Hierzulande ist die Loire vor allem für ihre knackfrischen Muscadets aus dem Nantais und für die strahlenden Sauvignon Blancs aus Sancerre und Pouilly-Fumé bekannt. Zwischen beiden Weinregionen liegen rund 500 Kilometer, auf denen sich die Loire durch den Nordwesten Frankreichs schlängelt – mit Schlössern, uralten Städten und weitläufigen Weingärten an ihren Ufern. Arbeitet man sich von der Atlantikküste flussaufwärts ins Landesinnere, lauern links und rechts des Flusses unzählige Spitzen-Appellationen. Einige der besten liegen im Anjou: Chenin Blanc bringt hier als dritte weiße Paradesorte der Loire nicht nur die vielleicht besten französischen Süßweine neben dem Sauternais hervor, sondern auch straffe, saftige, trockene Spitzenweine. Und auch die Roten aus dem Anjou geraten im Zeichen des Klimawandels immer grandioser. Kein Wunder, dass sich südlich der Stadt Angers mittlerweile immer mehr junge Winzerinnen und Winzer niederlassen, um der etwas verschlafenen Region einen neuen Powerschub zu verpassen.
Großartige Terroir-Vielfalt
Das Anjou ist neben dem Nantais, der Touraine und der oberen Loire (hier liegen Sancerre und Pouilly-Fumé) eine der vier großen Weinbauregionen des Loiretals. Nur 90 Kilometer trennen Angers – die Hauptstadt des Anjou – von Nantes. Fährt man von Nantes 50 Kilometer weiter gen Westen, steht man bereits an den Stränden der Atlantikküste. Die Nähe zum Meer bringt dem Anjou einerseits ein mildes, frisches Seeklima, andererseits sind in den Weingärten der Region bereits kontinentale Einflüsse spürbar. Kühler ist es im Vergleich zu den südlichen Weinbauregionen Frankreichs allemal. Nicht umsonst bildet die Nachbarregion Saumur neben der Champagne das zweite bedeutende Schaumweinzentrum des Landes. Aber nicht nur das Klima ist im Anjou von verschiedenen Einflüssen geprägt, sondern auch die Böden: Glimmerschiefer trifft südlich von Angers auf die Kalksteinböden des Pariser Beckens. Eine geniale Terroir-Kombination, die komplettiert wird durch die Kies- und Sandböden der zahlreichen Flusstäler. Eines ist somit sicher: Das Terroir im Anjou ist eine superbe Grundlage für saftig-frische Chenin Blancs und spannungsgeladene Rote aus den Cabernet-Sorten.
Drei Lebensadern
Die besten Weinberge des Anjou liegen fast ausnahmslos am linken Ufer der Loire, direkt gegenüber von Angers in Südwestexposition. Drei kleine Nebenflüsse bilden die weinbaulichen Lebensadern der Region: Layon, Aubance und Louet. Ein besonderes Aushängeschild des Anjou sind die Weingärten an den Ufern des rund 90 Kilometer langen Layon, der von Ost nach West das Anbaugebiet durchschlängelt, bis er bei Chalonnes in die Loire mündet. Die größte Appellation am Fluss bilden die Coteaux du Layon mit rund 1660 Hektar Reben. Es ist das Paradies für Süßweinfanatiker – der Frühnebel des Flusses bringt im Herbst ideale Bedingungen für die Erzeugung edelsüßer Weine. Ein fast vergessener Weinbauschatz, den die Winzerinnen und Winzer im Anjou seit jeher hegen und pflegen. Die Coteaux beherbergen mit der 29 Hektar großen Enklave Quarts de Chaume gar den ersten Grand Cru der Loire. Sein Name darf ausschließlich auf restsüßen Weinen aus der Sorte Chenin Blanc stehen – mindestens 34 Gramm pro Liter beträgt der Restzuckergehalt, er wird aber meist weit überschritten. Der zweite Grand Cru an den Coteaux du Layon ist Bonnezeaux, rund 15 Kilometer flussaufwärts gelegen. Beide Appellationen bringen fabelhafte Gewächse hervor – wenig vergleichbar mit deutschen Beerenauslesen, da ihr Alkoholgehalt deutlich höher liegt. Sie tendieren eher in Richtung eines Sauternes, wenngleich sie nicht denselben Schmelz besitzen, sondern eher verspielter, frischer und saftiger daherkommen. In Sachen Lagerfähigkeit schenken sich beide nichts: Große, süße Anjous können für Jahrzehnte eingelagert werden.
Weltklasse Chenin Blanc – süß und trocken
Auch am Aubance entstehen mitunter große Süßweine, ansonsten besticht das Anjou auch mit hervorragenden trockenen Chenins. Sie sind weniger wollüstig und wärmend wie ihre Pendants aus dem Vouvray, dafür aber feiner und eleganter. Den Heiligen Gral der trockenen Chenins aus dem Anjou findet man in der Subregion Savennières – ihr ist bei uns eine eigene Kategorie gewidmet. Dass exzellenter trockener Chenin Blanc aber auch im Paradies der Süßweine ganz hervorragend funktioniert, beweist die junge Vanessa Charruau von Château de Plaisance mit ihren genialen Gewächsen aus der Gegend rund um Chaume. Es ist nur eines von vielen aufstrebenden Projekten junger Winzerinnen und Winzer im Anjou.
Der Geheimtipp: Rote aus dem Anjou
Ein großer Teil der Weinproduktion im Anjou entfällt noch immer auf einfache, frische, jung zu trinkende Roséweine, die fast immer mit einem leicht süßen Touch ausgestattet sind. Neben den Cabernet-Sorten dienen dann auch beispielweise Malbec, Grolleau, Gamay und die lokale Sorte Pineau d’Aunis als Cuvée-Partner. Mittlerweile erreichen jedoch vor allem die Rotweine aus dem Anjou ungeahnte Höhen – es sind aufregende, krautwürzige, ätherische Gewächse aus Cabernet Franc (sie wird in der Region oft Breton genannt) und Cabernet Sauvignon, die im Zeichen der Klimaerwärmung immer öfter erzeugt werden. Die besten Rotweine haben mit Anjou-Villages und Anjou-Villages-Brissac eigene Appellationen. Das Anjou ist somit längst nicht mehr nur ein Eldorado für Liebhaber edelsüßer Weine. Auch die trockenen Roten und Weißen sind aufgrund ihrer Feinheit mittlerweile eine der großartigsten Entdeckung der vergangenen Jahrzehnte an der Loire. Nur wenige französische Weinregionen haben eine solch grandiose Vielfalt zu bieten.