Pauillac ist das Terroir schlechthin für Cabernet Sauvignon. In keiner anderen Bordeaux-Appellation reizt die Rebsorte ihre Grenzen so sehr aus.
Obwohl in Pauillac die wohl kräftigsten Gewächse des Bordelais erzeugt werden, reicht die Vielfalt der Weine von unbeschreiblicher Kraft bis zu purer Finesse. Pauillac ist DAS Terroir schlechthin für Cabernet Sauvignon. In keiner anderen Bordeaux-Appellation reizt die Rebsorte ihre Grenzen so sehr aus. Das Ergebnis: maskuline Rotweine mit unbeschreiblicher aromatischer Intensität, Tanninmassen und einer fast unendlichen Lagerfähigkeit. Dieser Stil verhalf Pauillac früh zu Weltruhm, der bereits mit der Bordeaux-Klassifikation von 1855 in die weite Welt getragen wurde. Mit Ausnahme von Margaux erhielten in keiner anderen Gemeinde so viele Weingüter den Cru-Classé-Status. Vor allem die Spitze der Rangordnung ist mit drei Pauillac-Châteaux fest in der Hand der Appellation: Lafite Rothschild, Mouton Rothschild und Latour gehören alle zur Crème de la Crème des linken Bordeaux-Ufers. Daneben existieren in Pauillac zwei 2ème, ein 4ème und zwölf 5ème Crus, von denen einige heute einen deutlich besseren Rang verdient hätten. Wie auch in anderen Médoc-Gemeinden haben die kleineren Crus den Abstand zur Gebietsspitze in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verkürzt. 5ème Crus wie Lynch Bages oder Pontet-Canet haben mit einem immensen Kraftaufwand den Aufstieg in die Gebietsspitze geschafft. 1973 erfolgte in Pauillac gar die bisher einzige Änderung der Klassifikation von 1855: Mouton wurde vom 2ème Cru zum 1er Cru befördert.
Der Pauillac-Oszillograph
Es ist aber nicht nur die grundlegend maskuline Art der Weine, es sind auch die beiden stilistischen Pole, die trotz aller inneren Spannung und Kraft die Appellation Pauillac so einmalig machen. Von Süden nach Norden, von Latour bis Lafite Rothschild, schlägt der Oszillograph der Appellation immer mehr von Kraft zu Finesse um, quasi vom Kraftmeier zur Prima Ballerina. Der Grund dafür wird erst bei genauerem Hinsehen deutlich:
Obwohl sich die 1.200 Hektar Reben in Pauillac auf einem gerade einmal drei Kilometer breiten und sechs Kilometer langen Streifen Land erstrecken, ist das Terroir vielschichtig.
Zwei Plateaus schmiegen sich nordwestlich und südwestlich an die Stadt, sie unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der Bodenstrukturen und der Entfernung zur Gironde.
Kraft und Konzentration im Süden von Pauillac
Mit ungemeiner Kraft beginnt es gleich am Eingang von Pauillac, wenn man die Weingärten von Léoville-Las-Cases in Saint-Julien hinter sich gelassen hat. Das erste Hauptplateau liegt teilweise unmittelbar an der Gironde, hier macht sich das Flussklima am meisten bemerkbar. Rechts der Rue départementale 2 erstrecken sich direkt neben dem Clos von Léoville-Las-Cases die Weingärten von Château Latour. Sein Grand Vin ist der Inbegriff des gehaltvollen, tanninreichen und konzentrierten Bordeaux-Weins. Langlebiger geht es im Grunde nicht – weltweit. Das liegt neben der extrem selektiven Arbeit auch daran, dass sich auf dem ersten Plateau von Pauillac zum charakteristischen Kies ein recht großer Anteil Lehm in den Unterboden mischt. Im Gegensatz dazu zieht sich bei Lafite, im Norden von Pauillac, auch Kalk durch die Kiesböden, was die Weine feiner und eleganter macht. Auch ist dort die Entfernung zur Gironde größer. Unweit von Latour liegt der Château-Doppelpack aus Pichon-Lalande und Pichon-Baron, beide als 2ème Cru klassifiziert. 1850 wurde das ursprünglich einheitliche Château Pichon-Logueville aufgeteilt. Neben dem Namen trennen beide auch die unterschiedlichen Weinstile voneinander. Pichon-Lalande fällt etwas feiner und eleganter aus als der Bruder auf der anderen Straßenseite. Beide hätten heute durchaus das Zeug zum 1er Cru.
