Saint Julien ist der Everybody’s Darling des Médoc – charmant, verspielt, immer schick, immer lecker.
Kleiner Star im Haut-Médoc
Das hat gleich mehrere Gründe: Mit nur 910 Hektar ist Saint-Julien die kleinste der Spitzenappellationen im Médoc. Fast alle Weinberge liegen hier auf einem einzigen Kiesplateau in unmittelbarer Flussnähe. Wirklich große Unterschiede gibt es hier also nicht, wenn es ums Terroir geht. Feine Differenzen tun sich nur auf, wenn man ganz genau hinsieht. Dann erkennt man, dass die Weine im nördlichen Teil der Appellation, an der Grenzen zu Pauillac, doch eine Spur maskuliner ausfallen als die Weine aus dem südlichen Teil des Kiesplateaus. Und auch landeinwärts in Richtung Saint-Laurent ändert sich das Bild. Das Terroir wird heterogener, da der Kiesanteil im Boden geringer wird. Wie in Margaux oder Pauillac ist der kiesige Boden aber auch in Saint-Julien unübersehbar. Gemischt mit Lehm und etwas Sand bietet der Boden eine ideale Grundlage für traumhafte Weine. Hier fühlt sich Cabernet Sauvignon besonders wohl, hier kann die Rebsorte ihr Potenzial voll ausreizen. Mit etwas Merlot und Cabernet Franc sorgt man auf den Châteaux für die richtige Balance – ein weiterer Grund für den großen Charmefaktor von Saint-Julien.
Durch die Bank weg Spitzenklasse
Grund Nummer drei sind die Weingüter selbst. 80 Prozent der Châteaux wurden bei der Weingutsklassifikation von 1855 entweder als 2ème, 3ème oder 4ème Cru eingestuft. 1er und 5ème Crus gibt es hingegen nicht, ebenso nur sehr wenige Cru Bourgeois. Auch wenn es 1855 kein Weingut in die absolute Top-Liga geschafft hat, zeigt die Klassifikation dennoch, auf welch hohem Niveau in Saint-Julien schon vor 170 Jahren gearbeitet wurde. Daran hat sich bis heute wenig geändert. »Ein Saint-Julien bringt Kraft und feinen Duft mit einzigartiger Milde in Einklang und setzt damit den Maßstab für alle Bordeaux-Weine – wenn er nicht sogar den Höhepunkt bildet«, schreibt Hugh Johnson.
Highlights am Ortseingang
Höhepunkte lauern in Saint-Julien überall. Das Feuerwerk beginnt gleich, wenn man auf der Route départementale 2 in den Ort fährt. Direkt am Eingang von Saint-Julien liegt das wunderschöne Anwesen von Château Beychevelle, dessen Wein das charakteristische Boot auf dem Etikett trägt. Um den Gründer des Guts, einen Admiral, zu ehren, holten die vorbeifahrenden Schiffe im 17. Jahrhundert auf der Gironde ihre Segel ein. Aus dem Ausdruck »baisser les voiles« (»die Segel streichen«) wurde »Beychevelle«. Direkt neben Beychevelle liegt das 2ème Cru Château Ducru Beaucaillou von Besitzer Jean-Eugène Borie. Nur rund ein Kilometer Wegstrecke trennt die Weinberge hier von der Gironde. Robert Parker bezeichnete Ducru Beaucaillou einst als »Quintessenz von Eleganz, Symmetrie, Gleichgewicht, Rasse, Klasse und Distinktion«. Westlich von Beychevelle und Ducru Beaucaillou liegt weiter landeinwärts zunächst Château Saint-Pierre, das kleinste und unbekannteste der klassifizierten Güter von Saint-Julien. In unmittelbarer Nachbarschaft bewirtschaftet das unklassifizierte Château Teynac seine 12,5 Hektar. Hier entstehen Weine mit einem genialen Preis-Genuss-Verhältnis. Stichwort großer Wein für kleines Geld: Ganz am Westrand von Saint-Julien liegt mit Château La Bridane ein Cru Bourgeois, das neben Gloria und du Glana in der ersten Reihe der Verfolger der klassifizierten Gewächse steht. Auf 15 Hektar produzieren dort die beiden Familien Blancan und Saintout Weine mit einer fast schon burgundischen Finesse. Etwas südlich von Teynac liegt das 2ème Cru Château Gruaud Larose von Besitzer Jean Merlaut. Mit 82 Hektar gehört das Weingut zu den größten in Saint-Julien. Gerade weiter landeinwärts werden die Besitzverhältnisse in der Appellation größer. Im Hinterland von Saint-Julien liegen mit Lagrange (3ème Cru) und Talbot (4ème Cru) gleich zwei Weingüter mit jeweils über 100 Hektar Reben. Mehr als ein Fünftel der Gesamtfläche von Saint-Julien geht damit schon mal auf das Konto dieser beiden Châteaux.
Die drei Léovilles – Saint-Julien in Vollendung
Das mit Abstand größte Weingut von Saint-Julien war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts das Anwesen »Léoville«, das Stück für Stück in drei Teilgüter aufgesplittet wurde. Alle drei wurden 1855 als 2ème Cru klassifiziert. Léoville-Las-Cases bildet heute das größte Weingut, das aus Léoville hervorging. Es liegt ganz im Norden von Saint-Julien, sein ummauerter Weinberg, ein Clos, grenzt direkt an die Flächen von Château Latour in Pauillac. Entsprechend epochal fallen hier die Weine aus: sehr dicht, extrem aromatisch und immens lagerfähig. Léoville-Poyferré ist das mittlere der drei Teilgüter. Besitzer ist seit 1920 die Familie Cuvelier. Seit 1979 leitet Didier Cuvelier das Gut, beraten wird Poyferré von Michel Rolland. Léoville-Barton komplettiert den Reigen der Léoville-Güter. Seit 1821 gehört es der Familie Barton, die auch im Besitz von Château Langoa-Barton ist. Die Frucht fällt hier in der Regel etwas dunkler und opulenter aus als bei den anderen beiden Léovilles.
In Saint-Julien geht unmittelbar hinter der 1er-Cru-Riege ordentlich die Post ab. Eine Neuauflage der Klassifikation von 1855 würde wohl einiges durcheinanderwirbeln. Die 2èmes von Saint-Julien wetteifern seit Jahren nicht nur um die Krone innerhalb der Appellation, sondern auch um den Status eines heimlichen Premier Crus. Am Ende hätten es wohl alle verdient, denn alle verkörpern den archetypischen Charakter von Saint-Julien auf spielerische Art und Weise: so charmant, so liebenswürdig, so einnehmend!