegend alte Reben, die mit Trockenheit besser zurechtkommen. Deshalb zeigen auch nur sehr wenige Weine eine hitze- und trockenheits-induzierte Härte im Tannin. 2018 oder auch 2005 war das teils häufiger der Fall, was die Jahrgänge trotz ihrer zugänglichen Intensität und offenen Frucht etwas sperriger machte und uns Genießern mehr Geduld abverlangt. 2019 hingegen glänzt weitläufig mit intensiver, geradezu prachtvoller Frucht und Reife, die mit einer samtigen Tanninqualität einhergeht. Es ist die reinste Freude. Nicolas Potel (Domaine de Bellene) ist überzeugt, dass seine verstorbenen Eltern Gänsehaut hätten, wenn sie diese Weine aus dem Fass hätten probieren können. So etwas hätten sie ihrer Zeit nie erlebt. Nahezu alle Winzer betonten, dass es im Jungstadium solch delikate, köstliche Pinot Noirs wie 2019 wahrscheinlich noch nie gab. Etienne Grivot nannte es einen Meilenstein, vor allem für die Traubenqualität auf Village-Level. Die trocken-heißen Jahre favorisieren tonhaltigere, tiefgründigere Böden, die mehr Wasser halten und die finden sich eben zumeist in den Village-Bereichen. 

Bellene
Nicolas Potel

Eine europaweite Entwicklung, dass die Lese immer schneller und pointierter organisiert werden muss.

So entspannt der Jahrgang bis dato an der Nuits verlief – denn die Trauben erfreuten sich aufgrund der entspannten Witterung bester Gesundheit – so zügig musste die Lese dann ablaufen. Es ist eine europaweite Entwicklung, dass die Lese immer schneller und pointierter organisiert werden muss. Da sich die Reifeentwicklung teilweise rapide beschleunigt oder sprunghaft abläuft. Durch die partiellen Regenschauer schossen die Zuckerwerte der Trauben in den ersten beiden Septemberwochen dramatisch nach oben und drohten durch die Decke zu gehen. Entsprechend holten die meisten ihre komplette Pinot Noir-Ernte ab Mitte September in nur einer Woche ein. Schmalbrüstig sind die 2019er jedenfalls nicht. Die Alkoholgrade liegen auf dem Niveau von 2018 oder nicht selten auch darüber. Verblüffenderweise verhält es sich aromatisch und geschmacklich zwischen 2018 und 2019 oft andersherum. 2018 wirkt noch mediterraner, reifer und etwas wärmer, wohingegen 2019 meist mehr Frische und Pikanz, sowie eine relative Kühle ausstrahlt.  

Pierre Morey
Anne Morey

Verschwenderische aromatische Intensität

Die 2019er Pinots zeigen eine verschwenderische aromatische Intensität und gute Konzentration, wenngleich sie etwas balancierter und klassischer anmuten als die teils hyperkonzentrierten Chardonnays. Gemessen an ihrer Intensität gehen die Pinots überraschend leichtfüßig und galant über den Gaumen. Anne Morey (Tochter von Meursault-Legende Pierre Morey) erwähnte „Chanel“ während unserer Verkostung, um diese bezaubernde, glockenklare Duftigkeit der Weine treffend zu beschreiben. Es duftet, vibriert, spielt, fesselt, verführt, hat Nerv und Energie, nimmt alles ein mit seiner Intensität und Reife. Doch es folgt keine Schwere, keine erschlagende Üppigkeit, keine hitzige Härte im Tannin. Wer wollte sich da über hohe Reife beklagen?

Es geht um Finesse und Transparenz.

