Der größte Glanz aller deutschen Weinanbaugebiete geht zweifellos vom Rheingau aus – historisch allemal.
Der größte Glanz aller deutschen Weinanbaugebiete geht zweifellos vom Rheingau aus – historisch allemal. Der schmale Rebenstreifen, der westlich von Wiesbaden bei Walluf beginnt und sich über 25 Kilometer parallel zum Rhein bis nach Rüdesheim hinzieht, ist gespickt mit Burgen, Schlössern, Klöstern. Sie sind illustre Zeugnisse jener glorreichen Vergangenheit, in der Politik und Kirche untrennbar mit Wein verbunden waren.
Das herrschaftlich über dem Rhein thronende Schloss Johannisberg, das versteckt am Hügel liegende Schloss Vollrads, das in einer Talsenke verschwindende Kloster Eberbach – sie sind die Glanzpunkte der großen Rheingauer Weinbautradition, die mit den Römern begann, von Benediktinern und Zisterziensern im Mittelalter vorangetrieben wurde und in der Neuzeit vom Adel perfektioniert und in die Welt hinausgetragen wurde. Noch vor hundert Jahren wurden die »Hocks«, wie die Rheingauer Rieslinge genannt wurden, zu Preisen wie erstklassige Bordeauxweine gehandelt. Der Rebengürtel an den Ausläufern des Taunus ist Kernbereich des Rheingaus. Nach oben begrenzt durch den Waldrand, nach unten durch den Rhein, ist es ein von der Ausdehnung her kleines, weinbaulich jedoch ziemlich kompaktes Gebiet. Sieht man von der Fläche ab, die für Häuser und Straßen benötigt wird, ist dort fast jeder Quadratmeter mit Reben bepflanzt. Und Reben heißt: Riesling. Knapp 80 Prozent der Rheingauer Rebfläche ist mit dieser Sorte bestockt. Nicht einmal an der Mosel ist der prozentuale Anteil dieser Sorte so hoch.
Auch der Stil des Rheingauer Rieslings unterscheidet sich deutlich von dem der Mosel. Die Weine sind durchweg voller, die Säure ist weiniger. Das liegt am wärmeren Klima. Die Jahresdurchschnittstemperatur des Rheingaus liegt deutlich über 10° Celsius, die Zahl der Sonnenstunden ist um 20 Prozent höher. Alles zusammen führt dazu, dass der trockene und halbtrockene Riesling im Rheingau sehr viel häufiger vorkommt als an der Mosel. Er stellt den Hauptanteil der Weinerzeugung dar. Legendär sind auch die großen edelsüßen Rheingauer Auslesen, während Eisweine eher selten geerntet werden. So kompakt das Gebiet auch ist: Es gibt erhebliche Lagenunterschiede. Sie gehen auf die unterschiedliche Bodenbeschaffenheit und Sonnenexposition der Weinberge zurück und sorgen dafür, dass der Wein des einen Weinbergs groß ist und der des benachbarten Weinbergs bescheiden bleibt.
Natürlich ist nicht alles, was zum Kernbereich gehört, gesegnetes Weinland. Aber die berühmten Lagen des Rheingau liegen fast ausnahmslos dort: Rauenthaler Baiken, Kiedricher Gräfenberg (Monopollage des Weinguts Robert Weil), Hattenheimer Nussbrunnen, Oestricher Lenchen, Rüdesheimer Schlossberg, Rüdesheimer Berg Rottland, um nur einige klangvolle Namen zu nennen (in letzteren zwei Lagen sind u. a. das Weingut Leitz als auch das Bischöfliches Weingut Rüdesheim begütert). Die unterschiedliche Güte der Rebflächen wurde in einer Lagenkarte, die der Rheingauer Weinbauverband 1999 herausgegeben hat, parzellengenau markiert. Diese Lagenkarte war die Grundlage für das »Erste Gewächs«, das der Rheingau schon vor den »Ersten Lagen« des VDP und den darauf basierenden Großen Gewächsen eingeführt hat. Bis heute ist Hessen das einzige Bundesland, in dem eine Lagenklassifikation Gesetzeskraft hat. das »Erste Gewächs«, das der Rheingau schon vor den »Ersten Lagen« des VDP und den darauf basierenden Großen Gewächsen eingeführt hat. Bis heute ist Hessen das einzige Bundesland, in dem eine Lagenklassifikation Gesetzeskraft hat. Außerhalb des Kernbereichs liegend, aber zum Rheingau dazugehörend sind auch jene 250 Hektar Weinberge, die in Hochheim östlich von Wiesbaden am Main liegen. Und jenseits von Rüdesheim, wo der Rhein einen Knick nach Norden macht, wurden die Gemeinden Assmannshausen und Lorch beizeiten dem Rheingau zugeschlagen. In Assmannshausen dominiert übrigens nicht der Riesling, sondern traditionell der Spätburgunder. Allerdings hat sich diese Rebsorte auch im Kernland stark ausgebreitet. Sie macht inzwischen über 12 % des Rebsortenspiegels aus. Das Weingut J. B. Becker baut die Rebsorte zum Beispiel in Walluf an.
Glanz hin und her – wer mit den Verhältnissen vertraut ist, muss zugeben, dass der Rheingau zwischenzeitlich nicht mehr die Strahlkraft hatte, die ihn einst so groß machte. Andere deutsche Weinanbaugebiete haben merklich aufgeholt und eine Qualitätsdynamik entwickelt, die im Rheingau manchmal vermisst wurde. Viele Rheingauer Weine verharrten lange Zeit im grauen Mittelmaß. Manche treten noch heute auf der Stelle, aber natürlich hat auch hier deutlich spürbar ein Umdenken stattgefunden und andere waren schon immer herausragende Leuchttürme: Breuer, Becker, Kühn, Kesseler, Leitz, Oetinger, Bardong und Weil – um nur einige zu nennen oder auch neue, junge, experimentierfreudige Talente wie Jörn Goziewski. Auch der steile Qualitätsanstieg der Bischöflichen Weingüter Rüdesheim unter Peter Perabo ist ein weiteres Indiz für die anhaltende Trendwende und einen neuen Aufbruch.