Herzhaftigkeit auf dem Bages-Plateau
Folgt man der Route des Vins in Richtung Ortskern von Pauillac, passiert man den Rest des südlichen Plateaus, das auch Bages-Plateau genannt wird. Vorbei an Château Haut-Bages-Libéral, auf dem Claire Villars-Lurton das Erbe ihres Großvaters mit großem Eifer fortführt, gelangt man zu Château Lynch Bages. Dieses ebenfalls als 5ème Cru klassifizierte Weingut befindet sich seit 1973 im Besitz von Pauillac-Legende Jean-Michel Cazes und ist der Archetyp eines herzhaften und fleischigen Bordeaux. Eine gut gereifte Flasche dieses Langstreckenläufers zum Châteaubriand mit knusprigen Frites, aromatischem Ofengemüse und Sauce béarnaise – reinste Glückseligkeit!
Pontet Canet und Mouton Rothschild – Nachbarn unter sich
Nach dem Bages-Plateau folgt auf der Reise durch die Appellation der Ort Pauillac mit seinen knapp 5.000 Einwohnern. Mit Top-Weinen geht es erst weiter, wenn man den Bahnhof der Gemeinde passiert. Nordwestlich von Pauillac erstreckt sich dann das zweite Hauptplateau mit einem großen Namen nach dem anderen. Los geht das Vergnügen mit Pontet-Canet, einem der Ausnahmegüter der vergangenen Jahre schlechthin. Als erstes Spitzenweingut wurde es bereits im Jahr 2000 auf eine biodynamische Bewirtschaftung der Rebflächen umgestellt. Einen Quantensprung in Sachen Qualität spürte man schnell: Die Jahrgänge 2009 und 2010 erhielten beide die Traumnote 100/100 von Robert Parker. Gegenüber von Pontet-Canet liegt Château d’Armailhac, eines der Weingüter des verstorbenen Philippe de Rothschild. Das 5ème Cru bereitet immer den zugänglichsten Wein der Mouton-Gruppe. Direkt neben d’Armailhac folgt dann Châetau Mouton Rothschild selbst – das Lebenswerk von Baron Philippe, der 1988 verstarb. Unverkennbar sind die Künstleretiketten, die seit 1945 jeden Wein schmücken. Dalí, Chagall, Kandinsky oder Picasso – sie alle malten ein Etikett für einen Mouton-Jahrgang. Zwar ist es von hier aus nur noch ein kleiner Spaziergang durch die Weinberge bis zu Lafite Rothschild, aber Mouton liegt stilistisch näher bei Château Latour als bei Lafite.
In Mouton schmeckt man immer eine enorm konzentrierte Cabernet-Sauvignon-Frucht. Mit Merlot, Cabernet Franc und Petit Verdot wird hier sparsam gearbeitet, der Anteil an Cabernet Sauvignon liegt immer bei über 80 Prozent.
Lafite Rothschild: Musterbeispiel für Finesse
Einen hohen Anteil an Cabernet Sauvignon findet man auch bei Lafite, das seit 1868 im Besitz der Familie Rothschild ist. Und doch ist der Wein ein Gegenpol zu Mouton und Latour. Mehr Feinheit und Finesse gehen in Pauillac nicht. Ein Stil, der seit dem vermutlich ersten Jahrgang 1797 so beständig ist, dass man fast schon in Ehrfurcht erstarren muss, auch wenn es hier in den 1960ern und Anfang der 70er ein paar schwächere Jahrgänge gab. Aber spätestens seit Éric de Rothschild 1974 das Ruder übernahm, jagt ein unvergesslicher Lafite-Jahrgang den nächsten. Hier passt einfach alles zusammen: das Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert, der einmalige Gemüsegarten unterhalb des Weinguts und die Akribie des großartigen Teams, das ganz nebenbei auch für das 4ème Cru Duhart-Milon verantwortlich ist.
Es bleibt eine klare Sache: Pauillac war und ist die Quintessenz eines roten Bordeaux – mehr geht nicht, mehr braucht man nicht, wenn man denn die pure Kraft und den Körper der Cabernet-Sauvignon-Rebe schätzt.