Dass die Weine auch zu den weltbesten gehören, ist spätestens bei Betrachtung der einheitlich wahnsinnig hohen Bewertungen aller Kritiker klar.
Rund 50 Kilometer nordwestlich der Stadt Bordeaux liegt das legendäre Château Latour, nur 300 Meter von der Flussmündung der Gironde entfernt. Fluss und Meer haben ein milderes Klima zur Folge, von dem Latour profitiert. Der Untergrund, auf dem die Reben von Latour stehen, vereint die besten Böden des Médoc: mit viel Kies durchsetzter Ton und Sand. Die obere Schicht bestehend aus Sand und Kies ist durchlässig und gibt den Reben die Möglichkeit tief zu wurzeln, nach etwa drei Metern stoßen sie dann auf Tonschichten, die wasserspeichernde Eigenschaften haben, durch diese ist eine Versorgung mit Mineralstoffen und Wasser auch in Jahren mit viel Hitzestress gegeben. Vor Staunässe muss man sich bei Latour allerdings nicht fürchten, denn bereits im 19. Jahrhundert wurde ein Entwässerungssystem geschaffen, das überschüssiges Wasser ableitet. Die Parzellen bei Latour sind nicht wie bei anderen Weingütern homogen, was das Alter der Reben und Klone angeht. Stattdessen wird wenn möglich darauf gesetzt, kranke oder tote Reben durch junge zu ersetzen und somit ein Mosaik aus Reben zu schaffen, dadurch stehen über hundert Jahre alte Reben neben Einjährigen. Das macht die Arbeiten im Weinberg besonders anspruchsvoll und besonders bei der Ernte ist die Arbeit herausfordernd. Die Trauben der jüngsten Reben kommen in den Pauillac, die älteren in den Forts de Latour und nur die besten Trauben der alten Reben aus dem Herzstück des Weinguts, dem „Enclos“ kommen in den Grand Vin. Bestockt sind die Weinberge von Château Latour mit 76 Prozent Cabernet Sauvignon, 22 Prozent Merlot und je 1 Prozent Cabernet Franc und Petit Verdot, also klassisch für Pauillac. Im Grand Vin liegt der Cabernet Sauvignon Anteil meist bei 80 bis 90 Prozent, was dem Latour seinen kraftvollen und herben Charakter verleiht.
Das älteste Dokument, welches Latour erwähnt, stammt bereits aus dem Jahre 1331 und beinhaltet eine Genehmigung zur Errichtung eines Wehrturms, der noch heute das Etikett der Flasche prägt.
Bereits im 16. Jahrhundert wurde auf dem Gelände des heutigen Château Latour in einem klassisch landschaftlichen Mischbetrieb Wein angebaut. Im Gegensatz zu vielen anderen Betrieben wurde der Wein allerdings nicht nur an Nachbarn verkauft und selbst konsumiert, sondern schon damals überstieg die Produktion den Bedarf bei weitem, weswegen davon auszugehen ist, dass Latour bereits damals einen überregional bemerkenswerten Ruf hatte. Anfang des 18. Jahrhunderts stellten dann Alexandre de Ségur und sein Sohn Nicolas-Alexandre, der von Ludwig XV „Prinz der Reben“ genannt wurde, die Weichen für den massiven Erfolg des Weinguts. Im Besitz der Familie befand sich damals nicht nur Château Latour, sondern auch Château Lafite, Château Mouton und Calon-Segur. Als sich in England dann im frühen 18. Jahrhundert ein boomender Markt mit Bordeaux-, Sherry- und Portweinen begann, profitierten die Weingüter der Familie Ségur extrem, denn die Qualität stach bereits damals hervor. Ein Fass des gefragten Weins von Château Latour war damals das zwanzigfache wert wie ein durchschnittliches Fass Bordeauxwein. Gefragt sind die Weine noch heute und auch die Preise bewegen sich um ein Vielfaches über dem durchschnittlichen Preis für Bordeauxweine, die Qualität allerdings auch.
Diese Qualität wurde dann in der berühmten Klassifizierung von 1855 mit dem Rang eines Premier Grand Cru Classé geadelt, ein Titel, den damals nur vier und heute gerade einmal fünf Weingüter im Medoc tragen dürfen. Über die Klassifizierungen kann viel diskutiert werden, dass Latour zurecht an der Spitze der Pyramide steht, wurde allerdings noch nie angefochten, das käme auch Blasphemie gleich. Zwischendurch ist viel passiert auf Château Latour, Investoren sind eingestiegen und haben Anteile gekauft, die Qualität hat allerdings nie darunter gelitten, sie ist durch die umfangreichen Investitionen sogar gestiegen. Im Jahr 2003 wurde Château Latour komplett renoviert, um Arbeitsprozesse zu optimieren und das Weingut auf den aktuellsten Stand zu bringen. 2012 wurde dann ein neuer Reifekeller angelegt, nachdem Château Latour entschied die Weine nicht mehr en primeur zu verkaufen, was bedeutet, dass sich die Weine von Latour so lange bei perfekten Konditionen im Keller lagern können, bis sie eine gewisse Reife erreicht haben. Revolutionär und großartig, allerdings auch mit einem großen finanziellen Aufwand verbunden, welchen sich die wenigsten Weingüter leisten können.
