Aus der Lombardei kommt nicht nur Italiens Antwort auf Champagner, von hier kommen auch Rotweine, die Barolo-Liebhaber zum Schwärmen bringen.
In der Lombardei gibt es ebenso wie im Burgund einige historische Klöster, die den Weinbau in der Region nach dem Fall des Römischen Reichs aufrechterhielten. Der Name Franciacorta tauchte bereits im 13. Jahrhundert als Franzacurta auf (aus dem Lateinischen franchae curtes), das auf diesen Distrikt von Monasterien hinwies, der von der Steuerzahlung befreit war. Heute gibt es in der Region schicke Städte, wie zum Beispiel Iseo, die wie für den Tourismus geschaffen sind. Mit Golfplätzen, feinen Hotels und dem Shoppingcenter in Castegnato, das wie eine mittelalterliche Burg aussieht. Das Franciacorta, wie wir es heute kennen, ist aber ein recht junges Phänomen. Der Weinboom ging hier erst richtig in den 1980er- und 1990er-Jahren los, zu der Zeit eben, als die meisten Weingüter hier entstanden. Nicht selten waren es wohlhabende Industrielle, wie zum Beispiel Vittorio Moretti von Bellavista, die diese Weingüter nach Top-Standards aufzogen. Die Geschwindigkeit in der Entwicklung des Weinbaus und der Reputation der Weine von Franciacorta ist also in der Tat absolut beeindruckend. Heute ist die Lombardei berühmt für die Schaumweine von Franciacorta, die hauptsächlich aus Chardonnay, Pinot Blanc und Pinot Noir gemacht werden.
Zu verdanken ist das alles vor allem dem Önologen Franco Ziliani, der sich in den 1960er-Jahren dazu entschloss, mit einigen der Pinot-Noir-Trauben von Guido Berlucchi ein Schaumwein-Experiment zu starten. Die Entwicklung explodierte dann wahrhaft, als es der Region – vor allem der Stadt Brescia – in den 1970er-Jahren wirtschaftlich sehr gut ging. Nicht nur, weil durch diesen Erfolg viel Geld in weitere Weinexperimente floss, sondern auch, weil es in Milano und anderen wohlhabenden Städten viele durstige Abnehmer für die hiesigen Weine gab.
Die Lombardei war schon immer vom Unternehmergeist geprägt, und in Italien ist dieses Wirtschaftszentrum von enormer Wichtigkeit. Hier befindet sich das Silicon Valley Italiens, seien es Seiden- und Textilmanufaktur in der Gegend des Comer Sees, das Finanzzentrum von Milano oder die Metallindustrie in Brescia. Dieses Unternehmertum trug auch zum märchenhaften Erfolg im Weinbau bei, denn realistisch betrachtet braucht man schon eine ganze Stange Geld, um Schaumweine herzustellen. Dies ergibt sich allein schon durch die ausgedehnte Flaschenreife, die notwendig ist, bevor die Weine auf den Markt kommen. Von der Ausstattung, die Weingüter dafür noch extra brauchen, mal ganz abgesehen.
Der Reichtum hier ist aber nicht nur von wirtschaftlicher Natur. In der Poebene im südlichen Drittel der Lombardei wird ein Großteil des Risotto-Reises Italiens angebaut. Risotto alla Milanese – Safranrisotto – ist hier eine Spezialität. Das satte Weideland sorgt zudem für eine Vielfalt an Käsesorten, die hauptsächlich aus Kuhmilch hergestellt werden. Die kleine Stadt Gorgonzola liegt ganz in der Nähe von Milano. Grana Padano, der kleine Bruder vom Parmiggiano-Reggiano, kommt ebenfalls von hier. Und der würzige Taleggio ist eine Spezialität aus höher gelegenen Städten wie Lecco und Bergamo. Aus dem Veltin kommen nicht nur feine Bergkäse-Sorten, sondern auch alpine Spezialitäten wie der Bresaola – luftgetrockneter Rinderschinken. Die Küche der Lombardei kann also getrost als »reichhaltig« bezeichnet werden. Butter, Sahne und eben auch besonders viel Käse gehören hier einfach dazu.
