Pomerol hat als kleiner Nachbar von Saint-Émilion in den letzten 100 Jahren einen gigantischen Aufstieg hingelegt.
Mit seinem provinziellen Charakter bildet es einen krassen Gegensatz zu weitaus glamouröseren Bordeaux-Appellationen. In Pomerol findet man im Grunde nur zwei Dinge: 780 Hektar Reben und kleine Anwesen, die man problemlos mit Wohn- und Ferienhäusern verwechseln könnte. Eine Fahrt durch das Anbaugebiet fällt gut und gerne ernüchternd aus. Nicht selten tuckert man ganz allein durch das Flachland rund um die Kirche von Pomerol. Um Glanz und Gloria hat man sich hier noch nie geschert – zumindest architektonisch. Es ist fast schon aberwitzig, dass gerade auf einem solchen Flecken Erde einige der besten Rotweine der Welt wachsen.
Pomerol – ein einzigartiger Stil
Dabei scheint das Erfolgsrezept von Pomerol so einfach: Merlot und etwas Cabernet Franc werden auf die tiefgründigen Ton- und Lehmböden der Region gepflanzt, behutsam gepflegt, vinifiziert und schließlich in feines Eichenholz gelegt. Kritiker und Hedonisten auf der ganzen Welt lecken sich die Finger nach dem Stil des Pomerols: dicht und wuchtig, dennoch finessenreich, hocharomatisch, schwarzfruchtig, seidig, ja fast schon sahnig. Das gibt es weltweit so nur hier. Hugh Johnson verortete Pomerol einst stilistisch näher an den Weinen von Saint-Émilion als an den Gewächsen vom linken Ufer: »Er ist breiter und würziger und hat weniger Nerv als ein vergleichbarer Médoc, reift in fünf Jahren so schnell wie ein Médoc in zehn und übertrumpft ihn daher oft bei Verkostungen – so wie ein Kalifornier einen Franzosen aussticht.«
Pomerol – Der Parker-Liebling
Es ist daher keine Überraschung, dass die Rotweine aus Pomerol mit ihrem vollmundigen Stil vor vielen, vielen Jahren das Herz von Kritiker-Legende Bob Parker erobert haben. Mittlerweile pensioniert, führte er Pomerol mit Spitzenbewertungen ab den 1980ern endgültig in den Olymp der Weinwelt. Dem Gusto des Advokaten entsprechend, hat man auch in Pomerol für einige Jahre nicht an Extraktion und Holz gespart. Mittlerweile geht es gesettelter zu, wie auch im restlichen Bordelais. Feinheit und Frische überwiegen Power und Extrakt.
Mythos Pétrus
Weit über alle Grenzen hinweg wurde der Ruf von Pomerol zuerst von Château Pétrus getragen, jenem Kleinod im Herzen der Appellation, das in seinem Renommée ein wenig das Pendant zu Château Yquem in Sauternes darstellt. Quasi ein Cru Supérieur, aber ohne festen Platz, denn eine Klassifikation gab es in Pomerol noch nie. 1963 sicherte sich Jean-Pierre Moueix einen Mehrheitsanteil an Pétrus. Gemeinsam mit dem Kellermeister Jean-Claude Berrouet, der bis 2007 als solcher wirkte, drehte man besessen an der Qualitätsschraube. Mittlerweile hat man auf Pétrus den Cabernet-Sorten ganz den Rücken gekehrt – der Rotwein besteht zu 100 Prozent aus Merlot. Es gibt nur wenige Weinberge auf der Welt, in denen so akribisch gearbeitet wird. Der Lohn sind jedes Jahr nur rund 3.000 Kisten Wein. Wein für den richtig fetten Geldbeutel, aber auch für die unendliche hedonistische Orgie, für das höchste der Gefühle.
Nicht nur mit Pétrus hat J.-P. Moueix ein Denkmal geschaffen, auch die zahlreichen anderen Pomerol-Weingüter der Gruppe Moueix gehören heute zu den besten von Bordeaux
Die Crème de la Crème in Pomerol
Mittlerweile ist Pétrus in Pomerol ein Primus inter Pares. Nicht nur mit Pétrus hat J.-P. Moueix ein Denkmal geschaffen, auch die zahlreichen anderen Pomerol-Weingüter der Gruppe Moueix gehören heute zu den besten von Bordeaux: Trotanoy, Hosanna, La Fleur-Pétrus oder Lafleur-Gazin. Zudem haben viele kleine Garagenweingüter ab den 1980er Kultstatus erreicht, entsprechend hoch liegen mittlerweile die Verkaufspreise. Angeführt wird der Garagen-Reigen von Le Pin, dem 2,3-Hektar-Kleinod von Jacques Thienpont auf einem der höchsten Punkte von Pomerol. Gleich nebenan hat Hongkong-Investor Peter Kwok einen Hektar Reben mit der Absicht gekauft, einen ernsthaften Pétrus- oder Le Pin-Konkurrenten zu schaffen – koste es, was es wolle. Enclos Tourmaline besteht aus 100 Prozent Merlot und wächst auf drei verschiedenen Parzellen mit unterschiedlichen Bodentypen. Eine skurrile Konkurrenz unter Nachbarn hat sich nur wenige hundert Meter weiter in der Nähe der Kirche von Pomerol entwickelt. Mitten in den Weinbergen von L’Eglise Clinet, dem Lebenswerk von Denis Durantou, das nach seinem Tod von Tochter Constance geleitet wird, liegen die 1,5 Hektar von Clos de la Vieille Église. Die Familie von Jean-Louis Trocard in Person von Sohn Benoît bewirtschaftet die Flächen organisch und händisch in reinster Form.
Schaulaufen auf dem Pomerol-Plateau
Rund um die Kirche von Pomerol tummelt sich ohnehin alles was Rang und Namen hat in der Appellation. Auf diesem Plateau, das nur rund 15 Meter über dem Rest des Anbaugebiets thront, findet man das mit Abstand beste Terroir von Pomerol. Anders als an den Stadtgrenzen von Libourne, wo mehr Sand und Kies liegen, sind die Böden hier deutlich mehr von Lehm, tiefgründigem Ton und dem charakteristischen »Crasse de fer«, sprich eisenhaltigen Steinen, geprägt. Die Bodenmischung entscheidet dann meist über den Stil der Weine – mehr Kies und Sand bedeuten mehr Cabernet, mehr Lehm, mehr Merlot. So kommt es, dass in Steinwurfentfernung zu Pétrus auf Vieux Château Certan meist zwischen 15 und 30 Prozent Cabernet Franc in der Cuvée landen, in manchen Jahren sogar ein kleiner Anteil Cabernet Sauvignon. Vieux Château Certan war und ist klar der feinste Wein von Pomerol.
Letztlich ist Pomerol alles andere als nur Fett, Kraft und Wucht. Die Weine schwanken zwischen unbändiger Spannung und generöser Gelassenheit, zwischen verführerisch schwarzer und saftig roter Frucht. Vorbei sind die Jahre der Überextraktion, der Schwere, des Fetts. Pomerol bietet Weine zum Schwelgen, zum Riechen, zum Genießen, bei denen sich auch der leiseste Zweifel an der Größe von Merlot in Rauch auflöst.