Bei Château Latour wird ständig nach Innovationen gesucht, die die Weine in Zukunft verbessern, allerdings immer mit Respekt vor der Vergangenheit.
So ist das siebzig köpfige Team jeden Tag damit beschäftigt, Château Latour zu perfektionieren. Siebzig Menschen, die im Weinberg und im Keller arbeiten, sind für ein etwa 90 Hektar großes Weingut eine Superlative, die ihresgleichen sucht. So versessen auf Qualität sind die allerwenigsten Weingüter der Welt. Das Weingut wurde Stück für Stück auf biologischen An- und Ausbau umgestellt, allerdings ohne es an die große Glocke zu hängen. Man hat es bei Latour nicht nötig damit zu prahlen, denn die Umstellung wurde nicht aus dogmatischen Gründen vollzogen, sondern weil nach einigen Tests in einzelnen Parzellen erkannt wurde, dass es das Beste für Weinberg und Wein ist. In Abschnitten, in denen es sich nach Tests als sinnvoll herausgestellt hat, werden außerdem biodynamische Präparate ausgebracht. Bei Château Latour wird außerdem der sanfte Rebschnitt angewandt und sich am Mondkalender orientiert, gepflügt wird bevorzugt mit dem Pferd, um Bodenverdichtungen zu minimieren. Qualitätsbewusstsein steht bei Latour an erster Stelle. Das Team von Château Latour erntet jede Parzelle einzeln, per Hand und nur bei optimaler Reife. Zusätzlich zu den siebzig Mitarbeitern kommen etwa hundert Erntehelfer zu Château Latour. Nur mit so vielen Mitarbeitern schafft Latour den immensen Arbeitsaufwand, mit dem die Ernte verbunden ist. Zuerst wird im Weinberg bei der Handlese aussortiert und die Trauben in kleine Kisten mit nur 8 Kilogramm Fassungsvermögen gelegt. Die Kisten sind bewusst so klein, damit die Trauben sich nicht durch ihr Gewicht zerdrücken. Im Weingut werden die Trauben sortiert und entrappt, nach dem Entrappen kommen die Trauben auf ein zweites Sortierband, auf dem nachsortiert wird. So wird garantiert, dass auch nur gesunde Trauben und keine Reste von Blättern oder Stielen in den Wein kommen. Um keine Bitterstoffe von den Kernen in den Wein von Latour zu bekommen, werden die Trauben nur vorsichtig gepresst und dann durch Schwerkraft in die Tanks zur alkoholischen Gärung geführt. Die Tanks sind in verschiedenen Größen, um die Parzellen jeweils einzeln und ertragsunabhängig vergären zu können. Edelstahltanks werden bereits seit den 1960er Jahren bei Château Latour eingesetzt, welches damit unter den großen Châteaus des Bordeaux eine Vorreiterrolle einnahm. Vergoren wird in Edelstahl, weil dadurch Präzision und Feinheiten des Terroirs besser herausgearbeitet werden können. Nach der Malolaktischen Gärung wird der Wein dann zum Reifen in Barriques gefüllt. Für den Grand Vin werden jedes Jahr neue Fässer genutzt, der Forts de Latour reift meistens in Zweit- und Drittbelegung und der Pauillac reift in Dritt- bis Fünftbelegung. Die Fässer sind natürlich aus bester französischer Eiche und von den besten Küfern hergestellt.
Bordeaux-Liebhaber, und eigentlich alle Weinliebhaber, sollten einmal in ihrem Leben einen Wein von Château Latour probiert haben. Um den Stil ungefähr zu verstehen, reicht der Pauillac. Ein saftiger, leckerer Einstiegswein. Um das Potential und die Dimensionen des Grand Vins zu erahnen, ist der Forts de Latour super. Dieser ist allerdings kein klassischer Zweitwein, für den minderwertige Parzellen und Trauben verwertet werden. Der Forts de Latour ist ein eigenständiger Wein, aus den unter 60 Jahre alten Reben, allerdings auch oft in den Top Parzellen gelegen und wahrscheinlich der begehrteste und vielleicht sogar beste Zweitwein des Médoc. Das volle Potential des Weinguts erfährt man natürlich nur, wenn man den Grand Vin probiert. Unfassbar gut, viele Jahrgänge sind für die Ewigkeit gemacht. Schlechte Weine gibt es beim Grand Vin nicht, selbst schwächere Jahrgänge sind Monumente. So wie es aussieht, bleibt Latour auch in den nächsten hundert Jahren ein absoluter Meilenstein was Qualität und Liebe zum Detail angeht. Auf bisherigen Erfolgen wird sich hier jedenfalls nicht ausgeruht.