Die Familie Oddero lebt schon seit Jahrhunderten im selben Bauernhaus in La Morra. Mindestens seit dem 18. Jahrhundert macht sie dort auch Wein, das genaue Datum des ersten Jahrgangs kann man heute aber nicht mehr feststellen. Giacomo Oddero war der erste große Visionär der Familie und seiner Zeit weit voraus, denn er entschloss sich bereits 1878 dazu, seine Weine nicht mehr im Fass anzubieten, sondern sie in Flaschen abzufüllen und unter dem Familiennamen zu verkaufen. Er war einer der ersten Winzer der Region, die den Vordenkern aus dem Burgund mit dieser Strategie folgten. Auch wenn sich das heute selbstverständlich anhört, darf man nicht vergessen, dass das Piemont bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine ländliche und ziemlich arme Region war.
Zudem war sie schon immer ultra traditionell und um Änderungen dieser Art umzusetzen, benötigte es eine Menge Mut!
Die Familie Oddero war schon immer weltoffen und bereits vor dem Ende des 19. Jahrhunderts wurden Oddero-Weine erfolgreich in die USA exportiert. Iin der Heimatregion waren die Weine ebenso hoch geschätzt – schon 1911 wurde bei der Weltausstellung in Turin ein Barolo von Oddero ausgeschenkt.
Giacomos Enkel, der zu Ehren des Großvaters ebenfalls Giacomo getauft wurde, machte es sich zur Aufgabe, das Familienweingut in den 1950er-Jahren komplett zu renovieren und auf den neuesten Stand zu bringen. Der Besitz an Weinbergen wurde ausgeweitet und die Qualität weiter verbessert. Zudem klemmte er sich ordentlich dahinter, die Qualitätsstandards und somit auch das Ansehen der gesamten Provinz Cuneo, die die Region Barolo umschließt, zu verbessern. Giacomo Oddero war auch maßgeblich daran beteiligt, einen Leitfaden mit Richtlinien für die DOCs und DOCGs der Regionen Langhe und Roero zu erarbeiten und später zu deren Klassifikation beizutragen. Zudem trug Giacomo auch noch dazu bei, viele der wichtigen landwirtschaftlichen Regularien der Region Langhe umzusetzen – und das sogar weit über die Grenzen des Weinbaus hinaus. Giacomo war auch an der Käseherstellung, dem Haselnuss- und Gemüseanbau beteiligt und in deren Regularien eingeweiht. 1997 gründete er das »Centro Nazionale Studi sul Tartufo d’Alba«, das sich der Erforschung und Förderung des einzigartigen Piemonteser Trüffel annahm.
Das Abenteuer von Giacomo Oddero wird heute von seiner Tochter Mariacristina, einer studierten Önologin und Weinbauerin, und seinen Enkeln Isabella Boffa und Pietro Viglino Oddero, der siebten Generation der Familie, fortgeführt und gelebt. Sowohl Isabella als auch Pietro arbeiten gemeinsam an Mariacristinas Seite im Keller des Weinguts und lernen von ihrer Tante beziehungsweise Pietro von seiner Mutter. In einem Familienweingut von dieser übersichtlichen Größe verschwimmen zwar die Aufgabenbereiche, aber alle wichtigen Entscheidungen werden gemeinsam getroffen.
Zum Besitz des Weinguts gehören beinahe 36 Hektar Rebfläche, von denen 16,5 mit Nebbiolo bestockt sind. Einige Lagen zählen zu den schönsten und gefeiertsten der Region. Beispielsweise Rocche di Castiglione und Villero in Castiglione Falletto, Brunate in La Morra, Bussia in Monforte d’Alba und Vignarionda in Serralunga. Seit dem Jahrgang 2020 macht das Weingut erstmals einen Barolo Monvigliero aus Verduno. Die Lage Monvigliero rückte in den letzten Jahren immer weiter in den Fokus einiger der besten Winzer der Region und die Weine des vielversprechenden Terroirs werden inzwischen völlig zu Recht auch unter Piemont-Liebhabern ordentlich gehypt.
Die Familie Oddero ist hier wieder ganz vorne mit dabei und behält trotz der langen Historie und Familientradition den Finger immer am Puls der Zeit.