Diese Feinheit auf weiter Spur kommt natürlich nicht alleine vom Jahrgang, sondern auch weil sich viele Winzer immer mehr zurücknehmen beim Winemaking. Perfektes Beispiel sind die heute sehr feinen Weine von Faiveley. Erwan Faiveleys Vater Francois stand noch für muskulöse, enorm strukturierte Weine mit extremer Mazeration und ordentlich Neuholz. Sie waren sehr lagerfähig, brauchten aber auch Jahrzehnte, um delikat zu werden – wenn sie es überhaupt jemals wurden. Seit der Übernahme durch Erwan und seiner Schwester Eve im Jahr 2005 feilt man an einem deutlich feineren Stil. Spätestens seit 2017 finde ich viele Weine dieses klassischen Hauses richtig stark. Es geht um Finesse und Transparenz. Die grobe Holzkeule gibt es nicht mehr, ebenso wenig wie intensive Extraktionen. So ein saftiger, fruchtstrotzender Beaune 1er Clos de L’Ecu 2019 ist einfach nur köstlich. Es gibt hier nicht einen Hauch von Härte, nur tänzerische rote Frucht. Einer meiner persönlichen Favoriten ist Faiveleys brillanter Gevrey 1er Lavaux-Saint-Jacques, der 2019 eine glockenklare, transparente Rotfruchtigkeit und einen klassisch vertikalen Charakter hat. Der Chambertin-Clos de Bèze 2019 zählt mit wenigen anderen zu den besten Roten meiner Reise. Beide Lieu-dits liegen in der direkten Einflugschneise der Combe de Lavaux in Gevrey, die es – wie eingangs erwähnt – besonders gut getroffen haben dieses Jahr. 

Faiveley
Faiveley

Nicht nur bei Faiveley, sondern vielerorts sind die Vinifikationen deutlich sanfter und dezenter als früher. Hochburgen der Klassik – wie etwa Louis Jadot – mit turnusmäßiger Fasserneuerung, Mazerationszeiten bis zu vier Wochen und täglicher Pigeage (unterstoßen des Tresterhutes mit einem Holzstempel) werden immer seltener. Dennoch wirken viele Pinot Noirs in 2019 so eindrucksvoll präsent, einnehmend, fruchtintensiv und dicht am Gaumen wie vielleicht seit 2009 nicht mehr.

Ein perfekt reifer Tanninteppich am Gaumen, dass es eine Show ist.

Bourgogne und Village sind schlicht spektakulär

Tatsächlich verglichen einige Winzer auf meiner Reise die 2019er stilistisch mit 2009, bloß mit einem Tick mehr intrinsischer Frische, was den Jahrgang bei aller Kraft so herausragend trinkfreudig und delikat macht. Die Kategorie, die davon am deutlichsten profitiert sind eigentlich die Basis- und Ortsweine. Was die Domaines heute als Bourgogne und Village füllen ist schlicht spektakulär. Das sehe übrigens nicht nur ich als Händler so, sondern die Winzer selbst. Nicht wenige würden einen Vosne Village 2019 von d’Eugenie oder Grivot blind für einen Top-Premier Cru halten – und das völlig zurecht. Auch Nicolas Potel ist geradezu überwältigt vor Freude, welche Qualitäten selbst in den „kleineren“ Appellationen und Climats heute möglich sind. Seine (und meine!) Herzensangelegenheit, die oft unterschätzten Top-Lagen von Beaune, strahlen in 2019 in einer selten dagewesenen Brillanz. De Bellenes Beaune 1er Grèves zeigt hochverdichtete, würzig umspielte Frucht und eine tiefe, dunkel-mineralische Seele. Dazu wird ein perfekt reifer Tanninteppich am Gaumen ausgerollt, dass es eine Show ist. Atemberaubend gut in 2019. Und zwar die ganze Kollektion von de Bellene.

Kollektion Bellene
Kollektion Bellene

Wunderbar kühle Stringenz

Ebenfalls im Wandel ist wohl d’Eugenie, die umbenannte ehemalige Domaine René Engel im Herzen von Vosne-Romanée. Der die Domaine umgebende Clos d’Eugenie ist nur durch die Hofmauer vom Grand Cru La Tâche getrennt. Ein Füllhorn feinster Parzellen, denen Kellermeister Michel Maillard in frühen Tagen jedoch oft einen etwas moderner wirkenden Anstrich verliehen hat. Starke Toastings, viel Neuholz, hohe Intensität, aber irgendwie wirkten die Weine nie so richtig klassisch. Das ist in den letzten Jahren anders. Gerade 2019 wirkt hier nun sehr klassisch und strahlt in kühler, vibrierender, herber Eleganz. Der Stil ist immer noch total anders als etwa bei Grivot oder Faiveley. Weniger auf verführerischen Charme und helltönige Frucht ausgelegt. Eugenie ist dunkler, wirkt mythischer und reduktiver, teils karger und herber in der Mineralität, nicht aber bezüglich Druck und Körper. Die Weine sind stets von hohen Rappenanteilen geprägt, würzig, steinig, pfeffrig und fast scharf in ihrer Art. Aber 2019 haben sie eine wunderbare kühle Stringenz und Linearität, die die Terroirs nicht überdeckt, sondern unterstreicht. Eben eine gewisse Klassik. Es scheint als habe Michel Maillard seinen Stil gefunden. Die Weine wirken angekommener. 

