Italien verfügt über eine riesige Vielfalt hochwertiger Weine und spielt mit seinen autochthonen Rebsorten qualitativ in der obersten Weltliga.
Das Leben eines Weinliebhabers reicht wohl kaum aus, um den Reichtum der italienischen Weinwelt ganz zu entdecken. Zu vielfältig ist der Deutschen liebstes Weinland in Sachen Rebsorten, Böden, klimatischen Bedingungen und Winzern. Von Nord nach Süd, von den Hügeln des Piemonts bis zu den Hängen des Ätnas, werden einige der bekanntesten und besten Weine der Welt produziert. Doch auch in scheinbar unbekannteren Regionen rücken fast vergessene, autochthone Rebsorten wieder ins Rampenlicht.
Dass heute in nahezu allen italienischen Regionen hochklassige Weine produziert werden, war vor einigen Jahren nicht absehbar. Italien machte sich lange Zeit vor allem durch Produktionen im großen Stil einen Namen, die als einfache Tafel- und Schankweine ihren Weg in die ganze Welt fanden. Man erinnert sich nur zu gut an die Hochzeit des Chianti beim Italiener um die Ecke. Heute ist Italien zwar knapp vor Frankreich quantitativ der größte Weinproduzent der Welt, jedoch arbeiten die italienischen Winzer durch einen zunehmenden Fokus auf Präzision und Qualität auf stetig steigendem Niveau. Die qualitative Speerspitze des Landes steht auf einer Stufe mit den besten der Welt. Dazu trägt sicherlich bei, dass immer mehr junge Winzer eine hervorragende Ausbildung im In- und Ausland genießen. Sie bringen viel zusätzliches Know-How in die elterlichen Betriebe und arbeiten heute auf einem Qualitätslevel, der noch vor wenigen Jahrzehnten für die meisten völlig unerreichbar gewesen wäre.
Um die verschiedenen Herkünfte und Bezeichnungen besser einordnen zu können, lohnt sich der Blick auf das italienische Klassifizierungssystem nach dem romanischen Weinrecht. Unterschiedenen werden vier Stufen: Die einfachen Tafelweine bilden die Basis, auf sie folgen die Landweine, kurz IGP (Indicazione Geografica Tipica). An der Spitze der Qualitätspyramide wird zwischen DOC-Weinen (Denominazione di Origine Controllata) und der höchsten Stufe, den DOCG-Weinen (Denominazione di Origine Controllata e Garantita), unterschieden. Für Letztere gelten die schärfsten rechtlichen Vorschriften über die Produktion wie etwa über den Mindestalkoholgehalt, die Pflanzdichte, den Ausbau und die Lagerung. Bestes Beispiel für die Unterscheidung von DOC- und DOGC-Weinen ist die Klassifizierung des Chianti (= DOC) und des deutlich älteren Ursprungsgebiets Chianti Classico (= DOCG). Eigentlich ist dieses System durch das ähnliche, aber vereinheitlichte DOP-System der EU abgelöst, aber wie in allen Weinbaunationen braucht es auch in Italien, bis es gänzlich umgesetzt ist. So existieren beide Systeme momentan mehr oder minder friedlich nebeneinander.
Grob unterteilen lässt sich die italienische Weinlandschaft in drei Bereiche. Norditalien, zu dem neben Südtirol das Trentino, Friaul, Venetien, die Lombardei, das Piemont, Ligurien, das Aostatal und die Emilia Romagna gehören, bietet mit berühmten Weiß-, Rot-, und Schaumweinen so ziemlich alles, was das Weintrinkerherz begehrt. Mittelitalien umfasst die Toskana, das Latium, Umbrien, Marken und die Region Abruzzen. Rotweine aus den autochthonen Sorten Sangiovese und Montepulciano sind hier der Star, doch auch einige Weißweine aus den küstennahen Gebieten können glänzen. In Süditalien herrscht das heißeste, mediterranste Klima, das kraftvolle Weine in Molise, Kampanien, Apulien, der Basilikata, auf Sardinien und Sizilien entstehen lässt. Immer berücksichtigt werden muss, dass in Italien die klimatischen Bedingungen einerseits vom Mittelmeer beeinflusst werden, an das immerhin 17 der 22 Regionen angrenzen. Eine milde Meeresbrise sorg also stets für etwas gemäßigtere Temperaturen. Anderseits spielen die Höhenlagen eine wichtige Rolle. Im Norden thronen die Alpen, Mittelitalien wird vom Apennin-Gebirgszug durchzogen, auf Sizilien ragt der Ätna auf über 3.000 Meter Höhe. Schon seit geraumer Zeit haben die italienischen Winzer die Vorteile des Weinbaus in höheren, kühleren Lagen für sich entdeckt. Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist dies ein echter Glücksfall.
