Familie Vajra hat bereits in den 1960er und 1970er Jahren begonnen, auf alte Reb-Genetik mit Selection Massale zu setzen. Die Weinberge werden mit biologischen und biodynamischen Praktiken bewirtschaftet, die keiner Dogmatik folgen, sondern sich in den eigenen Terroirs der Erfahrung nach bewährt haben. Learning by doing.
Die Kellerarbeit ist eher im traditionellen Bereich angesiedelt, das heißt mit langen Mazerationszeiten mit teilweisem Einsatz von unentrappten Ganztrauben und Gärungen ohne technische Steuerung. Die Weine brauchen daher ob ihrer Strukturiertheit – wie alle klassischen großen Barolo – eine gewisse Reifezeit, um die mächtige Struktur zu verdauen. Dank ihrer aromatischen Tiefe laufen sie dann aber zu einer eleganten Ausdrucksstärke auf, die für Jahrzehnte anhalten kann. Mit dem Albe hat die Azienda allerdings einen sehr schicken, ausgesprochen feinen Barolo für den Einstieg im Programm, der mit seiner verspielten Art und einem Ausbau völlig ohne Holzkontakt früh zugänglich ist und die Wartezeit auf die Einzellagen Coste di Rose und Ravera verkürzt. Trotz ihrer klassischen Machart sind die Weine wunderschön verspielt und duftig, mit lebhafter Kirsch- und Beerenfrucht, die vor Energie und Terroirausdruck nur so strotzt.
Galloni attestiert den Weinen eine »rasiermesserscharfe Präzision«, was Suckling um ein Lob für die atemberaubende Struktur ergänzt. Eleganz und Power zugleich. Vajra steht für eine zeitlos schöne Barolokultur und hat mit dem extraterrestrischen 2016er Jahrgang den Durchbruch in die Phalanx der Top-Erzeuger geschafft und damit auch den Eingang in mein Sortiment. Ebenfalls zugehörig ist daneben das ultraklassische Mikro-Projekt Luigi Baudana, welches ebenfalls von Vajra geführt wird. Es ist reines Serralunga-Terroir, mehr Kalk und Sandstein, mehr Power, überwiegend in der berühmten Lage Cerretta. Ganz andere, deutlich maskulinere und noch klassischere Barolo im historischen Stil, wie er in diesem separaten Winzlingsweingut eigenständig vinifiziert wird.
Die Probe der 2020er Baroli bei den Vajras war – wie jedes Jahr – auf eine Art berührend und emotional. Vielleicht liegt das auch mit daran, dass die Familie eine so wunderbare herzliche Wärme im Verkostungsraum verströmt und man sich bei den Vajras einfach zu Hause fühlt. Giuseppe Vajra ging bereits während der Blütezeit der Reben im Jahrgang 2020 von einem fruchtintensiven Nebbiolo Jahrgang aus. Die Blüten sind durch den warmen Frühling groß und regelmäßig gewachsen. Aus Giuseppes Erfahrung tendieren kleinere Blüten in kühleren Jahrgängen hingegen zu mehr Struktur. Sein Vater Aldo Vajra betont, dass jeder Jahrgang seine besonderen Eigenheiten hat. 2019 und 2020 waren beide extrem gut, obwohl die Jahrgänge sehr verschieden sind. Vajra Weine sind in sinnlichen und charmanten Jahrgängen (wie zuvor beispielsweise auch 2018) unendlich gut, sie passen in diesen Jahrgängen nämlich genau zur Philosophie und den Eigenschaften der Familie. Die 2020er sind genau das: freundlich, charmant, komplex, seidig und dennoch auch tiefsinnig. Fast jeder der Baroli lässt mich einen Vergleich zu großen Burgundern ziehen und die Weine hinterlassen einen Eindruck der lange nachhallt und nachdenken lässt. Bereits in diesem zarten, jugendlichen Stadium haben sie eine schier unfassbar schöne, verführerische Süße, auf die man in strukturierten Jahrgängen wie beispielsweise 2019 ein paar Jahre länger warten muss. Dennoch haben die 2020er mehr Präzision und Frische als die seduktiven 2018er und zugleich eine große Menge reifer, seidiger und polierter Tannine. 2020 ist hier ein starker, ja sogar phänomenal guter Jahrgang, den ich jedem Liebhaber feiner Burgunder, extrem ans Herz legen möchte.