Ein Wein, der die DNA der Hochlagen von Vosne in sich trägt.

Ich mag diese gewisse dunkle Herbheit und Strenge von d’Eugenie. Es ist gewissermaßen eine Antithese zum Hedonisten Grivot. Beides auf eigene Art faszinierend. Wie bereits letztes Jahr brilliert bei d’Eugenie hier vor allem der Vosne 1er Aux Brûlées. Eugenies Parzelle sitzt oberhalb des Richebourg Grand Cru und kippt leicht gen Norden zum Waldrand hin ab. Ein Wein, der die DNA der Hochlagen von Vosne in sich trägt. Kühl, vibrierend, hochfein, reduktiv in der Jugend. In seiner engmaschigen Verwobenheit nur Anklänge von herbsaftiger dunkelroter Frucht zeigend, aber mit einer legendären Tiefe ausgestattet. Ein packender, mehr noch, ein zutiefst fesselnder Pinot Noir. Zudem verfügt d’Eugenie über eine der best-situierten Parzellen im großen Clos de Vougeot, oberhalb des Klosters, direkt neben Leroy, Méo und Co. Im Gegensatz zu Grivots verspielter Aromabombe von einem Clos de Vougeot, ist Eugenies Variante ein geradliniger, in sich gekehrter, abgründig tiefer Wein, der momentan nur von dunkler Mineralität erzählt. Auf dem Papier ist Grivots Parzelle angeblich schwächer, aber Papier ist geduldig. Auf meiner Zunge hatte ich ihn trotzdem etwas lieber. 

Nathalie Tollot
Nathalie Tollot

Charmanter Deckmantel

Bei Nathalie Tollot von der biodynamisch arbeitenden Domaine Tollot-Beaut in Chorey-les-Beaune ist mir im Keller ein weiteres Licht aufgegangen. Tollot steht generell für saftige, zugängliche und verspielte Weine mit viel Charme und Reiz. Hier bestätigte sich die Erkenntnis, dass der Jahrgang zwei Gesichter hat. Zum einen sind manche 2019er deutlich rotfruchtig, vibrierend, geradezu klassisch und mehr an 2017 erinnernd, wenngleich sie meist mehr Power haben als 2017. Andererseits geben einige 2019er eher dem Vorjahr 2018 die Hand. Sie sind dunkelfruchtig, wollüstig reich und wohlig wärmend. 2018 hatte unter diesem vordergründig charmanten Deckmantel jedoch nicht selten eine immense Strukturiertheit, die ausgedehnte Lagerfähigkeit verspricht, aber auch Geduld verlangt. Am eindrücklichsten zeigten das bei Tollot-Beaut die beiden Weine vom Corton-Hang. Der Corton-Bressandes ist schon aus dem Fass viel geschmeidiger und offener als der Corton Grand Cru. Bressandes wirkt durch die samtige Creme de Cassis-Aromatik fast reifer als der südlicher exponierte Corton. Bressandes ist definitiv der hedonistischere und delikatere Wein, der schon in vier bis sechs Jahren gut antrinkbar sein sollte. Wohingegen die etwas kantigere, stahligere Variante vom Corton in seiner klassisch-burgundisch-monolithischeren Art eine Dekade der Geduld viel mehr belohnen sollte. Obwohl sie sehr verschieden sind, kann man beiden wohl ein ähnlich langes Leben attestieren, wie den allermeisten 2019er Crus.

Und Turbo ist auch das richtige Stichwort für die Weine.

In Volnay hatte Marquis d’Angerville mit rapiden Reifeschüben zu kämpfen. Aufgrund der dezimierten Erträge an der Côte de Beaune war die Aufkonzentration in den verbliebenen Trauben enorm und die Zuckergehalte marschierten ab Anfang September unaufhaltsam. Nach eigener Aussage half der Domaine vor allem die biodynamische Wirtschaftsweise die Balance zu wahren, in Kombination mit einer sehr intensiven händischen Laubwandarbeit. Eine personalstarke Turbo-Ernte war unausweichlich, um die Trauben in Rekordzeit parzellengenau reinzuholen. Und Turbo ist auch das richtige Stichwort für die Weine, denn die sind noch beeindruckender als 2018. Sie zeigen sich aber wieder etwas rotfruchtiger und feiner in der Art als letztes Jahr. Dennoch sind es aromatische Dampfhämmer wie man sie aus diesem etwas höher gelegenen Ort der Finesse nur selten zu schmecken bekommt. 

