In den Abruzzen herrscht perfektes Klima für den Weinbau vor, und auch die Böden sind zum Teil denen der Marken, Umbriens und der Toskana ähnlich.
Der fast 3000 Meter hohe Corno Grande ist der höchste Gipfel des italienischen Apennin-Gebirges und bildet das Herzstück des Gebirgsmassivs Gran Sasso d’Italia, auf deutsch: großer Stein Italiens. Der Kalksteinriese ragt im Norden der Abruzzen-Region in die Höhe und dominiert die Landschaft mit seiner kargen, nackten Steinoberfläche. Im Gegensatz zu den sattgrün bewachsenen Berge im Norden Italiens ist die Gegend hier eher mit einer Mondlandschaft vergleichbar! Zwar kommen Naturliebhaber, Wanderer, Kletterer und auch Wintersportler hierher, aber es ist dennoch die wohl abgelegenste Region in Italien. Hier gibt es keine Touristenattraktionen oder berühmte Städte, und alles, was man so mit Italien verbindet – von der kleinen, gemütlichen Osteria bis zu den historischen Gebäuden von Rom und Florenz oder den romantischen Kanälen in Venedig –, ist Welten von hier entfernt.
Wir haben hier ein Zusammenspiel warmer Luft von der Adria und kühler Alpenluft, sozusagen eine perfekte natürliche Klimaanlage.
Obwohl es hier, wie in allen Regionen entlang der Adria, den herzhaften Fischeintopf Brodetto gibt – die Version von hier aus den Abruzzen ist aber wesentlich würziger und schärfer als anderswo an der Küste – sind alpine Fleischgerichte in den Abruzzen viel weiter verbreitet. Safran ist die feine Spezialität aus dem Landesinneren, und ansonsten wird in den Abruzzen auch gerne mal großzügig mit peperoncini (Chilischoten) scharf gewürzt.
Die Abruzzen haben eigentlich alle Voraussetzungen, um guten Wein zu machen, vom perfekten Klima – hier gibt es eine ideale Mischung aus maritimer Luft und Bergluft und es ist relativ niederschlagsarm – bis hin zu allerlei verschiedenen Höhenlagen. Weinberge liegen meist in Flusstälern, die von West nach Ost, vom Apennin Richtung Adria, verlaufen. Durch die Südausrichtung der Hänge profitieren Rebstöcke hier fast den ganzen Tag von idealer Sonneneinstrahlung. Die besten Weinberge befinden sich im Norden der Region, an der Grenze zu den Marken, wo die Böden denen von Umbrien, den Marken und sogar der Toskana sehr ähnlich sind. Ein Großteil des Weins der Region wird aber im Süden der Abruzzen, häufig von Winzergenossenschaften, hergestellt. Wie in den anderen Regionen im gesamten Süden Italiens findet jedoch auch hier langsam der Umschwung von Menge zu Qualität statt. Was die Region im Grunde genommen hinter ihren Nachbarn zurückhält, ist die Wahl ihrer Rebsorten. Die ertragreiche Trebbiano – die am meisten angebaute weiße Rebsorte in Italien – ist auch in dieser Region die weiße Hauptrebsorte. Aus ihr werden leichte, trockene und oft auch einfache Weine gemacht. Weltoffene Winzer machen heute gerne Verschnitte aus ihr – Chardonnay ist nicht nur der beliebteste Partner, sondern wird auch inzwischen schon manchmal sortenrein abgefüllt. Von diesem Trend ausgenommen sind Spitzenbetriebe wie das Kultweingut Edoardo Valentini. Edoardo glaubte daran, dass keine andere Rebsorte das Terroir der Region besser widerspiegeln kann als die Trebbiano. Kleine Erträge und der lange Ausbau im großen Holzfass führten zu der Konzentration und Komplexität in seinen Weinen, die ihn erst zum Kultweingut aufsteigen ließen. Valentinis Weißweine werden von Kennern geschätzt und geliebt, denn sie sind hier die Essenz der Finesse und können sich wie feine Burgunder entwickeln. Seit seinem Tod wird das Weingut von Edoardos Sohn, Francesco Paolo, in seinem Sinne weitergeführ
Cerasuolo, auf Deutsch heißt das »kirschrot«, sind die Rosato-Versionen aus Montepulciano-Trauben, die von den meisten Weingütern hier hergestellt werden. Durch die vielen dunklen Farbpigmente der Rebsorte wird der Wein, auch wenn er nur für sehr kurze Zeit auf den Traubenschalen gelassen wird, dunkler als die meisten anderen Rosé-weine Italiens – oft haben sie beinahe eine Pinot-Noir-artige Farbe. Exotische Würze, reife Kirsche und Zitrusschalen sind die Kennzeichen dieser Weine.
Die Montepulciano-Traube, die auch in den Marken eine wichtige Rolle spielt und ganz und gar nichts mit der gleichnamigen Stadt in der Toskana zu tun hat – Vino Nobile de Montepulciano von dort wird nämlich aus Sangiovese gemacht – ist die am meisten angebaute Rebsorte der Abruzzen und zugleich auch die am zweithäufigsten angebaute rote Rebsorte überhaupt in Italien. Meist bringt sie relativ erschwingliche, körperreiche, dunkelbeerige Weine mit tiefer Farbe hervor, die zwar tanninreich, aber trotzdem sanft und saftig reif im Mund sind. Montepulciano ist oft schon zugänglich, sobald er auf die Flasche kommt, und trotzdem können die Weine häufig ganz hervorragend noch einige Jahre in der Flasche reifen. Man muss sich aber durch eine Menge an Durchschnitts-Montepulciano d’Abruzzo probieren, um die Perlen zu finden, aber die gibt es auf jeden Fall!
Wenn man dann die guten Weine der Abruzzen ausfindig gemacht hat, gibt es – vor allem bei den Einstiegsweinen – oft ein top Preis-Genuss-Verhältnis.
Die Weingüter der Region holen qualitätsmäßig schnell auf und produzieren längst viel bessere Weine, als der Region nachgesagt wird. Deshalb gab es Anfang des Jahrhunderts einige Ideen und Bemühungen, das Prestige der Region anzuheben, was 2003 zur Kreation der Qualitätsappellation »Montepulciano d'Abruzzo Colline Teramane DOCG« führte – sozusagen die Classico-Zone des Montepulciano d’Abruzzo von den Hügeln um Téramo im Norden der Region. Die Böden sind hier karger, mit einem Mix aus eisenhaltigem Lehm und Kalkstein, und die Weinberge sind höher gelegen und damit auch kühler als in den fruchtbaren flacheren Lagen der Chieti-Provinz im Süden, wo Genossenschaften fast zwei Drittel des gesamten Weins der Abruzzen herstellen. Die beiden führenden Produzenten der Region, Valentini und der naturalistische Emidio Pepe, führen ihre grandiosen Rotweine weiter als Montepulciano d'Abruzzo DOC. Bei beiden ist die Nachfrage nach ihren Kultweinen so hoch, dass es weltweit nur ganz kleine Zuteilungen für ihre Kenner gibt.