Politisch bildet Baden mit Württemberg eine Einheit. Weinbaulich gibt es diese Einheit nicht. Ja, Baden selbst ist alles andere als ein einheitliches Weinanbaugebiet. Es hat die Form eines schmalen, parallel zum Rheingraben verlaufenden Gürtels, auf dem mindestens sieben verschiedene Weinanbaugebiete liegen, die weder geografisch noch innerlich zusammenhängen: Badische Bergstrasse, Kraichgau, Ortenau, Breisgau, Kaiserstuhl, Tuniberg, Markgräflerland.
Dazu kommen Bereiche, die fernab des Rheins weit verstreut im Hinterland liegen und ebenso gut den benachbarten Anbaugebieten Franken, Württemberg oder der Hessischen Bergstrasse zugeschlagen werden könnten: etwa das Taubertal oder der Bodensee um Meersburg. Doch die Väter des Deutschen Weingesetzes waren keine Freunde der Differenzierung. Sie glaubten, mit weinbaulichen Großgebilden die Vermarktung des deutschen Weins zu fördern und zu erleichtern. So schufen sie das weinbauliche Monstrum Baden, eines jener Großgebilde, wie es sie unter den europäischen Weinbaunationen praktisch nur in Deutschland gibt: viel zu groß, viel zu heterogen, viel zu unübersichtlich, sich teilweise selbst fremd. Zwar ist dieses Großgebilde in verschiedene Bereiche unterteilt, aber keine der Unterzonen hat das Rechtauf eine eigene Herkunftsbezeichnung, wie es in Frankreich und Italien gang und gäbe ist.
Kein Wunder, dass Baden als Weinland international bedeutungslos ist. Wenn ein badischer Wein mal außerhalb Deutschlands wahrgenommen wird, dann nur aufgrund der individuellen Leistung einzelner Winzer. Eine kollektive Identität gibt es in Baden nicht. Die Marke »Badischer« existiert nur in der Werbung. Der überregionale Weinhandel und die deutschen Weintrinker sind, wenn sie ins Badische blicken, denn auch nicht auf das gesamte Anbaugebiet fokussiert, sondern nur auf einzelne Bereiche. Zum Beispiel auf den Kaiserstuhl. Dieser sich aus der Rheinebene erhebende Vulkankegel westlich von Freiburg repräsentiert zwar nur ein gutes Viertel der badischen Rebfläche, doch kommen aus keinem anderen Bereich Badens so viele interessante und hochklassige Weine.
Der Kaiserstuhl ist das Gebiet mit der höchsten Sonnenscheindauer in Deutschland. Die Meteorologen haben 1740 Sonnenscheinstunden im Jahr gezählt.
In dieser Klimanische gedeihen seit jeher Rotweine: satte, vollmundige Spätburgunder, die im Holzfass – auch dem kleinen – ausgebaut werden und ziemlich langlebig sein können. Die klare Frucht und die feinstoffliche Mineralität dieser Spätburgunder hat in den letzten Jahren auch Rotweintrinker außerhalb der Region überzeugt, deren Zunge an französischen Burgundern geschult ist. Beispiele dafür liefern die Weine der Familien Schneider, Keller, Heger oder Huber. Bei aller Begeisterung über die Roten wird aber gern übersehen, dass am Kaiserstuhl letztlich mehr Weiß- als Rotweinreben stehen: neben dem Müller-Thurgau (der in Baden meistens Rivaner heißt) vor allem Weißburgunder und Grauburgunder. Diese beiden Weine gelingen auf den Lehm- und Lössböden besonders gut und gehören zu den Besten ihrer Sorte in Deutschland. Sie faszinieren durch ihre Stoffig- und Vielschichtigkeit, sind aber gleichzeitig von einer feinen Säure durchzogen, die ihnen wie ein Herkunftsstempel aufgedrückt ist. Auch Chardonnay passt gut zum Kaiserstuhl. Dass all diese Weine durchgegoren sind, versteht sich heute von selbst. Der lieblich ausgebaute Grauburgunder, der früher unter der Bezeichnung »Ruländer« mal eine gesuchte Spezialität am Kaiserstuhl war, ist heute eine aussterbende Weinspezies. Früher war der Weißweinanteil Badens noch wesentlich höher. Allein Müller-Thurgau bedeckte 1975 ungefähr die Hälfte der Rebfläche. Auf Raten der Experten des badischen Weinbauverbandes wurde wenig später die folgenschwere Empfehlung ausgesprochen, ihn durch Spätburgunder zu ersetzen. Heute wären viele Winzer froh, wenn sie ihre weißen Reben behalten hätten. Denn Spätburgunder ist ein Überschussprodukt geworden. Er steht teilweise in Lagen, die für diese Rebsorte wenig geeignet sind und nur magere, ausdruckslose Weine hervorbringen.
