Als eine der vier großen Weinregionen des Loiretals bildet die Touraine eine der Lebensadern des nordfranzösischen Weinbaus. So unscheinbar ihr Name, so grandios fallen die Weine in den zahlreichen Spitzenappellationen der Touraine rund um den majestätischen Hauptstrom und seinen drei Nebenflüssen Cher, Indre und Vienne aus. Im Westen der Region regiert der Rotwein – aus Chinon, Bourgueil und Saint-Nicolas-de-Bourgueil kommen einige der besten Roten Nordfrankreichs. Im Westen herrscht die Paraderebe Chenin Blanc in den Weltklasse-Appellationen Vouvray und Montlouis. Dazwischen erstreckt sich ein weitläufiges Rebenmeer der AOC Touraine – im Herbst bringen die dort wachsenden Trauben den Saft für genial frische, fruchtige und charmante Weiß-, Rot- und Roséweine. In Sachen Preis-Leistung finden die übrigen Regionen der Loire hier oft ihren Meister.
Die AOC Touraine steht für geniale Alltagsweine, vornehmlich aus Sauvignon Blanc, und Gamay. Teilweise findet man auch sortenreine Rote aus Côt (Malbec), die aber meist mit etwas Cabernet Franc geblendet werden. Vereinzelt sind Flächen auch mit Pinot Noir bestockt, der vor allem in der Rosé-Produktion Verwendung findet. Einige Gemeinden haben sich über die Jahre einen besonders guten Ruf erarbeitet und dürfen ihren Namen auf dem Etikett tragen. So beispielweise Oisly, das ganz im Osten der Touraine an der Grenze zu den ersten Appellationen der Oberen Loire liegt. Hier keltern Dominique und Maurice Barbou einige der erstaunlichsten Preis-Leistungs-Kracher des gesamten Loiretals. Einen besseren Einstieg in die Weinwelt der Loire findet man wohl nirgends sonst – der Einstiegs-Sauvignon ihrer Domaine des Corbillières hat sich längst zu einem Klassiker entwickelt. Von Oisly aus ist es nur ein Katzensprung zur Grenze der Touraine. Die Nachbarregionen Cheverny und Cour-Cheverny gehören geografisch bereits zur Oberen Loire. Ihren Weinen seien hier aber dennoch einige Sätze gewidmet, denn die beiden kleinen Appellationen mit gerade einmal rund 720 Hektar Reben sind ein Paradies für Wein-Trüffelschweine: Die extrem seltene autochthone Sorte Romorantin bringt hier einige der erstaunlichsten und eigenwilligsten Weine Frankreichs hervor. Wie das schmeckt, findet man am besten mit den Weinen von Alexandre Gendrier von der Domaine des Huards heraus.
Einen besseren Einstieg in die Weinwelt der Loire als durch die Domaine des Corbillières findet man wohl nirgends sonst.
Wesentlich bekannter als die allgemeine AOC Touraine sind die drei Appellationen Chinon, Bourgueil und Saint-Nicolas-de-Bourgueil im Westen der Region. Hier liegt das Rotweinzentrum der Touraine. Insgesamt umfassen die drei Gebiete rund 4.700 Hektar Weinberge, der Großteil ist mit Cabernet Franc bestockt. Unmittelbar an der Grenze zur Nachbarregion Saumur nimmt er einen fabelhaften Charakter an: Feinfruchtig, kraut- und graphitwürzig, spannungsgeladen und mit einer gehörigen Portion Frische ausgestattet. Das erstaunt wenig, wenn man sich die geografische Lage der Appellationen genauer ansieht: Auf demselben Längengrad liegen die Weinberge der Côte de Beaune, auf demselben Breitengrad die Reben von Saint-Émilion. Und so ergibt sich im Grunde eine Mélange aus beiden Welten – quasi eine ultrafeine und ultrafrische Version eines von Cabernet Franc dominierten Saint-Émilion.
In großen, heißen Jahren verschwimmen die Grenzen immer mehr – Kraft, Körper und Alterungsfähigkeit gleichen zunehmends denen eines klassischen Bordeaux. Ihre Feinheit und Verspieltheit können die besten Roten aus dem Westen der Touraine aber selten verstecken. Und auch wenn das Terroir in allen drei Top-Appellationen von Sand, Kies und Kalk dominiert ist, tun sich doch feine Unterschiede auf. Die Weinberge von Chinon liegen am linken Ufer der Loire am Nebenfluss Vienne – Kies- und Sandböden machen einen Chinon zum vielleicht charmantesten Rotwein der Touraine, mit einer typischen grazil-ätherischen Himbeerduftigkeit. In Bourgueil, am gegenüberliegenden Ufer der Loire, findet man an den Hängen (Coteaux) recht viel Kalk, was die Weine etwas massiver und strukturierter macht. Etwas mehr Sand durchzieht hingegen die Böden von Saint-Nicolas-de-Bourgueil – es sind die vergleichsweise feinsten und elegantesten Rotweine der Touraine, mit einem einer aufregenden Graphitnote nebst der ultrafeinen roten Beerenfrucht. Rote aus großen Jahrgängen aller drei Appellationen kann man getrost für einige Jahre in den Keller legen. Aber auch jung, leicht gekühlt getrunken, bieten sie gewaltigen Trinkspaß.
Ihre Feinheit und Verspieltheit können die besten Roten aus dem Westen der Touraine aber selten verstecken.
Das weiße Gegenstück zu Chinon und Co. findet man östlich von Tours in den beiden Appellationen Vouvray und Montlouis. Vouvrays monumentale Gewächse aus Chenin Blanc gehören ohne Zweifel zu den großen Weißweinen der Welt. Sie waren und sind Vorbild für viele New-World-Chenins – duftig, voll und wollüstig. In Vouvray gibt es sie mal trocken, mal halbtrocken oder süß. Früher war das abhängig von den klimatischen Bedingungen des Jahrgangs, heute steuern die meisten Erzeuger den Reife- und Süßegrad der Beeren und der späteren Weine durch mehrere Lesegänge (»tries«) im Herbst. Primus inter Pares in Vouvray ist die Domaine Huet mit ihren großen Weißweinen von drei legendären Tuffsteinhängen am rechten Ufer der Loire. Lustigerweise findet sich auch hier eine Schwester-Appellation gleich gegenüber, ähnlich wie bei Chinon und Bourgueil, Sancerre und Pouilly oder Savennières und den Coteaux du Layon. Montlouis ist deutlich unscheinbarer als der große Nachbar gegenüber, die unermüdliche Arbeit der Winzerinnen und Winzer macht die kleine Appellation seit den 1990er-Jahren aber zu einem ebenbürtigen Mitspieler.
Ähnlich wie Anjou und Saumur hat auch die Touraine eine riesige Bandbreite an großartigen Weinen aller Farben und Süßegrade zu bieten. Letztlich ist es diese Vielfalt, welche die gesamte Region Loire zum wohl ausgewogensten Weinbaugebiet Europas macht.