Lange als Fasswein-Lieferant der großen Marken dienlich, ist die Côte des Bar heute der Hotspot der spannendsten Winzer und Neuentdeckungen.
Die Côte des Bar ist die südlichste Appellation der Champagne, benannt nach den Orten Bar-sur-Aube und Bar-sur-Seine. Sie liegt näher an Chablis, der nördlichsten Appellation des Burgunds, als an Épernay oder Reims, den klassischen Zentren des Champagners. Früher war die Côte des Bar nicht als Erzeuger großer Champagner bekannt und so wollten die großen Nachbarn aus dem Norden Anfang des 20. Jahrhunderts die Côte des Bar sogar aus den Champagner Appellationen ausschließen, da ihnen die Champagner der Côte des Bar nicht ebenbürtig erschienen. Die Côte des Bar wurde 1927 aber doch in die AOC Champagne aufgenommen und konnte sich damit zunächst ein wenig etablieren.
Dass die Côte des Bar noch nicht im Mainstream angekommen ist, zeigen mehrere Indikatoren: Zunächst die Landschaft, denn hier dominiert kein Meer aus Reben, sondern eine wechselnde Vegetation, mit Weinbergen zwischen Wäldern, Büschen und Feldern. Diese Biodiversität ist wichtig und wird in Zeiten des Klimawandels weiterhin an Bedeutung gewinnen. Außerdem spielen hier die zugelassenen, aber nur in verschwindend geringen Mengen angebauten Rebsorten wie Pinot Blanc, Pinot Gris und Petit Meslier noch eine größere Rolle als in den anderen Gebieten der Champagne. Pierre Gerbais ist beispielsweise mittlerweile einer der führenden Spezialisten in der Champagne, wenn es um Pinot Blanc geht, baut aber generell viele Weine rebsorten- und lagenrein aus. Natürlich auch bedingt durch die geographische Nähe zum Burgund, dessen Philosophie das eher entspricht. Auch gibt es in der Region noch weitaus mehr kleine Nebenerwerbs- und Hobby-Winzer als in den Gebieten im Norden. Doch das ist gerade im positiven Sinne im Wandel, denn es gibt auch in keiner anderen Region der Champagne so viele Newcomer und Rising Stars wie an der Cote des Bar.
Von hier kamen maßgebliche Impulse für die Brut Nature Champagner, die mittlerweile bei vielen Winzern der Champagne großen Anklang finden, auch wurde hier schon länger mit geringem Schwefeleinsatz gearbeitet. Die Rebflächen der hier noch angebauten Rand-Rebsorten, die sonst kaum angebaut werden, wächst stetig, auch das hat Bewegung in der Champagne ausgelöst. Die anderen Appellationen schauen zunehmend auf die Trends, die die Côte des Bar setzt und das zurecht. Diese Dynamik ist sagenhaft. Auch die Rebflächen sind gefragter, denn je und so macht die Côte de Bars mit ihren 7.000 Hektar mittlerweile 25 Prozent der Champagnerproduktion aus. Früher waren die Pinot Noir Trauben in den Cuvées der großen Häuser aus dem Norden für ihre Struktur gefragt, heute stammen von den vielen kleinen Produzenten, die teilweise noch im Nebenerwerb arbeiten, auch sehr gute Winzerchampagner. Diese sind oft eher vom Terroir geprägt, als die Champagner die großen Häuser, da die Produktion so gering ist, dass die Weine oft aus nur einer Weinbergsparzelle stammen.
Die Bewegung, die hier in den letzten Jahren passiert, ist extrem spannend, besonders, da sie in einem sonst so tradierten Gebiet wie der Champagne abläuft.
Von vielen kleinen Winzern kommen auch die Trauben für Chassenay D'Arce, einer Erzeugergemeinschaft, die seit knapp 80 Jahren top Cuvées im wilden Süden der Côte des Bar herstellt. Und auch Garagenwinzer wie der streng biodynamisch arbeitende Etienne Sandrin haben sich zu festen Größen unter den Geheimtipps etabliert.
Das semikontinentale Klima erinnert an das naheliegende Burgund, aber auch die vorherrschenden Kalkmergel-Böden lassen Vergleiche vor allem zum nahen Chablisienne zu. Außerdem kommen an der Côte des Bar Lehm, Ton und Sand Böden vor, die Winzer können also gut variieren und je nach Boden und Ausrichtung des Weinbergs die passende Rebsorte anbauen und mit verschiedenen Geschmacksnuancen spielen. Meist ist die Rebsorte der Wahl Pinot Noir, der hier besonders strukturierte, fruchtintensive und tiefe, aber gleichzeitig auch frische und feine Weine ergibt und mittlerweile auf über 50 Prozent der Rebflächen wächst. Und dass, obwohl er erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts vermehrt angebaut wird. Es gibt allerdings wie immer Ausnahmen und so wird in Montgueux, nahe der Stadt Troyes, auf Kreide- und Kalkhaltigen Böden fast ausschließlich Chardonnay angebaut.
Die Champagner von der Côte des Bar machen vor allem ihre Individualität aus. Und doch zeichnet sich bereits so etwas wie eine Signatur der Côte des Bar ab. Sie ist in der Regel von Pinot Noir getrieben und sticht durch eine Balance zwischen strukturierter Fülle, komplexer Frucht und fein eingearbeiteter Mineralität hervor. Die Côte des Bar ist der ungeschliffene Diamant der Champagne, eine Gegend, in der zum Teil unentdecktes Potenzial liegt, was sich aktuell glücklicherweise rapide ändert. Das Terroir für große Champagner ist fraglos gegeben – es wurde nur viele Jahrzehnte kaum genutzt.