Für uns ist die Region in Frankreichs Nordosten eine wahres Eldorado für Genießer. Einfach durchfahren oder gar ausblenden bedeutet, dass man sich einiges entgehen lässt.
Für viele mag das Elsass ein verschlafenes und altmodisches Fleckchen Erde sein, ein Ort der Durchreise auf dem Weg ins Burgund oder in die Champagne. Für uns ist die Region in Frankreichs Nordosten eine wahres Eldorado für Genießer. Einfach durchfahren oder gar ausblenden bedeutet, dass man sich einiges entgehen lässt. Denn nirgendwo sonst entstehen in unserem Nachbarland Rieslinge, Pinot Blanc und Gewürztraminer auf Weltklasseniveau, nirgendwo sonst lässt es sich so bodenständig, herzhaft und üppig genießen …
Bereits weit im Inneren Badens hat man an vielen Orten einen großartigen Ausblick auf den Rheingraben und die Vogesen im Westen. An deren Ostflanke erstrecken sich die Weinhänge des Elsass auf rund 113 Kilometern, ziemlich genau zwischen Mulhouse im Süden und Straßburg im Norden. Weil sich Regenwolken durch den Westwind fast immer an der Westseite der Vogesen ihrer Fracht entledigen, zählt das Elsass zu den trockensten und sonnenreichsten Regionen Frankreichs. Rund 15.000 Hektar sind bestockt, was fast exakt der Größe der Badischen Rebfläche auf der anderen Rheinseite entspricht. Während sich das Elsass geografisch auf die beiden Départements Haut-Rhin (Ober-Rhein) und Bas-Rhin (Nieder-Rhein) aufteilt, erstrecken sich auf badischer Seite genau gegenüber die Ortenau, der Breisgau, der Kaiserstuhl, Tuniberg und das Markgräflerland. So unterschiedlich die Böden auf der rechtsrheinischen Seite sind, so vielfältig sind sie auch im Elsass: Sedimentgestein wie Kalk und Mergel wechseln sich ab mit granit- und schieferhaltigen Böden. Auf diesem Untergrund bringen vor allem die Reben im Département Haut-Rhin (nördlich von Mulhouse) Spitzenqualitäten. Dort gibt es auch die größte Konzentration an Grand Crus, von denen im Elsass insgesamt 51 existieren. Als absolute Toplagen gelten etwa Schoennenbourg in Riquewihr, Schlossberg in Kayersberg, Eichberg und Brand in Turckheim, Altenberg in Bergheim, Clos Ste-Hune in Hunawihr und der Rangen in Thann. Mit der Exposition der Parzellen nach Südosten und dem Charakter einer schmalen Weinstraße, ähnelt das Elsass fast ein wenig dem Burgund oder der Mittelhaardt.
Und dennoch hat das Elsass in Frankreich in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmestellung inne. Sprache und Architektur sind durch die lange Zugehörigkeit zu Deutschland größtenteils deutsch geprägt. Auch die Elsässer Rebsorten findet man sonst eigentlich fast nur auf den Weinlisten deutscher Weingüter: Riesling, Gewürztraminer, Muscat, Sylvaner, Weiß-, Grau- und Spätburgunder und Gutedel. Dazu gesellen sich noch etwas Auxerrois, Chardonnay. Klarer Punktsieg für die Weißen, auch in Sachen Anbaufläche. Bis auf den geringen Anteil an Spätburgunder ist das Elsass damit ein Rückzugsort für Sorten, denen im übrigen Frankreich keine Beachtung geschenkt wird oder einfach an Bedeutung verloren haben, wie etwa der Pinot Blanc (lokal unter dem Namen Klevner bekannt).
Alleinstellungsmerkmal Nummer drei macht das Elsass dann endgültig zu einem Paradiesvogel in Frankreichs Weinlandschaft: Die Angabe der Rebsorte auf dem Etikett, wie sie auch in Deutschland üblich ist, im restlichen Frankreich jedoch nicht. Für Weinliebhaber wird eine schnelle Orientierung auch dadurch vereinfacht, dass das Elsass mit der AOC Alsace, der AOC Crémant d’Alsace und der AOC Alsace Grand Cru (zugelassene Rebsorten: Riesling, Gewürztraminer, Muscat und Pinot Gris) nur drei Herkunftsbezeichnungen beherbergt.