Der Monte Orfano, der den südliche Teil der Franciacorta-Region bildet, ist die erste Bergkette, die man sieht, wenn man aus der Poebene zu den Alpen hinaufschaut. Er trennt Franciacorta von der Poebene. Es wird davon ausgegangen, dass der Monte Orfano durch tektonische Plattenverschiebung entstand, wohingegen Franciacorta ein durch Gletscherschmelze entstandenes Becken ist. Die Poebene hat schwere Lehmböden, während die Hügel in Franciacorta von Schlick, Kies und Gletschermoränen geprägt sind. Zudem gibt es in Franciacorta, das wie ein natürliches Amphitheater über den Lago Iseo hinweg in Richtung Alpen blickt, den See-Effekt, der sich ausgleichend auf das Klima auswirkt. Es ist hier bedeutend kühler als in der umliegenden Gegend. Das Veltin ist die faszinierende Alpenregion im Norden der Lombardei, direkt an der Grenze zur Schweiz gelegen. Hier fließt der Fluss Adda für ungefähr 40 Kilometer von Ost nach West, entlang spektakulärer Terrassenweinberge, die alle auf der nördlichen Seite des Flusses in Höhenlagen von bis zu 600 Metern liegen. Die Weinberge befinden sich somit in bester Südausrichtung, damit die spätreifende Nebbiolo ausreichend Sonne abbekommt und ausreifen kann.
Die Terrassenlagen sind wie riesige Solarzellen, die tagsüber Sonne aufnehmen und nachts die Wärme wieder über Steine und Geröll an die Weinberge abgeben.
Durch den Winkel der Sonneneinstrahlung ist die Intensität des Sonnenlichts hier genauso stark wie auf Sizilien, das sich mehr als 1000 Kilometer weiter südlich befindet! Ähnlich wie das Klima in Südtirol vom Gardasee beeinflusst wird, kommen im Veltin ausgleichende Winde vom Comer See zum Tragen.
Aus Franciacorta kommen die Schaumweine der Region, die mit der klassischen Flaschengärung hergestellt werden und dem Champagner zum Verwechseln ähnlich sind. Aber dieselbe Region macht auch stille Weiß- und Rotweine, die unter der Bezeichnung »Curtefranca« (früher hieß die Appellation »Terre di Franciacorta«) oder »Sebino« in die Flasche kommen. Im Gegensatz zu den finessenreichen Schaumweinen sind die stillen Chardonnays denen aus Kalifornien oder Neuseeland ähnlicher als den französischen. Stille Rotweine der Region haben häufig einen Cabernet-Franc-Anteil und daher eine typische, erkennbar würzig-grüne Note, die an grüne Paprika oder frisch gemähtes Gras erinnert. In Franciacorta findet man hin und wieder die Beschriftung »Satèn« auf den Etiketten. Hierbei handelt es sich dann um einen Schaumwein, der weniger Flaschendruck hat als Champagner und somit eben etwas feiner schäumt. Zudem wird er nur aus weißen Trauben gekeltert. Neben Franciacorta macht sich auch Oltrepò Pavese (wörtlich: auf der anderen Seite des Flusses Po von Pavia) mehr und mehr einen Namen unter Weinkennern. Zwar kommen von hier auch unglaubliche Mengen an Wein, aber die kühle, kalksteinreiche Gegend am Fuße der Apenninen kann auch qualitativ etwas bieten, wenn der Winzer alles richtig macht. Schaumweine werden hier hauptsächlich aus Pinot Nero (Pinot Noir) hergestellt. Stille Rotweine sind oft ein Blend aus Barbera, Croatina und manchmal auch Pinot Nero. Die Lugana DOC liegt südlich von Gardasee. Von hier kommen Weißweine aus Trebbiano di Lugana, die zu den besten Trebbiano-Weinen in Italien zählen. Die besten von ihnen sind exotisch und saftig, mit einer feinen Mineralität – und das, obwohl die Gegend hier recht flach ist und mit schweren, fruchtbaren Böden aufwartet. Die Rotweine aus dem Veltin sind etwas ganz Besonderes. Ebenso wie Barolo und Barbaresco werden sie aus Nebbiolo, die hier Chiavennasca genannt wird, hergestellt.
Veltin ist Nebbiolos nördlichstes Anbaugebiet in Italien. Die besten Weine von hier verdrehen sogar noch Barolo-Liebhabern den Kopf!
Zwar nicht mit Power, aber dafür mit finessenreichen, ätherischen Aromen, die ihnen viel Anmut verleihen. Um den Weinen dennoch mehr Intensität zu verleihen, wurden Trauben hier traditionell vor der Fermentation angetrocknet (appassimento). Sfursat oder Sforzato ist die Antwort Veltins auf Amarone – hier aber eben aus Nebbiolo- bzw. Chiavennasca-Trauben. Im Generellen gibt es hier wie im Piemont die Entwicklung hin zu weniger Zeit auf der Maische, um früher zugängliche Weine herzustellen.