Diese lange Familientradition bringt natürlich auch Verantwortung mit sich. Die unbeschreiblich schöne Landschaft der verträumten Hügel der Region Langhe wurde 2014 zum UNESCO Weltkulturerbe ernannt, und das Ziel der Familie Oddero ist es, diese Schönheit für viele weitere Generationen zu beschützen und zu erhalten. Seit dem Jahrgang 2008 wird mit biologischer Bearbeitung experimentiert. Von Grünbepflanzung zwischen den Reben über mit viel Hingabe betriebene manuelle Arbeit in den Weinbergen bis hin zur Verwendung von Pheromonfallen gegen Insekten wird so naturnah wie nur möglich gearbeitet. Alle Nebbiolo-Weinberge sind inzwischen bio-zertifiziert. Neben Weinbergen gehören übrigens auch 6 Hektar der berühmten Piemonteser Haselnussbäume zum Besitz. Der Weinkeller befindet sich direkt neben dem jahrhundertealten Bauernhaus und Familienwohnsitz. Jede Generation der Familie Oddero hat einen Teil des Gebäudes weiterentwickelt, aber der zentrale Teil ist im Wesentlichen gleich geblieben, er ist im typischen L-Grundriss gebaut, mit einem geräumigen Innenhof zwischen den beiden Seitenflügeln. Im traditionellen Stil der historischen Bauernhäuser der Langhe ist der Keller nach Süden ausgerichtet. Heute ist der Oddero-Keller in zwei Teile unterteilt. Der erste ist der Weinbereitung gewidmet und wurde 2015 fertiggestellt. Dieser Teil ist mit modernster önologischer Technologie ausgestattet. Durch diesen Fortschritt im Keller ist das traditionelle Weingut heute dynamischer als je zuvor und die Weine haben eine wunderbare Definition und Präzision erreicht. Beim zweiten Teil des Kellers handelt es sich um dessen historischen Teil aus dem 18. Jahrhundert, hier werden die Weine ausgebaut und auch die Riserva-Weine so lange gelagert, bis sie auf den Markt kommen. Für den Ausbau der Baroli verwendet die Familie große Eichenfässer (Botti) aus Österreich, Slowenien und Frankreich.
Der Jahrgang 2021 gehört zusammen mit 2020 und 2019 zu einer Trilogie herausragender Jahrgänge in der Region Barolo. »Dennoch ist er ein komplett anderes Biest!« sagt Pietro Oddero lächelnd. Die Weine haben unglaublich viel mehr Power, Struktur und zeichnen sich zudem durch eine wesentlich größere Länge im Mund aus als 2020. Pietro liebt die Struktur und die anmutige Statur der Weine. Dieser Jahrgang war sowohl in den Weinbergen als auch im Keller ein »Bilderbuch Jahrgang ohne Überraschungen« und somit ein Leichtes für erfahrene Winzer. Die Balance zwischen der phenolischen Reife und dem Zuckergehalt der Trauben wurde einfach erreicht und der perfekte Lesezeitpunkt war leicht festzustellen. Besonders im Vergleich zum gerade gelesenen Jahrgang 2024, der aufgrund der kühleren Bedingungen viel Erfahrung in Bezug auf den idealen Lesezeitpunkt forderte und dem Jahrgang 2023, der durch einen sehr schnellen Anstieg des Zuckergehalts in den Trauben geprägt war, während die phenolische Reife etwas hinterherhinkte. Das konnte 2023 zu besonders druckvollen Weinen mit einem höheren Alkoholgehalt führen.
2021 war hingegen ein ziemlich »sicherer« Jahrgang, in dem es jedem einigermaßen guten Winzer beinahe unmöglich war, keinen guten Wein zu machen. 2021 waren einfach alle Parameter perfekt. Die perfekte Jahresdurchschnitts-Temperatur war mit der richtigen Menge an Sonne und Regen im Einklang. Pietro vergleicht den Jahrgang mit 2016, in dem diese Messwerte total ähnlich waren. Ein klassischer Jahrgang im besten Sinne also! Was den Jahrgang 2021 auch beim Weingut Oddero – qualitativ und was den Genuss-Faktor angeht – sogar noch über den Jahrgang 2016 stellt, ist die herausragend saftige Frucht der Weine. Die 2016er sind im Vergleich strenger und wirken durch die ungefähr gleich vielen Tannine, aber etwas kühlere Frucht als im hedonistischen Jahrgang 2021 karger. Ich vermute, dass die 2021er durch diese phänomenale Frucht vielleicht sogar etwas früher zugänglich sein werden. Dennoch haben sie eine große Menge an reifem Tannin, das die Weine zusammen mit der erstaunlich spannungsgeladenen Frische zugleich ideal für eine lange Reife im Keller wappnen wird.
Alle Weine werden spontan vergoren. Die Gärung verlief übrigens im Vergleich zu den 2016ern hier schneller, da sich laut Pietro Oddero mehr Sauerstoff im Saft befand. Die Saftigkeit der Oddero Weine ist meiner Meinung nach im Jahrgang 2021 ganz besonders herausragend und die Probe mit Isabella und Pietro Oddero wird mir sicher lange in Erinnerung bleiben. Die beiden sind übrigens Winzer in der siebten Generation, das konnte mit Hilfe von Dokumenten der Kirche bestätigt werden. Heute leitet Isabella Oddero das Weingut gemeinsam mit ihrer Tante Mariacristina (Pietros Mutter).