Giulio Salvioni ist einer der großen alten Männer, ein Unikat mit Jahrzehnte anhaltendem Kultstatus. Winzige vier Hektar nennt Salvioni sein Eigentum und er pflegt diesen Weinberg akribisch und naturnah. Der Ertrag liegt nur knapp über 20 Hektoliter pro Hektar. Konzentrierte Weine sind das Ergebnis, dabei immer überaus seidig und voller Finesse. Salvionis Weine sind seit nunmehr zwei Jahrzehnten zusammen mit höchstens zwei bis drei befreundeten Konkurrenten an der Spitze aller Brunelli. In Montalcino gibt es trotz des besten Potenzials aller Sangiovese-Gebiete der Welt nur wenig Weltklasse, Salvioni ist immer dabei.
Die Probe im kleinen Keller bei Salvioni ist immer etwas ganz Besonderes. Wahrscheinlich handelt es sich bei dem gut hinter der Piazza Camillo Benso versteckten Weingut sogar um den kleinsten Keller in Montalcino. Hier stehen fünf große 52 HL fassende Botti aus slawonischer Eiche, drei links, zwei rechts. Acht weitere lagern in einem externen Keller. Das Spannende bei einem Besuch der Weingüter Montalcinos ist die Möglichkeit, mindestens zwei bis drei Jahrgänge miteinander aus dem Fass vergleichen zu können. Im Traditionsweingut Salvioni ändert sich zudem nicht wirklich viel von Jahrgang zu Jahrgang – perfekte Voraussetzungen also, um den Eigenschaften jedes Jahrgangs im Glas auf den Grund zu gehen. Wir beginnen mit 2023, dem momentan jüngsten Jahrgang, der erst seit wenigen Monaten im großen Holzfass ruht. Hier habe ich einen der feinsten Brunelli im Glas, die ich je probiert habe. Immerzu denke ich an zarten und verspielten Vosne oder Chambolle aus einem kühleren Jahrgang. Rote Kirschen mit Spannung und Salzigkeit gleiten über die Zunge, dabei vibriert der Wein vor Frische im Mund – mehr Eleganz und Feinheit gibt es nicht in Montalcino. Das komplette Gegenstück dazu ist der muskulöse 2022er. In dem warmen Jahr regnete es in einem ansonsten sehr trockenen Sommer erst im August wieder. Das Ergebnis ist komprimierte und konzentrierte Frucht und Intensität – die Salvioni-Eisenfaust im Samthandschuh. 2021 haben wir hier mit dem druckvollen, kräftigen und intensiv strukturierten Brunello den Nachfolger des mineralischen Ausnahme-Jahrgangs 2019. 2020 ist bei Salvioni ein unglaublich schicker, hedonistischer und saftiger Jahrgang, der mit seiner verführerisch zugänglichen Frucht und floralen Aromatik bezaubert.