Bereits kurz nach dem Brenner erstreckt sich mit Alto Adige (Südtirol) eine der angesagtesten Weinregionen Italiens. Die klassischen Sorten Weißburgunder, Grauburgunder, Chardonnay, Sauvignon Blanc und Gewürztraminer ergeben gerade in den höhergelegenen Weinbergslagen Spitzenweine. Immer mehr Winzer setzen hier auch auf eine biologische oder gar biodynamische Bewirtschaftung der Weingärten. Einer der Vorreiter in diesem Bereich ist Alois Lageder. Bei den Roten bietet Südtirol neben bodenständigem Vernatsch (in Deutschland als Trollinger bekannt) auch elegante Spätburgunder, kräftige Cabernets und kernige Weine aus Lagrein, der hier seine Heimat hat.
Das südlich angrenzende Trentino besticht mit der sehr würzigen und dunklen Teroldego, ein krautig kraftvolles Unikat mit Biss und Tannin, zum Teil sehr wuchtig. Eine Flasche pro Tag soll ein über hundertjähriges Leben garantieren. Shootingstar in Sachen Teroldego ist Elisabetta Foradori.
Östlich dieser beiden Regionen erstreckt sich nahe der slowenischen Grenze mit dem Friaul die zweite Weißwein-Hochburg Italiens. Aus Pinot Grigio, Pinot Bianco, Sauvignon Blanc und Co. entstehen hier hochklassige Weine, teilweise sogar von Weltformat. Auch die autochthonen Rebsorten Tocai Friulano, Arneis, Grecco oder Fiano garantieren spannende Individualität.
Zwischen Friaul und Trentino liegt das Veneto, das vor allem für den Amarone aus dem Valpolicella-Gebiet nördlich von Verona bekannt ist. Für diesen wuchtigen und langlebigen Wein werden Trauben der Rebsorte Corvina vor der Vergärung getrocknet und damit deren Saft aufkonzentriert. Vielleicht DER Grandseigneur des Amarone war Giuseppe Quintarelli. Gleich östlich des Valpolicella erstreckt sich mit Soave eine wichtige Region für einfachere, frische Weißweine aus Garganega und Trebbiano. Das Veneto steht darüber hinaus auch für die Produktion des Prosecco, der hier nicht nur seine Heimat hat, sondern seit 2010 auch endlich eine geschützte Ursprungsbezeichnung besitzt.
Italien mal schäumend
Dass Italien Schaumwein kann, zeigen auch die Spitzenschäumer aus der Franciacorta in der Lombardei, die es problemlos mit einigen Top-Champagnern aufnehmen können. Allen voran die Weine von Ca’ del Bosco. In der Franciacorta wird wie in der Champagne auf die traditionelle Flaschengärung sowie auf die klassischen Rebsorten Pinot Noir und Chardonnay gesetzt. Meist gesellt sich aber etwas Pinot Bianco dazu, der in der Champagne fast keine Rolle spielt.
In Sachen Schaumwein hat sich auch die Emilia Romagna mit dem Lambrusco einen Namen gemacht. Lange verpönt, gibt es mittlerweile immer mehr hochklassige Exemplare, die mit ihrer frischen und lebendigen Art als Aperitif oder zu einer rustikalen Vesper viel süffige Freude bereiten können. Süffigkeit vermitteln auch die süßen Schaumweine aus dem Piemont, wo der polarisierende Moscato d’Asti seine Heimat hat.
Doch natürlich ist das Piemont, direkt südlich der Alpen im Nordwesten gelegen, vor allem wegen seiner Rotweine berühmt. Barolo und Barbaresco, beide aus 100 Prozent Nebbiolo gemacht, sind vielleicht die Rotweine Italiens schlechthin. Mit ihrer fruchtstarken, tanninreichen, kraftvollen und dichten Art (Barolo) oder auch deutlich finessenreicher und seidiger (Barbaresco), sind sie für ein langes Leben bestimmt und zählen ohne Zweifel zu den großen Weinen der Welt. Zu qualitativen Spitze gehören Conterno, Elio Altare, Gaja, Voerzio, Ellio Grasso, Luciano Sandrone, Vietti, Giacosa und viele mehr. Eine Menge Spaß schon im jugendlichen Alter bringen die Rotweine aus den Sorten Barbera (allen voran aus Alba und Asti) und Dolcetto. Letztere ist etwas rustikaler als ihr großer Bruder, doch nicht minder spannend und ein perfekter Begleiter von Pizza und Pasta. In Sachen Weißwein sorgen neben wenigen Top-Chardonnays vor allem die uralte autochthone Sorte Timorasso und die wiederbelebte Arneis aus Roero für Furore. Die Renaissance dieser Rebsorten ist ein wahrer Glücksfall.