Angerville
Auf d'Angerville

Die Domaine hatte sich für die brillanten, aber durchaus opulenten 2018er kurzerhand entschieden den Ausbau im Fass von 12 auf 18 Monate zu erhöhen, weil ihnen die Weine surreal früh zugänglich erschienen. Man hoffte ein zweiter Winter im Fass würde die Weine straffen und mehr reduktive Spannkraft bringen. Dieses Kalkül ging de facto auf. 2019 zeigt sich ähnlich druckvoll und fruchtintensiv wie 2018, aber bei weitem nicht so offen gestrickt, sondern spürbar konzentrierter und dichter. Der Ausbau ist 2019 also wieder back to normal, mit rund einem Jahr Fassreife in rund einem Viertel neuem Holz. Dazu bei allen Weinen vollständig entrappte Trauben, nachdem 2018 beim Fremiet erstmals ein bisschen mit Rappen experimentiert wurde.

Da ist Musik im Glas.

Der Clos des Ducs – ein verkappter Grand Cru und eine der höchsten Lagen Volnays direkt im Garten der Domaine d‘Angerville – zeigt sich 2019 voll vitaler Spannung und mineralischer Strahlkraft. Es gibt nichts Dunkles in diesem Wein. Alles tanzt und spielt und ist doch so druckvoll, hochkonzentriert, versammelt, reich, zugleich so geschmeidig und zart. Die Tannine sind makellos, ultrafein. Der Mund wird in Samt gehüllt und dann von einer kristallinen Säurespur nach oben gezogen. Wow, Clos des Ducs 2019 ist geballte Energie und zen-gleiche Balance in einem Wein. 

Der Wein, der mich 2019 noch mehr als der über jeden Zweifel erhabene Clos des Ducs geflasht hat, ist aber Taillepieds. Mit einer betörenden, vollreifen Extraktsüße aus Herzkirsche und Schlehe, die von saftiger, intensiv vibrierender Johannisbeere durchzogen und am Ende von den kühlen, extrem feinkörnigen Tanninen eingefangen wird. Die salzige Pikanterie aus den rotblauen Waldbeeren hallt ewig nach, weicht nicht mehr von der Zunge. Taillepieds 2019 ist ein beeindruckendes Erlebnis. Da ist Musik im Glas.

d'Angerville Keller
d'Angerville Keller

Die schönste Symphonie erklang dann aber doch in Vosne-Romanée. Natürlich waren es Weine wie d’Eugenies 1er Cru Aux Brûlées, Grivots Richebourg (Oh, what a feeling...) und l’Arlots Romanée Saint Vivant 2018 (…dancing on the ceiling…), die mir die Schuhe ausgezogen haben. Es gibt in 2019 aber auch eine überwältigende Vielzahl geringer taxierter Weine, die mich ebenso geflasht haben. Wie eingangs erwähnt, profitieren gerade die Basis- und Village-Weine von diesen bärenstarken Jahrgängen 2018 und 2019.

Exkurs

2018 gab es sehr ergiebigen Regen über den Winter, etwas Frost im Januar und eine recht normale Blüte. Darauf folgte ein sehr warmer, trockener Sommerverlauf mit sehr wenig Regen. Anfang September Mondwechsel, dann gab es ein paar Tage 20mm Regen, ein perfekter Regenguss zur richtigen Zeit, um alles wieder in Gang zu bringen. Die meisten Winzer haben in diesem Jahr Ende August, Anfang September sehr früh mit der Lese begonnen. Grivot aber hat bewusst noch etwas gewartet, um noch ein bisschen Regen mitzunehmen und wirklich volle phenolische Reife zu erlangen. Sie hatten in den letzten Wochen die Nord- und Ostseiten komplett entblättert, um Botrytis zu vermeiden, also hatten sie trotz des leichten Herbstregens eine perfekte Reife, ohne jede Fäulnis.

