Saint-Émilion ist ohne Zweifel eine der Hauptschlagadern des Bordelais.

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IM ÜBERBLICK

Weinregion
Saint-Émilion

Das wird sofort klar, wenn man sich im Sommer in das uralte Städtchen wagt und von nicht enden wollenden Touristenströmen durch die engen Gassen getrieben wird. Die eigentliche Musik spielt in Saint-Émilion jedoch unmittelbar außerhalb der Stadtmauern, wo sich ein Meer aus Reben über das Kalksteinplateau der Stadt zieht. Hier reihen sich fast unscheinbar einige der besten Rotweingüter der Welt dicht aneinander. Egal wohin man schaut, entdeckt man große Namen. Cheval Blanc, Ausone, Angélus, Pavie und und und… Wer hier einen Weinberg bewirtschaftet, hat entweder glücklich geerbt oder mächtig investiert. Seit Jahren schwemmt Geld aus allen Teilen der Welt nach Saint-Émilion, schließlich will jeder etwas vom Kuchen abhaben. Investitionen, die das romantische Bild des Städtchens etwas eintrüben, den Tacho der Appellation aber gleichzeitig bei 180 halten: Wer mithalten will, muss mitziehen, denn Konkurrenz gibt es genug, nicht nur innerhalb von Saint-Émilion, sondern auch rund herum. Appellationen wie die Côtes de Castillon, die Côtes de Francs oder Fronsac haben in den vergangenen Jahren rasant aufgeholt. Und so hat sich über Jahrzehnte ein Wetteifern entwickelt, das Saint-Émilion zu einer der dynamischsten Appellationen Frankreichs macht.

Weinregion Saint Emilion, Weinlandschaft

Rotweine für jede und jeden

Bei allem Ruhm und den teils schwindelerregenden Preisen wird oft vergessen, dass Saint-Émilion als Appellation mit rund 5.700 Hektar Rebfläche das größte französische Spitzenanbaugebiet ist. Unterschieden werden die beiden Appellationen AC Saint-Émilion und AC Saint-Émilion Grand Cru. Von arm bis reich, von provinziell bis mondän – Saint-Émilion ist ein Konglomerat aus den verschiedensten Charakteren. Folgerichtig gibt es auch für jede und jeden den passenden Wein. Vom unkomplizierten Spaßmacher über das hedonistische Leckerli bis zum wollüstigen Blockbuster – alles ist möglich und das in jeder Preisrange. Richtig gute Weine bereits für 20 bis 50 Euro gibt es hier zur Genüge. Der Fokus liegt dabei fast ausschließlich auf Rotweinen aus Merlot, Cabernet Franc und Cabernet Sauvignon. Die Merlot dominiert hier, weil sie sich auf den kargen Kalkböden deutlich wohler fühlt als die Cabernet-Sorten. Dort, wo es lehmhaltiger, kiesiger und sandiger wird, etwa in Richtung Pomerol, nimmt der Anteil an Cabernet Franc zu. Weißweine dürfen erst gar nicht unter dem Namen Saint-Émilion in den Verkauf kommen, sondern nur als Bordeaux AC. Im Vergleich zu den Weinen vom linken Ufer, die deutlich mehr von Cabernet Sauvignon geprägt sind, fallen die Rotweine aus Saint-Émilion durch den hohen Anteil an Merlot geschmacklich runder und seidiger aus, sind früher zugänglich und reifen etwas schneller. Die Cabernet Franc sorgt für Finesse und Würze. Gleichzeitig puffert sie mit ihrer Himbeerfrucht die dunklere Aromatik der Merlot.

Vom unkomplizierten Spaßmacher über das hedonistische Leckerli bis zum wollüstigen Blockbuster – alles ist möglich und das in jeder Preisrange. 

Die Saint-Émilion-Klassifikation

Während am linken Ufer des Bordelais die Klassifikation von 1855 in Stein gemeißelt scheint, haben die Winzer von Saint-Émilion 1954 ihre eigene Rangordnung gestaltet, die alle zehn Jahre einer Überprüfung unterzogen werden soll. Eingeteilt werden die besten Weingüter in Grand Cru Classé und Premier Grand Cru Classé A und B. Zuletzt wurde die Klassifikation 2012 angepasst, damals stiegen Angélus und Pavie in den Rang eines Cru Classé A auf. 2021 haben sich die anderen beiden A´s – Ausone und Cheval Blanc – aus Protest nicht mehr für die Klassifikation 2022 beworben.

