Um Italiens Ursprungs-Pyramide besser zu verstehen, ist eine Zusammenfassung der Entstehungsgeschichte sehr hilfreich:
1963 leitete die italienische Weinindustrie erstmals Maßnahmen ein, um ihre historischen Weinregionen und Weinstile zu fördern und zu schützen. Mit Frankreich, das bereits in den 1930er Jahren sein AOC System einführte, als Vorbild, wurde in Italien ein eigenes Bezeichnungssystem geschaffen, das die Herkunft der Weine garantierte. Mit der neuen Klassifizierung wurden zwei Ursprungsbezeichnungen geschaffen:
»Denominazione di Origine Controllata«, eine geschützte Ursprungsbezeichnung, in kurz DOC, und sozusagen auf dem selben Level wie die deutsche Herkunftsbezeichnung »Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete« (QbA) und »Denominazione di Origine Controllata e Garantita«, eine kontrollierte und garantierte Herkunftsbezeichnung, kurz DOCG, die die Spitze der italienischen Ursprungs-Pyramide darstellt. Sowohl für DOCs als auch für DOCGs werden unter Anderem die Anbauweise, Rebsorten, Erträge und Ausbau vorgeschrieben.
1966 wurden die ersten DOC Weine klassifiziert und 1980 folgten mit Chianti Classico DOCG, Vino Nobile di Montepulciano DOCG und Brunello di Montalcino DOCG die ersten drei DOCG Weine.
Bereits zu diesem Zeitpunkt waren nicht alle Winzer mit der neuen Ursprungsbezeichnung einverstanden. Einige fanden, dass Innovationen und sogar die Weinqualität durch zu stringente Vorgaben eingeschränkt wurden, da von der Dauer des Ausbaus in Holz bis zum finalen Blend die Winzer selber zum Teil wenig Spielraum für eigene Entscheidungen hatten. Der Fokus wurde auf Tradition gelegt, und manchmal leider auch auf altmodische Machart. Im Gegensatz zu einer Weinregion wie dem Burgund, wo Mönche über Jahrhunderte hinweg die besten Rebsorten für das Terroir auswählten, ist die Situation in Italien durch unglaublich viele regionale Rebsorten und Macharten wesentlich komplexer. Die Erhaltung weniger bekannter, aber manchmal qualitativ sehr hochwertiger, einheimischer Rebsorten wurde gefährdet, weil diese für verschiedene DOC- und DOCG-Weine verboten waren. So wurden Winzer wie zum Beispiel Walter Massa, der die herausragende Qualität der piemonteser Rebsorte Timorasso erkannte und sie vor dem Aussterben rettete, zu den wahren Helden der italienischen Weinwelt.
Heute kann man rückblickend sagen, dass die Reaktion vieler italienischer Winzer gegen das DOC- und DOCG-System jedoch sogar eine positive Entwicklung war und eine Qualitätsrevolution auslöste.
1968 erntete Marchese Mario Incisa della Rocchetta seinen ersten kommerziellen Sassicaia-Jahrgang, der unter der niedrigsten Qualitäts- und Herkunftsbezeichnung »Vino da Tavola« abgefüllt wurde, denn ein Bordeaux-Blend der auf Cabernet Sauvignon basierte war damals in der Toskana unter DOC/DOCG Regeln nicht gestattet. Es dauerte nicht lange, bis die Nachbarn des Marchese mit Spitzenweinen aus französischen Rebsorten folgten. Auch im Landesinneren deklassifizierten einige der besten Erzeuger ihre Chianti Classico zum »Vino da Tavola«, weil sie reinsortige Weine aus der Sangiovese, der besten einheimischen roten Qualitätsrebsorte der Toskana, gegenüber dem durch die DOCG vorgeschriebenen Blend mit obligatorischer Zugabe von weißen Trauben bevorzugten.
Mit dem nach dem Minister Giovanni Goria benannten »Goria’s Law« aus dem Jahr 1992 wurde deshalb zusätzlich die Kategorie »Indicazione Geografica Tipica (IGT)« eingeführt, um diesen Winzern mehr Freiraum im Weinbau einzuräumen und zu vermeiden, dass die zum Teil teuersten und nachgefragtesten Weine Italiens unter der niedrigsten Ursprungsbezeichnung »Vino da Tavola« verkauft wurden.
Auch heute noch sucht die italienische Weinindustrie nach einem Gleichgewicht zwischen der Bewahrung des regionalen Erbes und der Weinbautraditionen und neuen Ideen für ein globales Publikum. Heute zählen viele der erfolgreichen Weine der Nachkriegsjahrzehnte immer noch zu den beliebtesten Weinen Italiens.