Er startete als viele andere schon in den letzten Zügen waren. Die Ernte startete am 11. September und war am 20. September zu Ende. Grivot erntet mangels starker Höhenunterschiede bei relativ gleichzeitiger Reife und gleicher Weinbergsarbeit alles innerhalb von 8 Tagen. Der pH-Wert ist etwa 3.5, der Alkoholgrad schwankt um die 13% vol. in diesem reichen Jahrgang. Die Weinbergsarbeit bei Grivot ist so intensiv darauf ausgerichtet die Frische zu halten, dass dies auch in heißen Jahren sehr gut gelingt mittlerweile. Grivot sagt, dass sie seit den immer wärmer werdenden Jahren zu Beginn der 2000er bereits angefangen haben darauf hinzuarbeiten und sie jetzt den Lohn dafür ernten können. Gerade in Jahrgängen wie 2018 und 2019 zeigt sich im Glas, wie recht er damit hat.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie Grivots Taktik der späten Lese selbst in vollreifen, heißen Jahren wie 2018 und 2019 perfekt aufgeht. Eigentlich müssten die Weine überreif sein, so schnell wie es in Vosne im September voran ging mit der Traubenreife. Grivot hat mal wieder mit als letzter ganz gemütlich und ausgedehnt geerntet, während die anderen schon alles im Eiltempo eingefahren hatten. Paradox! Aber Grivot ist immer on point. Herbsaftig, feinziseliert und druckvoll ohne Ende. Der Stil ist purer Hedonismus. Wenn dann noch solche begünstigenden Jahrgänge hinzukommen, ist es einfach nur traumhaft. Der Vosne Village ist eine dunkelbeerige Charmeoffensive mit uhrwerk-gleicher Präzision. Noch Anfang der 2000er war sowas eher gutes 1er Cru-Niveau, merkte Etienne beiläufig an.

Aus Respekt für ein großes Terroir, spucke ich nach innen.

Die Rakete, die Pinot Noir in ganz eigene Sphären schießt, heißt am Ende aber Richebourg Grand Cru. Er vereint die Vorzüge aller anderen hier probierten Weine. Den kühlen, monolithischen Mineralnerv von Les Suchots, den einnehmenden, süßwürzigen, mediterranen Charme von Echezeaux und die aromatische Fruchtintensität der „bombe atomique“ Clos de Vougeot. Alles in EINEM Wein – irre! Eine astronomische Symmetrie liegt diesem 2019er Richebourg zugrunde. „Par respect pour un grand terroir, je crache dedans“ (aus Respekt für ein großes Terroir, spucke ich nach innen) sagte ich mit einem Grinsen – ich kann gar nicht anders. Ohne, dass ich wirklich darüber nachdachte, blinkte die rote 100 im Kopf auf. Einer Fassprobe 100 Punkte zu geben ist ziemlich kühn. Doch bei solch einer emotionalen Berührung keine 100 geben zu wollen… der alte Troisgros bekäme kalte Füße von so viel Deutschheit. Dieser Richebourg bespielt mit seiner unbändigen Energie alle Sinne. Leider wird er aufgrund seiner Rarität (und des Preises) für die große Mehrheit von uns Genießern auch ein Hirngespinst bleiben.

Grivot
Etienne Grivot

Grivots brillanter Clos de Vougeot 2019 kommt als „a lesser man’s Richebourg“ zur Rettung der Gaumenfreude (und des Kontostandes) – so weit weg ist er gar nicht. Um es mit Etiennes Worten zu sagen: Nimm mal in ein paar Jahren eine Flasche 2019er Clos de Vougeot zum Grillen mit den Kumpels und zieh sie einfach jung auf: „très simplement, c’est une bombe atomique!“. Wo er recht hat… 

So ein herausragender Jahrgang kommt in einer bescheidenen Situation wie 2020/21 nicht zur falschen Zeit, sondern gerade recht. Denn diese 2019er sind pure Lebensfreude. Physisch getrennt – Vereint im Genuss.

Elias Schlichting

Elias Schlichting

Elias liegt der Wein im Blut, schon sein Großvater besaß einen Weinberg in Heidelberg. Das er mal Weinwirtschaft studieren und dann bei Lobenbergs Wine Scout werden würde, konnte damals natürlich niemand ahnen. Elias liebt Weine aus dem Burgund, aber auch alle anderen guten Tropfen liegen ihm schwer am Herzen. An den Entdeckungen seiner Weinreisen lässt er uns alle teilhaben.

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