Lese in Sain Emilion

Eine Frage des Terroirs…

Saint-Émilion ist in seiner Terroir-Ausprägung alles andere als homogen. Gleich bei der Einfahrt in den Ort fallen die Kalkhänge, die „Côtes“, ins Blickfeld. Deren Ausläufer sind mit größeren Anteilen von Sand und Kies durchzogen, der Kalk hält sich noch etwas zurück. Direkt am Eingangskreisel von Saint-Émilion liegt mit Canon La Gaffelière das Stammweingut von Stephan Graf Neipperg. Seine Nachbarin, die Biodynamikerin und Großmeisterin der Cabernet Franc Cathérine Papon-Nouvel, bewirtschaftet gegenüber Château Petit Gravet Ainé. Vorbei an Château Gaffelière wird es in Richtung Stadtkern von Saint-Émilion immer steiler – die Côtes ragen links und rechts nach oben. Hier nimmt der Anteil an Merlot und Kalk stark zu, dazu kommt meist eine leichte Lehm-Sandauflage. Auf der linken Seite thront auf der Abbruchkante Château Ausone von Inhaber Alain Vauthier, in unmittelbarer Entfernung liegt der Gegenspieler Château Belair-Monange von Wein-Mogul Jean-Pierre Moueix. Noch weiter westlich, in Richtung Mazerat, tummeln sich Beauséjour Duffau und Château Canon, ein paar hundert Meter weiter folgt dann der Doppelschlag mit Angélus und Bellevue. Oberhalb der beiden liegt mit Coutet das älteste Bio-Weingut von Bordeaux. Fährt man nun noch weiter nach Westen, gelangt man zur Kiesinsel kurz vor Pomerol, auf der sich die Cabernet Franc fast die Mehrheit sichert. Cheval Blanc, La Dominique, Jean Faure und Figeac – alle vis-à-vis.

Saint-Émilion ist in seiner Terroir-Ausprägung alles andere als homogen.

Östlich der Abbruchkante, auf der Ausone liegt, erstreckt sich mit der Côte Pavie ein besonderes Filetstück in direkter Südausrichtung. Neben dem namensgebenden Château Pavie von Inhaber Gérard Perse liegen mit Larcis-Ducasse und Bellfont-Belcier zwei weitere Top-Güter. Ganz oben angekommen erreicht man das Kalksteinplateau von Saint-Émilion. Mit Beau Sejour Bécot, La Mondotte, Troplong Mondot oder Tertre Roteboeuf reist auch hier die Dichte an Spitzengütern nicht ab. Weiter östlich, in Richtung Castillon, liegt zunächst Château Tour Saint Christophe von Hong-Kong-Investor Peter Kwok, knapp fünf Kilometer weiter, am äußersten Rand von Saint-Émilion, endet es dann mit Valandraud, de Pressac oder Tertre de la Mouleyre.

Merlot Trauben

… eine Frage des Stils…

So unterschiedlich das Terroir, so unterschiedlich sind auch die Weinstile in Saint-Émilion. Michael Broadbent bezeichnete die Weine von den Côtes einst als »offen«, die vom Kies als »fest«. Das mag nicht zuletzt am hohen Anteil Cabernet Franc liegen, der nicht nur für etwas mehr Frische sorgt, sondern auch dazu beiträgt, alles lebendig zu halten. Erstaunlich ist dabei, dass gerade die Riege um Cheval Blanc und Jean Faure im Westen von Saint-Émilion immer mehr einen Stil verfolgt, der sich weit von fetten Blockbustern unterscheidet, wie sie einst produziert wurden und teilweise immer noch produziert werden. Elegant, präzise und frisch – fast ein wenig an Cabernet von der Loire erinnernd. Auch Angélus läutete mit dem 2020er Jahrgang ein neues Kapitel ein. Weg von der Extraktion, hin zur Finesse lautet das Credo. Die Cabernet Franc wird dort nur noch möglichst reduktiv im großen Holz mit 3.200 Litern ausgebaut.

Biologische Bewirtschaftung in Saint-Émilion

Ein Wandel, der sich schon seit Jahrzehnten in Saint-Émilion abzeichnet, ist die Hinwendung zur biologischen und biodynamischen Bewirtschaftung. Nicht zuletzt durch die Arbeit von Star-Beratern wie Stéphane Derenoncourt oder Daniel Duclos setzen wie Châteaus Cheval Blanc, Ausone, Jean Faure und etliche andere auf eine nachhaltige Bewirtschaftung ihrer Weinberge. Bio und Biodyn gehören in der Spitze von Saint-Émilion quasi schon zum guten Ton.

Es bleibt aufregend in Saint-Émilion. Die Appellation befindet sich in einem Wandel, der noch lange nicht abgeschlossen ist (wahrscheinlich gab es hier schon lange keinen Stillstand mehr). Gespannt darf man sein, wie sich die Châteaus und ihre Weine entwickeln – schließlich schreckte man in Saint-Émilion noch nie vor neuen Ideen zurück. Ob Microoxidation oder Zuckerwasser-Sortierung – Saint-Émilion stand schon immer für neue innovative Verfahren. Gut möglich aber auch, dass man sich in Saint-Émilion in diesen Zeiten einfach mal auf das besinnt, worauf man so stolz sein kann – auf die Böden, die Reben, das Terroir.