Genau aus diesen Gründen ist das Elsass in Frankreich ein beliebtes Ziel für Genussmenschen aus dem ganzen Land. Hier gibt es eine einzigartige Melange aus deutschen und französischen Gepflogenheiten, im Wein wie in der Küche. Den Rhein müssen die Franzosen für Riesling, Sauerkraut und Co. nicht überqueren – ein Grund, weshalb deutscher Wein in Frankreich nicht wirklich eine Rolle spielt und unsere Nachbarn nur selten den Weg auf die andere Rheinseite suchen. Bei deutschen Weinfreuden gilt das Elsass hingegen oft als ein etwas verschlafener Ort, an dem die Winzer mit wenig Innovation glänzen. Tatsächlich stellt sich auch bei uns die Frage, wieso man den Sprung über den Rhein wagen sollte, wo es doch in Baden hervorragende weiße und rote Burgunder gibt und man nach kurzer Suche in ganz Deutschland mit Weltklasse-Riesling geradezu überschüttet wird. Klare Antwort: Bei aller geografischen Nähe und der Ähnlichkeit in Sachen Rebsorten und Bezeichnungen bietet das Elsass einen ganz eigenen Stil, der sich klar von den deutschen Pendants abhebt.
Rund 15.000 Hektar sind bestockt, was fast exakt der Größe der Badischen Rebfläche auf der anderen Rheinseite entspricht.
Da wäre zum einen der Elsässer Riesling, der bei den Top-Betrieben so herrlich zwischen geballter Kraft und saftiger Frische oszilliert. Meist brauchen die Weine durch ihre volle Reife und ihre wuchtige Struktur nicht lange, bis sie ihr gesamtes Potenzial zeigen. Etwas Lagerzeit im Keller ist bei den Grand Crus aber auf jeden Fall empfehlenswert. Deutscher Riesling fällt gegen diese Blockbuster vom linken Rheinufer allgemein deutlich rassiger aus, selbst die Exemplare aus Baden sind meist verspielter. Erstaunlich ist, dass es die qualitative Spitze im Elsass trotz aller Kraft und Fülle schafft, das vielfältige Terroir der Region hervorragend in die Flasche zu bringen. Aber Riesling ist nur eine von vielen Komponenten im Elsass. Deutlich leichter geht es etwa beim Weißweinverschnitt Edelzwicker zu, einer lokalen Spezialität, die man immer seltener findet. Meist ein einfacher Zechwein, bietet er viel Freude als Apéro oder zum rustikalen Vesper. Hierfür eignet sich ebenso ideal ein leichter, trockener Muscat. Auch Weiß- und Grauburgunder fallen im Elsass nicht ganz so überladen aus, wie manch einer denken könnte. Nicht selten gewinnen gerade die Pinot Gris den direkten Vergleich mit ihren Brüdern aus Baden. Durchaus als Erfolgsstory kann man auch den Weg des Crémant d’Alsace bezeichnen. Als flaschenvergorener Schaumwein stellt er eine schöne Abwechslung zum Champagner dar.
Ein polarisierender Faktor ist im Elsass der Restzuckergehalt der Weine. Die Vendange Tardive, das Pendant zur deutschen Spätlese, fällt meist deutlich alkoholreicher und somit wuchtiger und schmelziger aus als ihre deutschen Verwandten. Kommt dann noch Edelfäule hinzu, werden die Weine als Sélection de Grains Nobles etikettiert. Außerhalb dieser eindeutig definierten Süßweine fallen im Elsass auch vermeintlich trockene Weine durch ihre hohe Reife gerne etwas restsüß aus, auch im Grand-Cru-Bereich. Da die Angabe »trocken« im Elsass nicht existiert, kommt es hin und wieder vor, dass der erste Schluck der Flasche überrascht…
Die Toperzeuger im Elsass setzen fast ausschließlich auf eine biologische oder biodynamische Bewirtschaftung ihrer Weingärten, was angesichts der trockenen Verhältnisse sehr gut umsetzbar ist. Großer Vorreiter dabei ist Zind-Humbrecht in Turckheim. Im Keller wird der Natur dann meist einfach freien Lauf gelassen, was mitunter dazu führt, dass manche Weine nicht komplett durchgären und den besagten Zuckerschwanz behalten, andere hingegen vergären nahezu komplett. Das Ergebnis dieses Prozesses: Ganz individuelle und eigenständige Weine, mit dem typischen, unverwechselbaren Elsass-Charme bei weiß UND rot, denn Pinot Noir bringt auch im Elsass immer erstaunlichere Ergebnisse, wie die Weine von Valentin Zusslin zeigen.