Trotzdem ist der Aufstieg des Spätburgunders in Baden spektakulär, nicht nur am Kaiserstuhl. Ebenfalls in den Fokus der Freunde des badischen Weins gerückt ist der nördlich von Freiburg liegende Breisgau mit den Rotwein-Enklaven Hecklingen, Malterdingen und Mundingen, sowie das südlich von Freiburg liegende Markgräferland. Die sonnenbeschienenen Hänge des Südschwarzwalds sind die Heimat des Gutedel, eines leichten, milden Weißweins, der in den Landgasthöfen und Weinkneipen zwischen Bad Krozingen und Weil am Rhein wie Mineralwasser getrunken wird. Dass im Markgräflerland auch Rotwein wächst, im Zweifelsfall sogar ein sehr guter, liest man eher selten, obwohl der Spätburgunder den Gutedel inzwischen an Rebfläche fast eingeholt hat. Beide Weine differieren – vom Farbunterschied abgesehen – in einem Punkt allerdings deutlich: Der Gutedel wird (praktisch) nur in der Region getrunken, der Spätburgunder dagegen in ganz Deutschland. Übrigens: Wer sich von der Güte beider Weine überzeugen will, sollte einmal in die Weine von Hanspeter Ziereisen hineinschnuppern. Dieser bodenständige Winzer, der in Efringen im äußersten südlichsten Zipfel des Markgräflerlands zu Hause ist, erzeugt sie in bestechender Qualität.
Natürlich gibt es auch in den nördlichen Bereichen Badens sehr gute Weine: beispielsweise an der Badischen Weinstrasse bei Leimen, bei Sulzfeld im Kraichgau, bei Neuweier und Bühlertal südlich von Baden-Baden und bei Durbach. Überall dort ist der Riesling der wichtigste Weißwein. Er besitzt zwar nicht die spielerische Eleganz der Moselweine, kann aber ebenfalls sehr filigran und mineralisch ausfallen.
Ihre starke Stellung hat mit einer Eigenart der Badener zu tun. Es drängt sie, jedes freie Stück Land zu bebauen, möglichst mit einem Haus, wenigstens aber mit Reben. Auf diese Weise gibt es viele Nebenerwerbswinzer, die in anderen Berufen arbeiten, am Feierabend aber gerne in ihren Weinberg gehen um sich dort einen Zusatzverdienst zu verschaffen. Die Trauben liefern sie brav bei der Genossenschaft ab. Die weinbaulichen Kenntnisse sind gering, ihr Ehrgeiz nicht übermäßig groß. Die schwäbischen Nachbarn, den Badenern sowieso in herzlicher Abneigung verbunden, haben nur Spott für sie übrig: Der Württemberger schafft, der Badener denkt, aber es kommt wenig dabei raus, sagen sie. Das Urteil ist insofern unfair, als manche kleine und mittlere Genossenschaft in Baden, besonders am Kaiserstuhl, trotzdem Weine im Sortiment hat, die genauso gut oder besser als die der privaten Konkurrenz sind. Zweitens ist das Urteil falsch. Es kommt nämlich eine Menge raus, weil sich die Auszahlungssätze der Genossenschaften sehen lassen können.