Eine Menge Spaß schon im jugendlichen Alter bringen die Rotweine aus den Sorten Barbera (allen voran aus Alba und Asti) und Dolcetto.
Wagt man sich nach Mittelitalien vor, sieht man sich dem Charme der dort erzeugten Rotweine ausgesetzt. Sangiovese ist hier der unangefochtene Platzhirsch, sei es im Chianti, in dessen historischen Kerngebiet Chianti Classico, in Montepulciano oder in Montalcino, wo die Sorte Brunello heißt. Sangiovese steht für saftige Weine, mit spürbarem Säurenerv und der Offenheit für Cuvéepartner aller Art. Der große Erfolg der Rebsorte – und ganz allgemein der Toskanischen Weine – ist nicht zuletzt den zahlreichen Adelsfamilien wie etwa den Antinori zu verdanken, die den Toskanischen Wein fit für die Zukunft gemacht haben. Sinnbild für die moderne Toskana sind die in den späten 70er und frühen 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts geschaffenen Supertoskaner wie Tignanello, Sassicaia, Ornellaia und Masseto, bei denen mit großem Erfolg internationale Rebsorten wie Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc in die Cuvées eingebracht wurden.
Abruzzen und Umbrien
Hervorragende Rotweine bringen die Winzer auch in den Abruzzen auf die Flasche, hier vor allem aus der Rebsorte Montepulciano, die in jedem Fall das Potenzial besitzt, mit den großen Rotweinen Italiens konkurrieren zu können. Für vollere, oxidativere Weißweine bekannt ist die zentral gelegene Region Umbrien mit der Herkunft Orvieto. In der Nachbarregion Marken, an der Adria, entsteht mit dem Verdicchio di Castelli di Jesi in unmittelbarer Nähe zum Mittelmeer hingegen ein frischerer, aber ernstzunehmender Weißwein, der leider immer mehr in Vergessenheit gerät.
Süditalien setzt in den Regionen Kampanien, Apulien, Basilicata und Kalabrien in erster Linie auf kraftvolle Rote. Besonders erfolgreich war in den letzten Jahren der Primitivo (in Kalifornien als Zinfandel berühmt geworden) aus Apulien, der mal plumper, marmeladiger und eine Spur zu süß ausfallen kann, oder deutlich seltener seriös, kraftvoll und strukturiert. Die Nase vorn in Sachen süditalienischem Rotwein hat jedoch die angesagte Sorte Aglianico, die in Kampanien Grundlage für den Taurasi und in der Basilicata für den Aglianico del Vulture ist.
Sizilien und Sardinien – Italiens Inselweine
Auf Sardinien spielen die weiße Rebsorte Vermentino mit sowohl frisch-fruchtigen Sommerweinen als auch ernstzunehmend kraftvollen Weine und die rot Cannonau, die andernorts als Grenache bekannt ist, die erste Geige. Auf Sizilien sind es vor allem die fast vergessenen autochthonen Rebsorten, die der ganzen Insel in Sachen Weinbau zunehmend einen Schub verpassen. Neben Nero d’Avola, der Cash Cow des sizilianischen Weinbaus, kristallisieren sich immer mehr die alten Sorten Nerello Mascalese und Frappato als Shootingstars der Insel heraus. Angebaut an den Hängen des Ätna bringen sie feingliedrige, elegante und hochkomplexe Weine, die in ihrer Eleganz auch durchaus an feine Burgunder erinnern, durch den vulkanischen Boden jedoch deutlich von ihrer Herkunft geprägt sind. Neben Top-Betrieben aus dem Süden wie Gulfi, Cos oder Occhipinti bilden die Weingüter am Ätna wie Passopisciaro, Terre Nere oder auch Tascante mit ihren Vulkanweinen die momentan vielleicht spannendste Weinregion Italiens. Ein Geheimtipp, der bald keiner mehr sein wird …